Freiheitsverlust

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Mariechen

Freiheitsverlust

Beitrag von Mariechen »

Liebe Leute!

Ich bin neu hier.
Mein Sohn wurde Anfang August diesen Jahres geboren und kurz darauf bin ich in eine postpartale Depression gefallen: ich hatte Panikattacken, Ängste, düstere Gedanken. Es hat mir komplett den Boden unter den Füßen weggezogen. Nachdem mir diese Symptome aus meiner Biografie nicht unbekannt sind, habe ich mich sofort um Hilfe bemüht und war nun mit meinem Kleinen mehrere Wochen stationär in Therapie. Nun sind wir wieder zuhause. Es geht mir deutlich besser aber natürlich bin ich noch nicht wieder ganz gesund: immer wieder habe ich Einbrüche, immer wieder meldet sich die Angst.

Ich wollte euch nun fragen ob ihr das kennt: meine Ängste und Sorgen drehen sich immer um das Thema Freiheit: ich habe das Gefühl dass ich durch mein Kind nun mich selbst komplett aufgeben muss. Ich fühle mich dann wie in Ketten gelegt, als Sklavin dieses neuen Menschen. 😔 Ich schäme mich für diese Gedanken, aber es ist die Wahrheit. Ich habe keine Angst UM mein Kind sondern vor den Auswirkungen die seine Existenz hervorrufen. Manchmal will ich nur wegrennen, weg vor dieser 24/7-Verantwortung, will dann wieder mein altes Leben zurück.

Für Ideen/Gedanken/Kommentare dazu wäre ich sehr dankbar.

GlG,
Anna
Elisabeth

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Elisabeth »

Ich bin gerade mit schlafendem Baby ans Bett gefesselt, hab also wunderbar Zeit zu schreiben. Super, dass du dir so schnell hilfe organisiert hast. Das hab ich leider nicht geschafft. Mich plagen unterschiedliche Sorgen. Ich Sorge mich um das Kind, aber auch darum was das Kind aus meinem Leben macht. Ich war vor der Geburt ein sehr unabhängiger, freiheitsliebender Mensch. Ich war sehr gerne alleine. In meinem Job angekommen. War viel mit dem Rucksack auf Reisen, in den Bergen etc. Und ich hatte gerne alles unter Kontrolle...und dann die Krankheit und das Baby, zu dem ich keine Bindung finden konnte. Die Endgültigkeit zermürbte mich. Ich dachte jeden Tag, wie schön der Tag ohne Kind wäre. Ich malte mir aus, wie es z.b. wird wenn mein Kind drogenabhängig, verhaltensgestört o.ä. wird, dass ich mich dann immer um sie kümmern muss, ich daran Schuld bin und mein und ihr Leben kaputt ist.
Aber diese Gedanken sind mit der Zeit leichter geworden, viel leichter. Wir wachsen immer mehr zusammen und ich dadurch ins Mamasein.
Elisabeth

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Elisabeth »

Ach ja und eine deutliche Verbesserung habe ich bemerkt als meine Tochter älter und somit fitter wurde. Sie mehr mit mir interagiert hat
Mariechen

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Mariechen »

Vielen vielen Dank für die Antwort!!!

Dass du diese Gefühle kennst und auch so ehrlich beschreibst, beruhigt mich wirklich sehr! Und auch die Tatsache dass es besser wird, also dass die Kinder ja nicht immer nur Säuglinge sind. Weiß man natürlich eh, kann man sich aber in der Angst nicht vorstellen irgendwie.
Kikke

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Kikke »

Ich kenne diese Gedanken und Gefühle auch. Und es ist ja auch so: man kann einfach nicht mehr machen, was man will. Und das nervt. Der ganze Tag ist auf das Kind abgestimmt und nachts wird man aus dem Bett geschrien. Super anstrengend.

Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass es besser wird. Ich habe gedacht: das war es jetzt. Dein Leben wird immer furchtbar bleiben und dein Kind liegt nur auf dir drauf oder weint. Auch die Berichte von anderen, dass es besser wird, haben mir nicht geholfen. Das ist das gemeine an der Depression: Aussichtslosigkeit. Ein furchtbares Gefühl, dass ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünsche.


