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Räubermama

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Beitrag von Räubermama »

Gerne schließe ich mich der Tradition an und stelle mich und meine Situation hier kurz einmal vor.
Ich bin inzwischen 40 Jahre alt und habe schon seit längerem einen -diffusen- Kinderwunsch. Es dauerte eine Weile, bis sich die passende Lebenssituation einstellte, aber nun bin ich seit ziemlich genau 20 Wochen Mama eines kleinen Sohnes. Nun sollte ich mich darüber angesichts der langen Wartezeit sehr freuen, aber leider ist es nicht so, jedenfalls oft nicht.

Die Schwangerschaft war bis auf kleinere Wehwehchen problemlos, aber ich war nicht gerne schwanger. Ich habe mich sehr über die Tatsache gefreut, mochte aber den Zustand nicht. Dann kam die Geburt - zwei Wochen vor Termin. Natürlich hatte ich nicht mit einem Spaziergang gerechnet, aber was dann kam war doch zu viel für ein Weichei wie mich. Die PDA wirkte nicht richtig, in den Presswehen kamen wir auf normalen Wege einfach nicht weiter, denn es stellte sich heraus, dass der Kleine ein Sternengucker war, den man dann nach allen regeln der Entbindungskunst (Kristeller-Handgriff, Saugglocke) nach 1,5 Stunden Presswehen aus mir heraus "geprügelt" hat. Die Oberärztin brauchte eine Stunde, um mich wieder zusammenzuflicken und murmelte was von "schweren Geburtsverletzungen". Was das genau zu bedeuten hatte, habe ich erst ein paar Tage später erfahren. Stillen konnte ich für ungefähr eine Woche, dann waren die Brustwarzen erstmal hinüber. Ich freute mich auf zu Hause und auch darauf, mich selbst von den Strapazen zu erholen. Leider hatte der Kleine erhöhte Bilirubin-Werte, so dass er insgesamt drei Mal unter die Fototherapielampe musste, was unseren Klinikaufenthalt verlängerte. Und durch die täglichen Nachkontrollen nach der Entlassung war es mit Erholung für mich auch nicht weit her. Ein insgesamt blöder Start, aber das muss ja nichts heißen.

Ich brauchte dennoch etwa drei bis vier Wochen, um die Geburt halbwegs zu verdauen. Ok war es erst, als ich mich endlich traute, mir den "Schaden" zusammen mit meiner Hebamme mal anzusehen und festzustellen, dass es ja wenigstens nicht so schlimm aussah, wie ich dachte. Optik ist natürlich das eine, Funktionalität das andere und an der Front habe ich leider noch zu kämpfen.

Ungefähr zur selben Zeit fing der Kleine an zu schreien, Tag für Tag, mehrere Stunden. Und war meistens durch nichts zu beruhigen, außer durch seine eigene Erschöpfung. Wir also gleich zur Osteopathin, die feststellte, dass auch der Zwerg durch die schwierige Geburt Schaden genommen hatte, in Form von Blockaden: er überstreckte sich und war asymmetrisch, alles gute Gründe zum schreien. Die Behandlung schlug nicht an. Ich führte Gespräche mit Schreibabyberaterinnen, ging zu Schreiambulanz, las Bücher, machte und tat, aber das Geschrei wollte nicht verstummen. Am Anfang hatte ich uns für viele Kurse angemeldet, Babymassage, Rückbildung mit Baby, PEKiP, nachdem aber auch dort geschrien wurde, meldete ich uns wieder ab. Dass ich vom Pucken bis hin zum Schaukeln alles probiert habe, muss ich vermutlich nicht sagen.

Ich habe gedacht, irgendwann gewöhne ich mich an das Schreien, aber das Gegenteil war der Fall. Ich bin im Laufe der Zeit immer dünnhäutiger geworden. Unsere Familien sind weit weg, der Mann tagsüber bei der Arbeit - also war (und bin) ich jeden Tag von morgens bis abends alleine mit dem Problem. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich schon mit dem Kleinen um die Wette geweint habe.

