Umgang mit Erwartungsangst

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Jutschka

Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von Jutschka »

Hallo alle zusammen,

Heute schreibe ich euch zu einem Thema, dass mir schon lange unter den Nägeln brennt.

Seit knapp zwei Wochen geht es mir eigentlich, abgesehen von den Schlafstörungen, stimmungsmäßig ganz gut. Allerdings habe ich ständig Angst, dass sich meine Situation nicht weiter verbessern wird oder schlimmer noch, sich verschlechtern wird. Diese Erwartungsangst führt dann meist dazu, dass ich wirklich wieder sehr ängstlich und angespannt werde und mich mies fühle.

Vor drei Jahren hatte ich schon einmal eine Angststörung, die noch um einiges stärker ausgeprägt war, als die jetzige Angst und Depressionen. An diesem Punkt möchte ich auf keinen Fall mehr zurück! Mein Therapeut sagt, dabei handelt es sich in meinem Fall um eine Traumatisierung aufgrund der damaligen psychischen Störung. Er denkt auch, dass ich ihn nur als Rückversicherung brauche, um diese Erwartungsangst in Schach zu halten.

Vor knapp zwei Wochen habe ich einen Platz auf einer Warteliste für eine Klinik mit meiner kleinen Tochter ergattert. Seitdem geht es mir psychisch relativ gut. Das spricht ja dafür, dass es sich wieder um eine Rückversicherung handelt ...

Nun wollte ich euch einmal fragen, wie ihr mit der Angst vor einem Rückfall oder einem erneuten Tief umgeht? Vielleicht habt ihr ja ein paar Tipps für mich? Mir fehlt irgendwie noch der richtige Denkansatz.

Liebe Grüße
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Marika
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Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von Marika »

Hallo,

das kenne ich sehr gut auch von mir und ich glaube dass die meisten das nachfühlen können.

Mir hat da sehr "Ablenkung" geholfen. Ich bin sehr viel raus, habe mich mit anderen Mamas getroffen oder auf Besuch zu meinen Eltern gegangen. Natürlich hatte ich da dann auch Bedenken, ob das kein "Davon Rennen" ist, aber mein Psychiater hat gesagt - genau so soll ich es machen. An der Angst zu arbeiten ist hart genug, man darf sich auch ablenken.

Was mir noch sehr geholfen hat ist "EMDR" - eine Methode die auch zum Lösen von Traumata eingesetzt wird. Mein Psychiater war der Ansicht, dass ich auf Grund der schweren Erkrankung auch eine Art "Schock" erlitten hatte - besonders zum Zeitpunkt meiner ersten Panikattacke. Diese Situation noch ein paar andere haben wir mit EMDR gelöst. Ich muss sagen, ab da ging es merklich stark bergauf!
Liebe Grüße von
Marika

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November17
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Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von November17 »

Hallo zusammen,

die Angst vor der Angst und dem erneuten Tief, insbesondere wenn es gut lief, sind auch mir bekannt.

So wie Marika es beschreibt, ist es bei mir momentan auch. Ich bin sehr viel unterwegs oder bekomme Besuch etc. Klar kam dann auch oft die Frage, ob es nur ein weglaufen ist. Andererseits war ich auch vorher schon viel und gerne unterwegs.

Und durch das Ablenken bekam ich auch die Zweifel, ob ich zu wenig mit meinem Sohn unternehne. Doch das Protokoll zeigt mir, dass auch wenn wir unterwegs sind und andere um ihn herum sind etc, er trotzdem viel mit mir ist und in fast jede Aktion eingebunden.

