Wochenbettpsychose, ein langer Leidensweg mit Happyend
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Wochenbettpsychose, ein langer Leidensweg mit Happyend
Sonja
Das Schlimmste, was mir je passiert ist, war die Wochenbettpsychose im Juni 1980. Jetzt erst, nach mehr als 30 Jahren, beginne ich zu vergessen. Und dabei habe ich mich damals so sehr auf mein Baby gefreut. Schaute mir jeden Strampler, den ich kaufte, viele Male an. Besorgte den modernsten Kinderwagen. Für das Bettchen ließ ich einen Himmel nähen aus grünem Stoff mit weißer Baumwollspitze. Ich wusste nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge würde. Alle haben gesagt, so wie du aussiehst, wird es ein Junge. Aber ich tippte auf ein Mädchen. Einfach, um dann nicht enttäuscht zu sein. Ich hatte schon eine zehnjährige Tochter und ein Junge, das war eigentlich auch mein Wunsch.
Ja, ich bekam einen Sohn.
Die Wehen haben drei Tage angehalten. Diese ganze Zeit über lag ich auf der Schwangerenstation eines modernen Krankenhauses in meiner Stadt. Der Oberarzt beugte sich bei der Visite dicht vor mein Gesicht, zog eine Grimasse und sagte laut und bestimmend: Da machen wir nichts. Das hat mich sehr erschreckt. Immer und immer wieder musste ich zwischen den Wehen an dieses Ereignis denken. Ich fühlte mich nicht mehr sicher in dem Krankenhaus, dachte sogar, der Oberarzt kenne mich, wolle mich für irgendetwas bestrafen.
Letztlich musste ein Schnitt gemacht werden. Aber das Glück, die Freude, als ich den Kleinen im Arm hielt, beendete alle Schmerzen. Es ist ein einmaliges Gefühl, sein Neugeborenes im Arm zu halten. Ich glaube, so kann nur eine Mutter empfinden. Ich kannte das Gefühl schon durch die Geburt meiner Tochter. Habe so etwas danach nie wieder gefühlt.
Sieben Tage lag ich auf der Wöchnerinnenstation. Das Schönste war, dass ich meinen Daniel morgens selbst versorgen konnte, baden, wickeln. Das ging mir schnell von der Hand. Ich war ja Kinderkrankenschwester, arbeitete viele Jahre auf einer Früh–und Neugeborenenstation. Den anderen jungen Müttern half ich, wenn sie ihre Babys pflegten.
Manchmal konnte ich mich nicht satt sehen an dem kleinen Gesicht meines Sohnes, wenn ich stillte. Streichelte sanft über seine Händchen. Am vierten Tag nach der Geburt wurde ich traurig, fing an zu weinen. Ich hatte einen Babyblues. Die Physiotherapeutin, die mit mir Gymnastik für einen straffen Bauch machte, setzte sich einmal auf mein Bett.
Warum weinen Sie? Sie haben Blumen am Bett, also bekommen sie Besuch. Ist ihr Kind krank? Oder haben sie Probleme mit ihrem Mann? Oder Schmerzen?
Nichts davon traf zu. Mein Mann und ein Teil der restlichen Familie kamen mich regelmäßig besuchen. Sie erfüllten alle meinen kleinen Wünsche. Auch meine Anja kam und begutachtete ihren Bruder.
Und doch war ich traurig.
Morgens hörte ich die Stimmen der Krankenschwestern im Hof, wenn sie zur Arbeit gingen. Manchmal lachten sie. Und ich glaubte Stimmen von Schwestern zu erkennen, mit denen ich einmal zusammengearbeitet hatte.
Den Beruf als Kinderkrankenschwester musste ich 1978 aufgeben. Den Beruf, den ich so sehr liebte. Die Schichten machten mir zu schaffen. Der ständige Wechsel von Früh,–Spät–und Nachtschicht verursachte Schlafstörungen, endete in Konzentrationsmangel. Der Arztwechsel damals auf Station brachte ein schlechtes Arbeitsklima mit sich. Dann habe ich einen Lehrgang mitgemacht, um mich zur Fachschwester für Anästhesie und Intensivmedizin im Kindesalter ausbilden zu lassen. Da musste ich morgens um 4.00Uhr aufstehen. 6.00 Uhr begann der Dienst in einem Krankenhaus in L., einer Stadt 60km von meinem Wohnort entfernt. Eine halbe Stunde fuhr der Zug und eine halbe Stunde die Straßenbahn dorthin. Meine Familie brauchte mich ja auch. Letztlich fühlte ich mich schwach und ausgelaugt. Heute würde man das als Burnout bezeichnen.
