Depression und Psychose beim 1. Kind - Meine Geschichte

Hier können sich unsere Mitglieder vorstellen

Moderator: Moderatoren

Antworten
Herzerl8418

Depression und Psychose beim 1. Kind - Meine Geschichte

Beitrag von Herzerl8418 »

Mathias war ein absolutes Wunschkind. Mein Mann und ich freuten uns so sehr auf seine Geburt. Im Kreißsaal war noch alles gut, ich fühlte mich gut betreut und hatte viel Unterstützung. Ich empfand die Geburt jedoch als sehr schwer und langwierig. Am Freitag, den 27. April um 7:30 Uhr hatte ich einen hohen Blasensprung, die Wehen mussten eingeleitet werden. Am Samstag, den 28. April um 0:30 Uhr ging es erst richtig los, und um 3:44 Uhr war unser Kleiner dann da. Wir waren so glücklich darüber.

Doch schon auf der Wochenbettstation merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Ich musste nicht nur die ganze Zeit weinen, ich fühlte mich außerdem so verloren, allein gelassen und überfordert. Ich wusste wirklich nicht, wie ich das alles mit dem Kleinen schaffen sollte. Vor Allem fühlte ich mich unter Druck gesetzt wegen des Stillens. Ständig hatte ich das Gefühl, was ich tue sei falsch oder nicht genug. Als dann am dritten Tag der Milcheinschuss kam, war ich erst einmal happy, und auch das Gespräch mit einer Hebamme über meinen "Baby Blues" gab mir Mut. So verließ ich an jenem Tag - einem Feiertag - "fluchtartig" das Krankenhaus.

Zu Hause erst einmal die Erleichterung, und unser kleiner Mathias schien sich auch wohlzufühlen. Doch dann kam die erste Nacht, mein Mann und ich waren am Verzweifeln, weil Mathias die ganze Zeit weinte, und auch das Stillen nichts half. Wo wir nicht überall anriefen, und mein Mann fuhr sogar in die diensthabende Apotheke, um Babynahrung zum Zufüttern zu besorgen. Allerdings wollte ich mir diese "Niederlage" nicht eingestehen.

Am nächsten Tag riefen wir dennoch zum Einen meine Mutter um Hilfe, zum Anderen bekamen wir einen ganz frühen Termin mit der Hebamme, bei der ich im Vorfeld der Geburt nur einen "Crashkurs" absolvieren konnte. Es zeigte sich jedoch, dass sowohl meine Mutter als auch die Hebamme es schafften, mich unbewusst noch mehr unter Druck zu setzen. Die Idee, abzupumpen, war ja an sich nicht schlecht - doch das bedeutete noch mehr Arbeit! Und dann die Fläschchen, die man jedes Mal ausspülen und auskochen musste! Wie sollte ich das alles jemals alleine schaffen? Und dann auch noch den Haushalt! Meine Mutter meinte, ich solle mich nicht so anstellen. Und von der Hebamme hörte ich immer nur: "Du hast keine Wochenbettdepression!"

Das Schlimmste an dieser "nicht vorhandenen" Wochenbettdepression waren bald meine Schlafstörungen. Als ich mir auf Empfehlung meiner Hebamme Unterstützung bei der Organisation "KoKi" in Form einer Kinderkrankenschwester geholt und dieser von meiner Misere erzählt hatte, war diese der Ansicht, ich solle mir doch von einem Arzt etwas gegen die Schlafstörungen verschreiben lassen. Auch eine Psychotherapeutin, bei der ich angefangen hatte, Stunden zu nehmen, riet mir dazu. Und ich selbst war ebenfalls Psychotherapeutin, konnte mir also gut vorstellen, dass mir Psychopharmaka bei meinem Problem weiterhelfen würden.

Also ging ich zu meiner Hausärztin, welche mir Sertralin in der niedrigsten Dosierung verschrieb, dies habe bereits vielen anderen Frauen in meiner Situation geholfen. Ich nahm drei Tage lang die Tabletten ein - die Folge: drei Nächte ohne Schlaf! Ich wusste aus meiner Fachkenntnis, dass diese Art von Tabletten erst einmal das Gegenteil von dem bewirken können, wofür sie gedacht waren, dennoch war ich verzweifelt. Meine Mutter nahm diese Verzweiflung zum Anlass, sich mit mir bei der Hausärztin zu beschweren, worauf diese einen stationären Aufenthalt empfahl, dem ich nicht abgeneigt war. Doch meine Mutter verkannte den Ernst der Lage und nahm mich erst einmal auf Empfehlung der Hausärztin mit zu einem Facharzt für Psychiatrie. Die Odyssee ging also weiter.

