Meine Geschichte (etwas lang geworden)

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Nenette

Meine Geschichte (etwas lang geworden)

Beitrag von Nenette »

Hallo,

möchte mich nun endlich bei Euch vorstellen, nachdem ich bereits wochenlang mitgelesen habe und mich nicht traute, mich zu „outen“. Ich weiß nicht genau, ob ich hier richtig bin – daher erstmal meine Geschichte.
Ja, wo soll ich anfangen? Ich leide seit fast sieben Jahren unter Depersonalisation (Entfremdungsgefühle sich selbst gegenüber) und Derealisation (Entfremdungsgefühle der Umwelt gegenüber), meines Erachtens u.a. ausgelöst durch schlimme Zwangsgedanken, was jedoch mein Alltagsleben (Studium, Beruf etc.) nie beeinflusste. Nachdem vor ca. drei Jahren allerdings auch starke Angstzustände hinzukamen (v.a. die Angst, verrückt zu werden), suchte ich einen Therapeuten auf und nahm begleitend für einige Monate Johanniskraut, was mich so weit stabilisierte, dass mir alles im Nachhinein wie ein böser Alptraum vorkam. Ich fühlte mich fast wieder so wie früher un die Depersonalisations- und Derealisationszustände wurden geringer, und wenn sie doch mal kamen, jagten sie mir keine Angst mehr ein. Ich war zufrieden und glücklich mit mir und meinem Leben und wähnte mich auf der sicheren Seite.
Im Frühjahr wurde ich ungeplant schwanger. Da mein Freund und ich jedoch schon länger über ein gemeinsames Kind gesprochen hatten, nahmen wir den „Unfall“ als Geschenk hin. Ich freute mich auf das Kind und gelegentliche Zweifel (wie z.B., dass ich meine Freiheit verlieren oder nicht mehr alle meine Pläne verwirklichen könnte) fand ich normal. In der Mitte der Schwangerschaft wurde es jedoch heftiger. Ich hatte starke Angst, dem Ganzen nicht gewachsen zu sein und bekam wieder massive Depersonalisations- und Derealisationszustände. Meine Arbeit lenkte mich jedoch noch ein wenig ab, und ich redete mir ein, diese Ängste seien normal und auf die Hormone zurückzuführen. Als ich allerdings in den Mutterschutz ging, konnte ich mich nicht mehr ablenken. Ich fiel förmlich in ein Loch, grübelte über idiotische existentielle Fragen (die bei mir immer in Krisensituationen auftauchen) und erlebte immer stärkere Entfremdungsgefühle. Ich merkte, dass ich mein Limit erreichte und suchte vor der Geburt mehrmals eine Psychologin auf, die versuchte, mir meine Angst vorm Verrücktwerden zu nehmen und meinte, dass bei einem etwas zwanghaft grübelndem Menschen wie mir, solche Ängste und Gefühle normal wären und sich nach der Geburt alles richten würde.
Ja, aber nach der Geburt (die ich in einem normalen Zustand erlebte) wurde es sehr schnell nur noch schlimmer. Mein Baby ist jetzt seit gut zwei Wochen auf der Welt, ist gesund und munter, sieht wunderschön aus und schläft nachts teilweise schon durch! Ich kann mich also wirklich nicht beklagen. Und trotzdem fühle ich mich so besch… wie noch nie. Jeder Tag ist eine Qual. Ich wache früh auf, bin völlig nassgeschwitzt und habe Angst vor dem Tag (obwohl ich jegliche erdenkliche Unterstützung habe, von meinem Freund, der noch Urlaub hat, und von meinen Schwiegereltern, bei denen wir uns für einige Tage eingenistet haben und die gar nicht genug bekommen können von ihrem Enkel). Ja, und abends bin ich froh, wenn der Tag vorbei ist und ich endlich ins Bett kann. Ich habe kaum noch Hunger, fühle mich oft müde, völlig leer (absoluter Gefühlsverlust, selbst wenn ich versuche, meine Lieblingsmusik zu hören) und kann mich selbst auf die einfachsten Dinge nicht mehr konzentrieren, was meine Angst vorm Verrücktwerden nur noch verstärkt. (Manchmal habe ich auch das Gefühl, ich bin schon verrückt.) Hinzu kommt teilweise eine starke innere Unruhe - und natürlich die Depersonalisations- sowie Derealisationszustände, die mich an den Rand des Wahnsinns zu treiben scheinen. Gestern war ich z.B. mit meinem Freund und unserem Kind zu einem Spaziergang in der Stadt unterwegs, und alles erschien mir (obwohl ich natürlich wusste, wo ich bin) so fremd, dass mein Puls raste und ich das Gefühl hatte, der Himmel würde über mir zusammenfallen. In solchen Momenten (die ich in schwächerer Form auch zu Hause habe), habe ich das Gefühl mich nun wirklich selbst verloren zu haben und bald in der Psychiatrie vor mich hinzuvegetieren, ohne zu wissen, wer ich bin.
Kurz vor Weihnachten ging es mir so schlecht, dass ich zu einem Psychiater eilte, der durchchecken sollte, ob ich dabei bin, eine Psychose o.ä. zu entwickeln oder schon zu haben. Er schloss dies aus und sprach von einer vorübergehenden leichten medikamentösen Behandlung, verschrieb mir jedoch letztendlich nichts, da ich stille. Apropos Stillen: Ich habe mir das immer so romantisch vorgestellt und empfinde dabei rein gar nichts. Auch schaffe ich es einfach nicht, eine Beziehung zu meinem Baby herzustellen. Es ist mir so fremd, so als wäre es gar nicht mein Kind. (Sind solche Gedanken noch "normal"?) Manchmal denke ich auch, wie gut es mir ohne Kind gehen würde oder dass mein Leben ohne es zumindest einfacher wäre. Diese Gedanken finde ich ganz fürchterlich und ich bekomme Angst, dass ich auch eine von den Müttern sein könnte, die ihrem Kind etwas antun.
Nun weiß nicht genau, ob ich wirklich in dieses Forum passe mit diesen ganzen Ängsten, Zwangsgedanken und komischen Gefühlen. Mir erscheint das doch ein bisschen zuviel… Ich wäre Euch für ehrliche Stellungnahmen wirklich sehr dankbar.