Ich hatte mich deshalb an einen Arzt gewandt, wurde an eine Psychologin verwiesen. Ich wollte an einem autogenen Training teilnehmen. Als ich im Gespräch mit ihr war, ging die Tür auf und ein Mann im Trenchcoat bekam die Papiere, in denen die Therapeutin meine Beschwerden aufschrieb. Ein Mann im Trenchcoat. Das war wie ein Alarmzeichen für mich. So zogen sich für gewöhnlich die Männer von der Staatssicherheit an.
Als ich an diesem Tag nach Hause ging, fühlte ich mich verfolgt. Mein Befinden verschlechterte sich weiter.
Kürzlich ist gerade diese Klinik wieder in die Schlagzeilen gerückt. Vor ein paar Wochen stand in der Zeitung, dass hier zu DDR - Zeiten die Staatssicherheit ein-und ausgegangen sein soll.
Ich arbeitete dann in der Kinderkrippe. Aber diese Tätigkeit konnte meine Arbeit als Kinderkrankenschwester nicht ersetzen.
Der Babyblues geht gewöhnlich vorüber. Doch nicht meiner. Zuhause musste ich trotz aller Freude, die mir mein Daniel brachte, ständig an meine ehemalige Tätigkeit, die Probleme, die es für mich gab, denken. Und das, obwohl ich schon mehr als ein Jahr als Krippenerzieherin arbeitete.
Daniel weinte viel, mehr als es für gewöhnlich Säuglinge tun. Besonders in der Nacht. Mein Mann und ich sind mehrmals nachts in die Kinderklinik gefahren. Aber die Ärzte konnten nichts feststellen. Einmal hat mein Mann den Kleinen ins Auto gelegt, ihn in der Nacht spazieren gefahren. Dabei ist das Kind eingeschlafen.
Dann konnte ich drei Tage und drei Nächte nicht schlafen. Ständig kreisten die Gedanken in meinem Kopf.
Und damit begann eine leidvolle Zeit für mich.
Mein Daniel war gerade drei Wochen. Ich stand an seinem Bett und plötzlich sprach eine Stimme zu mir.
Schau auf Daniel. Es ist nicht mehr dein Kind. Es wurde vertauscht, gestern, als du am Abend mit deinem Mann eine halbe Stunde ums Haus gelaufen bist. Es ist das Kind schlechter Eltern. Es wurde gezeugt, um die Welt zu vernichten. Wirf es aus dem Fenster. Du tust der Menschheit damit einen Gefallen.
Ich sah auf das Baby. Und in der Tat kam mir die Nase verändert vor. Der Kopf war anders. In meinen Armen zuckte es. Ich sah auf das Fenster, was gleich neben dem Bettchen begann. Meine Hände hielt ich ganz fest, krallte die Nägel in das Fleisch der Unterarme. Flüchtig erinnerte ich mich an meinen Beruf. Nie hatte ich gefragt, wer die Eltern, der mir anvertrauten Babys waren. Immer gab ich mein Wissen, meine Fürsorge jedem Neugeborenen unabhängig von seiner Herkunft.
Ich warf mein Kind nicht aus dem Fenster. Als ich mich dazu entschlossen hatte, verschwanden die Stimmen. Ich sah auf Daniel. Er schien zu lächeln.
Was war da gerade passiert? Erschrocken sah ich mich im Zimmer um. Woher kam die Stimme? Waren Mikrofone oder Lautsprecher irgendwo eingebaut?
Mit Hammer und Nagel klopfte ich kleine Löcher in die Schlafzimmerwand, konnte natürlich nichts finden.
Für eine Weile war die Stimme aus meinem Kopf. Dann ging ich auf die Toilette. Sie war ein halbe Etage unter meiner Wohnung. Und wieder redete eine Stimme. Ich schämte mich, weil ich gerade hier unbeobachtet sein wollte. Von nun an hörte ich Tag und Nacht Stimmen.
Es folgten schlimme, qualvolle Nächte.
Einmal nachts sah ich Schatten über meinen Kleiderschrank huschen. Die Stimmen sagten, es seien Wesen aus einer fremden Galaxie. Sie würden Leitungen durch das Haus ziehen. Dadurch wäre ich auf gedanklicher Ebene mit anderen Menschen verbunden. Ich brauche keine gesprochenen Worte mehr.
