Hallo, bin auf der Suche nach Hoffnung

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Tigerlili

Hallo, bin auf der Suche nach Hoffnung

Beitrag von Tigerlili »

Hallo,
es hat ein paar Wochen gedauert, aber nun möchte ich mich doch vorstellen und von meinen Problemen berichten
Ich bin 27 Jahre alt, Krankenschwester und stand bis vor 2 Jahren noch mit beiden Beinen fest im Leben. Vollzeitjob, Hobbys, Freunde und eine vorallem eine Identität hatte ich. Das ist nun alles nicht mehr, stattdessen verzweifle ich an dem Gefühl, nicht verstanden zu werden und mit diesen unsichtbaren Problemen- oder dieser unsichtbaren Erkrankung allein zu sein.

Aber das Gefühl täuscht offensichtlich, da es dieses Forum gibt.

Ich hatte eine Kindheit, die von emotionaler Vernachlässigung, der Trennung meiner Eltern und dem Alkoholabusus beider Elternteile geprägt war. Wahrscheinlich sind das ausschlaggebende Gründe dafür gewesen, dass ich seit 20 Jahren immer wieder phasenweise mit Angst- und Panikstörung und depressiven Episoden zu tun habe.
Ich kenne dieses Problem von mir und hatte bislang die Widerstandskraft, damit umzugehen und trotz der Angstzustände und Co meinen Alltag zu bewältigen.

Vor 2 Jahren bin ich ungeplant schwanger geworden. Das Kondom ist gerissen, was meinem damaligen Verlobten und mir noch nie passiert war. Wir sind einige Stunden später noch zur Notfallapotheke gefahren und haben die Pille danach besorgt. Ich konnte mir eine Abtreibung beim besten Willen nicht vorstellen. Dass ich schwanger war, hat mich damals total aus der Bahn geworfen, weshalb ich wieder Angstzustände und Panikattacken entwickelt habe. Es war aber viel intensiver als sonst, viel schlimmer.

4 Wochen vor der Entbindung wurde ich stationär im Krankenhaus aufgenommen, weil ich stündlich Panikattacken hatte und man sich davon versprach, dass mir der Krankenhausaufenthalt irgendwie Sicherheit geben könnte. Es hat leider nicht funktioniert. Ich hatte solche Angst vor der Entbindung, und davor, den Verstand zu verlieren. Ich hatte auch Angst, wenn ich keine konkreten Ängste hatte, es war einfach eine Art Dauerzustand. Man bot mir eine Sectio an, was mir nicht weniger Angst machte. Ich war einfach so verzweifelt und hatte, wie ich heute weiß, sehr aggressive Zwangsgedanken, die ich damals nicht als solche einordnen konnte. Ich habe mich allem so ausgeliefert gefühlt. Ich hatte auch Angst, Medikamente einzunehmen und eine riesen Angst vorm CTG. Jeden Tag musste ich mehrfach hin und habe es unter Panik durchgestanden. Meine Tochter hatte natürlich auch immer einen hohen Puls, ich mache mir heute riesen Vorwürfe, weil sie das so miterleben musste. Ich habe mich immer an alles gehalten, worauf man in der Schwangerschaft achten muss und wollte mein Kind auch nicht gefährden, aber nicht aus Liebe, sondern aus einem Pflichtbewusstsein heraus, ich hatte einfach keinerlei Bindung zu ihr. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, denn heute liebe ich meine Tochter über alles..
Eine Oberärztin hat mich irgendwann mit Nachdruck gebeten, Diazepam zu nehmen, um mal ein paar Stunden am Stück zu schlafen. Ich habe dem nachgegeben und bin am nächsten Morgen von Wehen wach geworden. Ich habe diese ganzen Schmerzen irgendwie ertragen, ohne wirklich dagewesen zu sein. Ich habe ohne Angstzustände oder Panik unter Fieber spontan entbunden.

Seit der Entbindung fühle ich mich nicht mehr, wie ich selbst. Eigentlich ist die Geburt, bis auf ein paar Blutdruckabfälle und das Fieber gut verlaufen, aber aus irgendeinem Grund konnte ich wochenlang nicht darüber sprechen. Am Tag nach der Geburt bin ich direkt mit Citaloptam eingestiegen, die Panikattacken sind seither stark zurückgegangen, die Angstzustände sind aber geblieben. Ich hatte plötzlichen ein durchgehendes Gefühl von Anspannung und ständige Zwangsgedanken. Ich konnte nicht still sitzen, habe ständig vergessen, was ich vor 5 Minuten getan hatte und konnte nicht mit meiner Tochter allein sein. Mein Mann hat sich allein um sie gekümmert, während ich mit mir selbst beschäftigt war. Nur zum Stillen hat er sie gebracht. Die meiste Zeit des Tages bin ich wie bescheuert durch den Garten gelaufen oder habe geschlafen. 1 Jahr lang war ich die ganze Nacht wach und habe tagsüber geschlafen, ich konnte einfach nicht einschlafen vor Anspannung und Angst. So etwas habe ich noch nie zuvor erlebt, es ist einfach schrecklich. Mir kam ständig alles so eigenartig vor, Worte, mein Körper oder meine Umwelt. Es war so beängstigend und ich dachte, ich werde verrückt.

