Wann hört das endlich auf?

Hier können sich unsere Mitglieder vorstellen

Moderator: Moderatoren

Antworten
ticaju

Wann hört das endlich auf?

Beitrag von ticaju »

Hallo!

Mein Name ist Christina, ich bin 29 Jahre alt, verheiratet und habe eine kleine Tochter von sechs Monaten.
Ich habe bereits vor meiner Schwangerschaft unter Angstzuständen und Depressionen gelitten. Habe mich aber immer wieder mit und ohne Medikamente die letzten sechs Jahre über Wasser gehalten. Als ich dann schwanger wurde habe ich nichts mehr genommen. Und es wurde immer schlimmer. Die Schwangerschaft war der reinste Horror. Ich hatte vor allem und jedem Angst. Große Angst hatte ich auch, daß mein Kind nicht gesund sein könnte oder irgendeinen Schaden davon kriegen würde, weil es mir so schlecht ging. Die Geburt kam. Ich war vorher schon total fertig und ich weiß garnicht, wie ich die 19 Stunden Geburt geschafft habe. Die ersten beiden Tage nach der Geburt gingen. Ich fühlte mich sehr erschöpft. Doch trotz allem hatte ich direkt zwei Tage nach der Geburt genügend Milch, um meine Kleine zu ernähren. Es machte mich auch irgendwie stolz, weil ich das immer wollte. Doch am zweiten Abend in der Klinik bekam ich wieder eine Panikattacke. So schlimm, daß mein Mann von der Arbeit kommen mußte, um mich zu beruhigen. Am dritten Tag gingen wir nach Hause. Wir hatten uns vorbehalten, daß kein Besuch kommen sollte. Zumindest die erste Woche. Und das war auch gut so. Es ging mir einigermaßen. Doch nach kurzer Zeit ging es mir zusehends immer schlechter. Ich bekam immer mehr Angst mit der Kleinen irgend etwas falsch oder zuviel zu machen. Ich fühlte mich von allem und jedem bedrängt, obwohl keiner etwas dergleichen tat. Sie sahen eigentlich nur eine junge Mutter, die scheinbar alles im Griff hatte. Ich war schon immer sehr gut darin alles zu überspielen. Nach etwa drei Monaten konnte ich nicht mehr. Ich rief meine Hebamme an und erzählte ihr alles. Sie riet mir, mich an die ortsansässige Ambulanz der psychatrischen Klinik zu wenden. Dort bekam ich direkt am nächsten Tag einen Termin. Ich erzählte dem Arzt von meinen Angstzuständen und Panikattaken. Er verschrieb mir direkt ein Medikament und meinte ich müsste direkt abstillen. Das tat ich auch. Und Gott sei Dank nahm meine Tochter direkt die Flasche an. Die Angstzustände wurden noch schlimmer. Wohl eine Erstverschlimmerung. Was ich bis zu diesem Zeitpunkt verschwiegen hatte, war, daß ich Bilder sah, wie ich meine Tochter verletzte oder auch umbringen würde. Nach einer weiteren Woche hielt ich es nicht mehr aus. Ich rief den Arzt an und meinte ich müsste dringend vorbeikommen. Ich erzählte ihm von diesen Gedanken und er reagierte sehr verständnisvoll. Er verschrieb mir ein weiteres Medikament. Zyprexa 5mg. Die Angstzustände und Panikattacken wurden besser, doch ich fiel in ein riesiges schwarzes Loch. Die Angst machte der Depression Platz. Die Zwangsgedanken waren unverändert da. Immer wieder probierten wir andere AD´s aus. Ich glaube sechs an der Zahl. Von Paroxetin über Cymbalta, von Cipralex bis Chlomipramin, usw. Zyprexa erhöhten wir auf 20 mg. Die Depression wurde allmählich besser. Doch die Zwangsgedanken sind immer noch da. Es macht mich fast verrückt, daß bis jetzt, also nach drei Monaten Medikamenteneinnahme diesbezüglich immer noch keine Besserung eingetreten ist. Mittlerweile bin ich bei 300 mg Trevilor morgens, 45 mg Mirtazapin und 75 mg Clozapin abends. Ach ja, eine Verhaltenstherapie habe ich auch begonnen. Das einzige was der Therapeut zu den ZG´s sagt, ist, daß ich sie hinnehmen müsste, sie würden wohl irgendwie von alleine wieder weg gehen. Aber ich kann sie nicht hinnehmen. Ich muß doch irgendwas machen können. Ich glaube auch nicht, daß ich bei diesem Mann richtig aufgehoben bin. Was meint ihr?
Benutzeravatar
Marika
power user
Beiträge: 9998
Registriert: 04:06:2005 16:05