Das hielt ich zunächst für unmöglich. Als die Stimme dann erklärte, diese Technik hätte Manfred von Ardenne entwickelt und unter meinem rechten Rippenbogen eingebaut, überzeugte mich das. Ich hatte geträumt, ich wäre einmal nachts entführt und in eine Art Operationssaal verschleppt worden. Ich konnte mich genau an eine Treppe erinnern, in deren Schatten die OP stattgefunden hatte. Die grünen Kittel, die hin und her liefen, und Hände in Gummihandschuhen, die an mir herumhantierten, das grelle Lampenlicht, kamen wieder ins Gedächtnis. Nun glaubte ich, der Traum wäre Wahrheit.
Ein anderes Mal sprachen die Stimmen, meine Eltern wären nicht mehr meine Eltern. Man hätte sie zerstückelt. Ich würde jetzt nur noch ihre äußere Hülle sehen. Doch darin steckten ganz andere Menschen. Ich weinte und weinte in mein Kopfkissen. Am Tag war ich so schwach, dass ich nur mein Kind versorgen konnte. Habe es gebadet, ihm frische Kleidung angezogen und gestillt.
Meine Tochter war zu dieser Zeit in einem Ferienlager.
So kam es, dass ich viele Stunden am Tag im Bett lag. Mein Mann ging zur Arbeit. Ich lag im Bett. Er kam von der Arbeit. Ich lag im Bett.
An einem Vormittag als ich wieder einmal lag, schrie Daniel auf. Seine Schreie lösten einen heftigen, stechenden Schmerz in meinem Kopf aus. Er machte mich noch schwächer, als ich es bereits war. Und in der Nacht, beim Stillen, wunderte ich mich über den großen Kopf meines Kindes. Ich weckte meinen Mann und sagte ihm, unseren Kleinen hätten sie ausgetauscht. Das Kind, was an meiner Brust lag, wäre ein Kind mit einem Wasserkopf. Auf keinen Fall unseres. Mein Mann schüttelte nur den Kopf. Er bestellte für den nächsten Tag einen Arzt. Als er kam, lag ich im Zimmer meiner Tochter. Ich sagte ihm, mir ginge es gut. Ich brauche seine Hilfe nicht. Da ist er wieder gegangen.
Ein paar Tage später fuhr mich mein Mann mit dem Auto in die Psychiatrische Universitätsklinik. Für mich war es eine Geisterfahrt. Ich glaubte, irgendeine Zentrale lenke das Auto zum Ziel. Dabei passierten wir viele feindliche Autos. Ein psychologischer Krieg wäre ausgebrochen.
In der Klinik saßen wir in einem großen Raum. Dass es der Aufenthaltsraum der Patienten war, erkannte ich nicht. Vor uns an der Wand hing eine große Uhr. Ich hörte die Zeiger ticken. Plötzlich erzeugte das Vorrücken des großen Zeigers Impulse in meinem Kopf, die sich wie ein elektrischer Schlag anfühlten. Acht Mal spürte ich diesen Schmerz. Danach wurde ich sehr schwach. Mir war klar, hier stimmte etwas nicht. Die Klinik musste in den Krieg verwickelt sein. Ich nahm mir vor, kein Wort mit dem Arzt zu reden.
Und ich hielt meinen Mund geschlossen, als er mir Fragen stellte. Nur mein Mann antwortete. Ich weiß nicht, was sie geredet haben. Das habe ich völlig ausgeblendet und mich innerlich zurückgezogen. Dann beugte sich der Arzt zu mir und fragte mit sehr freundlicher, warmer Stimme, ob er mir helfen solle. Da sagte ich „ja“. Bei der Frage, ob ich mit meinem Mann nach Hause gehen wolle, nickte ich heftig.
Nun kam mein Mann zwischendurch von der Arbeit heim und gab mir die vom Arzt verordnete Medizin. Haloperidol.
Noch immer dachte ich, mein Kind würde ständig ausgetauscht.
Wenn jemand glaubt, eine Person wird durch einen Doppelgänger ersetzt, nennt man das Capgras Syndrom. Ein Franzose hat diesen Umstand das erste Mal beschrieben. Er ist nach ihm benannt worden. Aber das wusste ich damals nicht.
