Psychoanalyse

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sol

Psychoanalyse

Beitrag von sol »

Hallo!
Wer von euch hat eine Psychoanalyse gemacht? Wie sah sie aus, lagt ihr dabei? Wie funktioniert es, dass allein über das Reden emotionale Lücken geschlossen werden können? Meine alte Traumatherapeutin meint immer noch, dass ich eine Analyse machen soll, ich stehe dem jedoch sehr skeptisch gegenüber. Ich weiss ja, was alles in meiner Vergangenheit schief gelaufen ist, aber wie schliesse ich durch eine Analyse das emotionale Fehlen von bestimmten Gefühlen wie Mutterliebe etc...?
Würde mich über eine Antwort sehr freuen.
LG
mici

Beitrag von mici »

Hallo Sol,

den folgenden Beitrag hab ich mal an eine andere Userin per PN geschickt, vielleicht kannst Du auch etwas für Dich rausziehen:

Also bei mir ging es mit einer ganz normalen Psychotherapie los. Einmal die Woche und der Psychotherapeut und ich saßen uns gegenüber. Das war eine ganz normale Gesprächstherapie, der Arzt hat genau zugehört und wir sind richtig ins Gespräch gekommen, haben Probleme gewälzt und er hat mir geholfen, bestimmte Problemfelder von unterschiedlichen Seiten zu betrachten. Aber irgendwann hat er dann gemeint, es sei nicht intensiv genug, die Zeit zwischen den Sitzungen sei zu lang, der Faden zu ihm würde abreißen etc. Deshalb hat er mich von da an 3 bis 4x in der Woche zu sich kommen lassen. Es ging dann im Liegen weiter, ich lag, er saß an meinem Kopfende und konnte mich folglich sehen. Ich konnte ihn nicht sehen. So muss es aber nicht sein, es geht bei so einer tiefenpsychol. / analyt. Therapie vielleicht auch, wenn man sich gegenüber sitzt. Aber ich fands so auch sehr angenehm, ich konnte mich besser konzentrieren und war nicht mehr so damit beschäftig, wie ich aussehe, wie ich auf ihn wirke und so. Naja, jedenfalls hat der Analytiker eigentlich von da an nicht mehr so viel gesagt, wie vorher in der Gesprächstherapie. Im Gegenteil, wir haben auch sehr viel geschwiegen, manchmal habe ich die ganzen 45 Min nichts gesagt. Aber das gehörte irgendwie auch dazu. Es war kein unangenehmes Schweigen. Manchmal hat er gefragt: Wo sind Sie gerade in Gedanken, dann habe ich ein paar Brocken eingeworfen. Das ich unlustig sei, am Nachmittag an die Uni zu müssen, oder dass ich unlustig sei, mit Freundin am WE einen Ausflug zu unternehmen. Er hat das dann interpretiert. Einmal, z.B. hat er gefragt: Wie fühlen sich gerade? Da konnte ich nur auf so einen Ficus Benjamini zeigen, das ist so eine Grünpflanze, die stand bei ihm in der Ecke und ich hab gesagt, so wie dieser verdörrte Zweig dort! Das hat dann Gesprächsstoff für die nächsten Sitzungen geliefert. Warum ich mich mit Anfang 20 wie ein verdörrter Zeig fühle, warum ich mich als Frau höchsten als soziologisches Wesen (zur Erhaltung der Art) aber nicht als begehrenswertes Geschöpf fühle, dass ich immer mehr Gewicht verliere, damit ich nicht mehr bin etc. Diese ganzen Gedanken kamen auf, nachdem ich auf diesen verdörrten Zweig gedeutet habe. Letztendlich ist bei so einer Art Therapie alles wichtig, was man sagt oder auch verschweigt. Der Analytiker weist immer auf den Patienten zurück und geht davon aus, man habe seine Gründe für sein Verhalten. Einmal, da habe ich mich darüber beschwert, dass ich bei jemandem auf die Hochzeit eingeladen worden bin, der mit Anfang 30 schon zum zweiten Mal geschieden war. Ich habe gesagt, ich würde am liebsten statt am Tisch unterm Tisch sitzen, weil der Bräutigam eigentlich gar nicht verdient hat, dass man ihn gebührend feiert. Da hat er gemeint, ich verhalte mich wie ein kratzbürstiges Kind. Er hat nicht gesagt, er fände es richtig oder nachvollziehbar, dass ich mich so aufrege oder ich solle dann lieber gleich zu