Mein Sohn wird jetzt 2. Ich heule, wenn ich nicht bei ihm bin oder er fröhlich zu meinen Schwiegereltern läuft, ohne sich umzudrehen.
So wendet sich das Blatt. Er wird immer selbstständiger und ich möchte gar kein anderes Leben mehr.

Haltet durch. Eure Zeit wird kommen.
Mariechen

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Mariechen »

Danke für deine Antwort!!! Ja, es ist genauso wie du sagst: man kann sich überhaupt nicht vorstellen dass das Leben wieder besser wird. Diese Aussichtslosigkeit empfinde ich momentan sehr stark. Es beruhigt mich sehr dass du sagst dass das vergeht. Durchhalten. Ich bemühe mich.
Kikke

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Kikke »

Mein Mann hat heute noch zu mir gesagt: mein Gott, bist du gelassen. Vor fast zwei Jahren war ich im absoluten Wahn.
Haltet durch!
Christina

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Christina »

Hallo Anna,
dieses Gefühl kenn ich auch nur zu gut. In der Anfangszeit nach der Geburt hab ich immer überlegt, ob ich einfach meine Sachen packe und wo anders ein neues Leben anfange. Ich war dann so froh, als ich ohne Kind in die Klinik konnte und wieder mein altes, freies Ich gefunden habe.

Meine Tochter wird jetzt zwei, ich arbeite wieder und hab wieder viele Interessen. Natürlich ist man grad als Frau enorm eingeschränkt mit Kind. Aber so „schlimm“ wie am Anfang ist es nicht mehr. Und jetzt denk ich oft, waren ja nur ein paar Monate, ist ja eigentlich so schnell vorbei gegangen. Damals hat sich jeder Tag aber wie eine Ewigkeit angefühlt. Hoffnungslos halt.

Ach ja, und ich hab damals immer gedacht, vielleicht stirbt sie ja heut Nacht am plötzlichen Kindstod. Dann wär sie weg und mir würde es wieder besser gehen. DAS ist ein kranker Gedanke, ich muss heute heulen, wenn ich dran denke ihr würde was passieren.

Jeder Tag ist einer weniger bis es auch dir wieder gut gehen wird!!! Ich drück dich aus der Ferne, du bist nicht allein!
Kikke

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Kikke »

Den Gedanken: vlt stirbt er ja einfach. Kenne ich auch. Verrückt ist, dass man in dem Moment wirklich davon überzeugt ist, dass es einem dann besser gehen würde.
Elisabeth

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Elisabeth »

So schlimm es ist zu lesen, dass ihr das auch so schlimme Gedanken hattet, so erleichternd ist es. Ich hab mir die ersten Wochen auch öfters gedacht, dass alles wieder gut wäre, wenn sie nicht mehr da ist. Heute schäme ich mich zutiefst dafür und hoffe ganz arg, dass sie das nicht gespürt hat. Aber irgendwie tut es gut nicht die einzige zu sein, die sowas schlimmes gedacht hat
Kikke

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Kikke »

Das hat sie ganz bestimmt nicht gespürt.

Was die Gedanken angeht, ist es bei mir sogar sehr konkret geworden, was ich alles tun kann, damit mein Sohn bzw ich nicht mehr da bin. Das ist oft Teil der Krankheit und nichts, wofür du dich schämen musst. Du bist nicht Du selbst.
Nezrin

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Nezrin »

Kann ich fragen wie lange es gedauert hat bis deine Ganzen Gedanken dir nichts mehr ausgemacht haben und du ein normales Leben führen konntest bzw. Wirklich glück verspüren konntest. Sorry wenn ich mich in den Beitrag hier "einmische" :lol: aber mich Interessiert das gerade :wink:
Kikke

Re: Freiheitsverlust

Beitrag von Kikke »

Puh. Das ist schwer zu sagen, weil "Glück" so eine große Sache ist. Man ist nie den ganzen Tag glücklich und in der Depression warten man irgendwie darauf.

Ich war nach 6 Wochen nach der Geburt meines Sohnes in der Klinik. Da wurde ich nach 2 Monaten entlassen. Dann habe ich noch ca 8 Monate das AD genommen und ca ein Jahr eine Therapie gemacht. Als mein Sohn ca 6 Monate alt war, ging es mir schon wieder ganz gut.
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