Mal empfand ich sehr viel Liebe für das Kind. Da glaubte ich, es sei mein eigenes. Ich herzte und küsste ihn besonders viel, sang Lieder. Ich wollte ja, dass mein Kleiner gesund bliebe. Also habe ich ihn wieder schlafen gelegt. Ein anderes mal war dieses Liebesgefühl nicht so stark. Das überzeugte mich, es sei nicht mein Daniel. Trotzdem fügte ich dem fremden Kind kein Leid zu. Ich hätte es ja zwicken oder ziepen können. Ich gebe zu, der Gedanke war schon da. Aber dann dachte ich, vielleicht kann ich mein Kind nicht von den fremden unterscheiden. So war ich zu allen Kindern liebevoll.
All die schizophrenen Gedanken waren für mich Wirklichkeit. Niemals hätte ich geglaubt, dass das, was sich in mir abspielte, zum Krankheitsbild einer Wochenbettpsychose gehöre. Und dabei habe ich bei der Ausbildung zur Kinderkrankenschwester das Fach Psychologie bei einem Oberarzt der Uni gehabt. Ich schloss sogar mit einer Eins ab.
Nach der Einnahme der Medikamente bemerkte ich, wie sich die Motorik von Daniel veränderte. Er zuckte mit Händen und Füßen. Mir war klar, das ist eine Nebenwirkung der Tabletten. Der Wirkstoff war auch in meiner Milch. Ich musste schnell abstillen. Es ging gut. Daniel bekam keine Ernährungsstörung.
Mein Mann und ich fuhren ein zweites Mal in die Klinik. Wieder saßen wir in dem Zimmer mit der Uhr.
Wir sahen, wie sich die Patienten in einer Ecke des Raumes versammelten, sangen und mit Orffchen Instrumenten musizierten. Danach verschwanden alle hinter verschiedenen Türen. Die Uhr tickte und wir warteten. Die Patienten kamen und deckten den Tisch, speisten zu Mittag. Der Tisch wurde abgeräumt und wieder klappten die Zimmertüren. Alle waren verschwunden. Nur die Uhr tickte in die Stille. Noch eine Stunde saßen wir auf den Stühlen. Zu Hause wartete meine Schwiegermutter mit meinem Daniel. Er musste versorgt werden. Wir verließen die Klinik, ohne mit dem Arzt zu sprechen.
Ich schluckte die Medizin, die noch vorhanden war. Die Stimmen verschwanden im Laufe eines Monats. Aber immer noch war eine Denkverzerrung in meinem Kopf.
Der Juli ging vorüber. Ich versorgte meine Kinder, meinen Haushalt, war meinem Mann Frau.
Im September begannen wieder Stimmen in mir zu sprechen. Nun hatte ich auch verstärkt Halluzinationen. Sah halbdurchsichtige Wesen in meiner Wohnung. Sah Lemminge über meine Beine laufen, glaubte, meine zubereiteten Speisen würden vertauscht. Mal waren die Schnitzel, die ich zubereitete kleiner, mal waren sie größer. Beim Putzen fielen mir Details an Gegenständen auf, die ich noch nie vorher bemerkt hatte. Da war ich mir sicher, auch die wurden ausgetauscht. Ich weinte viel, weil all die Gegenständen mit einer Erinnerung verbunden waren.
Ein Jahr blieb ich mit meinem Daniel zu Hause. Dann musste ich wieder in der Krippe arbeiten. Daniel brachte ich in eine andere Krippe, und meine Tochter ging zur Schule und danach in den Hort.
Zunächst bemerkte niemand auf meiner Arbeitsstelle, dass etwas nicht mit mir stimmte. Aber nach zwei Jahren. Ich würde komische Sachen reden, sagten die Kolleginnen. Da behauptete ich, ein ganz bestimmtes Kind wäre bei der Musikbeschäftigung, die ich mit den Kindern durchführte, nicht dabei gewesen. Eine Kollegin wusste aber genau, dass sie gerade das Kind in den Stuhlkreis gesetzt hatte. Es fand danach ein Gespräch mit mir, meinem Mann, der Krippenleitein und dem Krippenarzt statt.
