Bilanz nach vier Jahren

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Graureiherin
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Bilanz nach vier Jahren

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Ihr Lieben,

ich bin in letzter Zeit eher Mitleserin , aber ich schätze das Forum nach wie vor ungemein.

Ich bin jetzt seit ungefähr einem Jahr bei 5 mg Escitalopram. Das ist sehr wenig und ich mache mir keinen Stress noch weiter reduzieren zu wollen. Meist kommt die Entscheidung spontan, ohne drüber groß nachzudenken. Auf Null mg will ich sowieso gar nicht, dafür bin ich viel zu sehr überzeugte Zwangspatientin-grins!". Wenige Milligramm, als letzter Haltepfosten sozusagen, gönne ich mir.

Mir geht es meistens gut. Grundsätzlich bin ich immer am "an mir arbeiten" . Ich habe vor ca. zwei Jahren geschrieben, dass ich mich durch die Therapie und die PPD Zeit nicht um 180 Grad verändert habe. Lotte schrieb mal: "aus einem Sensiblen Menschen wird kein Haudegen".

Was sich verändert hat: ich bin mir meiner Knackpunkte viel mehr bewusst und achte mehr darauf und somit auf mich auf.

Trotzdem komme ich immer wieder in Situationen in denen ich erst eine halbe Stunde später genau weiß, was zu tun gewesen wäre.... ich denke das kennt jeder. Das ärgert mich schon, aber ich versuche ungebrochen es beim nächsten mal anders zu machen. Bis ich eben wieder eine halbe Stunde zu spät die Erkenntnis zu mir durchdringt.

Ich arbeite auch immer noch zu viel, selbst wenn ich frei habe, mache ich immer irgendwas. Ich mache überwiegend Dinge die mir Freude bereiten, aber insgesamt zu viel davon. Das Nichtstun muss ich definitiv noch mehr üben. "Genießen ist kein leichtes Spiel", singt Konstantin Wecker. Wobei mein Freund sagt, ich könne genießen, ich gönne mir doch hier und da eine lecker Sahnetorte, mal ein Nickerchen etc.

Ich denke auch, dass ich insgesamt empfindsamer und in gewisserweise ängstlicher geworden bin, dadurch eine psychische Störung selber erlebt zu haben. Die Befürchtung wieder in ein schweres Tief zu fallen ist stets vorhanden. Aber auch das ist "normal". ich versuche mich nicht zu sehr davon verunsichern zu lassen. Meist gelingt das gut, manchmal aber auch weniger und ich habe ein paar Tage die mich mehr verunsichert durchs Leben gehen lassen. Hängt evtl. auch an den beginnenden Wechseljahren?

Sodele, das wieder einmal als Zwischenstand zu mir, vor allem für diejenigen, die ebenfalls ihre Medis reduzieren.

"Kopf hoch" an alle, das Leben ändert sich ständig. Kein Tief bleibt!

die Graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
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Marika
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Re: Bilanz nach vier Jahren

Beitrag von Marika »

Hallo liebes "Vögelchen"... :D

wie schön, mal wieder von dir zu lesen - ich habe mich schon gefragt, wo du bist und hätte dich in Kürze mal angeschrieben. Daher freue ich mich umso mehr, dein Update zu bekommen.

4 Jahre - die Zeit vergeht. Deine Bilanz hat einiges an Positivem vor zu weisen, darauf kannst du sehr, sehr stolz sein. 5 mg sind ja wirklich eigentlich eine homöopathische Dosis... Ich bin immer noch bei 10 mg - bei allem was drunter geht habe ich immer noch die Hosen voll. :wink:

Du schreibst, du bist in gewisser Weise "ängstlicher" geworden, empfindsamer.... Wirklich? Ängstlicher? Ich frage mich das gerade, weil die PPD mich gerade anders herum "verändert" hat. Klar bin ich auch kein Haudegen geworden (will ich gar nicht sein :wink: ), aber ich bin selbstbewusster, offener und viel weniger ängstlich geworden als all die Jahre vor der PPD. Woran mag das liegen?

An der Zeit evlt.! Bei mir jährt sich die PPD in 2 Wochen zum 13 mal. 13 Jahre sind eine lange Zeit und vieles von meiner jetzigen Gelassenheit kam noch viel, viel später dazu. Daher denke ich, das da bei dir noch eine Menge Potential ist - du siehst selber noch ein paar Knackpunkte und das ist gut so!!!! Denn man lernt nie aus, der Weg ist ja bekanntlich das Ziel! :wink: Ja und glaubst du ich tappe heute nicht mehr in so kleine Fallen???? :lol: :lol: :lol: Oh doch, meine Liebe - aber ich glaube das macht uns einfach zu MENSCHEN und somit zu sympatischen und einzigartigen Individuen. :wink:

Ich sehe mein Leben als großes Puzzelbild und ich bin ständig auf der Suche nach noch fehlenden Teilen. Nicht jeden Tag, aber immer dann, wenn ich das Gefühl habe - jetzt bietet sich eine Chance. Mein "Bild" sieht schon sehr, sehr gut aus und ich bin stolz drauf. Fertig ist es aber nicht, ob es das jemals wird... keine Ahnung. Ich bleibe auf jeden Fall dran.