Inzwischen ist der Kleine natürlich schon etwas älter und reifer, kann mehr, lacht viel und hat daher auch mal schreifreie Phasen. Aber er kippt nach wie vor von jetzt auf gleich um und schreit sich ein und es ist total schwer, ihn da raus zu bekommen. Da er so gut wie gar nicht von alleine einschläft, ist unser Ritual seit Monaten, dass er abends schreiend in meinem Arm einschläft. Ich finde das sooo schlimm, es zerreisst mir das Herz.

Das eine ist, dass der Zwerg mir Leid tut dafür, dass er aus irgendeinem Grund so viel schreien muss. Das andere ist aber, dass ich merke, wie ich selbst durch die Situation immer "weniger" werde. Es dreht sich alles nur noch darum, die Tage irgendwie durchzustehen, ohne dass meine Nerven reißen. Ob ich den Zwerg mag? Ja, das tue ich. Aber ich muss zugeben, dass er die weitaus meiste Zeit an meinen Nerven zehrt. Ich käme nicht auf die Idee, ihm was anzutun, aber ich habe schon ein paar Mal gedacht, dass ich am liebsten aus dem Fenster springen würde, damit das endlich aufhört. Mach ich natürlich nicht, aber heimlich wünsche ich mir mein altes Leben zurück, denn das hier ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe.

Habe viele Freundinnnen, die auch vor Kurzem Kinder bekommen haben. Bei denen läuft alles super und ich bin wirklich neidisch. Denn mit dem Geschrei habe ich mich auch ziemlich aus allem zurückgezogen und versuche, mich nur auf vertrauten Pfaden zu bewegen, um Herrin der Lage zu bleiben. Es ist mir unendlich peinlich, wenn der Kleine in der Öffentlichkeit schreit und ich ihn nicht beruhigen kann und dafür schäme ich mich außerdem.

Ob ich an einer postpartalen Depression leide, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich gerne eine glückliche Mama wäre und es nicht bin. Ich habe Angst, dass das die Beziehung zu meinem Kind, aber auch die zu meinem Freund schädigt.

Liebe Grüße
Räubermama
mama4

Beitrag von mama4 »

Hallo Räubermama,

erst einmal herzlich willkommen. Bin selber erst seit Kurzem dabei. Ob du eine Depression hast oder nicht, lässt sich aus der Ferne nicht so leicht beurteilen. Das kann ein Arzt/Therapeut nach einem ausführlichen Gespräch sicherlich besser beurteilen. Aber das Gefühl aus dem Fenster springen zu wollen, um endlich wieder einmal Ruhe zu haben oder die ganze Aktion wieder rückgängig machen zu wollen kennen hier wohl sehr viele Frauen.

Die Sache mit dem Sternengucker kenn ich. Auch mit der schlecht gesetzten PDA (hat linksseitig überhaupt nicht gewirkt). Bei mir war's dann letztendlich wieder ein Kaiserschnitt.
Meine Zwillinge hatten auch beide Blockaden im Halswirbelbereich (KISS). Osteopathie und Krankengymnastik haben bei uns leider wenig gebracht. Sind dann nach langer Durststrecke doch beim Orthopäden gelandet und haben eine Atlas-Therapie machen lassen. Danach wurden die Schreiattacken besser und der Schlaf der beiden ist auch ruhiger geworden. In der Krabbelgruppe und bei Besuchen bei Freunden waren sie aber noch ganz lang ganz vorne mit dabei. Ich habe das dann immer so gehandhabt, dass ich die anderen Mamas gebeten habe mir Bescheid zu sagen, wenn ihnen das Gebrüll zu sehr auf die Nerven geht. Musste feststellen, dass die anderen mit der Situation meist sehr viel relaxter umgegangen sind als ich. Vielleicht fängst du erst mal ganzlangsam mit einem Termin in der Woche an. Damit setzt du dich und den Kleinen nicht zu sehr unter Druck.

Bezüglich deines Eindrucks, dass es bei deinen Freundinnen alles nur super läuft, würde ich mich nicht allzu sehr unter Druck setzen. Vielleicht sind deren Mause wirklich pflegeleichter. Habe aber auch von vielen im Nachhinein erfahren, dass sie hier und da auch ihre Schwierigkeiten hatten, aber eben auch Hemmungen hatten darüber zu sprechen. Schämen solltest du dich auf keinen Fall, denn du tust ja alles, damit es deinem Kind gut geht und kannst dich ja auch nicht nur noch zu Hause verkriechen.

