Wenn ein Elternteil stirbt

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Graureiherin
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Wenn ein Elternteil stirbt

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Ihr Lieben,

ich bin nur noch selten aktiv hier, möchte aber nun doch etwas berichten.

Ich musste meinen Vater im März ins Pflegeheim bringen und vom Pflegeheim kam er vor drei Wochen ins Krankenhaus.
Nun ist er seit zwei Wochen Covid 19 positiv (und keiner weiß wo er sich angesteckt hat). Da ich Ihn besucht hatte kurz vor Diagnosestellung, habe ich gerade zwei Wochen Quarantäne hinter mir.

Heute kam ein Anruf vom Oberarzt, dass mein Vater diese Erkrankung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben wird. Er braucht täglich mehr Sauerstoff, Breitbandantibiotika und wasserausschwemmende Mittel schlagen nicht an. Die Lungen meines Vaters versagen sukzessive und das Herz wie auch die Nieren sind bereits in Mitleidenschaft gezogen. Es gibt eine Patientenverfügung und wir sind uns einig, dass er nicht beatmet werden soll, sondern "nur" noch das Leiden verringert.

Diejenigen wenige die mich von hier noch kennen, erinnern sich vielleicht noch, dass ich mich mit meinen Eltern in verschiedener Hinsicht tief auseinandergesetzt habe. Weil mein Leben nun mal unausweichlich von deren Leben geprägt wurde/wird.

In Form von Biographiearbeit (meine Eltern wurden vertrieben aus dem Sudetenland, konnten darüber aber nicht reden, vor allem meine Mutter nicht), dann kam für mich das Thema Kriegskinder/Kriegsenkel (Expertin dazu Sabine Bode, sehr zu empfehlen).
Einen langen, wohldurchdachten, geschriebenen Text habe ich meinem Vater vorgelesen, indem ich ihm zum ersten mal gesagt habe, wie ich meine Kindheit empfunden habe, was durch Kindheitserlebnisse ausgelöst wurde, was mich davon immer noch begleitet... Das hat mich enorm viel Mut gekostet, kann ich euch sagen. Er hat für sich diesen Text später nochmals mit Hand abgeschrieben. Er hat sich in seiner Weise damit auseinandergesetzt und nichts geleugnet. Ich habe insgesamt viele Jahre Therapie hinter mir (bereits vor der PPD 2012) und viele, viele Auseinandersetzungen mit meinem Leben und warum es so wurde, wie es wurde...

Letztes Jahr hat mein Vater dann sogar vier Wochen in meiner Arbeitsstelle (einer Betreuten Seniorenwohnanlage) in der Gastwohnung gewohnt und mich IMMER beim Mühlespiel besiegt-grrrrr-, wir sind gemeinsam essen gegangen, mit dem Rollator durch die Gegend gewackelt...
Das letzte mal, als ich ihn jetzt gesehen habe, hat er im Krankenhaus eine Stunde lang fast nur geweint, weil er so nicht leben will "Petra, hat er gesagt, bei so einem schönen Wetter wäre ich doch niemals freiwillig im Bett". Ich habe zum ersten mal in meinem Leben die Hand meines Vaters gehalten und wir haben zum ersten mal gemeinsam geweint.

Die Auseinandersetzungen mit ihm haben sich gelohnt. Ich bin wirklich froh dass ich mit Ihm geredet habe, gerade über Dinge die mich wirklich Überwindung gekostet haben. Ich habe das Gefühl ich kann ihn jetzt gehen lassen, wir haben für unsere Verhältnisse das rausgeholt was möglich war, so dass ich jetzt am Ende sagen kann "Es ist gut so".

Falls ihr euch ebenfalls mit euren Eltern auseinandersetzt, es kann sich also tatsächlich lohnen ins Gespräch zu gehen und die Auseinandersetzung nicht zu scheuen. Man merkt ja selber ob die Eltern in gewisser Weise offen sind. Das ist nicht immer so, meine z. B. Mutter war es niemals. Aber solange man das Gefühl hat, es kann bei einem Elternteil wirklich ankommen, was einen bewegt, dann sollte man die Gelegenheit beim Schopfe greifen.

Sodele, und jetzt bleibt nur noch zu warten bis der Anruf kommt, dass es soweit ist. Dann fahre ich mit meiner Schwester ins Krankenhaus und wir kommen hoffentlich noch rechtzeitig um ihn beim sterben zu begleiten. Leider in voller Schutzausrüstung wegen Corona.

Mal sehen, ob ich psychisch stabil bleibe, sonst dosiere ich von meinen drei Tröpfle Escitalopram auch hoch.

Sorry für den langen, teils sicher auch wirren Text. Aber irgendwie dachte ich es ist wichtig, weil irgendwann kommt das Thema Tod der Eltern bei allen von uns.

