Meine Geschichte in die Depri und hoffentlich wieder raus

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Lion

Meine Geschichte in die Depri und hoffentlich wieder raus

Beitrag von Lion »

Ich fange ganz vorne an.

Ich bin 27 Jahre alt und mit meinem Freund seit 1,5 Jahren zusammen. Ziemlich kurz, aber wir kennen uns schon länger.

Wir wünschten uns beide Kinder, so beschlossen wir, nach nur einem halben Jahr Beziehung, die Verhütung abzusetzen. Nach drei Übungszyklen war ich auch schon schwanger. Da fingen die Probleme eigentlich schon an, wenn ich jetzt ehrlich bin.

Schwangerschaft:

Ich habe in der 6. SSW erfahren, dass ich schwanger bin und es sofort meiner Vorgesetzten gesagt. Ich hatte einen sehr stressigen Job und habe mir Rücksichtnahme, vor allem bei der Schichteinteilung erhofft, so dass es mir möglich wäre, am Geburtsvorbereitungskurs teilzunehmen. Meine Vorgesetzte hat leider nicht dicht gehalten und so war es innerhalb eines Tages durch die ganze Firma rund, dass ich schwanger bin. Dies wurde nicht mit Begeisterung aufgenommen, sondern mir wurde von manchen Kollegen sogar gedroht.

Dass ich wenige Tage später eine Erkältung mit Fieber hatte und mich krankschreiben lassen musste, hat die Situation nicht einfacher gemacht. Es kamen täglich „Kontrollanrufe“, ob ich wirklich krank und auch zu Hause bin.

Die Situation ist eskaliert, als ich dann wieder einen einzigen Tag arbeiten ging und abends mit Blutungen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Danach durfte ich dann nur liegen und nach nochmals Blutungen gab es das Beschäftigungsverbot. So war ich seit ich von meiner Schwangerschaft erfahren habe bis zum Beschäftigungsverbot ganze 4 Tage arbeiten.

Für mich war das ganz schlimm, ich war diejenige, die immer gesagt hat, man ist schwanger, nicht krank. Außerdem ging ich gern arbeiten und habe mich mit fast allen Kollegen/innen gut verstanden. Das zu Hause rumliegen fand ich schrecklich!!! Ich brauchte Monate, um damit klarzukommen, musste da auch schon kurzzeitig therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen um mit den Schuldgefühlen gegenüber meinen Kollegen/innen klarzukommen.

Das Ende der Schwangerschaft konnte ich dann aber so richtig genießen, ab dem 8. Monat ging es mir blendend. Ich fand mich sexy, hübsch, fühlte mich wohl, fand meinen Bauch toll. Nur vor der Geburt hatte ich Angst.

Geburt:

In der 39. SSW bekam ich in der Nacht Wehen, wir sind dann morgens ins Krankenhaus gefahren. Als die Wehen einsetzen, war meine Angst, die ich vorher hatte, spurlos verschwunden. Die Wehen fühlten sich gut und richtig an.

Die Geburt war schnell vorbei, ohne Komplikationen und die Wehen fand ich nicht so schmerzhaft, wie ich mir das vorgestellt hatte, ich brauchte nicht mal ein Schmerzmittel.

Dann lag meine kleine Tochter auf meinem Bauch. Ein komisches Gefühl zuerst. Wie sie mich anschaute, ganz aufmerksam mit ihren großen blauen Augen. Mein Glück war vollkommen.

Krankenhausaufenthalt:
Da fing es schon an. Unsere Tochter hatte viel Fruchtwasser geschluckt und übergab sich permanent. Ich war mir sicher, dass sie sterben wird, wenn ich nicht die ganze Nacht Wache halte und ihr helfe. Um 4 Uhr morgens hab ich dann mein Freund geweckt und er hat sich um sie gekümmert.

Für mich hieß das ganze 1,5 Stunden Schlaf, denn morgens um halb sechs ging der Klinikbetrieb los. Den ganzen Tag bekam ich kein einziges Auge mehr zu. So, am nächsten Abend ging dann das Geschrei von meiner Tochter los, ca. um 17:00 Uhr, das hat sie dann bis morgens um 7 pausenlos durchgehalten. Wieder kein Schlaf.

Dazu kam noch die extreme Hitze, es waren draußen weit über 30 Grad und das Zimmer hat sich extrem aufgeheizt. Ich bekam starke Kreislaufprobleme und fühlte mich so unwohl im Krankenhaus, wollte nur noch nach Hause. Ist mir total auf den Magen geschlagen, ich bekam kaum was runter. Für mich war die Zeit im Krankenhaus total schrecklich, ich hab mich selten so unwohl gefühlt, obwohl es überhaupt keinen Grund gab. Nach fünf Tagen wurde ich mit Milchstau endlich entlassen.