Beitrag von Marika »

Ein liebes Hallo an dich!

Schön, dass du zu uns gefunden hast und dich uns geöffnet hast!

Ich kann dich sehr, sehr gut verstehen, denn unsere Geschichten ähneln sich. Meine Angsterkrankung war auch schon vor der SS latent da - das habe ich aber nicht wahrgenommen - dachte immer - ich bin halt so. Aber 5 Wochen nach der Geburt meines Sohnes brach alles auf. Ich hatte schlimme Angst und Panickattacken und plötzlich auch schreckliche ZG gegen meinen Noah. Auch ich mußte nach 2 Monaten stillen aufhören (Zugunsten der Medis) - Gott sei Dank hat mein Süßer auch sofort die Flasche akzeptiert - und habe auch eine Verhaltenstherapie angefangen.

Das ganze ist nun 19 Monate her und ich kann dir sagen - es wird immer besser. Zwar langsam, aber auch die ZG lassen sich zähmen. Mir geht es mittlerweile schon wieder sehr gut - manchmal kommt noch ein kleines Tief, aber nie mehr so stark wie zu Anfang. Die ZG waren auch für mich das allerschlimmste an der Krankheit und oft wäre ich am liebsten verzweifelt. Ich nehme 30 mg Cipralex - diese Dosis liegt 10 mg über der Höchstdosis. Denn bei Zwangskrankheiten ist ein höher dosiertes SSRI (AD) plus einer Verhaltenstherapie die Kombination mit den größten Heilungschancen (lt. WHO).

Ganz wichtig ist aber die THERAPIE!!!! Das wollte ich lange nicht wahrhaben und habe mich immer nur auf die Medis versteift. Aber eine Zwangsstörung - was ZG ja sind - verlangt VIEL MEHR: Sie verlangt die riegerose Auseinandersetzung mit SICH SELBST. Und das ist ein längerer und anstrengender Weg. Aber er lohnt sich - glaubs mir - ich habe es erlebt. Aber DU MUSST IHN GEHEN, auch wenn es manchmal weh tut und Tränen fließen. Die Belohnung dafür ist ein wunderbares Leben ohne (oder fast keine) ZG.

Dein Arzt sagt ein bissl wenig zu den ZG, da gäbe es noch viel, viel mehr darüber zu wissen. Ein gute Buch ist "Der Kobold im Kopf" von Lee Bear - schau mal bei Amazon, da bekommst du es ziemlich sicher. Das hat mir auch sehr geholfen. Da wird genau erklärt, was ZG sind und warum man sie hat. Dass man sie Annehmen muß so wie dein Doc sagt, stimmt allerdings schon. Denn jeder Mensch hat "seltsame Gedanken" nur wir bewerten sie als falsch und schlecht und so entsteht der Zwang daraus, immer und immer wieder so was zu denken. Wenn man die ZG verdrängen will, werden sie nur schlimmer - sie aushalten (auch die Angst die hochkommt dabei) - das ist der Schlüssel dazu, die ZG zu zähmen. Das nennt man auch Konfrontation und diese wird auch in meiner Therapie angewandt.

So, ich hoffe nun, ich habe dich nicht allzu sehr zugetextet und ich konnte dir ein bissl Mut machen durch zu halten. Wenn du noch Fragen hast, meld dich ruhig - ich helfe dir sehr gerne!!!

Ganz liebe Grüße von
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Red-headed-woman

Beitrag von Red-headed-woman »

Moinsen,

ich kann mich in deine Situation soooooo gut hineinversetzen!!!!