Liebe Grüße

Nenette

PS: Ach ja, ich wohne übrigens seit einiger Zeit im Ausland. Meine Psychologin meinte, die Entfremdungserlebnisse würden von dieser „Entwurzelung“ kommen, obwohl ich mir da nicht so ganz sicher bin. Ich habe hier noch nicht so viele Freunde gefunden, was mich jedoch, als ich noch arbeitete, kaum störte. Mittlerweile fühle ich mich allerdings ziemlich allein, bin im Moment jedoch auch nicht in der Lage, auf irgendeine Art und Weise Kontakte zu knüpfen, da ich zu sehr neben mir stehe.
Mein nächster Termin beim Psychiater ist in einer Woche und ich weiß gar nicht, wie ich die Tage bis dahin noch durchhalten soll.
bellami1983

Beitrag von bellami1983 »

Hallo liebe Nenette,

erst einmal möchte ich dich zur Geburt eures Mäuschens herzlich beglückwünschen, auch wenn du dich im Moment darüber wenig freuen kannst!
Schön außerdem, dass du hergefunden hast!

Puh, das, was du beschreibst, kenne ich auch sehr gut! Vor und während meiner SS hatte ich auch schon diverse Probleme mit Zwangsgedanken und Entfremdungen, welche bis heute noch da sind.

Es klingt sehr nach einer PPD bei dir, wenn man mich um meine Meinung fragen würde und gehört in ärztliche Behandlung. Aber nächste Woche hast du ja einen Termin beim Psychiater, das ist ganz toll und äußerst wichtig!

Und wegen dem Stillen solltest du dir - auch wenn es einfach so dahergesagt klingt - keine Vorwürfe machen. Es gibt viele Frauen, die dabei nichts empfinden, sich dann aber auch dafür entscheiden, abzustillen. Viele möchten auch von vornherein nicht stillen. Aber da du es dir gewünscht hast, so wie ich das jetzt verstanden habe und es von den Emotionen her jetzt ganz anders ist, denke ich, dass es ebenfalls die PPD ist.
Wenn du gern weiterhin stillen möchtest, gibt es eine Reihe von Antidepressiva, mit denen man trotzdem stillen kann. Darüber wird dein Arzt dich sicher informieren.

Liebe Nenette, du kannst dir sicher sein, dass alles eines Tages besser wird. Aber es ist ganz wichtig, dass du Hilfe bekommst und am besten so schnell wie möglich.

Ich für meinen Teil habe viel zu lange gewartet und das war nicht gut. Du machst es richtig. Geh zu dem vereinbarten Termin, teile dich uns mit, wir sind gern für dich da und übe dich in etwas Geduld, dann wird das alles werden und du wirst dich irgendwann sehr an deiner kleinen Maus erfreuen können!