Hoffe, du findest hier im Forum Antworten auf deine Fragen. Mir hat der offene Austausch bis jetzt sehr geholfen. Man ist einfach nicht mehr so alleine mit seinen Gedanken und Ängsten.

Ganz liebe Grüße
mama4
Bommelchen

Beitrag von Bommelchen »

Hallo Räubermama,

wir haben viel gemeinsam. Auch ich war nicht mehr die Allerjüngste, als mein Sohn, der mittlerweile fast zweieinhalb ist, auf die Welt kam, nämlich 37. Auch er war ein Sternengucker und musste mit der Saugglocke geholt werden. Glücklicherweise hielten sich meine Verletzungen im Rahmen. Und auch mein Sohn war ein Schreikind, fünf Monate lang, jeden Tag mehrere Stunden, manchmal am Stück, manchmal immer mal wieder. Was genau ihn gequält hat, konnten wir auch nicht in Erfahrung bringen. Vielleicht waren es Blähungen, vielleicht hatte er Schwierigkeiten, sich an die Welt zu gewöhnen, vielleicht hat ihn die Geburt sehr traumatisiert. Auf jeden Fall trug wohl auch dieses Schreien dazu bei, dass ich letztendlich krank geworden bin, denn es war der pure Stress.

Ich hatte damals eine Tragevorrichtung. Wenn ich meinen Sohn da drin hatte, ging es etwas besser. Wäre das eine Idee für Dich?

Auch ich kann Dir nicht sagen, ob Du eine PPD hast. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen nein. Ich könnte mir vorstellen, dass es Dir besser geht, sobald Dein Sohn keine Schreiattacken mehr hat. Aber geh' auf jeden Fall mal zu einem Facharzt und lass' das abklären.

LG Bommelchen
Räubermama

Beitrag von Räubermama »

Hallo mama4,

vielen Dank für Deine Nachricht und Deine Tipps. Ich nehme mit dem Zwerg eigentlich nur noch Termine wahr, wenn sie seiner Gesundheit zuträglich sind. Wir gehen zur Osteo, zur Krankengymnastik und zum Kinderarzt. Ab und zu gehe ich mit einer Freundin oder einer Nachbarin spazieren - das geht problemlos. Hin und wieder Besuchen wir Freunde zuhause, auch das geht - es sind ja alle informiert! Wenn mein Freund daheim ist, dann sind wir mutiger und gehen auch schon mal ins Café.

Ich schäme mich vor allem, dass es mit peinlich ist. Ich denke immer, als Mutter müsse man da doch drüber stehen, aber es will mir nicht gelingen....

Liebe Grüße
Räubermama
Räubermama

Beitrag von Räubermama »

Hallo Bommelchen,

danke für Deine Nachricht! Wir scheinen wirklich viel gemeinsam zu haben :D Dass Du krank geworden bist vom Schreien Deines Sohnes kann ich so gut nachvollziehen. Ich hatte schon an vielen Tagen das Gefühl, ich pack das nicht mehr. Und das soll die glücklichste Zeit meines Lebens sein? Puh.

Eine Tragevorrichtung haben wir - wir haben wirklich ALLES probiert. Leider mag er es nicht besonders, dort drin zu sitzen. Hinzu kommt, dass er eine Asymmetrie hat und uns die Physiotherapeutin empfohlen hat, bis auf Weiteres auf die Tragehilfe zu verzichten....

In letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass das Weinen immer weniger wird. Dennoch will die Leere, die ich manchmal spüre, nicht so recht weichen. Auf der anderen Seite denke ich mir, dass das nach einer so harten Zeit vielleicht auch eine Weile dauert.

Habe mich heute Abend mit meinem Freund darüber unterhalten. Ihn macht es traurig, dass er abends, wenn er nach Hause kommt, nie das Gefühl hat, dass ich einen schönen Tag hatte. Es fühlt sich für ihn eher so an als sei ich froh, dass wieder ein Tag geschafft ist... Und ja. Irgendwie hat er recht.

LG Räubermama
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