Seit einem 3/4 Jahr bin ich in therapeutischer Behandlung. Ich weiß nun, dass ich immer wieder Depersonalisations- und Derealisationserlebnisse habe. Die innere Anspannung habe ich nicht mehr durchgehend, es gibt auch mal 1-2 Tage ohne. Ich kann mich auch wieder besser konzentrieren und mich stundenweise alleine um meine Tochter kümmern. Ich kann wieder Autofahren, Einkaufen und auch nach wie vor nachts schlafen.. mal besser mal schlechter. Aber all diese Fortschritte fühlen sich irgendwie nicht als solche an, weil mir einfach der Atem ausgeht. Es fühlt sich so unendlich an und ich ertappe mich immer öfter dabei, wie ich denke, dass es nie wieder gut wird. Seit zwei Jahren stehe ich nun so unter Strom und auch mein Mann, der mich immer unterstützt hat, kommt nervlich an seine Grenzen. Seit zwei Jahren kommen mir immer wieder all die schlimmen Erinnerungen aus meiner Kindheit und Jugend in den Sinn, ich durchlebe diesen Lebensabschnitt immer wieder und habe Albträume. Es ist so, als würden die Probleme insgesamt weniger, aber es geht mir nicht besser damit..
Mel
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Re: Hallo, bin auf der Suche nach Hoffnung

Beitrag von Mel »

Hallo und herzlich Willkommen!
Du bist hier genau richtig und es ist vollkommen normal, dass eine ordentliche postpartale Depression auch Jahre dauern kann. Ich habe in den ersten zwei Jahren ähnliche Phasen wie du gehabt und mich selbst sehr gequält, weil ich die Medis nicht annehmen wollte und nicht die passende Hilfe hatte. Du beschreibst ja auch schon einige Fortschritte- sei da erstmal ganz stolz auf dich! Mich würde interessieren welche Therapie du machst und ob du eine/n gute/n Psychiater/in hast, der/die die Medikation ggf. anpassen oder verändern kann.
Dann habe ich noch ein paar Verständnisfragen:
Trotz der Pille danach warst du Schwanger?
Also wolltest du eigentlich gar keine Kinder?
Wir versuchen dich so gut wie möglich aufzufangen- du bist nicht allein.
Lieben Gruß
Mel
PPD seit Juli 2017, seitdem Mirtazapin 15mg
(Mit Unterbrechung), dann 30mg Mirtazapin und Opipramol 75mg,
Seit Sept. 2019 Sertralin,
mittlerweile 200mg und 15mg Mirtazapin.
Opipramol ausgeschlichen
Tigerlili

Re: Hallo, bin auf der Suche nach Hoffnung

Beitrag von Tigerlili »

Hey,
Vielen Dank erstmal für Deine Antwort! Es ist einfach total erleichternd zu wissen, dass man nicht alleine ist und dass andere diese 'Zustände' nachvollziehen können. Ich spreche oft mit meinem Mann darüber, wie es in mir aussieht, aber er kann es natürlich nicht verstehen.
Darf ich fragen, wieviele Jahre du noch damit zu tun hattest? Wie wurdest du medikamentös eingestellt? Du musst natürlich nichts beantworten, wenn es dir unangenehm ist. Ich möchte nichts unnötig aufwühlen oder dir zu nahe treten!
Ich bin momentan nur theoretisch bei einer neuro-/ psychiatr. Praxis angebunden, ich habe bislang auch noch mit keinem Arzt dort gesprochen. Nach der Entbindung habe ich noch im Krankenhaus angefangen, Citalopram zu nehmen und man hat von dort aus dafür gesorgt, dass ich in der Praxis aufgenommen werde. Mein Termin beim Psychiater wurde damals wegen der Pandemie gestrichen. Inzwischen bekomme ich das Cita von meinem Hausarzt verschriebeb, weil ich mich nicht traue, zur Praxis zu fahren. Sie ist quasi in der Klinik, in der ich entbunden habe und ich habe so Angst davor, dass wieder alles hochkommt..
Ich bin damals trotz Pille danach schwanger geworden. Ich habe anderen immer gesagt, dass ich bestimmt irgendwann Kinder möchte, aber der Gedanke erschien mir selbst absurd. Ich konnte mich nie als Mutter sehen und habe auch nie einen Bezug zu Kindern oder Babys gehabt.
Ganz schön komisch, wenn ich heute so darüber nachdenke. Ich liebe meine Tochter über alles und wünsche mir nicht, dass ich nicht schwanger geworden wär. In den letzten Monaten denke ich immer wieder daran, wie schön es wäre, noch ein Kind zu bekommen. Ich weiß nicht, ob das ein Kinderwunsch ist oder nur dieser Wunsch danach, meine Tochter schon geliebt zu haben, als sie noch in meinem Bauch war..
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