Durchziehen oder Ausweichen?

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Eule86

Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Eule86 »

Ich brauche mal dringend euren Rat.
Also ich habe Angstzustände bzgl meiner Tochter. Wenn ich sie versorgen muss, dann kommt die Angst und steigert sich dass ich würgen muss etc.
Meine Schwiegermutter ist zur Entlastung da und kümmert sich gerade um sie. Ich nehme sie nur ab und zu. Aber nun merke ich nach ein paar Tagen, dass die Angst dadurch ein bisschen zurück geht, aber je mehr Zeit vergeht verringert nicht meine Angst sondern im Gegenteil. Langsam kommen die Ängste wieder mehr, weil ich weiß, dass ist kein Dauerzustand. Sondern letztlich ist das jetzt mein Leben mit meiner Tochter und ich muss mich um sie kümmern. Ich klammer mich irgendwie an mein altes Leben und habe unheimlich Angst vor diesem neuen. Dabei weiß ich ganz objektiv, dass es alles kein Problem ist. Ich habe nur irgendwie totale Panik vor meiner neuen Rolle und diesem neuen Leben. Warum ist das so? Und was würdet ihr tun?
Wie kann ich mich an diesen neuen Zustand gewöhnen ohne ständig würgen zu müssen?! Bin ich wirklich überfordert oder muss ich mich da jetzt einfach durch quälen bis dieses Gefühl evtl.weniger wird?
Kennt das jemand???
Hilfe!
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Marika
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Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Marika »

Hallo,

ich litt auch unter starken Ängsten bzgl. meinem Baby. In meiner Therapie habe ich dann gelernt, mich Schritt für Schritt diesen Ängsten zu stellen und lernte diese AUS ZU HALTEN! Somit hast du die Antwort: Es geht um das "sich stellen" - ausweichen bewirkt das Gegenteil - die Ängsten werden mehr.

Die Entlastung ist aber super, das passt schon. Nur solltest du die Kleine auch dann nehmen, wenn du Angst hast und versuchen, immer ein bisschen länger diese Angst aus zu halten. Ich machte das damals so: Morgens wusste ich, dass meine Mama bald kommt - in dieser Zeit versuchte ich die Angst aus zu halten. Anfangs war dieser Zeitraum kurz - eine 1/4 Stunde, dann eine halbe, dann eine ganze Stunde usw... Wir haben den Zeitraum ständig erweitert. So lernt man das auch in Therapien.
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Eule86

Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Eule86 »

Danke Marika!

Wir haben uns überlegt, dass meine Schwiegermama eine n Tag kommt und dann wieder einen fährt. Sodass ich imemr weiß, sie kommt aber auf jeden Fall wieder.
Das sie heut Nachmittag fährt macht mich j
natürlich jetzt erstmal nervös, auf der anderen Seite weiß ich, dass ich mich nicht ewig verstecken kann.
Und gleichzeitig ist es so bescheuert, weil mein Kopf weiß : Es ist alles kein Problem! Das ist alles total easy! Aber mein Körper steht unter Hochspannung, als würde mir gleich ein Zahn gezogen werden.. Wie kommt sowas? Was soll das?
Sanna
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Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Sanna »

Hallo!

Ich hatte diese Ängste auch und mein Therapeut hat mir damals gesagt, dass man der Sache nur durch das TUN wieder Herr werden kann. Also, genau das, was Marika schon geschrieben hat.

Wir haben es ähnlich gemacht. Ich hatte damals eine Familienhilfe, die mich unterstützt hat. Wir haben dann die Zeit, die sie hier war immer mehr verkürzt. Bis ich es wieder allein geschafft habe.

Es ist eine gute Idee, dass deine Schwiegermutter immer weniger kommt. Nur solltest du da nicht zu ehrgeizig sein. Erstmal eine Viertelstunde allein. Dann eine halbe, usw. Ich glaube, dass Ãœberforderung da auch nicht der richtige Weg ist.

Ich kenne übrigens dieses Würgen bis zum Erbrechen auch. Das habe ich aber schon lange nicht mehr. Es wird besser!!!

LG, Sanna
schwere PPD 2012, heute komplett symptomfrei
Eule86

Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Eule86 »

Nun wurde festgestellt, dass ich extremen Eisenmangel habe. Und ich dachte, dieses schlappe, diese Kreislaufprobleme, Schwindel, Müdigkeit käme alleine von Depression.
Ich habe jetzt ein großes Blutbild machen lassen. Morgen kommen die Ergebnisse. Tabletten nehme ich aber schon seitdem der Hb-Wert letzte Woche schon bestimmt wurde und so schlecht aussah. Aber ich wollte auch noch den vom Eisenspeicher wissen und ob alles andere in Ordnung ist. Irgendwie kann ich jetzt besser akzeptieren, dass ich nicht leistungsfähig bin. Allein am Eisen wird es nicht liegen, dass ist mir klar. Aber es ist ein weiterer Baustein in meinem Krankheitspuzzle...und das tut gut.
Graureiherin
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Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Du,

ich habe damals in der akuten Zeit ein sogenanntes Positivtagebuch geführt. Das bedeutet, dass man 5 Dinge aufschreibt die am Tag positiv waren. Du schreibst ja nun bereits ein Babytagebuch und dann wird es evtl. viel "tagebuchschreiben" . Aber wenn ich jetzt darin nachlese, stehen Dinge drin wie : heute konnte ich eine halbe Stunde mit meiner Tochter alleine sein. Heißt: ich stimme Marika und Sanna voll und ganz zu. Sich behutsam aber sicher der Angst stellen. Nicht vermeiden.