Der Facharzt für Psychiatrie verschrieb mir nach einigem Hin und Her zusätzlich zu Sertralin Mirtazapin zur Nacht und Tavor bei Bedarf. Damit gelang es mir zunächst zu schlafen. Doch ich hatte nicht nur seine Anweisungen falsch verstanden, sondern ließ mich von meiner Mutter weiterhin so verunsichern, dass ich Sertralin nur noch bedarfsmäßig zum "Aufputschen" einnahm. Das ging natürlich nicht lange gut, so dass ich immer öfter depressive Einbrüche erlebte und letztendlich nur noch mit der Höchstdosis Tavor schlafen konnte. Ich sah keinen anderen Weg mehr und ging freiwillig in die Psychiatrie.

Abgesehen davon, dass ich eine Woche warten musste, bis ein Bett frei wurde, hatte ich erst einmal einen guten Eindruck. Die Therapien waren vielversprechend, und ich konnte dank neuer Medikamente schlafen - erstmal! Denn dann wurde so viel aufgewühlt, dass ich gar nicht mehr wusste woran ich war und sogar auf die geschlossene Station kam. Dort wurde mir von der Oberärztin eingeredet, ich könne doch mein Kind auch zur Adoption freigeben, bevor ich mich selbst oder mein Kind töte. Das wiederum rief erneut meine Mutter auf den Plan, die ein ernstes Wörtchen mit dieser Frau reden wollte. Und sie war ohnehin der Überzeugung, dass ich in der Klinik völlig falsch behandelt würde.

Schließlich wurde ich von meiner Mutter instruiert, die geschlossene Abteilung und anschließend das Klinikum zu verlassen. Meine schauspielerische Leistung erbrachte den erwünschten Erfolg, doch mehr auch nicht. Denn nun stand ich erneut vor der Frage: Welche Medikamente würden mir weiterhelfen? Von Sertralin waren die Ärzte nicht abgerückt, wir versuchten mit Hilfe des Facharztes für Psychiatrie und auch etwas in Eigenregie von diesen runterzukommen. Stattdessen probierte ich auf dessen Empfehlung Venlafaxin. Nicht nur dass ich die Medikamente absolut nicht vertrug und gleich wieder ausspucken musste, weshalb ich sie nicht mehr einnahm, es kam noch dicker: Ich entwickelte psychotische Symptome!

Was genau alles passiert war, kann ich gar nicht mehr sagen, und auch meine Familie erinnert sich nur noch mit Schrecken an diese Tage. Jedenfalls hatte ich kein bisschen geschlafen und richtige Wahnvorstellungen entwickelt. Unter anderem hatte ich die Vorstellung, dass mein Baby der kleine Donald Trump wäre, der die Atombombe zündet, dann hielt ich meinen Mann für meinen Vater und trat und schlug ihn, und schließlich hielt ich mich selbst für ein Kleinkind, das auf der Titanic dem Untergang nahe war. Dies war auch der Moment, in dem meine Familie den Notarzt rief, und ich kam mit Polizeiprotokoll erneut auf die geschlossene Abteilung des Klinikums.

Dort blieb ich exakt drei Wochen, bevor ich auf die offene Station verlegt wurde, was mir wiederum fast zu schnell ging. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nach wie vor keinen Schlaf gefunden, doch zum Glück änderte sich dies nach einem weiteren Arztgespräch, bei dem die Möglichkeit besprochen wurde, mich mit Lithium zu behandeln. Dieses in Kombination mit Aripiprazol morgens und mit Quetiapin zur Nacht sorgte dafür, dass sich nicht nur allmählich meine Stimmung und mein Antrieb, sondern auch mein Schlaf verbesserte. Somit konnte ich mich auch besser auf die Therapien einlassen und fühlte mich schließlich nach weiteren knappen vier Wochen auf der offenen Station von mir aus bereit, wieder nach Hause zurückzukehren.

Natürlich bin ich noch nicht "geheilt" und trage nach wie vor meine inneren Kämpfe aus, doch ich merke allmählich, dass meine Kraft zurückkommt und ich wieder Freude empfinden kann, auch im Umgang mit Mathias. Und obwohl meine Mutter während der ganzen Geschichte sehr dominant war und mich auch teilweise "in den Wahnsinn getrieben" hat, bin ich ihr für ihre Hilfe mit Mathias sehr dankbar.

Doch am meisten Unterstützung bekomme ich von meinem Mann, der diese schwere Zeit als "Arschtritt" gesehen hat, den er brauchte, um sein berufliches Leben für uns umzukrempeln, damit er mehr für uns da sein kann. Mit seiner Hilfe und mit weiterer Unterstützung von außen, z.B. in Form von ambulanter Psychotherapie, einer Mutter-Kind-Gruppe und unserer Kinderkrankenschwester von "KoKi" werde ich das Kind schon schaukeln. Hoffe ich.
Antworten