Heilungsweg

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Kunsi
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Heilungsweg

Beitrag von Kunsi »

Hallo ihr Lieben,

lang habe ich hier nicht mehr geschrieben, aber regelmäßig mitgelesen. In den letzten Monaten gab es viele Tiefs, aber auch gute Tage und sogar Wochen. Nicht alle waren durchgehend toll, aber ich konnte an diesen Tagen zumindest meinen Alltag gut meistern und mich auf Dinge freuen. Ich arbeite sogar wieder. Auch weine ich in den letzten Wochen wieder viel - für mich ein gutes Zeichen, weil ich in der schweren Depressionsphase wie versteinert war und gar nichts fühlen konnte. In den Tiefs bin ich wieder sehr müde und muss mich zu allem aufraffen, der Tag fühlt sich unheimlich schwer an. Dann schaffe ich es aber meist aus eigener Kraft wieder etwas schönes für mich zu tun und nach wenigen Tagen geht es dann wieder bergauf. Aber ich kann noch nicht sagen, dass ich da bin, wo ich gern wäre. Der Normalzustand ist manchmal noch sehr weit entfernt (wenn es den überhaupt gibt) und manche Tage sind auch noch sehr dunkel. Ich nehme Duloxetin in der Höchstdosis und gehe regelmäßig zur Therapie. Jetzt stecke ich wohl seit einigen Tagen in einem mega Tief fest. Meine Familie ist immer wieder krank. Manchmal übernehme ich mich auch mit zu vielen To Dos und die Arbeit ist auch super stressig. Ich streite mich sehr viel mit meinem Mann und wir besprechen Themen aus der Zeit, in der gar nichts mehr ging und ich muss viel weinen. Er selbst ist mittlerweile auch sehr ausgebrannt, da wir nicht nur unsere kleine Tochter haben, sondern auch noch ein Haus komplett umgebaut haben im letzten Jahr. Ich mache mir große Sorgen um ihn und unsere Zukunft und jetzt liege ich selbst krank im Bett und habe so Angst, dass diese dunklen Tage wieder mehr werden und ich doch nicht auf dem Heilungsweg bin. Es fühlt sich alles so schwer an und so an, als ob es nicht zu bewältigen ist. Ich nehme die Pille durch, also liegt es auch nicht an einer bevorstehenden Periode. Bisher habe ich so viel gekämpft und habe versucht immer stark zu sein, aber gerade kann ich einfach nicht. Meint ihr, dass es nach 1,5 Jahren Depression normal ist noch in so dunkle Täler zu fallen und immer wieder Tage dabei zu haben, an denen man denkt, man schafft es doch nicht? Ich habe gerade einfach ganz schrecklich Angst. Ich habe von dir Marika gelesen, dass es bei dir 2 Jahre lang Schwankungen gab, aber ich kann mir so gar nicht vorstellen, dass es in einem halben Jahr bei mir wieder okay ist. Ich weiß, dass diese Vergleiche und der Druck es nur noch schlimmer machen, aber ich wüsste so gern, wann ich wieder glücklich sein darf.

Ich glaube ich brauche einfach ein paar aufbauende Worte um wieder Kraft zu sammeln. Diese Krankheit ist einfach schlimm und jede von uns ist eine Superheldin!


Liebe Grüße und 1000 Dank in die Runde

Kunsi

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Geburt Mai 2022, danach schwere PPD
Aktuell nehme ich Duloxetin (120 mg)
alibo79
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Re: Heilungsweg

Beitrag von alibo79 »

Hallo kunsi!
Ich möchte dir ein paar aufbauende Worte und eine dicke Umarmung schicken.
Du schreibst ja, was bei euch in den letzten Wochen alles so los war und das ist wirklich viel gewesen. Ich finde es ist völlig normal und auch okay, wenn du jetzt gerade nicht stark sein kannst. Man kann nicht immer stark sein, dass musste ich auch lernen und muss es auch jetzt noch mir immer wieder eingestehen.
Wie bei dir, ist es auch für mich super anstrengend wenn die Kinder krank sind, ich kann gar nicht sagen wieso. Ich denke es liegt daran, dass der alltägliche Rhythmus anders ist, dass die Kinder zu Hause sind und ich weniger Zeit für mich alleine habe. Und wenn ich und mein Mann dann noch krank werden, dann kippt bei mir auch schnell die Stimmung und auch meine Energie und ich Kämpfe mit Erschöpfung. Dann kann ich gar nicht gut unterscheiden ob es von der Grippe kommt oder von der depression und natürlich flüstert mir die Depression ganz schnell ein, dass es naan ihr liegt und macht alles wieder dramatisch, was eigentlich gar nicht so schlimm ist.
Schau mal, nach 1,5 Jahren bist du schon ganz schön weit gekommen. Bei mir ist es Ende des Jahres schon 3 Jahre her, dass die Episode begonnen hat. Ich bin vielleicht nicht das Standard mass aber ich bin trotzdem hoffnungsvoll für mich, für dich und für alle die noch kämpfen müssen. Nach 1,5 Jahren war bei mir eine gewisse Stabilität erreicht, die aber auch noch sehr wackelig war. Ich kam im normalen Alltag klar, musste aber immer sehr aufpassen und es gab auch immer wieder ordentliche Zacken nach unten, mal nur ein bisschen, mal mehr. Aber im Verlauf über Monate kann ich doch sagen, dass es trotzdem immer ein bisschen besser wird. Du wirst irgendwann an den Punkt kommen, wo sich dein Leben wieder normal anfühlt mit kleinen Schwankungen, die aber gut auszuhalten sind, es dauert manchmal einfach ein bisschen.
Was sagen denn deine Ärzte und Therapeuten dazu? Ich denke, gerade bei uns Patienten wo die Krankheit länger dauert, ist es vielleicht auch eine gute Chance später über längere Zeit stabil zu sein, weil wir gelernt haben immer ein bisschen mehr auf uns aufzupassen und auch die Medikamente länger einnehmen als andere Patienten. Schau dir Marika an, sie musste auch einen langen, beschwerlichen Weg gehen, aber es geht ihr heute gut und das schon über viele Jahre hinweg.

