Halt durch Diagnosen?

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Graureiherin
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Halt durch Diagnosen?

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Ihr Lieben,

wie ihr (vielleicht noch wisst) quäle ich mich gerade mit Aufs und Abs durch eine Rückschlag nach absetzten des Cipralex letzten September. Mittlerweile bin ich wieder auf 15 mg (seit drei Tagen) und ich schwanke noch.

Jetzt gerade sitze ich da und habe große Bedenken nachher zur Therapie zu gehen. Ich habe ja seit zwei Jahren eine Verhaltenstherapeutin die auf Zwänge spezialisiert ist. Bei den aggressiven Zwangsgedanken war sie auch super gut! Bei der letzten Sitzung vor zwei Wochen meinte sie allerdings zu mir, dass meine momentane schlechte Situation nichts mehr mit dem Zwang zu tun hätte, es wären negative Gedanken und, dass ich mich fertig machen würde wenn ich so weiter mache.
Das hat mich extrem verunsichert hat, weil sich in mir Fragen überschlagen wie: was habe ich denn dann, werde ich nun verrückt, jetzt kann ich mich nicht einmal mehr am Zwang festhalten, was soll ich denn nun machen etc. etc. etc. Von Marika habe ich gehört, dass meine derzeitige Situation durchaus mit dem Zwang zu tun hat und ich durch das Absetzen in eine neue Zwangsepisode gerutscht bin. DAS GLAUBE ICH AUCH! Aber trotzdem habe ich nun Angst vor nachher. Es fehlt mir das Vertrauen.

Meine zentrale Frage lautet glaub: Meint ihr ich soll mich gar nicht so an einer Diagnose Zwangserkrankung festhalten, sondern einfach trotzdem versuchen meine Gedanken in eine realistische, rationale Richtung zu bringen, eben alles was ich in der Therapie gelernt habe. Egal ob Zwang, Angst, Depression, Rückschlag etc. wie immer man es auch nennt?

Zudem stelle ich mir die Frage, ob es sinnvoll wäre mit einer Therapie weiterzumachen. Da es mir die letzen 1,5 Jahre gut ging, meinten alle Beteiligten das sei nicht nötig, zumal ich schon in jungen Jahren viel Therapie gemacht habe. Jetzt steht wieder die Frage im Raum, ob evtl. Traumaarbeit angesagt wäre. Kennt jemand von euch EMDR? und wenn ja, was habt ihr damit für Erfahrungen!

Ich bin echt gespannt auf meine Therapiestunde:( Ich berichte wie es war und danke für evtl. Antworten.

mit lieben Grüßen
die Graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
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Marika
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Re: Halt durch Diagnosen?

Beitrag von Marika »

Hey du,

ich denke, dass eine Diagnose zweitrangig ist, denn oft vermischen sich Symptome von verschiedenen Kategorien auch. Ich z.B. habe zwar eindeutig ZG, aber teilweise auch soziophobische Anteile gehabt oder auch klassische hypochondrische Gedanken. Also ein schöner "Mischmasch".

Mein Therapeut hat mir das auch immer so vermittelt: Wie das "Kind" nun heißt, ist eigentlich egal, wichtig ist das man die einzelnen Anteile erkennt und an ihnen arbeitet. Deine Neurologin sieht es anders, als deine Therapeutin wie du erzählt hast - und genau so habe ich es auch erlebt. Am Ende der Spirale standen die ZG.

DU kennst dich selber am besten, du weißt wie sich ZG anfühlen. Wenn deine Thera meint sie kann nichts mehr tun, dann ist das bedauerlich, aber sicher nicht dein Fehler. Dann findest du eben einen neuen Therapeuten.

Bitte schreib uns, wie es gelaufen ist!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Sanna
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Re: Halt durch Diagnosen?

Beitrag von Sanna »

Hey!

Es ist doch egal, welche Diagnose...Hauptsache du findest einen Weg damit umzugehen.

Ich möchte dir etwas zur EMDR Therapie sagen. Ich mache zur Zeit diese Sitzungen, da ich von der Erkrankung an sich traumatisiert bin. Mir helfen diese Sitzungen sehr gut. Es ist anstrengend, aber lohnt sich.

LG, Sanna
schwere PPD 2012, heute komplett symptomfrei
Graureiherin
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Re: Halt durch Diagnosen?

Beitrag von Graureiherin »

Hallo Ihr Lieben miteinander,

ich war nun heute Nachmittag bei meiner Therapeutin.

Sie sagte: ich habe zwanghafte Anteile und genauso neg./depressive Anteile. Sie meint, dass im Moment die negativen/depressiven Anteile überwiegen. Das Vorgehen ist allerdings ähnlich wie bei den klassischen Zwangsgedanken. Identifizieren, (so schnell wie möglich) alternative Gedanken entwickeln, ziehen lassen, mich auf die Realität im Hier und Jetzt konzentrieren.

Weiter sagt sie, dass ich die ganze Negativität "sozusagen mit der Muttermilch eingeflöst bekommen habe", deshalb versucht mein Gehirn diese schlechte Athmosphäre immer wieder herzustellen...Familie war für mich immer etwas absolut Negatives, deswegen kann ich jetzt immer noch nicht darauf vertrauen, dass es bei mir anders sein könnte/darf. Ich kann das "Glück" nicht genießen... bzw. es kann gar nicht sein, dass ich glücklich sein darf... dass es mir gut gehen darf.