Diese Tötungsgedanken kenne ich nur zu gut. Meine Zwangsgedanken beliefen sich immer auf meine Kinder, vorrangig auf den jüngsten meiner Söhne...

Ich hatte Gedanken, dass ich ihn verletze, umbringe....diese Gedanken führten dazu, dass ich mit den Kids nicht mehr allein sein konnte.

Ich sah mich mit dem Messer, was ich gerade aus der SpüMa geholt hatte und fortlegen wollte, auf ihn einstechen. In seinen kleinen Kopf, in seine kleinen Ärmchen, in seine Brust. Sah mich, wie ich ihn im Badewasser ertränkte, sah mich wie ich ihn mit seinem Kissen erstickte oder mich dem Stein aus dem Garten ihm den Kopf zertrümmerte.

Ich habe sofort als ich diese ZGs zum ersten Mal hatte, mit meinem Mann darüber gesprochen. Auch meine beste Freundin weihte ich ein. An einem spät. Zeitpunkt informierte ich meine Mutter und Schwiegereltern darüber. Ich hoffte mit REDEN diese ZGs loszuwerden. In jeder Std. bei meiner Therapeutin berichtete ich über diese Horror-Visionen. Leider half es nicht, denn ich lehnte diese Gedanken ab...haßte mich dafür....nahm mich und "sie" nicht an.

Oftmal fühlte ich mich so hilflos, schrie meinen Mann an, er solle mir diese schrecklichen Gedanken nehmen....meine HILFERUFE waren so laut...wortwörtlich....

In der Klinik mußte ich ein Messertraining absolvieren. Ich hatte so eine Angst dieses Teil zu berühren, es anzufassen, es bei mir zu tragen...*iiiihhhhhh*...es war mir ein riesen Ekel....ich mußte sogar damit schlafen...nur langsam verlor ich Angst gegenüber dem Messer...der Waffe....

Erst nach Wochen, ich war bereits in der Tagesklinik, machte es plötzlich "klick" während eines Gesrpächs mit dem Arzt. Eigentlich war ich immer eine Frau, die sagt, was sie denkt. Doch dies ist irgendwann verloren gegangen, von irgendwas untergebuttert worden....

Mir wurde in dem Moment bewußt, dass diese Gedanken enorm laute Hilferufe an meine Familie gewesen sind...."merkt ihr nicht wie schlecht es mir geht.....ich kann nicht mehr.....ich brauche Hilfe" usw.

Was gibt es Schlimmeres, als wenn die Großeltern oder Eltern erfahren, den E-Kids ist etwas passiert? Am allerschlimmsten ist es, wenn es die eigene Mutter tut!!!!

Seit diesem Moment verschwanden diese Tötungsgedanken, denn ich hatte sie akzeptiert...mich und "sie" angenommen.....und meine Familie hat reagiert....sie melden sich, hören mir zu, fragen öfter...ja...selbst mein Vater ist in unsere Nähe gezogen, damit ich eine Anlaufstelle habe, wenn mein Mann dienstlich unterwegs ist....

Ich möchte dich bestärken, über diese - wenn auch schrecklichen - Gedanken zu reden. MACH DEN MUND AUF....REDE!!!! Auch wenn es Überwindung kostet.

Ich kann mich noch sehr gut an die Gesichter aus der Gruppe (Gruppentherapie) erinnern, als ich von diesen Gedanken berichtete. An die weinenden Frauen, an die schockierten Männer.

LASS ES RAUS UND NIMM ES AN.....und etwas ganz Wichtiges ist:

du wirst deinem Kinder oder deinen Kindern nie soetwas antun....das wird nicht geschehen....auch wenn du denkst, es könnte passieren....es wird es nicht!....ich weiß es...

Greetz RED
ticaju

Lieben Dank

Beitrag von ticaju »

Hallo!
Vielen lieben Dank für eure Antworten. Es tut gut mal alles rauszulassen. Ich hoffe, daß es bald besser wird. Ich bin trotz allem immer noch guter Hoffnung.

Liebe Grüße

Christina
Antworten