Zwangsgedanken

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Tribunus

Zwangsgedanken

Beitrag von Tribunus »

Hallo alle zusammen,

erstmal möchte ich euch sagen, wie toll ich es finde, wie ihr hier alle miteinander umgeht. Es berührt mich sehr, wie man hier die Zuversicht wiederbekommt, die einem manchmal komplett abhanden kommt.
Jetzt zu mir. Ich habe kurz vor der Geburt meiner Tochter komische Gedanken gehabt: Ich könnte den schwangeren Bauch anstoßen, was mir einen großen Schrecken eingejagt hat. Da ich mit Anfang 20 schon einmal an einer Depression erkrankt bin, bin ich schnell zu meinem Psychiater, der mir damals Citalopram verschreiben hat. Nach einem halben Jahr ging es mir dann wieder gut. Ich habe dann die Medis sehr lange genommen und hatte keine Nebenwirkungen und ich habe mich sehr gesund gefühlt. Dann setzte ich die Medis vor zwei Jahren wieder ab, was auch gut funktioniert hat. Es kamen zwar verstärkt wieder komische Gedanken aber eher harmlos und sie beunruhigten mich nicht. Ich habe in der Zwischenzeit noch einen Sohn bekommen. Er ist mittlerweile 4 Jahre alt.
Dann hatte ich im März nach einer intensiven Arbeitsphase eine neue Episode. Ich bekam massive Zwangsgedanken: "Ich könnte mit meiner Tochter von einer Brüstung springen." "Ich könnte meinen Sohn mit einem Messer erstechen." Das hat mich so sehr verängstigt, dass ich Panik Attacken bekam und in ein tiefes Loch fiel. Ich habe im Juni dann eine Verhaltenstherapie begonnen. Der Therapeut sagte mit dann, dass das Zwangsgedanken sind und ich begann daran zu arbeiten. Das war jedoch so ein Schock für mich, dass aus dem Loch nicht mehr herauskam, so dass ich mich dazu entschied wieder Medikamente zu nehmen, weil ich große Angst hatte, dass das nie wieder verschwindet. Der Therapeut meinte zwar, dass ich keine Medis benötige, weil ich nur eine milde Form habe aber für mich fühlte sich das gar nicht so an.
Ich machte also jetzt Übungen gegen die ZG und nahm die Medikamente und schon nach zwei Wochen ging es mir deutlich besser. Ich hatte immer wieder Einbrüche aber die dauerten nicht mehr so lange und waren nicht so heftig. Jetzt nehme ich also seit 7 Wochen 15 mg Escitalopram und es geht mir immer besser. Die ZG habe ich nur meistens noch, wenn ich bei meinen Kindern bin, was mich natürlich besonders stört aber das ist auch der Kern meiner Erkrankung.
Momentan fühle ich mich immer noch unsicher. Meine Gedanken sind: "Kommen die ZG jetzt?" "Könnte ich noch mehr ZG bekommen?" "Warum kommen sie, wenn ich Zeit mit meinen Kindern verbringe?" und schon hänge ich einer Grübelphase drin. Die massiven ZG sind weg, es sind eher noch Erinnerungen aber ich habe trotzdem Angst, dass diese komischen Gedanken nicht mehr verschwinden.

Jetzt meine Frage an diejenigen, die auch ZG haben oder hatten:

Wie geht ihr mit dieser Erwartungsangst um?
Sind das noch ZG, wenn man ein Messer sieht und man erinnert sich dadurch an die ZG zurück? Verschwindet das auch wieder?
Ist das Grübeln auch schon ein Zwang?
Ich habe jetzt auch Gedanken, wie "Ich könnte jemandem ein Wasserglas über den Kopf schütten." Das erschrickt mich nicht und kommt glaube ich nur daher, dass ich mich selbst teste. Kennt ihr das?
Das selbst überprüfen nervt mich sehr. Ständig frage ich mich: "Hast du jetzt noch ZG?" Und dann kommen natürlich welche.

Vielen lieben Dank
franzi8511

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von franzi8511 »

Herzlich Willkommen. Ich kenne das leider auch alles. Ich habe selbst z.z ein tief wieder. Ich hatte jedoch auch zwischen durch super Zeiten, wo ich rein gar nix hatte. Bei mir ist es auch oft so wo ich wieder oh Gott was wenn ich jetzt nen zg oder ne pa bekomme. Oft denke ich auch ich führe sie selbst herrbei mit meinen ständigen nachhorchen.
Harmonie2010

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Harmonie2010 »