Erste Zeit zu Hause (zu dritt):

Mein Freund musste in den ersten Wochen nach der Geburt nicht arbeiten gehen, zum Glück. Zu Hause konnte ich mich wunderbar erholen, ich war so unglaublich glücklich und fasziniert von unserem Baby. Milchstau war mit Hilfe meiner Hebamme ruckzuck im Griff und mit dem Stillen klappte es von da an auch super. Alles war total entspannt und ich war unglaublich glücklich.

Dann kamen noch fast täglich Geschenke und lieber Besuch, über den ich mich unglaublich gefreut habe. Ich habe mich sogar mit einer Person, mit der ich zeitlebens immer etwas Streit hatte ausgesöhnt, es war einfach alles super und richtig.

Unsere Tochter ist auch (auch jetzt noch), ein sehr zufriedenes und pflegeleichtes Baby, schreit kaum, schlief mit 6 Wochen schon durch, alles super!

Erste Zeit nur noch zu zweit, mein Freund geht wieder arbeiten, die Probleme fangen an:
Bei mir kam die Depression schleichend. Mir persönlich ist es zuerst gar nicht aufgefallen, erst jetzt, wenn ich so drüber nachdenke und mit meinem Freund spreche.

Zuerst bekam ich das Gefühl, dass mein Partner nicht richtig mit unserem Baby umgehen kann, sogar ihr Leben gefährdet so wie er sie auf dem Arm hält. Daraus entwickelte sich das Gefühl, ich kann sie ihm nicht anvertrauen, ich muss alles selbst machen. Bei mir löste das schlechte Laune aus, ich hatte auch das Gefühl, dass mein Partner nichts kann, das er nichts richtig macht und für nichts zu gebrauchen ist. Und das ließ ich ihn deutlich spüren.

Natürlich hat er es nicht verstanden, wieso ich nur noch in fiesem zickigen Ton mit ihm rede oder sarkastische Bemerkungen fallen lasse. Er hat auch die Ablehnung gespürt. In ihm entstand der Gedanke, dass ich ihn nicht mehr liebe. Ich muss auch sagen, Liebe empfand ich in dem Moment nicht für ihn. Er ging mir einfach furchtbar auf die Nerven, obwohl oder gerade, weil er versucht hat, mir zu helfen wo er nur konnte.

Zur gleichen Zeit begannen auch Bilder in meinem Kopf aufzutauchen, bei jeder Kleinigkeit. Auslöser war ne kleine Unachtsamkeit, es lag eine Zeitschrift auf der Sofa-Lehne, die mir dann aus Versehen auf unsere Tochter gefallen ist. War überhaupt nicht schlimm, die Zeitschrift hat nur kurz ihr Bein berührt, sie hat das Bein angezogen und noch nicht mal geweint.

Trotzdem kamen ab diesem Ereignis richtig grausame Bilder in meinem Kopf hoch, immer mein totes Baby mit zerstörtem Kopf oder Gesicht, blutüberströmt. Bei jeder Kleinigkeit, beispielsweise, ich trage sie vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer und stelle mir vor, dass ich stolpere, auf sie drauffalle, sie tot und zerquetscht ist. Solche Bilder kommen permanent. Es ist schrecklich. Ich traue mich fast nicht mehr, mein eigenes Kind anzufassen. Auch, dass irgendwelche Sachen auf mein Baby fallen und ihm den Kopf einschlagen könnten.

Oder der plötzliche Kindstod. Ich gucke nachts mehrmals, ob sie noch lebt. Sie schläft neuerdings fast durch, normal ein Grund zur Freude. Ich kann trotzdem nicht schlafen, sondern muss immer gucken.

Vor ca. einer Woche ist die Situation hier total eskaliert. Mein Freund, der mich nach seinen eigenen Worten nicht mehr wiedererkannte, hatte die Schnauze voll von meiner Zickigkeit, für die es keinen Grund gab. Wir haben uns heftig gestritten. Ich bin danach regelrecht zusammengebrochen und habe nur noch geheult. So ging das dann die nächsten drei Tage weiter, heulen und streiten. In denen Tagen kamen noch schlimmere Gedanken, eher Gedankenblitze, wie ich mein eigenes Kind töte. Sofort danach ein schlechtes Gewissen. Wenn sie mich anlacht, weine ich, denn ich denke, sie hat was besseres verdient als mich.

Ich bitte meinen Freund um Hilfe, aber er verstand mich nicht. Er war stinksauer auf mich. In meiner Verzweiflung bin ich dann total verheult zum Hausarzt, der sagte Wochenbettdepression. Helfen konnte er mir nicht, hat mich an den Frauenarzt verwiesen, der konnte mir auch nicht helfen. In meiner Verzweiflung und Einsamkeit (mein Freund kam nicht nach Hause, so sauer war er) rief ich abends die Hebamme an, die sehr lange mit mir geredet hat. Ich habe ihr alles erzählt. Auf alles hat sie mit: „Das ist normal.“ geantwortet. Mir hat das sehr geholfen, dass sie meine Gedanken normal fand. Auch das Verhalten meines Freundes hält sie für völlig normal, ich solle mir keine Gedanken machen, der würde wieder kommen. Er könnte mich nicht verstehen.