Ich wurde stationär in der Psychiatrischen Uniklinik aufgenommen, bekam Haloperidol. Viel Zwang wurde damals auf mich ausgeübt. Vor allem psychischer. Nach ca. vier Wochen Medikamenteneinnahme verschwand die Schizophrenie, ebenso die Stimmen aus meinem Kopf. Für eine Woche fühlte ich mich gut. So wie ich das aus dem Leben vor der Geburt meines Sohnes kannte. Nur diese eine Woche. Dann setzten die Nebenwirkungen der Medikamente ein. Ich fühlte mich matt, konnte mich nicht konzentrieren, war antriebslos. Jede kleine Tätigkeit strengte mich an. Vier Monate verbrachte ich auf dieser Station. Mein Mann hat mich jeden Tag besucht, ist mit mir spazieren gegangen. Doch das Leben war kein Vergnügen mehr. Die Nebenwirkungen der Medikamente vergällten mir jeden Tag. Zu jeder Tätigkeit gehörte Überwindung.
Nun nahm ich das Medikament Antalon. Aber an den Nebenwirkungen änderte sich nicht viel. Manche Ärzte sagen, Medikamente hätten keine Wirkung auf den Hormonhaushalt. Da muss ich widersprechen. Aus meiner Brust schoss die Milch, obwohl die Geburt meines Sohnes schon mehr als drei Jahre zurücklag.
Ich ging dann wieder in die Krippe arbeiten. Nur noch sechs Stunden täglich. Versorgte meine Kinder und meinen Haushalt, so gut es ging. Glücklich bin ich nicht dabei gewesen.
1984 kamen die Stimmen, die schizophrenen Gedanken zurück. Und das, obwohl ich noch immer Medikamente nahm. Ich ließ auf Anraten meiner inneren Stimme die Medikamente weg und bald danach fühlte ich mich gut. Aber ich hatte wieder eine Psychose, sah halbdurchsichtige Wesen, hörte Stimmen, hatte krankhafte Denkverzerrungen.
Diesmal bin ich auf einer Tagesstation behandelt worden. Das gefiel mir besser. Um 8.00 Uhr musste ich auf der Station sein, um 15.00 Uhr konnte ich nach Hause fahren. Dazwischen lagen Therapien, die mir helfen sollten. Kommunikationstherapie, Bewegungstherapie, Bibliotherapie, Ergotherapie, Musiktherapie. Auf der Tagesstation konnte ich mich mit anderen Patienten unterhalten. Das war gut.
Auch hier verschwanden alle meine Krankheitssymptome nach vier Wochen unter der Einnahme von Tropfen. Aber nach ca. 8 Wochen medikamentöser Behandlung verursachten sie eine schwere Depression bis hin zum Suizidversuch.
Danach nahm ich keine Psychopharmaka mehr ein. Ich bekam zwar ein Medikament verordnet, spuckte es aber in der Klinik aus dem Fenster.
Der Aufenthalt in der Klinik dauerte vier Monate. Danach wurde ich invalidisiert. Konnte aber noch im Lohndrittel, das waren damals täglich vier Stunden, arbeiten gehen.
Wir hatten inzwischen die Wohnung gewechselt und die neue Krippe, in der ich arbeitete, lag ganz in der Nähe .
Regelmäßig ging ich zum Psychiater, nahm aber keine Medikamente ein. Dann meinte der Arzt, er müsse mir nun doch Medizin verschreiben. Lehnte ich sie ab, dürfte ich nicht mehr arbeiten gehen. Das wollte ich nicht. Und dabei ging es mir richtig gut. Nach einigen Wochen setzten die Nebenwirkungen ein. Antriebslosigkeit, Mattheit, ungute Gefühle in meinem Inneren, Interesselosigkeit. Ich dachte, es wäre meine Krankheit.
In dieser Zeit las ich das Buch Rückkehr ins Leben von Wilhelm und Elfriede Thom. Ich konnte nur langsam lesen. Ein Mann verunglückt mit dem Auto bei der Fahrt zur Arbeit. Er muss von da an ein Leben im Rollstuhl führen. Von der Schulter an ist er gelähmt. Mit viel Willenskraft lernt er die Schreibmaschine zu benutzen, schreibt über sein Leben im Rollstuhl. Damals dachte ich, wenn Du mit ihm tauschen könntest, du würdest es tun. Er schlüpft in dein Leben, du setzt dich in den Rollstuhl für ihn, führst sein Leben. Ich war mir sicher, er wäre gekommen und hätte gesagt, gib mir meinen Rollstuhl zurück. Dein Leben kann man nicht leben.