Ach und wenn ihr bei Schwiegereltern eingenistet seid, dann nutz diese Zeit auch für dich und denke auch mal an dich. Wenn Oma und Opa gern spazieren gehen, dann können sie doch gern mal mit dem Zwerg gehen und du kannst in aller Ruhe in die Wanne und die Seele baumeln lassen. Solche Zeiten müssen sein, gönne sie dir wo du nur kannst.

So, nun habe ich so viel geplappert, sorry, ich wünsche dir alles alles Gute und du schaffst das, es wird vorbei gehen!

Ganz lieber Gruß

isabell
Sas

Beitrag von Sas »

Liebe Nenette!

ich heiße Dich hier auch herzlich willkommen und drücke Dich schon mal ganz fest. Du bist hier auf jeden Fall richtig. Isabell hat schon alles gesagt.
Ich kenne Deine Gefühle auch ziemlich gut. Zwar war ich selbst vor der Schwangerschaft nie depressiv, und ich dachte auch nie im Leben, dass mich dass mal erwischt. Aber ich hatte in meiner Pubertät eine Zwangsstörung, die ich zwar gut in den Griff bekommen hatte, die aber so latent immer noch da war und nach der Schwangerschaft als Zwangsgedanken wieder geballt ausbrach. Zusätzlich hatte ich auch noch schwere depressive Symptome und Angstzustände, genau wie Du. Ich habe mich freiwillig in die Psychiatrie einweisen lassen, weil ich so Angst vor mir selbst hatte. Aber Nenette, lass Dir das gesagt sein: Du wirst nie "verrückt" und Du wirst das was Du denkst niemals tun. NIEMALS!!!! Ich hatte auch so dass Bild der perfekten stillenden Mama, die alles mit links schafft und dabei noch entspannt strahlt. Dieses Bild ist total verzerrt. Die anderen Mütter kochen auch nur mit Wasser und dort ist längst nicht alles Friede Freude Eierkuchen. Du wirst lernen, eine Bindung zu Deinem Kind aufzubauen. Weißt Du, uns wird immer vorgegaukelt, dass man sein Kind sofort lieben muss, dass sofort dieses "unglaubliche Glücksgefühl" da ist usw. es mag ja sein, dass es tatsächlich viele Frauen gibt, wo das auch so ist. Aber im Grunde ist es so, dass sich bei der Geburt zwei fremde Menschen begegnen, die ab jetzt aneinander hängen, und zwar 24 Stunden, jeden Tag. So hat mir das meine Psychiaterin gesagt.
Ja, Mutterliebe muss erstmal wachsen. Vorhanden ist sie schon, auch bei Dir, aber Du kannst sie noch nicht spüren. Wenn einen die PPD erwischt, dann dauert es umso länger. Diese Gefühlskälte, die Du ja auch sonst beschreibst gehört zu den Symptomen einer PPD, genauso, wie dass Gefühl, Dein Kind sei Dir fremd. Ich sage Dir, ich bin froh, dass ich spontan entbunden habe, denn so hatte ich keine Zweifel, dass das meine Tochter ist. Aber wenn ich einen Kaiserschnitt unter Vollnarkose gehabt hätte, dann weiß ich genau, ich hätte auch gezweifelt. Denn sie war mir auch so fremd irgendwie.
Ich glaube, wir haben uns das alles einfacher vorgestellt als es ist.
Wenn Du weiter stillen möchtest, dann gibt es einige Psychopharmaka, die du trotzdem nehmen kannst. Frag mal hier nach, die geben eine gute Beratung: www.embryotox.de
Ansonsten, liebe Nenette, machst Du schon alles richtig so. Geh zum Arzt (super, dass Du das so schnell organisiert hast!) und lass Dir helfen.
Wir sind hier immer für Dich da!
Und: Du wirst sehen, es geht vorbei. Ich war selbst ganz unten (vor ca 2 Jahren) und dachte nie, dass das nochmal gut wird. Heute geht es mir super, ich genieße mein Leben, ich arbeite wieder und liebe meine Tochter über alles.

Sei ganz lieb gegrüßt, Saskia
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Marika
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Beitrag von Marika »

Liebe Nenette!

Auch von mir ein liebes Hallo hier bei uns! Es ist ein großer Schritt, den dur gemacht hast in dem du deine Geschichte uns hier anvertraut hast und du bist absolut richtig hier!

