Neun Monate später...

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joleila0104

Neun Monate später...

Beitrag von joleila0104 »

Hallo ihr Lieben,

nach fast neun Monaten melde ich mich nun noch einmal und möchte euch berichten, wie es mir ergangen ist.
Nach der Geburt meines Sohnes ging es mir furchtbar. Der einzig vorherrschende Gedanke war, ihn schnellmöglich loszuwerden. Ich kann diesen Gedanken heute nicht mehr nachvollziehen, aber nun einmal ganz chronologisch...

Ich bin relativ schnell nach der Geburt wieder zu meinem Psychologen in die Sprechstunde sowie zu meiner Neurologin gegangen, die mir dann Sertralin verschrieb. Weil die Medikamente bei mir nicht gut wirkten, entschieden wir uns gemeinsam die Dosis auf 200mg am Tag zu erhöhen. Das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Innerhalb von 1-2 Monaten hatte sich meine Situation und mein Befinden sehr stark gebessert und ich meisterte meinen Alltag wieder weniger eingeschränkt.
Ben hatte aufgrund einer Anpassungsstörung große Probleme bei der Regelung seiner Nahrungsaufnahme. Er wollte ununterbrochen essen. Es war furchtbar. Er hat die ersten 2 1/2 Monate fast ununterbrochen geschrien, sobald die Flasche aus seinem Mund verschwunden war. Bis zur U3 dachte ich, dass "nach Bedarf" und "das Baby darf so oft essen, wie es möchte" heißt, dass ich ihm immer etwas geben muss, wenn er danach verlangt. So vergingen zum Teil 12-14 Stunden des Tages mit Füttern. Der Kinderarzt bereitete dem dann ein Ende, indem er sagte, dass er nur noch ca. alle drei Stunden essen darf für ca. 20 Minuten. Innerhalb einer Woche hatten wir das "Problem" dann soweit im Griff, dass er nur noch alle zwei Stunden essen wollte. Ab diesem Moment ging es mir ein bisschen besser, weil ich wieder ein bisschen mehr Zeit für mich selbst hatte. Dennoch ging es mir immer noch nicht gut. Diese Vorstellung in meinem Kopf, "du bist nur dann eine gute Mutter, wenn du nur noch an dein Kind denkst" und "du musst alles vergessen, was du bist, denn du hast jetzt ein Kind" machten mir nach wie vor das Leben schwer. Wenn Ben im Laufstall war, stand ich immer unter Druck, hatte immer das Gefühl, ihn auf den Arm nehmen zu müssen oder anderweitig etwas für ihn tun zu müssen. Ich gestand mir keine Freizeit zu, keine Entspannung, nichts. Mit Hilfe meines Psychologen, und meiner Mama schaffte ich es aber herauszufinden, welcher Typ Mama ich eigentlich bin.
Meine Mutter ist der aufopfernste Mensch, den ich kenne. Wenn bei uns Kindern nur die kleinste Kleinigkeit nicht stimmt, ist sie sofort zur Stelle und vergisst sich häufig selbst dabei. Mir ist im Laufe der Zeit klar geworden, dass ich nicht so bin und dass das auch gar nicht so schlimm ist. Bis vor einiger Zeit (wahrscheinlich auch bedingt durch die Depression und die Unsicherheit) war das alles gar nicht so leicht für mich, wie es jetzt vielleicht klingt. Ich habe mich zerfleischt vor Selbstzweifeln, konnte nie meinen eigenen Ansprüchen an mich gerecht werden, aber ich glaube, das ist doch meist das Problem der postpartalen Depression. Ich musste akzeptieren, wer ich bin und das war das Schwerste, was ich bisher in meinem Leben lernen musste.
Heute kann ich sagen, dass ich mein Kind von ganzem Herzen liebe. Ich vermisse ihn, wenn er mal zwei Stunden bei der Oma oder der Tante ist, genieße die Zeit aber auch in vollen Zügen. Ich kann dann tun und lassen, was ich möchte. Wenn die Zeit dann allerdings rum ist, warte ich sehnsüchtig auf das Auto, das ihn wieder zu mir bringt. Jede Mama ist individuell und man ist auch dann eine gute Mama, wenn das Kind ein dreckiges Oberteil trägt oder die Pampers mal 3 Stunden am Stück trägt.
Sicherlich gibt es auch heute noch Tage, die nicht ganz so einwandfrei sind wie andere. Besonders, wenn ich sehr viel Stress habe, muss ich zum Ausgleich laufen gehen, sonst falle ich gesundheitlich einfach wieder ab. Momentan nehme ich noch 75mg Sertralin ein und versuche, es noch weiter zu senken. Im Moment möchte ich es jedoch so lassen, da ich jetzt meine Bachelor-Arbeit schreibe und die Muse nicht zum Runtersetzen habe. Ist auch ok. Mein Uni-Abschluss, endlich!!!! :lol:
Mein Freund und ich haben im April diesen Jahres geheiratet, es war sehr, sehr schön und genau so, wie wir es uns vorgestellt haben. Mit meinen Schwiegereltern werde ich wohl dennoch in diesem Leben nicht mehr grün, das ist und bleibt einfach so. Diese Menschen sind so verbohrt und zum Teil auch spießig, dass es einfach keinen Nenner gibt, auf den wir uns einigen können. Es ist nicht so, dass wir uns streiten, nur existiert auch keine gute, vertraute Beziehung, sodass ich mich dort wohlfühlen und gerne hinfahren könnte. Mein Mann hat schon so viel interveniert und versucht, allerdings kommt jegliche Annäherung immer nur von unserer Seite aus. Aber auch das haben wir inzwischen mehr oder weniger akzeptiert und machen das Beste draus.
Zuletzt möchte ich noch von meinem kleinen Spatz berichten :o
Ben ist inzwischen fast neun Monate alt und ein kleiner Riese. Er ist schon fast 80cm lang und einfach bildhübsch. Manchmal glaube ich, dass ich all das, was ich am Anfang verpasst habe, nun nachhole und immer mehr von seiner Einmaligkeit entdeckte. Auch, wenn es sehr schade ist, dass ich seine erste Zeit auf Erden so "verpasst" habe. Ben findet alles lustig und heitert jeden auf. Es beginnt kein Morgen, ohne, dass er in seinem Bettchen liegt und nach mir Ausschau hält. Er ist einfach fantastisch. Momentan übt er sehr stark das Robben, was ihm inzwischen auch immer leichter fällt. Er schafft es zumindest 20cm nach vorne :wink:
Jedenfalls wollte ich denen, die genau so zweifeln und alles in Frage stellen und manchmal diesen fiesen Gedanken im Kopf haben, dass das Baby im Bauch doch besser gestorben wäre, Mut machen, dass mit der Zeit und mit der richtigen Hilfe alles wieder gut wird.
Die postpartale Depression ist die gemeinste Krankheit, die eine junge Mama erwischen kann, aber ES GEHT WIEDER WEG und man entdeckt eine Liebe für sein Kind, die man vorher nie für möglich gehalten hat.

Lieben Gruß

joleila0104
joleila0104

Re: Neun Monate später...

Beitrag von joleila0104 »

Eigentlich sollte der Text unter meinen Beitrag aus November 2013. Ich habe mich verklickt ;)
Anke
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Re: Neun Monate später...

Beitrag von Anke »

Hallo joleila0104,

vielen Dank für Deine Mutmach-Geschichte.

Alles Gute weiterhin für Dich und Deine Familie.
Viele Grüße von Anke

"Die Zeit heilt alle Wunden..."
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