Gefühle dem Kind gegenüber

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Amelie

Gefühle dem Kind gegenüber

Beitrag von Amelie »

Hallo,

ich wollte mal fragen, wie sich eure Depression in Bezug auf die Gefühle zu euren Kindern entwickelt hat. Ich war anfangs so glücklich und fand meine Tochter so bezaubernd, aber mit zunehmender Depression wurden die Gefühle schwächer und ich wurde immer unsicherer im Umgang mit ihr.
Da sie ein Schreikind war, dachte ich, dass ich deswegen unglücklich und gestresst sei und merkte nicht, dass es an der Depression lag.

Wie war das bei euch? Waren eure Gefühle auch irgenwann nicht mehr so stark? Hat sich eine Art Gleichgültigkeit bei euch eingestellt oder eher eine Gereiztheit?
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Marika
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Re: Gefühle dem Kind gegenüber

Beitrag von Marika »

Hallo Amelie,

zuerst mal möchte ich sagen, dass ein Schreibaby eine extreme Belastung und Stressverursacher für die Psyche ist. Das klingt vielleicht jetzt mal etwas herzlos, aber das ist einfach Fakt. Ich möchte damit sagen, dass dieser Umstand deine PPD sicher begünstigt wurde. Ich kenne einige Frauen mit Schreibabys - auch wenn sie keine PPD entwickelt haben - sie waren am Rande des Wahnsinns wenn ich das mal so krass sagen darf und zeigten bis zu dem Zeitpunkt wo sie Hilfe annehmen konnten und bekamen, klare depressive Symptome. Sie fanden ihre Babys zu dem Zeitpunkt alles andere als bezaubernd. Wie solle man das auch - das Schreien (besonders das permanente Schreien) des eigenen Kindes ist der größte Stressauslöser der in Studien je beim Menschen gemessen wurde.

So gesehen denke ich, dass beide Aspekte - Schreien und Depression - zusammen hängen. Und beides überlagert all die positiven Gefühle wie Liebe, Zuneigung usw.... Wenn ich an die Mamas mit Schreibabys denke, dann waren sie gestresst, gereizt, weinerlich, ausgelaugt und waren froh, wenn ihnen jemand das Kind abnahm. Beim Austausch mit ihnen kamen oft Sätze wie "ich kann und will nicht mehr", oder "ich möchte sie/ihn einfach nur abgeben".

Ich hatte zwar kein Schreibaby, aber als die Depression bei mir ausbrach, wurden die positiven Gefühle von Angst und Unsicherheit komplett überlagert und haben alles dominiert. Und das kennen alle Frauen hier - egal ob es nun die PPD ist oder der wenn man ein Schreibaby hat - oder beides.

Die positiven Gefühle für dein Kind sind da - immer noch, sie werden nur überlagert von der schweren Situation.
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Amelie

Re: Gefühle dem Kind gegenüber

Beitrag von Amelie »

Liebe Marika,

vielen Dank für deine liebe Antwort und die guten Erklärungen. Ja, es war sehr anstrengend. Neben dem Schreien wirkte meine Tochter auch häufig gestresst und war motorisch sehr unruhig. Auch wenn sie nicht schrie war ich in der Zeit sehr angespannt wegen der Unberechenbarkeit und der Angst sie nicht beruhigen zu können.
Jen
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Re: Gefühle dem Kind gegenüber

Beitrag von Jen »

Hallo Amelie,

also bei mir war es im Krankenhaus so, dass ich vor Glück geweint habe, ich war so stolz. Ich war eine richtige Mama und da dieser kleinen Wurm. Dann hatte ich nach 4 Tagen ohne Schlaf, Aussetzer im Kopf - Blitze. Ixh konnte nicht mehr schlafen, war wie getrieben. Konnte nicht mehr liegen, hatte aber auch keine Kraft zu laufen. Für mich ein furchtbares Gefühl. Ich hatte die Kontrolle über mich komplett verloren.
Ich hatte nur noch Angst, obwohl eigentlich war da gar kein Gefühl mehr. Es war so komisch, ich kann es gar nicht beschreiben. Es war für mich die Hölle.
Plötzlich wollte ich dieses Kind nicht mehr. Ich wollte mein altes Leben zurück. Diese Verantwortung nicht.
Hab sogar nach einer Adoption gegoogelt.
Mein Sohn hat mir so unfassbare Angst gemacht, ich hatte überhaupt kein ‚positives‘ Gefühl.
Ich wollte einfach nur weg. Weg von diesem Gefühl, diesem Leben, diesem Kind. Dieser Angst, dieser Panik, diesem unglücklich sein.

Mir ging es wie dir, obwohl ich kein Schreibaby habe. Unberechenbar. Das bringt mich noch immer zum erstarren.
12/20 1. Geburt PTBS / Ängste
Aktuell bei 10 mg Escitalopram
Amelie

Re: Gefühle dem Kind gegenüber

Beitrag von Amelie »

Hallo Jen,

vielen Dank für deinen Bericht. Mir ging es in vielen Punkten sehr ähnlich. Ganz komisch war, dass ich meine Tochter auch irgenwann nicht mehr so süß fand, obwohl sie doch ein absolutes Wunschkind war und ich sie, bevor die PPD stark war, so entzückend fand. Wenn ich die Fotos anschaue, kann ich das einfach nicht verstehen. Ich finde sie so süß und fühl mich ganz schlecht und schrecklich. Was war nur mit mir los?
lmcstern89

Re: Gefühle dem Kind gegenüber

Beitrag von lmcstern89 »

Hallo,

Meine erste Tochter war ein Wunschkind, eine traumatische Geburt und Wochenbettstation plus familiäre Probleme und ein Schreikind haben meine Gefühle gegenüber meiner Tochter sehr getrübt. Der Umgang mit ihr fällt mir schwer, es ist teilweise ein Fremdkörpergefühl, ich brauche viel Kontrolle. Will aber, dass es ihr gut geht, es ihr an nichts mangelt, setzte mich auch für sie ein. Aber Zeit zusammen... ist sehr schwer... bis heute.

Meine zweite Tochter fühlt sich so schön an und das, obwohl die Schwangerschaft sehr tränenreich war und sie nicht gewünscht war. Kaum zuhause überrollen mich Selbstvorwürfe und Traurigkeit. Auch Scham gegenüber der Großen. Ich kann sie nun kaum noch ansehen, die Kleine kaum in den Arm nehmen. Es fühlt sich so falsch an.
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