Deine Symptome passen wie die "Faust aufs Auge" zu einer PPD. Mir selber ging es vor 20 Monaten, als mein Noah auf die Welt kam, fast gleich. Es begann mit Schlafstörungen (Albträumen), Appetitlosigkeit, diffusen Ängsten, konnte keine richtige Liebe für Noah empfinden und gipfelte dann in ganz schlimmen Panikattacken und leider auch Zwangsgedanken. Du siehst also, die hast nicht "zu viele Dinge" für eine PPD, sondern diese äußert sich genau so.

Liebe Nenette, ich litt auch sehr unter Zwangsgedanken, ich könnte meinem geliebten Kind etwas antun. Das tun aber Menschen mit so einer "Zwangsstörung" nicht - es sind "nur" Gedanken, die man wieder zähmen kann. Du bist also keine Mama, die ihrem Kind was tut - ganz sicher nicht. Du bist eine ganz tolle, aber auch arme Mama, weil du diese Krankheit bekommen hast.

Ganz toll finde ich, dass du dir schon Hilfe geholt hast. Ich kann dir auch sagen, dass es genug AD´s gibt mit denen du stillen kannst - Saskia hat dir eh schon einen tollen Link reingestellt. Ich selber nehme auch ein AD und mache eine Verhaltenstherapie und ich kann dir stolz und glücklich sagen, dass es mir wieder sehr gut geht. Vor noch 1 3/4 Jahren hätte ich das nie geglaubt, dass ich mein Leben je wieder so geniessen könnte. Und das wirst du auch wieder können, liebe Nenette. Bleib einfach am Ball, arbeite mit deinen Ärzten zusammen und natürlich sind auch wir hier immer für dich da und werden dich auf deinem Weg begleiten - natürlich nur, wenn du magst!!!! :wink: :wink: :wink: :D

Ganz liebe Grüße - und schön, dass du da bist!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Julia73

Beitrag von Julia73 »

Liebe Nenette,

ich würde auch sagen, dass du hier richtig bist ... Die Gefühle, die du beschreibst kenne ich auch sehr gut. Bei mir war es auch das volle Programm (Panikattacken, Zwangsgedanken, depressive Anteile ...). Auch diese Entfremdungsgefühle kenne ich, allerdings waren die nicht soooo stark ausgeprägt. Auch ich hatte wansinnige Angst verrückt zu werden und in der Geschossenen zu landen. Es war fürchterlich, es war die Hölle ... Aber auch ich kann heute sagen, dass ich dank meiner Therapie wieder auf die Beine gekommen bin und heute geht es mir wieder sehr gut. Auch konnte mir das vor einigen Monaten so dermaßen überhaupt nicht vorstellen, dass ich jemals wieder "normal" sein könnten. Aber all diese Empfindungen sind "normal" wenn man sich in einer Krise befindet. Und da du dir jetzt Hilfe gesucht hast, wirst du dich auch bald besser fühlen. Und dann wird es Stück für Stück, jeden Tag ein bisschen besser werden. Auch wenn es immer wieder Rückschläge gibt, wird die Kurve aufwärts gehen, das kann man nur leider nicht immer empfinden.

Und das mit dem Stillen war bei mir auch ein Problem. Ich habe es auch nicht als so toll empfunden, wie es oft beschrieben wird ... Ich habe mich aber nicht getraut das zuzugeben, weil ich dann dachte, alle anderen denken, dass ich eine schlechte Mutter bin. Es ist echt schwierig, dass immer noch ein Bild der perfekten Übermutter umhergeistert, dem man nur schwer entsprechen kann. Versuche dich diesbezüglich nicht all zu sehr unter Druck zu setzen.

Ich wünsche dir viel Kraft für die nächste Zeit! Es wird wieder werden!