In unserer Situation hinterfragt man einfach zu viel. Und was mir besonders auffällt...Ich lebe in der Zukunft gedanklich. Man beschäftigt sich ja immer mit was wenn etwas passiert und das etwas bezieht sich immer auf die Zukunft statt sich auf das hier und jetzt zu konzentrieren.
Mama3107

Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von Mama3107 »

Bei mir ist es genau so. Ich habe große Angst vor einem Rückfall. Ich hinterfrage und analysiere jedes Gefühl um zu erkennen, ob die Depression wieder bzw stärker kommt. Ein Arzt hat mur daraufhin ein pflanzliches Medikament mit lavendel verschrieben. Das soll die Angst lösen und laut Studien dieselbe Wirkung wie chemische Medikamente haben. Heute ist der erste Tag an dem ich eine Tablette genommen habe. Ich bin gespannt.
Jutschka

Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von Jutschka »

Hallo ihr lieben ,

Vielen Dank für eure Antworten!

Schon interessant, wie ähnlich sich unsere Denkweisen doch sind! Ich bin auch der Typ, der denkt, er muss sich stetig und ständig mit seiner Angst konfrontieren und daran arbeiten. Aber es ist eben auch wichtig mal etwas Gutes für sich selbst zu tun. Und wenn Ablenkung gut tut, dann ist das auch gut!

Ich habe euren Rat heute beherzigt und war ganz lange mit einer Freundin und den Kindern spazieren! Wir hatten wunderbares Wetter mit Schnee und Sonne. Wirklich sehr schön!

Und ich würde es gar nicht mal nur platt als Ablenkung bezeichnet. Schließlich soll man doch in einer Depression gute und schöne Dinge für sich tun! Also machen wir das einfach. So tanken wir unseren Glücks Speicher vielleicht wieder auf und das nächste Tief kommt vielleicht erst gar nicht.

Ich habe mir auch gut angewöhnt, am Abend mal einen Tee aus Lavendelblüten zu trinken. Keine Ahnung, ob es hilft, aber es schmeckt.

Marika, was ist sind dieses EMDR?

Habt noch einen schönen Abend!
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Marika
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Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von Marika »

Schau mal hier - ist gut beschrieben:

https://de.wikipedia.org/wiki/Eye_Movem ... processing
Liebe Grüße von
Marika

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Jutschka

Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von Jutschka »

Guten Morgen,

Vielen Dank für den Link. Klingt ja sehr interessant und vielversprechend!
November17
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Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von November17 »

Guten Morgen,

die Methode ähnelt etwas der Hypnose, kann das sein?

Oder sind hier die Augenbewegungen wirklich entscheident?

Ich muss zugeben, dass mich persönlich der Artikel etwas aus der Ruhe brachte als ich las in welchen Fällen es erfolgreich eingesetzt wird und ich durchs weiterklicken dann mehr las.
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Marika
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Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von Marika »

Also Hypnose ist schon tiefer. Bei EMDR hast du Augen offen, sie bewegen sich hin und her... Du bist dir immer absolut bewusst wo du bist, siehst auch deine Umgebung. Der "Film" des Traumas läuft innerlich ab, ich spürte zwar die Angst der Trauma Situation, war mir aber auch sehr meiner sicheren Umgebung bewusst.

@November: oh je, die Zeile mit den Straftätern, gell... Siehst du, mir ist sie nicht mal mehr aufgefallen. Ganz viele Straftäter oder Alkoholiker bekommen z.B. auch Psychospharmak, bist du oder wir deswegen dann auch so? Nein!!! Sie machen ebenfalls Psychotherapien - wir auch - sind wir dann auch so wie sie? Nein, sind wir nicht. Daher ganz klar: deine Verusicherung kommt vom Zwang! :wink:
Liebe Grüße von
Marika

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Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von November17 »

Liebe Marika,

genau diese Zeile :shock:

Und dann klickte ich natürlich auf den Begriff, da ich dieses Wort nicht als solches kannte, und kam direkt auf die andere Seite und las die verschiedenen Definitionen dazu.

Beim Lesen beobachtete ich wie sich mir der Magen drehte bzw sich der Magen zusammenzog. Dann lies es wieder nach und an gewissen Stellen das gleiche Gefühl wieder. Und heute bin ich sehr grüblerisch und hinterfrage und beobachte wieder viel.