Liebe kunsi, ich bin mir sicher in ein paar Tagen ust das tief auch bei dir wieder weniger und erträglich geworden, du darfst ganz viel Hoffnung haben, auch du wirst gesund werden!
Liebe Grüße
2014 schwere PPD mit Ängsten, 6 Monate Tagesklinik
2015- 2019 mirtazapin, erst 45mg ab 2017 langsam reduziert
Zwischendurch versuch mit citalopram, nach 2 Monaten abgesetzt, da starke Verschlimmerung der Depression
Anfang 2021 erneut schwere Depression wieder 45 mg mirtazapin zusätzlich noch quetiapin 150mg
Über Jahre zusätzlich noch psychotherapeutische Behandlung
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Re: Heilungsweg

Beitrag von Marika »

Hallo!

Genau wie Alibo es schreibt, da war ja extrem viel los bei dir. Kein Wunder dass du das jetzt merkst. Es ist wirklich so individuell wie die Heilung verläuft. Ich hatte ziemlich genau 2 Jahre nach Ausbruch der PPD nochmal ein Mega Tief, das hat mich extrem runter gezogen, weil ich echt dachte, das wird nie gut. Aber es zählt der Verlauf. Wenn die Tiefs weniger werden und die Hochs länger, dann passt alles.

Es hilft sich das Bildlich aufzuzeichnen. Eine Art Diagram oder einfach jeden Tag einen farbigen Punkt in einen Kalender malen. Grün (sehr gut), gelb (mittel) und rot (schlecht)... so sieht man den Verlauf besser.

Ein Denk Ansatz zur Pille: sie kann Depressionen begünstigen. Ich will sie dir nicht schlecht reden, aber hormonelle Verhütung und eine PPD sind meist nicht optimal. Nimmst du sie schon lange?
Liebe Grüße von
Marika

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schwere PPD 2005
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Re: Heilungsweg

Beitrag von Mammsie »

Du hast ja einiges hinter dir. Natürlich kommt da viel zusammen. Es wäre verwunderlich, wenn du dich da nicht erschöpft oder nah am Wasser gebaut fühlen würdest. Das Haus, Mann, Kind, Depression...alles viel auf dem Teller. Es wird besser. Das Leben ist nicht statisch. Die Depressionen gehen wahrscheinlich auch nicht für immer weg, sondern melden sich ab und zu.
Sie können die aber nichts anhaben. Die Depression ist nicht deine Persönlichkeit, sondern mehr wie ein ungewünschtes Accessoire. Ein gebrochenes Bein macht ja auch nicht ganzen Menschen aus. Da ist noch so viel mehr, was du bist und kannst.
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Re: Heilungsweg

Beitrag von Marika »

Ich wollte noch ergänzen, dass ich seit vielen Jahren nach diesem harten Weg mit 10 mg Cipralex stabil und völlig gesund bin. Ich habe keine Symptome der Erkrankung, aber wie gesagt mit einer Dauermedikation. Von daher, ja diese "Besonderheit" kann tatsächlich bleiben, aber man kann mit der richtigen Medikamenten Einstellung völlig Beschwerde frei leben. Und nicht nur das, mir geht es seither besser als je zuvor... weil ich schon immer latent damit zu tun hatte, nur nicht richtig gemerkt weil es zu "mild" war.

Natürlich habe auch ich schlechte Tage, wie alle Menschen. Aber das ist nicht die Erkrankung, es fühlt sich total anders an. Was ich lernen musste war, mit meinen Kräften zu haushalten, meine Belastungsgrenze erkennen und danach handeln.
Liebe Grüße von
Marika

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Re: Heilungsweg

Beitrag von Kunsi »

Danke ihr Lieben! Ihr seid einfach toll. Für jede Betroffene hier macht vor allem ihr, Marika und Alibo, einen unglaublichen Job. 🙏

Ihr habt vollkommen recht, es ist eigentlich auch egal wie lange der Heilungsweg ist, hauptsache wir werden gesund. Und mein Hirn lässt zumindest diesen positiven Gedanken wieder zu, dank euch!

@Marika: Ich bin eigentlich gar kein Fan der Pille, aber meine Frauenärztin hatte mir dazu geraten diese wieder zu nehmen und auch durchzunehmen, damit ich die Periode gar nicht mehr habe und in ein Tief falle. Ich wäre dankbar, wenn ich die zusätzlichen Hormone nicht nehmen müsste. Danke für den Hinweis!
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Re: Heilungsweg

Beitrag von Marika »

Hey Kunsi!

Ja das ist so eine Sache mit der Pille. Einerseits hast du dieses Hormon Auf und Ab nicht, andererseits weiß man aber dass die Pille selber Depressionen auslösen bzw. begünstigen kann. Da ist es schwer durch zu blicken und zu beurteilen was jertzt in der persönlichen Situation mehr Nutzen hat. Mein Psychiater meinte immer, wenn möglich bei Depressionen nicht hormonell verhüten. Aber das ist nur meine Erfahrung, viellicht kannst du dem nochmal nachgehen.
Liebe Grüße von
Marika

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