Ganz lieb
Julia
Nenette

Gejammer

Beitrag von Nenette »

Hallo,

vielen Dank für Euren lieben Zuspruch und die Aufnahme in Eurem Forum. Ich musste weinen, als ich Eure Antworten las, was mir jedoch für ein paar Minuten erstmal gut tat. (Denn selbst das Weinen fällt mir momentan sehr schwer.)
Ich hoffe, Ihr habt recht und ich schaffe es irgendwann, diese Krankheit zu besiegen. Wenn ich so richtig tief drin stecke, muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, dass dies ein krankhafter und kein Normalzustand ist. Geht das Euch auch so?
Ich weiß nicht genau, ob ich wirklich an PPD oder etwas anderem leide. Einiges spricht für eine PPD, anderes nicht. Ich las z.B., dass man bei Depressionen morgens den absoluten Tiefpunkt erlebt und es einem abends oft besser geht. Es stimmt, dass es mir morgens momentan sehr schwerfällt aufzustehen und mich um mein Baby zu kümmern. Am liebsten würde ich mir die Decke über den Kopf ziehen und den ganzen Tag im Bett bleiben. Ja, und abends bin ich zwar froh, dass der Tag endlich vorbei ist, aber ein “Stimmungshoch” erlebe ich nicht immer. (An manchen Abenden geht es mir etwas besser, an anderen wiederum nicht.)
Obwohl mir wirklich vieles abgenommen wird, fallen mir die wenigen Dinge, die ich tagsüber erledige wahnsinnig schwer. Ich werde immer müder und antriebsloser. Selbst mit dem Auto einkaufen zu fahren (und ich spreche hier nicht von Großeinkäufen) oder mit meinem Sohn spazieren zu gehen, gleicht einem Staatsakt, und ich fürchte mich davor.
Die schon beschriebenen Entfremdungserlebnisse sind mein fast ständiger Begeleiter geworden. Ich habe das Gefühl, mich im Nebel zu bewegen und erlebe nur selten Momente der “Klarheit”. Leider wirkt sich das auch auf die Beziehung zu meinem Sohn aus. Auch er ist mir meist fremd, und ich habe teilweise sogar Angst, zu vergessen, dass ich Mutter bin. Das finde ich schon irgendwie beunruhigend und selbst für eine PPD etwas zuviel.
Auch die Tatsache, dass ich schon während der Schwangerschaft neben mir stand, spricht doch eher gegen eine PPD, oder? Ich weiß, dass es Frauen gibt, die unter Schwangerschaftsdepressionen leiden und dann daraus eine PPD entwickeln, aber soweit ich das richtig verstanden habe, sind das doch meistens Frauen, die schon vor ihrer Schwangerschaft mit Depressionen zu kämpfen hatten und daraufhin mit Antidepressiva behandelt wurden, welche sie dann aufgrund ihrer Schwangerschaft absetzten und daher teilweise Rückfälle erleiden. Ich zähle zwar nicht zu den Menschen, die psychisch wahnsinnig stabil sind, vor meiner Schwangerschaft ging es mir jedoch sehr gut, und ich nahm keinerlei Medikamente ein. Ich lebte und lebe in einer glücklichen und harmonischen Beziehung, wollte Kinder und kann mir daher diesen “Absturz” während meiner Schwangerschaft nicht richtig erklären.
Es tut mir leid, dass ich hier gerade so herumjammere und Euch vollsülze. Ich hatte heute keinen guten Tag und habe das Gefühl, dass ich nie mehr so werde wie ich einmal war (wie weit ist mein früheres Leben doch schon in die Ferne gerückt). Ich kann gar nicht verstehen, wie es mein Freund noch mit mir aushält. Ich bin nur noch eine leere Hülle meiner selbst, eine schlechte Mutter (nachts z.B. muss er momentan raus, da ich es einfach nicht schaffe), rede nur von mir und meinen Problemen und kann ihm überhaupt nicht mehr die Partnerin sein, in die er sich verliebt hatte. Ich will da irgendwie raus und weiß nicht wie!

Vielen Dank fürs Zuhören (bzw. Lesen) und liebe Grüße

Nenette
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Marika
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Beitrag von Marika »

Hallo Nenette - ich nochmal!

Du darfst nicht vergessen, dass in der SS und vor allem auch nach der Geburt die Hormone Achterbahn fahren. In der SS gings mir auch sehr gut - besser als zuvor. Aber nach der Geburt und dem dadurch verbundenen Hormonsturz bin auch ich voll in die PPD geschlittert.

Die morgenlichen Tiefs hatte ich auch sehr, sehr lange. Dafür waren die abendlichen "Hochs" bei mir auch ziemliche Mangelware. Genau so wie du es beschreibst, fühlte ich mich nur noch als leere Hülle - meine ganzen Persönlichkeit und meines Charakters beraubt. Das war schrecklich für mich - und natürlich auch für meinen Partner. Er hat zu Anfang gar nicht verstanden, was da mit mir ab geht - und ich auch nicht. Ich wandelte auch oft wie durch einen Nebel und meinen Noah versorgte ich nur noch mechanisch. Am Schlimmsten war es einmal, als der Kleine in seinem Bettchen weinte und ich war vor Angst, Panik und ZG nicht in der Lage, in raus zu nehmen. Es ging einfach nicht... ich dachte - so jetzt wirst du verrückt. Ich wollte Noah meinen Eltern geben und mich selber in eine geschlossene Anstalt einweisen lassen. Ich war überzeugt, dass ich absolut verrückt bin und eine Gefahr für Noah.