Ja, so habe ich mich unter den Nebenwirkungen von Frenolon gefühlt. Jeder Tag war ein Kampf. Fünfzehn Jahre lang war ich krank. Entweder ich hatte eine Psychose, oder ich litt unter den Nebenwirkungen der Medikation.
Sicher war ich für meine Anja nicht die Mutter, die sie sich gewünscht hätte. Meinen Daniel versorgte ich immer gut. Aber mit Anja schimpfte ich wahrscheinlich zu viel. Ich denke heute, dass ich ihre Bedürfnisse nicht immer erkannt hatte. Ich glaubte in der Psychose, auch sie würde ständig vertauscht. Erledigte sie eine Arbeit gut, war ich überzeugt, das ist meine Tochter. Dann liebte ich sie besonders. War das nicht so, schimpfte ich. Nie habe ich meine Kinder geschlagen oder sonst irgendwie misshandelt.
Mit Daniel habe ich viel gespielt. Habe mit ihm z.B. das Lied „der Schaffner hebt den Stab, da fährt der Zug gleich ab“ gesungen. Ich stellte mehrere Stühle hintereinander auf. Die sollten der Zug sein. Daniel hatte ich eine Pfeife, eine Kelle, und eine Mütze, wie man sie von einem Schaffner kennt, gekauft. Und dann spielten wir „Schaffner“. Das machte ich immer sehr vorbildlich, weil ich glaubte, in den Ecken stünden halbdurchsichtige Wesen, die von mir lernten. Ich wollte ihnen eine gute Lehrmeisterin sein.
Auch wenn ich gekocht habe, ging alles sehr hygienisch zu. Nie hätte ich einen Löffel, von dem ich kostete, wieder in die Suppe getaucht. Wegen der halbdurchsichtigen Wesen, denen ich das Kochen beibrachte.
Mein Mann war immer an meiner Seite. Er war kein Mediziner und wusste nicht, wie er mir helfen solle. Aber er war da. Das war gut für mich und meine Kinder. Dennoch standen wir einmal vor dem Scheidungsrichter. Mein Mann wollte, dass ich meine Verwirrung von einem Arzt behandeln lasse. Doch ich glaubte, ich sei nicht krank. Man denkt oft, ein Mensch mit einer Schizophrenie hätte keine Persönlichkeit. Auch da muss ich widersprechen. Ich bin immer für die Dinge eingetreten, an die ich glaubte. Dass die Psychose mich in eine Welt versetzt, die kein anderer nachvollziehen kann, war mir nicht bewusst.
Mein Mann ging damals zum Jugendamt, um Hilfe zu holen. Sie sagten ihm, er solle sich von mir scheiden lassen. Zu dieser Zeit gab es noch keine „Seelensteine“, eine ambulante Familienhilfe für Kinder mit psychisch kranken Eltern. Diese Einrichtung hätte meiner Familie gut getan.
Als wir vor dem Richter standen, dachte ich, der Mensch mir gegenüber wäre nicht mein Mann. Ausgetauscht, glaubte ich, gegen einen anderen. Nur die äußere Hülle sieht ihm ähnlich. Dem Richter sagte ich, ich wäre in Ordnung. Ich fragte ihn, ob er erkenne, dass ich krank sei. Er solle mir sagen, woran er das bemerke. Da haben sie die Sitzung gleich beendet und verließen den Raum.
Ich habe mich dann doch behandeln lassen. Das war die Zeit, wo ich die Tagesklinik besucht habe.
Zu einer Scheidung ist es nicht gekommen. Bis heute nicht.
1995 bekam ich ein anderes Medikament, Decentan. Vier Milligramm täglich. Damit wurde ich wieder Mensch.
Die häusliche Welt, auf die ich mich in den letzten Jahren konzentriert hatte, wurde mir zu eng. Ich ging in die Schöpfkelle, eine Begegnungsstätte in meiner Stadt. Dort frischte ich mein Englisch auf, nahm an einem Enkaustikkurs teil. Und einen Schreibkreis gab es auch. Mein erstes Gedicht ist dort durchgefallen. Aber als ich von der Wochenbettpsychose erzählte, horchten alle auf. Nie zuvor hatte ich mit jemanden über meine Krankheit gesprochen. Ein Jahr lang habe ich mich dann mit der Krankheit auseinandergesetzt, alles aufgeschrieben. Von einer Schriftstellerin, die den Schreibkreis leitet und von den schreibenden Mitgliedern bekam ich viele gute Anregungen. Erhielt Hinweise zur Verbesserung meines Schreibstils. Die Geschichte wurde in einem Buch veröffentlicht.