Hallo, das alles kenne und kannte ich auch, auch diese Angst dass ein Gedanke kommt und die Erinnerung an die Gedanken in bestimmten Situationen. Ich habe nach all den Jahren auch noch manchmal ZG, zwar selten, aber manchmal kommen sie noch. Meist ist das auch Hormon abhängig, besonders bevor die Periode kommt... Aber ich weis dass es ZG sind und es ist mir meist egal ob sie kommen oder nicht... Ich sage mir, das ist halt das Hirn das mir einen Streich spielt, es sind nur Gedanken, ich weiß dass das alles nix mit mir oder meiner Persönlichkeit zu tun hat... Also kann es mir wurscht sein, genau so wie wenn eine Fliege vor meinem Gesicht vorbei fliegt... Darauf habe ich keinen Einfluss und es hat nichts mit mir zu tun... Immer gelingt es natürlich nicht, aber es ist halt leider so: je mehr man den Biestern Beachtung schenkt und je mehr man sich selbst überprüft, desto mehr kommen sie!!! LG Vero
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Marika
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Marika »

Hallo,

hier mal meine Meinung zu deinen Fragen:

Wie geht ihr mit dieser Erwartungsangst um?
Ähnlich wie mit den ZG selbst: Aktiv "Stopp" sagen, sich zurück holen ins "Hier und jetzt", sich klar machen, dass diese Angst ein Teil der Angst-Grübel-ZG-Spirale ist - das ist die halbe Miete. Dann versuch dich aktiv mit etwas anderem zu beschäftigen. Diese Erwartungsangst ist aber auch ganz normal - sie wird mit der Zeit immer besser und verschwindet auch.


Sind das noch ZG, wenn man ein Messer sieht und man erinnert sich dadurch an die ZG zurück? Verschwindet das auch wieder?
ZG sind es nur dann, wenn der Gedanke immer und immer wieder kommt. Wenn du ein Messe siehst, kurz denkst "mit dem könnte ich jetzt....", dich dann aber klar davon abgrenzt und der Gedanke verschwindet, ist es KEIN ZG mehr, weil die Wiederholung fehlt! Der Gedanke an sich ist ja nicht das Problem - solche Gedanken haben ja alle Menschen - eine Art Gedankenspielerei.
Ein aktuelles Beispiel von mir - gerade erlebt im Urlaub am Strand:
Ich sehe wie sich ein Sonnenschirm gelöst hat und über den Strand fliegt, er bleibt ganz knapp neben einer Frau die nichts davon bemerkt mit der Spitze nach vorne liegen ... Glück gehabt! Genau so ein ZG hatte ich vor Jahren mal - ich habe mich daran erinnert, aber danach war das gleich wieder weg. Erst jetzt wo ich deinen Beitrag gelesen habe, ist mir diese Begebenheit wieder eingefallen - es ist eigentlich das selbe, wie du mit dem Messer beschreibst. Wenn es sich so abspielt, ist das kein ZG mehr!

Ist das Grübeln auch schon ein Zwang?
Es gibt auch die Zwangsgrübelei - wenn man ständig über das gleiche nachdenkt, zu keinem Ende kommst, deswegen fast auch nicht schlafen kann und zu keiner Lösung kommt.


Ich habe jetzt auch Gedanken, wie "Ich könnte jemandem ein Wasserglas über den Kopf schütten." Das erschrickt mich nicht und kommt glaube ich nur daher, dass ich mich selbst teste. Kennt ihr das?
Klar kenne ich das. In akuten Zwangsphasen ist das tatsächlich eine Art "Selbst testen, zu was man denn alles fähig wäre", aber im allgemeinen sind das wieder nur ganz normale Gedanken, die tatsächlich jeder hat. Du bewertest dieses "seltsamen Gedanken" jetzt allerdings doppelt stark, weil du durch die ZG stark verunsichert bist. Ich habe das heute auch, aber ohne Zwang oder Angst dahinter. Auch mein Mann kennt das, mein Sohn - alle Menschen haben solche Gedankenspielereien!


Das selbst überprüfen nervt mich sehr. Ständig frage ich mich: "Hast du jetzt noch ZG?" Und dann kommen natürlich welche.
Das ist logisch - und ist eng mit dem Zwang verbunden. Du willst ja keine ZG mehr haben, tust alles dafür und daher willst du natürlich Erfolge sehen indem du keine ZG mehr hast. Der Weg ist aber, klar zu sagen: Diese Gedanken dürfen sein, ich lasse sie zu, ich erkenne sie aktiv wenn sie kommen und stelle sie neben mich - da dürfen sie sein. Dann wendest du dich aktiv wieder dem "Hier und jetzt" zu und machst da weiter, wo du gerade dran bist. Du wirst immer solche Gedanken haben, aber DER ZWANG dahinter wird weniger und verschwindet mit der Zeit. Das heißt: die meisten absurden Gedanken wirst du gar nicht wahrnehmen, weil sie gleich aussortiert werden, ein paar davon wirst du merken, aber nicht mehr mit Angst und Panik reagieren. So verschwinden sie wieder. Das klingt jetzt vielleicht noch unvorstellbar - aber genau so habe ich es erlebt und erlebe es heute. Und ich weiß es, weil ich andere gesunde Menschen auch oft gefragt habe, was sie denn so für absurde Gedanken haben! :wink: Glaub mir da kamen Sachen raus ... da dachte ich mir: Und ich habe Angst, ich könnte verrückt sein! :wink: :wink: :wink:

Hoffe, ich konnte helfen - sonst einfach her mit den Fragen!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Graureiherin
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Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Du,

die anderen haben ja schon viel geschrieben, aber da ich auch Zwänglerin bin, noch von mir wie ich damit umgehen würde bzw. umgehe.