Weißt du, ich war auch schon immer psychisch eher labil - habe das aber nie richtig war genommen. Ich dachte - so bin ich halt - ein bissl komisch. Auch dieses zwanghafte "Denken und Grübeln" war immer schon ein wenig mein Begleiter. Aber erst nach der Geburt brach alles so richtig durch - sicher auch durch den Hormonsturz mit verursacht.

Ich habe mich dann auch gleich für ein AD entschieden. Denn der Serotoninspiegel im Gehirn spielt ja bei Depressionen, Ängsten und auch Zwangsgedanken nachweislich eine sehr großte Rolle. Und sie haben mir erst mal geholfen, aus dem tiefsten Loch raus zu kommen und dann in meiner Therapie mit meinen absoluten spitzenmässigen Psychiater aktiv an mir zu Arbeiten. Diese Kombi aus Medikamten UND Therapie haben mich wieder zurück ins Leben geholt. Zugunsten der AD habe ich auch abgestillt (es gibt aber auch welche mit denen man stillen kann - aber ich war auch nie der absolute Stillfan - also mach dir da keinen Kopf drum) und ich bereue es keine Sekunde. Von da an ging es bergauf - zwar langsam aber immer stetig.

Liebe Nenette - kämpfe - nimm die Krankheit an, aber kämpfe um ein schönes Leben, dass du wieder haben kannst. Die "Alte" wirst du nicht mehr werden, ABER: Du wirst eine ANDERE und GEREIFTE GLÜCKLICHE Frau, Mama und Partnerin sein, wenn du an dir arbeitest. Egal ob die Krankheit PPD oder anders heißt (mein Doc nennt es "Anpassungsstörung") es gibt Mittel und Wege um wieder gesund zu werden und ein wunderschönes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen zu leben!

Du schaffst das - wir helfen dir dabei!

Liebe Grüße von
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Julia73

Beitrag von Julia73 »

Liebe Nenette,

ich hatte die Beschwerden auch schon seit Beginn (oder kurz vor) meiner Schwangerschaft. Also habe ich wohl auch keine PPD, aber es ist ja in Wirklichkeit auch egal, wie es heißt, was einen so fertig macht ... Du hast erkannt, dass du Hilfe brauchst und dass du dich in einer Krise befindest. Das ist auf jeden Fall schon mal ein Schritt in die richtige Richtung! All die Emfpindungen, die du beschreibst, sind von vielen hier ihre täglichen Begleiter gewesen. Und viele haben es geschafft diese Krise zu überwinden. Einige stecken immer noch drin, aber jede hier ist auf dem Weg – und du auch! Wenn du erst mal mit einer Therapie begonnen hast, wird sich vieles für dich klären und es wird dir immer leichter fallen mit deinen Problemen umzugehen ... Vielleicht ist ja auch ein AD das Richtige für dich, aber da kenne ich mich nicht aus, aber auch da haben hier viele Frauen sehr positive Erfahrungen gemacht.

Du schaffst das – du wirst wieder ein lebenswertes, glückliches, zufriedenes Leben führen, auch wenn du dich jetzt meilenweit davon entfernt fühlst.

Beste Grüße und komm trotz aller widrigen Umstände gut ins neue Jahr!
Julia
Sas

Beitrag von Sas »

Hallo Nenette,

ich denke auch, wie Marika, dass diese Hormonschwankung nach der SS eine Ursachen für die PPD ist, bzw, dass ist ja auch belegt. sicher hat man ein erhöhtes Risiko, wenn man vorher psychisch krank oder instabil war, aber es trifft genauso Frauen, die sowas noch nie im Leben hatten. Du hast denke ich, wie so viele hier, ein Problem, es wirklich als Krankheit zu akzeptieren, weil es eine reine Kopfsache ist. Wenn Du Dich wegen Krebs nicht nachts aus dem Bett quälen könntest würdest Du Dich auch nicht für eine schlechte Mama halten deswegen. Ich bezeichne diese Krankheit manchmal als "Seelenkrebs", denn sie zerfrisst einen und kann, wenn man sie nicht behandelt, auch tödlich enden. Wenn man sie aber behandelt, dann wird man auch irgendwann geheilt. Dass ist halt dann doch oft der Unterschied zum "echten" Krebs. Eine wichtige Sache gebe ich Dir jetzt noch mit ins neue Jahr: Lass Dir Zeit und sei geduldig. Diesen Spruch habe ich während meiner Krankheit nicht mehr hören können. Denn wenn man depressiv ist fällt einem das Zeitlassen schwer. Man will ja dass das SOFORT verschwindet. Aber es ist was wahres dran. Die Zeit heilt vieles.