Ich denke Dein Eisenmangel trägt auch einiges zur jetzigen Situation bei.

die Graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
Nickolakala

Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Nickolakala »

Liebe Eule 86,

nicht nur der Eisenwert ist super wichtig.

Mindestens genauso wichtig -vor allem für die Psyche- sind der Vitamin D Wert, Omega 3 und Magnesium.

Falls Dich dieses Thema interessiert kannst Du mir gerne schreiben. Ich beschäftige mich SEHR viel damit !

LG und alles Gute
N.
Eule86

Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Eule86 »

Was ich mich frage ist, WARUM sehe ich in dem neuen Leben mit meinem Kind so eine Gefahr/Herausforderung?
Gut, alleine, dass es mir komisch vor kommt zu schreiben "mein Kind", zeigt, dass ich noch nicht darauf klar komme jetzt ein Kind zuhaben und eine Mama zu sein.
Aber warum fällt mir das so schwer?
Das ist wahrscheinlich nicht so einfach zu beantworten, weil es viele Faktoren sind.
Warum ist es euch so schwer gefallen und war so angstbehaftet?
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Marika
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Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Marika »

Hallo,

ich konnte mir diese Angst anfangs auch überhaupt nicht erklären. In der Therapie dann konnten wir es sehr gut herausarbeiten. Bei mir war es so, dass ich in meiner Kindheit wenig Selbstvertrauen und Selbständigkeit vermittelt bekommen hatte. Ich war also quasi ein "Kind" in einem erwachsenen Körper. Und dann bekam ich selber ein Kind... und war plötzlich zu 100 % für dessen Wohlergehen, ja eigentlich für das ÜBERLEBEN dieses kleinen Wesens VERANTWORLTICH! Aber wie soll man diese Verantwortung tragen, wenn nicht mal für sich selber gelernt hat, richtig im Leben zu stehen? Das alles war mir natürlich nicht bewusst, gemerkt habe ich einfach nur enorme Ängste, Panik und schreckliche Gedanken, ich könnte meinem Kind etwas antun. Ich VERTRAUTE mir selber nicht, ich TRAUTE MIR SELBER NICHTS ZU.

Der erste Schritt war gemacht, als ich in der Therapiearbeit diese Auslöser und Gründe für mich erkennen konnte. Dann kam der Teil, in dem ich an meiner Persönlichkeit arbeiten konnte, quasi das "Erwachsen werden" nachholen durfte. Ich lernte SELBSTVERTRAUEN UND SELBSTLIEBE - für mich 2 Schlüsselelemente beim Gesund werden.

So viel von meinen persönlichen Auslösern - vielleicht hilft dir das ein bisschen!
Liebe Grüße von
Marika

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Eule86

Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Eule86 »

Liebe Marika,

genau das Gefühl habe ich auch.
Ich komme mir vor als sei ich in einem kindlichen Zustand gefangen. In einem Zustand in dem ich mir selbst nicht helfen kann.
Als Kind konnte ich mir selbst nicht helfen oder zumindest nicht mit den Möglichkeiten, die ich jetzt habe. Aber irgendwie versteht das mein Gehirn nicht.
Mein Gehirn sagt mir immer wieder: Angst! Du kannst für das Kind nicht sorgen, du kannst ja nicht mal für dich sorgen!
Wie komme ich aus diesem Zustand raus?
Wahrscheinlich nur durchs machen oder?
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Marika
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Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Marika »

Durch "Machen" - ja, so in etwa kann man das sagen. Es geht also darum, Selbstvertrauen auf zu bauen. In einer guten Verhaltenstherapie kann man das Schritt für Schritt lernen.
Liebe Grüße von
Marika

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Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Eule86 »

Marika, wenn du von Selbstvertrauen sprichst, meinst du dann die Fähigkeit zu erlernen, dass man sich selbst helfen kann? Dass man selbst stark genug ist für sich zu sorgen? Oder wie würdest du dieses Vertrauen in sich selbst was einem fehlt beschreiben?
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Marika
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Re: Durchziehen oder Ausweichen?

Beitrag von Marika »

Hallo,

ja, genau so würde ich es nennen. Es geht darum, sich "etwas zu zutrauen", Entscheidungen zu treffen, auch mal etwas Neues wagen und die Verantwortung zu übernehmen. In der Therapie ist mir erst aufgefallen, dass ich das so gut wie gar nicht tat bzw. konnte und meinen Partner ein bisschen als "Eltern-Ersatz" angesehen habe. Ich konnte damals ja nicht mal mein Essen im Restaurant bestellen, dass musste immer mein Mann machen! :shock: Oder alleine in die ein Cafe gehen und etwas trinken - niemals. Wenn mein Mann abends mal weg war hatte ich Angst - wie damals als kleines Kind, wenn meine Eltern mich Abends alleine ließen.

Diese Parallele habe ich dann als erstes in der Therapie erkannt und begriffen: Ich bin zwar erwachsenen, aber noch immer im kindlichen Modus. Wie sollte ich so für ein kleines Baby Verantwortung übernehmen, wenn ich es nicht mal für mich selber konnte? Logisch dass ich da Angst hatte und diese Krankhaft wurde. So habe ich dann Schritt für Schritt gelernt in das Erwachsen sein zu kommen, in dem ich genau das tag, wovor ich Angst hatte: alleine in ein Cafe gehen, im Restaurant selber bestellen, alleine Einkaufen gehen, Abends auch alleine sein können... usw.... Du siehst - ich stellte mich ganz banalen Dingen aus dem Alltag, die für andere kein Problem sind. Und so wurde ich dann endlich erwachsen und die Ängste immer weniger, mein Selbstvertrauen dafür immer größer!
Liebe Grüße von
Marika

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