Die Graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
Mel
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Re: Wenn ein Elternteil stirbt

Beitrag von Mel »

Liebe Graureiherin,
mich hat dein Text sehr berührt!
Ich finde es toll, wie gut ihr zwei eure „Baustellen“ miteinander geklärt habt und hoffe für alle Beteiligten, dass es ein guter Abschied wird. Es sind wirklich herausfordernde Zeiten momentan. Ich bewundere deine Stärke und hoffe für dich, dass du so schön stabil bleibst.
Lieben Gruß
Mel
PPD seit Juli 2017, seitdem Mirtazapin 15mg
(Mit Unterbrechung), dann 30mg Mirtazapin und Opipramol 75mg,
Seit Sept. 2019 Sertralin,
mittlerweile 200mg und 15mg Mirtazapin.
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Graureiherin
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Re: Wenn ein Elternteil stirbt

Beitrag von Graureiherin »

Liebe Mel,
Danke für Deine mitfühlende Antwort.
Mein Vater ist am Freitag gestorben, ich war bei ihm und ich bin sicher er hat es gespürt. Momentan ist alles noch unwirklich, man funktioniert und es ist unendlich viel zu erledigen.

Alles Liebe Dir und denkt dran, auch wenn Tiefs kommen, es wird besser und besser. Du bist so aktiv hier und stellst Dich Deiner Thematik das ist enorm hilfreich und wichtig auf dem Weg zur Genesung.

Graureiherin
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Mel
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Re: Wenn ein Elternteil stirbt

Beitrag von Mel »

Liebe Graureiherin,
herzliches Beileid und ganz viel Kraft wünsche ich dir!
Ich bin sehr dankbar, dass du hier immer mal wieder aktiv bist.
Alles alles Liebe
Mel
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Marika
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Re: Wenn ein Elternteil stirbt

Beitrag von Marika »

Liebe Petra,

mein herzlichstes Beileid! Ich wollte dir schon viel länger schreiben, bin aber einfach nicht dazu kommen. Was du uns über die Beziehung zu deinem Vater geschrieben hast, hat mich sehr berührt und ich finde euren Weg wundervoll. Ihr habt zueinander gefunden, auch wenn die Umstände nicht einfach waren. Umso mehr bewundere ich eure gegenseitige Bereitschaft, hin zu schauen!

Liebe Petra, ich wünsche dir und deiner Familie ganz viel Kraft in der kommenden Zeit. Wir sind hier, wenn du uns brauchst!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Graureiherin
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Re: Wenn ein Elternteil stirbt

Beitrag von Graureiherin »

Danke liebe Marika,

es graut mich vor der Trauerfeier morgen und ich hoffe, dass ein funktioneller Automatismus einsetzt damit man sowas übersteht.

Vielen lieben Danke für Deine Worte, es ist gut zu wissen dass es Menschen gibt die Anteil nehmen. Ich melde mich sicher wieder. Sende mir morgen gedanklich Kraft von 13.00 bis 17.00 Uhr. Ich hoffe, dass dann auch das anschließende Trauercafé vollbracht ist.

Gleichzeitig mache ich mir ja noch große Sorgen wegen meiner Schwester. Du weißt glaub, dass sie psychisch instabil ist und ich hoffe, dass keine Einweisung in die Psychiatrie notwendig sein wird in den folgenden Wochen. Zur Sicherheit schaue ich aber nächste Woche mal nach stationären Einrichtungen für sie. Alles nicht ganz einfach...

Danke auch Dir nochmals Mel, Du ist auch so eine Gute! Ich bekomme das schon noch mit. Ich lese zwar fast nur noch im Forum aber die aktiven Mitgliederinnen hab ich im Blick.

Ich kann auch Kikke gut verstehen. Das Forum ist ein Elixier, vor allem in der akuten Krisenzeit, man bekommt und gibt unendlich viel Hilfe/Kraft... und dann kommen andere Lebensthemen und man zieht sich aus dem Forum zurück...der Verlauf ist nachvollziehbar und gehört (für die meisten) zum Abnabelungs- und Heilungsprozess mit dazu.

Eure Graureiherin Petra

P.S. der Name Graureiherin kommt daher, weil der Graureiher mein Lieblings- und Glücksvogel ist...
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Nelli
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Re: Wenn ein Elternteil stirbt

Beitrag von Nelli »

Liebe Graureiherin,

ich wünsche dir viel Kraft für morgen und die kommende Zeit. Schön, dass wir Anteil nehmen dürfen.
Der Tod der Eltern, egal, wie alt man als "Kind" ist, ist schmerzhaft und ein Einschnitt.

Nelli
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Marika
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Re: Wenn ein Elternteil stirbt

Beitrag von Marika »

Liebe Petra,

ich werde heute in Gedanken bei dir sein!

Drück dich!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
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Mel
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Re: Wenn ein Elternteil stirbt

Beitrag von Mel »

Liebe Petra,
ich denke auch an dich und deine Schwester :-) und hoffe dass ihr alles gut übersteht.
Du hast mir hier auch mal per PN Trost zugesprochen und ich bin dafür sehr dankbar!
Mel
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