Liebe Grüße, Saskia
Nenette

Beitrag von Nenette »

Hallo Ihr Lieben,

ich wünsche Euch erstmal - mit etwas Verspätung - ein gesundes neues Jahr und möchte mich noch einmal für Eure tröstenden Worte bedanken.
Es tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe - manchmal ist es eben ziemlich schwer, diesen ganzen Mist, auch noch aufzuschreiben. (Fleißig mitgelesen habe ich allerdings immer.)
Ja, ich warte noch immer auf eine Besserung meines Zustandes. Es scheint nicht mehr ganz so schlimm zu sein wie Ende letzten Jahres, aber wirklich gut geht es mir nicht, auch wenn ich wieder besser “funktioniere”. Bin jetzt seit einigen Wochen tagsüber mit meinem Kleinen alleine (wovor ich tierische Angst hatte). Und irgendwie klappt die tägliche Routine; Freude oder positive Gefühle kamen bisher jedoch noch nie auf. Ich fühle mich oft wie in Watte gepackt, weit weg von allem und von mir selbst. Nicht einmal mehr negative Gefühle sind dann mehr möglich. Trotzdem ist dieser Zustand einfach nur schrecklich. Kennt Ihr das?
Seit der Geburt meines Kindes hatte ich noch keinen einzigen wirklich guten Tag. Es gibt manchmal Momente, in denen ich “aufzuwachen” scheine und Hoffnung schöpfe - lang halten diese jedoch nie an.
Komisch ist, dass niemand zu merken scheint, wie besch… es mir geht. Hab’ sogar schon von verschiedenen Seiten gehört, wie gut ich aussehen und wie glücklich ich wirken würde. Gut, ich gebe mir auch wirklich Mühe, einen “normalen” Eindruck zu machen, denn meine größte Angst ist, dass man mir meine “Verrücktheit” auch noch ansieht. - Ich zwinge mich, rauszugehen, mich mit Leuten zu treffen, auch wenn ich mich oft unwohl dabei fühle. So habe ich z.B. manchmal Angst zu sprechen, weil ich befürchte, ich könne den Faden verlieren, und man würde dann bemerken, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich konzentriere mich teilweise so stark darauf, dass es mir oft wirklich schwerfällt, viel zu reden. (Normalerweise bin ich eine ziemliche Quasselstrippe.) Ist schon irgendwie komisch, oder?
Meine Konzentration scheint mir auch flöten gegangen zu sein. Früher las ich gern, heute jedoch muss ich mich auch dazu zwingen (außer bei Themen zu PPD und/oder PPP). Auch das macht mir Angst. Ich will ja irgendwann wieder arbeiten, freue mich auch darauf, weil ich denke, dass mir die Abwechslung bestimmt guttut. Andererseits befürchte ich aber auch, dass ich dem nicht mehr gewachsen sein könnte, da ich das Gefühl habe, geistig nicht mehr so fit zu sein wie früher. Hab’ dummerweise viel über Schizophrenie gelesen und glaube manchmal, mich in der Minussymptomatik (die ja schwer zu behandeln ist) wiederzufinden. - Auch “leide” ich momentan unter einem gesteigerten Schlafbedürfnis. Einerseits ist das ja gut, da mir in den ersten Wochen nach der Geburt eher Schlaflosigkeit bzw. Ein- und Durchschlafstörungen zu schaffen machten. Andererseits jagt mir das hinsichtlich der Minussymptomatik aber auch wieder Angst ein, und ich denke, dass ich meinen früheren Elan nie wiederfinde.
Überhaupt fühle ich mich so anders als früher. Ich schrieb ja bereits, dass ich depressive Episoden, Entfremdungsgefühle und Zwangsgedanken bereits seit Jahren kenne. Aber irgendwie konnte ich meist trotzdem immer mein Leben leben. Selbst in schlimmen Phasen gab es auch gute Tagen oder sogar Wochen, und oft half mir Ablenkung (zu der ich mich heute ja zwingen muss). Seit der Geburt meines Sohnes jedoch “lebe” ich nicht mehr, bewege mich nur noch in Trance und komme mir gefangen vor. Wie lange soll das noch dauern?
Nehme noch immer keine Medikamente. (Obwohl ich ein AD griffbereit habe, was mir eine gewisse Sicherheit vermittelt.) Mein Psychiater sieht keine dringende Notwendigkeit mehr, ein AD zu nehmen, da er meint, ich würde mittlerweile einen besseren Eindruck machen als noch vor einigen Wochen und ja auch irgendwie meinen Alltag bewältigen. Und außerdem stille ich ja noch. Angeblich lässt sich - laut meines Psychiaters - kein einziges AD für die Stillzeit empfehlen. Er hat sich deswegen extra bei irgendeinem Institut kundig gemacht (keine Ahnung mehr, wie das hieß). Da ich ja nicht in Deutschland lebe, kann es sich dabei sicherlich nicht um das Beratungszentrum in Berlin gehandelt haben. Daher würde ich, wenn ich mich wirklich für das AD entscheiden sollte, abstillen. Und momentan will ich das noch nicht. Vor meiner Erkrankung wollte ich immer und unbedingt stillen. Und ich denke, dass ich ein zu schnelles Abstillen, wenn es mir irgendwann vielleicht doch mal wider besser gehen sollte, bestimmt bereuen würde. Außerdem habe ich auch etwas Angst, dass ein AD bei mir vielleicht gar nicht anschlägt. Ich scheine ja nicht unter einer “klassischen Depression” zu leiden. Mir machen, wie gesagt am meisten diese Entfremdungs- und Trancezustände zu schaffen, die mir den Zugang zu meinen Gefühlen verbauen und mir den Eindruck vermitteln, dass ich nur noch eine leere Hülle bin, völlig meiner früheren Persönlichkeit beraubt.
Jetzt habe ich doch wieder ganz schön rumgejammert. Es hat mir jedoch gutgetan, mir diesen ganzen Scheiß mal von der Seele zu schreiben. Ich bin wirklich froh, dass es dieses Forum gibt.