Während dieser Zeit litt ich viel unter Schlafstörungen und musste mir von meinem Arzt Schlaftabletten verschreiben lassen. Aber je öfter ich mich mit der Krankheit auseinandersetzte, um so leichter fiel es mir, darüber zu sprechen, desto mehr Abstand bekam ich.
Später sprach ich sogar in verschiedenen Fernsehsendungen über die Erkrankung, einmal im Radio MDR. Auch um anderen Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, Mut zu machen. Ihnen zu sagen, man kann die Krankheit überwinden und zu einem glücklichen Leben finden.
Diese Aufnahmen machte ich gemeinsam mit dem Professor der Uniklinik hier in meiner Stadt und einmal mit meinem behandelnden Psychiater. Ich hatte sogar einen Auftritt in einer Talkshow mir Pfarrer Fliege. Da ist mein Sohn mit mir nach München ins Filmstudio gefahren. Es war eine Liveshow. Nichts hatte ich vorher mit Herrn Fliege besprochen. Ich wusste nicht, welche Fragen er mir stellen würde. Ich ging ins Studio, alle Lampen, alle Kameras waren auf mich gerichtet. In dem Moment verschwand das Lampenfieber. Ich glaube, ich habe das gut gemacht.
Als die Wechseljahre einsetzten, ging es mir noch einmal schlechter. Ich litt unter Schlafstörungen, war verstimmt. Doch auch diese Zeit liegt hinter mir.
In den Psychoseseminaren, die hier in meiner Stadt seit dem Jahr 2002 durchgeführt werden, setzte ich mich noch einmal aktiv mit der Krankheit auseinander. Psychose und Tätigsein, Psychose und Familie, Psychose und Kreativität gab es neben vielen anderen Themen. Die Seminare taten mir gut, weil ich dort auch Inputs gab und manches Seminar moderierte. Das hat meine Sprache gefördert, hat mich veranlasst, verschiedene Bücher zu lesen und mich mit Rhetorik zu beschäftigen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2014. Ich fühle mich gut, habe viele Hobbys. Ich male, fotografiere, schreibe noch immer. Viele Geschichten sind in Büchern veröffentlicht worden. Ich leite in meiner Stadt die Haikugruppe. Die japanische Dichtkunst fasziniert mich schon einige Jahre. Seit dem Jahr 2000 bin ich Mitglied der Deutschen Haikugesellschaft e.V.. Vier Jahre war ich sogar zweite Vorsitzende der Gesellschaft.
Jede Woche besuche ich die Volkshochschule und verbessere meine Englischkenntnisse. Ich habe viele Reisen unternommen innerhalb von Deutschland und ins Ausland. England, Zypern, Malta, Mallorca, Tunesien, Frankreich, Türkei und, und, und... wurden von mir bereist.
Außerdem setze ich mich auf verschiedene Weise für die Interessen psychisch kranker Menschen ein.
Zu meiner Familie, meinen Kindern und Enkelkindern habe ich gute Beziehungen. Die Familienfeste genieße ich. Einige schöne gemeinsame Reisen gehören zu meiner Erinnerung.
Ich backe und koche gern und fühle mich in einer sauberen, aufgeräumten Wohnung wohl.
Gleich nach der Wende kauften wir uns einen Garten. Den pflege und hege ich mit meinem Mann. Viele Partys fanden hier statt.
Vor sieben Jahren hatte ich noch einmal eine Psychose. Mit Begleitung meines Arztes ließ ich das Psychopharmakum weg. Und das ist schief gegangen. Alle Symptome waren wieder da. Stimmen hören, Halluzinationen, krankhafte Denkverzerrungen. Aber ich bin wieder auf die Beine gekommen. Mit nur vier Milligramm Decentan täglich. Und ich verbrachte diese Zeit zu Hause in meinen vier Wänden. In der Klinik hätten sie mir erst mal eine hohe Dosis Psychopharmaka verabreicht. Und wer weiß, welche Nebenwirkungen dann aufgetreten wären.
Aus mir ist ein zufriedener Mensch geworden. Und manchmal bin ich sehr glücklich.