Deswegen kam auch mein Beitrag in der anderen Diskussionsrunde zu der Sicherheit auf woher man sicher sein kann, dass es doch nur Zwänge sind.
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Marika
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Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von Marika »

Du kannst dir genau wegen diesen Gefühlen sicher sein, dass es nur ZG sind: weil sich dir der Magen umdreht, du Abscheu und Angst spürst, versuchst diese Gedanken zu verdrängen... genau DAS ist das klare Zeichen einer harmlosen Zwangsstörung. :wink:

Der Zwang hat jetzt zwar wieder etwas Nahrung bekommen, aber arbeite aktiv daran. Ließ dir diesen Thread immer wieder durch und versuch zu verinnerlichen, was wir hier schreiben.
Liebe Grüße von
Marika

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Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von Marika »

Hallo ihr Lieben,

wir merken hier eines klar: bei ZG geht es immer um fehlende Sicherheit. Eigentlich handelt es sich hier um fehlendes SELBSTVERTRAUEN! Wir vertrauen uns selber nicht. Das ist in meinen Augen ein Hauptfaktor bei den ZG. Dieses Selbstvertrauen gilt es zu stärken, in dem wir immer wieder Dinge tun, die uns etwas schwer fallen - als Übung um zu merken: hey, ich kann das ja und es passiert gar nichts Schlimmes. Das ist oft sehr schwer, aber es ist wichtig.

Dieses fehlende Selbstvertrauen kann sich dann natürlich auch in der Erziehung bemerkbar machen. Ich habe mir anfangs sehr schwer getan, konsequent zu sein. In mir kam immer die Stimme des Zwangs zum Vorschein, wenn es Konfliktsituationen mit meinem Sohn gab. Ständig flüstere der Zwang mir dann ein, dass ich eine "böse Mutter" sein... das hätte mit der Zeit tatsächlich dazu geführt, dass ich meine Mama Rolle nicht einnehmen hätte können, weil ich sämtlichen Konflikten aus dem Weg gegagen wäre. Daher ist es wirklich sehr wichtig am Selbstvertrauen und an der Selbstsicherheit zu arbeiten. Und das geht nur so, in dem ihr euch diesen schwierigen Situationen stellt - immer und immer wieder.

Wegen dem auf Video aufnehmen: ich denke es könnte einmal sicher helfen, aber man muss wohl aufpassen, dass es eben nicht zur zwanghaften Rückversicherung wird. Es würde sicher helfen, zu sehen dass wir uns selbst meist in einem ganz falschen Licht sehen.
Liebe Grüße von
Marika

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Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von November17 »

Danke dir Marika für die Worte.

Vielleicht deute ich das Körpergefühl auch noch immer falsch.
Eine Freundin meinte zu mir, dass das Lust und Angstzentrum im Gehirn quasi nebeneinander liegen und ich hier einfach was vermische, da die körperlichen Symptome auch sehr ähnlich sein können. Die vermutliche Angst beherrscht halt seit längerem meinen Körper und dominiert wohl. Ich hinterfrage halt noch immer, ob es wirklich nur die Angst ist.

Und ja; würde ich mir vertrauen können, hätte ich im Umkehrschluss wohl die Sicherheit :?
sternschnuppe_

Re: Umgang mit Erwartungsangst

Beitrag von sternschnuppe_ »

Auch von mir nochmal danke an Marika für die tollen Worte :-)

Ich denke, es ist wirklich "nur" die Angst. Es hat nix mit Lustgefühlen zu tun, selbst wenn die Gehirnareale neben
einander liegen. Angst ist ein wahnsinnig starkes Gefühl. Unsere Amygdala ist überängstlich. Zumal dieses Hirnreal die eigentlichen Gedankeninhalte gar nicht versteht.
Selbst dieses Gefühl des Drangs, was so viele kennen, ist nur die übergroße Angst vor den Gedanken.

Lg
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