Momentan fühle ich mich immer noch unsicher. Meine Gedanken sind: "Kommen die ZG jetzt?" "Könnte ich noch mehr ZG bekommen?" "Warum kommen sie, wenn ich Zeit mit meinen Kindern verbringe?" und schon hänge ich einer Grübelphase drin. Die massiven ZG sind weg, es sind eher noch Erinnerungen aber ich habe trotzdem Angst, dass diese komischen Gedanken nicht mehr verschwinden.

Dass Du dich noch unsicher fühlst ist klar, denn noch ist nicht viel Zeit vergangen und Du wirst in der Therapie noch viel lernen. Wenn ich selber komische Gedanken habe, dann akzeptiere ich sie als Teil meines normalen Denkens. Das gehört zu mir (zu anderen Menschen auch, wie Marika schreibt, nur geben diese den Gedanken nicht so viel Bedeutung wie wir). Durch das, dass man den komischen Gedanken mehr Beachtung schenkt, haben wir scheinbar/denkbar auch mehr solcher Gedanken. Mir ist es mittlerweile nahezu egal. Und mit dem egal sein, werden diese auch weniger. Und natürlich kommen die Gedanken, wenn Du mit Deinen Kindern zusammen bist. Den Umgang damit lernt man im Expositionstraining. Mir hat zusätzlich ganz einfach der Satz geholfen "das eine denken, das andere tun".

Jetzt meine Frage an diejenigen, die auch ZG haben oder hatten:

Wie geht ihr mit dieser Erwartungsangst um? Meine Thera sagt immer wieder das Wort Antizipation. Zu wissen, dass ein ZG kommen kann. "Klar kann ein oder auch mehrere Gedanken kommen. Gut sollen sie eben. Ich erkenne sie und weiß, dass es kann sein und lasse sie wieder von dannen ziehen... Vor allem am Anfang ist man noch verängstigt, aber das wird immer weniger.

Ich habe jetzt auch Gedanken, wie "Ich könnte jemandem ein Wasserglas über den Kopf schütten." Das erschrickt mich nicht und kommt glaube ich nur daher, dass ich mich selbst teste. Kennt ihr das?
Das selbst überprüfen nervt mich sehr. Ständig frage ich mich: "Hast du jetzt noch ZG?" Und dann kommen natürlich welche.
ich kenne das selber testen auch aus der akuten Zwangsepisode. Das lässt nach.

Grundsätzlich hilft es mir auch teils mit Humor die Sache anzugehen. Beispiel: ahhh, da ist ja mein Lieblingszwangsgedanke...oder ahhh, dieser Gedanke war schon auf dem absteigenden Ast und nun wieder in den Charts ganz oben... oder ich sage mir ahhh, jetzt habe ich doch glatt eine Stunde vergessen an diesen ZG zu denken... oder ich würde mir eine Spass machen und tatsächlich überlegen, wer von den Menschen in meiner Umgebung hat es denn nun wirklich verdient ein Glas Wasser über den Kopf ausgeschüttet zu bekommen.
Dieser Umgang ist aber nicht jedermann/frau Ding und auch die Therapeuten stehen dazu unterschiedlich (VT eher dagegen, ACT Theras eher dafür...). Mir tut es gut die ganze Geschichte aus der Humordistanz zu betrachten. Natürlich mache ich das nicht immer, denn wenn ich nur solch einen Umgang damit hätte, wäre das ja wieder eine Überbewertung.

mit müden, abendlichen Grüßen
eure graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
Tribunus

Re: Zwangsgedanken

Beitrag von Tribunus »

Vielen Dank für eure Antworten. Leider hat mich momentan wieder der Mut verlassen. Ich bin gerade mit der Familie im Urlaub und ich kann es kaum genießen. Ständig bin ich nur am nachdenken. Wirkliche zg, die mir Angst machen habe ich gar nicht. Eher so diffuse Gefühle, dass ich jemanden erdrücken könnte oder ähnliches. Es ist schwer zu beschreiben. Dann denke ich aber den ganzen Tag darüber nach, ob das jemals verschwinden wird und ob ich jemals wieder gesund werde. Das macht mich gerade sehr traurig, weil ich merke, dass ich meine Familie nicht genießen kann. Ich denke auch darüber nach die Dosis der Medikamente zu erhöhen. Ich will einfach nur wieder normal sein.
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