Sie hatte recht. Seit gestern ist er wieder da. Mir geht es allein dadurch schon besser. Ich weiß nicht, ob er mit jemand geredet hat, es ist mir auch egal, er versteht mich jetzt zum Teil und ist auf jeden Fall eine riesige Stütze. Natürlich bin ich immer noch traurig, ich habe Angst vor nächster Woche, denn er geht ja arbeiten, ich bin tagsüber wieder allein. Vor dem Alleinsein habe ich sehr viel Angst.

Morgen habe ich einen Termin mit einer Frau von Schatten und Licht, ich hoffe, dass sie mir weiterhelfen kann. Die letzten Tage waren die schlimmsten und grausamsten in meinem Leben. So was wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht.
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Marika
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Beitrag von Marika »

Ein liebes Hallo an dieser Stelle!

Vielen Dank für deine Offenheit - wir hier wissen genau, was du jetzt durch machst! Besonders ich weiß, wie schrecklich solche Gedanken - so genannte "Zwangsgedanken" sind. Ich hatte sie nämlich auch und es war damals die Hölle auf Erden. Es hat auch schleichend angefangen wie bei dir, ist dann in "Angst um das Baby" übergangen, dann in diese schrecklichen Gedanken, der Kleine könnte sich verletzen und dann der Supergau: Ich hatte die Zwangsgedanken, ich würde ihm etwas antun. Dieser Leidensdruck, dem man da ausgesetzt ist, kann man nicht in Worte fassen, denn diese Gedanken sind ja genau das, was wir NIE TUN WÜRDEN ODER WOLLTEN, doch trotzdem drängen sich einem diese ungebetenen Gedankenblitze auf.

Die gute Nachricht ist aber, dass man diese Zwangsgedanken auch wieder besiegen kann - ich habe das geschafft. Es gibt Hilfe in verschiedener Form, mir hat geholfen:

- Verhaltenstherapie
- ein Antidepressiva
- das Buch "Der Kobold im Kopf - die Zähmung der Zwangsgdanken"
- Bachblüten
- allgemeine Fachliteratur über PPD und Zwangsgdanken im speziellen

Bei mir ist das ganze nun 6 Jaher her - mein Sohn kommt in 2 Wochen schon in die Schule. Mein Leben ist heute so wunderschön, ich bin völlig gesund und auch die seelischen Narben der PPD sind gut verheilt. Die Erkrankung war das schrecklichste, was ich in meinem bisherigen Leben durch gemacht habe, aber sie hatte auch ihr Positives: Ich habe an mir gearbeitet und so viele Sachen aufgearbeitet, die in mir schlummerten und mit zum Ausbruch der PPD beigetragen haben.

Wie wirst du weiter vorgehen, nach dem Treffen mit der Frau? Hier haben wir nämlich auch noch eine Liste mit Fachleuten die Therapie und/oder Medikament anbieten:

http://www.schatten-und-licht.de/joomla ... 82&lang=de

Auch ich bin gerne da, wenn du noch mehr Fragen hast - gerne auch über PN, wenn dir das lieber ist.

Schön, dass du da bist!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Lion

Beitrag von Lion »

Hallo Marika,

danke für deine Antwort.

Die Offenheit hat mir gut getan, egal ob hier, als ich meinen Bericht tippen und mir alles von der Seele schreiben konnte, oder als ich es ähnlich ausführlich meiner Hebamme erzählte und später dann meinem Freund. Es tut schon gut, dass man auf einmal weiß, dass man eine Krankheit hat und nicht total bekloppt ist.

Das Gefühl hatte ich die ganze Zeit, dass ich verrückt bin, wenn ich solche Gedanken habe, dass ich diese Gedanken auch auf keinen Fall haben darf.

Was ich weiter machen werde, weiß ich noch nicht. Momentan geht es mir einigermaßen, ich hoffe echt, dass dieses ganz schlimme Gefühl und stundenlange heulen nicht wieder kommt.

Heute habe ich die Frau von Schatten und Licht (Telefontermin) leider verpasst. Aber ich werde dort solange am anrufen, bis ich sie am Telefon habe. Ihr Mann sagte, dass sie heute Abend wieder erreichbar ist.

Außerdem habe ich nächste Woche einen Termin beim Psychologen. Ich habe mir ein Buch über PPD (Das Kind ist da, das Glück lässt auf sich warten) gekauft und schon etwas drin gelesen. Gegen eine Therapie habe ich nichts einzuwenden, nur auf Medikamente möchte ich, wenn möglich verzichten. Sollte der Psychologe aber der Meinung sein, Medikamente sind zwingend erforderlich, dann nehm ich sie auch.
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