Was ich auf jeden Fall gelernt habe ist Müsiggang. Wirklich - ich kann jetzt perfekt "nichts tun". Habe gerade den ganzen Nachmittag auf der Terrasse mit einer Zeitung verbracht, ein Nickerchen war auch dabei. Und jetzt habe ich mir gedacht, schreibe ich dir mit einem feinen Glas Weißwein an meiner Seite.... :D :D :D
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Lola1983

Re: Bilanz nach vier Jahren

Beitrag von Lola1983 »

Liebe Graureiherin,

deine Geschichte macht mir Mut. Ich hoffe, in einiger Zeit auch so zurückblicken zu können. Du hast viel über dich gelernt und einen richtig guten Blick auf dich selbst und deine Bedürfnisse. Auch wenn du noch "Fehler" siehst, finde ich diese gar nicht schlimm denn du gehst sehr selbstreflektiert mit ihnen um. Wenn ich dein Geschriebenes so lese, neige ich fast dazu zu sagen die Erkrankung war gewinnbringend für dich. Auch wenn du sie dir bestimmt nicht freiwillig ausgesucht hättest. Dich weiterhin medikamentös unterstützen zu lassen, vor allem in so geringer Dosis, finde ich vollkommen okay. Ich wünsche dir weiterhin alles Gute!

Liebe Grüße
Graureiherin
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Beiträge: 530
Registriert: 07:01:2015 12:57

Re: Bilanz nach vier Jahren

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Ihr Lieben,

danke für eure Antworten.

Marika: ich bin "nur" ängstlicher in Bezug auf die Symptome der PPD geworden. Wenn ich mich heute unruhig fühle, interpretiere ich das anders als vor der Geburt. Bis dahin kannte ich diese innere Unruhe gar nicht bzw. habe Anzeichen dafür gar nicht wahrgenommen und gar nicht negativ interpretiert. Diese Krise hat mich einerseits nochmals einiges gelehrt aber doch auch eine latente Angst vor psychischen Untiefen hinterlassen. Das ist vermutlich wie bei Dir, dass Du Angst davor hast nochmals die Medidosis zu reduzieren, weil Du die Symptome fürchtest.

Im Allgemeinen komme ich mit dieser Unsicherheit aber gut zurecht. Im Grunde ist das Leben sowieso lebensgefährlich und eine 100 % Sicherheit hat keiner von uns.

Meine engen Freunde bestätigen mir, dass ich mich nicht wirklich in den letzten 5 Jahren verändert habe. Wobei eine Freundin davon eine plausible Erklärung hatte. Ich habe vor der PPD eben schon Jahre Therapie gemacht, um meine missglückte Kindheit aufzuarbeiten. Wenn ich mich mit mir vergleiche als ich z. B. 25 Jahre alt war, dann erkenne ich mich kaum wieder!!! Da ging mal was :D :D :D .

Ich bin in Sitzungen oder Besprechungen in größerer Gruppe immer noch zurückhaltender und angespannt, aber ich kann mich zu Wort melden. Auch wenn ich manchmal noch in überholten, alten Überzeugungsmustern denke "die andern sind alle besser/klüger", immerhin bin ich mir dann meiner negativen Glaubenssätze bewusst. Das Leben als Puzzle zu sehen gefällt mir übrigens.

Lola: glaub mir. Ich habe am Anfang der PPD mit den schlimmen ZGs und den Ängsten lange Zeit gedacht, das wird nicht mehr wieder gut werden. Ich werde nie mehr die Alte sein... Ein Rückschlag im Jahr 2014 hat mich auch nochmals viel Kraft gekostet. Aber es ist wirklich so, dass Du durch diese Krise kommen wirst. Es ist hart, zum Verzweifeln und unglaublich energieraubend. Aber wenn Du Dich um Therapie, Wissen über die Erkrankung bemühst, Dich ernst nimmst und Dir selber gegenüber lernst, liebevoller zu sein, wirst Du viel gewinnen. Du wirst wieder gesund!

Gut, dass es dieses Forum gibt! Ich bleib dabei, wenn auch mit sporadischen Beiträgen.

alles Gute für euch (und immer mal ein Gläschen Weißwein :wink: :wink: :wink: )
die Graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
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