Hinzu kommt, dass mir meine Eltern immer prophezeit haben, dass ich einmal in die Psychiatrie kommen werde (da sämtliche meiner Verwandten in der Psychiatrie waren-alle kriegstraumatisiert, was selbstverständlich niemand so wahrhaben konnte/wollte). Daher meine Angst verrückt zu werden, in die Psychiatrie eingewiesen zu werden. Davon soll ich dringend versuchen mich loszumachen... Einer der Kernsätze war für mich "Ihre Geschichte war immer negativ, sie hatten es sicherlich schwerer als manche andere, weil Liebe, Zutrauen, Fürsorge etc. gefehlt haben... aber der Begriff Geschichte heißt auch Vergangenheit. Es ist nun an der Zeit eine neue Geschichte zu schreiben"...

ich muss meine Therapeutin also ein Stück weit rehabilitieren. Auch wenn sie nach wie vor sagt, dass sie nicht glaubt, dass sich so eine neue Episode des Zwangs angekündigt hätte. Nun, ich denke da darf ich anderer Meinung sein. Marika hat schon recht, ich kenne mich am besten und weiß wie sich Zwang und zwanghaft anfühlt.

Insgesamt bin ich jetzt ruhiger und kann das riesige schwarze Loch das sich vor mir aufgetan hat aus etwas mehr Entfernung betrachten. Ich bleib vorerst bei 15mg Cipralex, Bachblüten habe ich mir auch besorgt und ich werde vermutlich in Unmengen alternative Gedanken aufschreiben...

Danke an Marika und Sanna, dass ihr euch die Mühe gemacht habt zu antworten.

Sanna ich glaube auch, dass eine Diagnose traumatisierend sein kann. Ich werde mich über EMDR schlau machen.

mit liebem Gruß an euch und ich werde weiterkämpfen, irgendwie geht es doch immer weiter!!!

Pe die Graureiherin
postpartale Zwangserkrankung 10/2012
Cipralex bis 2014
Rückschlag 2015, wieder Escitalopram bis 15mg
langsame Reduzierung auf 5 mg Escitalopram seit Juli 2017
Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
lotte

Re: Halt durch Diagnosen?

Beitrag von lotte »

Hey Du,

da ist was wahres dran, gerade an der Aussage mit den Anteilen. Du bestehst ja aus vielen verschiedenen Aspekten, so hat mir mein Thera das auch immer erklärt: neben der Angst gibt es auch starke Anteile. Deshalb ist eine Diagnose zwar nicht verkehrt, aber sie trifft eben nicht alles.

Ich habe ähnlich wie Du auch die Angst in der Familie aufgesaugt. Die hypochondrischen von meiner Mutter. Deshalb dachte ich auch sehr lange bei den kleinsten Anzeichen, ich hätte etwas sehr schlimmes. Nun, diese Angst geht nie komplett weg, aber ich kann gut mir leben, weil ich sie zugeordnet habe. Das ich sowieso ganz entscheidend: den Dingen ihren Platz geben. Vieles hat heute keine Berechtigung mehr, weil wir ja schon erwachsen sind, aber oft noch in den kindlichen Mustern feststecken. Das gilt es aufzubrechen. Und das geht auch ;)

Also, räume die Vergangenheit auf, trauere auch ein Stück weit, dass sie so war und schau nach vorne!

LGL
Graureiherin
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Re: Halt durch Diagnosen?

Beitrag von Graureiherin »

Danke liebe Lotte,

für Deine aufmunternden Worte. Ich habe von Dir schon öfters gelesen und immer gedacht OK man kann es schaffen. Ich werde es also auch wieder schaffen, ich habe schon so vieles geschafft.

Trotzdem, ihr wisst Aufmunterung, Motivation und Bestätigung kann man immer gut gebrauchen!!!

Ich finde sowieso auch diejenigen unter uns ganz wichtig die wieder "gesund" sind bzw.diejenigen die gelernt haben mit Krisen umzugehen.

mit lieben Grüßen

eure Graureiherin
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Cipralex bis 2014
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Verhaltenstherapie beendet seit September 2017
lotte

Re: Halt durch Diagnosen?

Beitrag von lotte »

Huhu nochmal,

Dein Schlusssatz ist ein ganz wichtiger: es geht nicht darum, nie mehr Krisen, fiese Momente, Ernüchterung, Trauer oder Zorn zu verspüren, sondern diese Situationen/Gefühle durchaus zu erleben, wie das "gesunde" auch machen. Nur mit dem Unterschied, dass es dann nicht gleich daran festgemacht wird, dass das AD oder die Therapie versagt, man nie mehr gesund wird, einen fiesen Rückschlag hat. Wohlgemerkt, ich sage nicht, dass all diese Dinge nicht passieren können, aber wer mit den Ursachen seiner Krankheit vertraut ist, und damit auch seinen eigenen Schwächen, der hat es leichter ;)

LGL
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