Hause bleiben, wenn der Bräutigam eigentlich so doof ist. Er hat einfach dem, was ich zu sagen hatte, etwas angehängt. Das war für mich neu. Denn auch, wenn er vielleicht auch gemeint hat, ich solle vielleicht lieber zu Hause bleiben, wenn mich der Bräutigam so aufregt, gesagt hat er, ich verhalte mich wie ein kratzbürstiges Kind und das macht genau den Unterschied zur Psychotherapie. Der Analytiker spiegelt das eigene Verhalten und der Patient muss die meiste Arbeit alleine machen und aus der Spiegelung Rückschlüsse ziehen. Am Anfang war für mich z.B. ein Problem, ob ich, da ich mich ja legen sollte, die Schuhe ausziehe oder anlasse. Einerseits hätte ich es unhöflich gefunden, mich mit Schuhen auf die Couch zu legen, andererseits mochte ich ihm meine Schuhe nicht zumuten. Die waren in einem desolaten Zustand, das ganze Innenleben war total zerfleddert. Ich hätte mich wahnsinnig gefreut, wenn er mir gesagt hätte, ich solle die Schuhe doch einfach vorne an der Tür abstellen, da sähe er sie nicht und ich wäre die Peinlichkeit los, dass er die ganze Sitzung über von oben in das zerfetzte Innenleben meiner alten Schuhe gucken muss. Aber er hat das Problem nicht für mich gelöst, er hat mir nur alle Optionen angeboten. Deswegen habe ich eine ganz neue Art von Selbstständigkeit erreicht, die ich mir vorher gar nicht zugetraut hätte. Aber es war langwierig. Bei der Sache mit den Schuhen hat für ihn eine große Rolle gespielt, wie sehr ER mich beschäftigt. Ich konnte mich nicht einfach legen, erleichtert darüber, wieder da zu sein und ins Gespräch zu kommen, Schuhe an oder aus. Sondern es stand immer etwas dazwischen, nämlich das Denken an den anderen. Ich habe früher immer viel versucht, herauszufinden, wie andere Menschen zu mir stehen, was andere Menschen über mich denken usw. Meine Mutter hat mir zu diesem Verhalten auch viel Anlass gegeben. Die hat oft geheult, als ich noch ein Kind war und wenn ich gefragt habe, was hast Du denn, dann hast sie gesagt: nichts. Das hat dazu geführt, dass ich aus dem Blick verloren habe, was ich von mir selber halte, wie ich mich fühle usw. weil ich immer am Interpretieren war, wie es sein kann, dass jemand angeblich nichts hat und trotzdem heult. Ich habe viel über mich in Erfahrung gebracht, aber es war ein langer, steiniger Weg, der nicht direkt zum Ziel führt. Es dauert, wie gesagt, ich war 3,5 Jahre da und das 3-4x in der Woche. Ich kann es empfehlen, wenn Du ein Typ bist, der abstrakt denken kann und mag, der keine einfachen Lösungen will, der Lust hat, sich auf eine Reise zu sich selbst zu begeben und wenn Du gerade nicht in der absoluten Krise steckst, so von wegen nicht mehr aus dem Bett kommen, nur noch Zwangsgedanken, Ängste durch und durch. Wenn Du ein bisschen Licht am Ende des Tunnels siehst, wenn Du viell durch Medis einigermaßen stabil bist, dann ist das was für Dich.

Ich hoffe, ich konnte Dir einen ersten Einblick liefern, frag ruhig, falls Du noch mehr wissen willst.

LG, MICI
sol

Beitrag von sol »

Danke dir für den ausführlichen Bericht.
Ich habe für mich erstmal beschlossen, dass ich keine Psychoanalyse mache. Ich fange nächste Woche mit einer Körpertherapiegruppe an und im Augenblick merke ich einfach, dass ich durch das Reden nicht mehr weiterkomme. Obwohl ich mich gerne analysiere und ja auch schon mal 80 Stunden bei einer Psychoanalytikerin war, möchte ich jetzt andere Erfahrungen machen. Ab Dezember kann ich evtl auch wieder bei einer Traumatherapeutin Stunden bekommen- sie macht auch energetisches Klopfen und andere Sachen... Bis dahin zahle ich meine Therapie selbst (Zuschuss bei einer Beratungsstelle und arbeite viel mit dem inneren Anteilen/inneren Kind)
Lg
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