Liebe Grüße

Nenette

@Julia: Mein Sohn wurde übrigens auch am 12.12. geboren. :wink:
miss-talitha

Beitrag von miss-talitha »

Liebe Nenette,

habe gerade nochmal all die Antworten und deine Worte gelesen und fühle richtig mit dir. So ging es mir bis vor 2 Monaten auch.
Du schreibst, solange du stillst, möchtest du keine ADs nehmen. Ich verstehe deine Zweifel und stand vor der gleichen Frage im Dezember (meine Tochter war damals 4,5 Monate alt) und habe mich für ADs entschieden. Für mich war es eine Entscheidung für mehr Lebensqualität, weil ich mein Dasein als Mama vor allem als Belastung und mit vielen Ängsten erlebt habe. Ich wollte endlich mein Kind genießen können. Und es hat sich für mich wirklich mein Leben geändert. Ich bin so viel stabiler, habe das innere Bild, das ein Netz unter mir gespannt ist und ich nicht tief fallen kann - und ich genieße die Zeit mit meiner Tochter, mal abgesehen von den ganz normalen Genervtsein-Phasen.
Ich merke bei ihr keinerlei Nebenwirkungen oder Veränderungen und ich stille sie voll. Ich nehme 20 mg Paroxetin. Klar, viele Ärzte sagen, man sollte gar nichts nehmen und klar wäre das das Allerbeste. Aber wenn ich abwäge, Lebensqualität, Lebensfreude und Stabilität gegen eventuelle Mini-Nebenwirkungen oder geringste Mengen, die vielleicht auf's Kind übergehen, dann ist für mich die Entscheidung ganz klar. Und ich glaube, dass auch meine Tochter davon profitiert, dass ich viel mehr bei mir bin.

Ich möchte dir einfach sagen, dass ADs und Stillen vielleicht doch eine Alternative sein kann. Ruf doch mal die Embryonaltoxologie in Berlin an, die beschäftigen sich den ganzen Tag mit solchen Fragen und sind sicherlich die besten Fachleute dafür.

Herzliche Grüße und viel Mut und Zuversicht - es wird besser, das ist ganz gewiss.
miss-talitha
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