Das Schlimmste, was mir je passiert ist, war die Wochenbettpsychose im Juni 1980. Jetzt erst, nach mehr als 30 Jahren, beginne ich zu vergessen. Und dabei habe ich mich damals so sehr auf mein Baby gefreut. Schaute mir jeden Strampler, den ich kaufte, viele Male an. Besorgte den modernsten Kinderwagen. Für das Bettchen ließ ich einen Himmel nähen aus grünem Stoff mit weißer Baumwollspitze. Ich wusste nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge würde. Alle haben gesagt, so wie du aussiehst, wird es ein Junge. Aber ich tippte auf ein Mädchen. Einfach, um dann nicht enttäuscht zu sein. Ich hatte schon eine zehnjährige Tochter und ein Junge, das war eigentlich auch mein Wunsch.
Ja, ich bekam einen Sohn.
Die Wehen haben drei Tage angehalten. Diese ganze Zeit über lag ich auf der Schwangerenstation eines modernen Krankenhauses in meiner Stadt. Der Oberarzt beugte sich bei der Visite dicht vor mein Gesicht, zog eine Grimasse und sagte laut und bestimmend: Da machen wir nichts. Das hat mich sehr erschreckt. Immer und immer wieder musste ich zwischen den Wehen an dieses Ereignis denken. Ich fühlte mich nicht mehr sicher in dem Krankenhaus, dachte sogar, der Oberarzt kenne mich, wolle mich für irgendetwas bestrafen.
Letztlich musste ein Schnitt gemacht werden. Aber das Glück, die Freude, als ich den Kleinen im Arm hielt, beendete alle Schmerzen. Es ist ein einmaliges Gefühl, sein Neugeborenes im Arm zu halten. Ich glaube, so kann nur eine Mutter empfinden. Ich kannte das Gefühl schon durch die Geburt meiner Tochter. Habe so etwas danach nie wieder gefühlt.
Sieben Tage lag ich auf der Wöchnerinnenstation. Das Schönste war, dass ich meinen Daniel morgens selbst versorgen konnte, baden, wickeln. Das ging mir schnell von der Hand. Ich war ja Kinderkrankenschwester, arbeitete viele Jahre auf einer Früh–und Neugeborenenstation. Den anderen jungen Müttern half ich, wenn sie ihre Babys pflegten.
Manchmal konnte ich mich nicht satt sehen an dem kleinen Gesicht meines Sohnes, wenn ich stillte. Streichelte sanft über seine Händchen. Am vierten Tag nach der Geburt wurde ich traurig, fing an zu weinen. Ich hatte einen Babyblues. Die Physiotherapeutin, die mit mir Gymnastik für einen straffen Bauch machte, setzte sich einmal auf mein Bett.
Warum weinen Sie? Sie haben Blumen am Bett, also bekommen sie Besuch. Ist ihr Kind krank? Oder haben sie Probleme mit ihrem Mann? Oder Schmerzen?
Nichts davon traf zu. Mein Mann und ein Teil der restlichen Familie kamen mich regelmäßig besuchen. Sie erfüllten alle meinen kleinen Wünsche. Auch meine Anja kam und begutachtete ihren Bruder.
Und doch war ich traurig.
Morgens hörte ich die Stimmen der Krankenschwestern im Hof, wenn sie zur Arbeit gingen. Manchmal lachten sie. Und ich glaubte Stimmen von Schwestern zu erkennen, mit denen ich einmal zusammengearbeitet hatte.
Den Beruf als Kinderkrankenschwester musste ich 1978 aufgeben. Den Beruf, den ich so sehr liebte. Die Schichten machten mir zu schaffen. Der ständige Wechsel von Früh,–Spät–und Nachtschicht verursachte Schlafstörungen, endete in Konzentrationsmangel. Der Arztwechsel damals auf Station brachte ein schlechtes Arbeitsklima mit sich. Dann habe ich einen Lehrgang mitgemacht, um mich zur Fachschwester für Anästhesie und Intensivmedizin im Kindesalter ausbilden zu lassen. Da musste ich morgens um 4.00Uhr aufstehen. 6.00 Uhr begann der Dienst in einem Krankenhaus in L., einer Stadt 60km von meinem Wohnort entfernt. Eine halbe Stunde fuhr der Zug und eine halbe Stunde die Straßenbahn dorthin. Meine Familie brauchte mich ja auch. Letztlich fühlte ich mich schwach und ausgelaugt. Heute würde man das als Burnout bezeichnen.
Ich hatte mich deshalb an einen Arzt gewandt, wurde an eine Psychologin verwiesen. Ich wollte an einem autogenen Training teilnehmen. Als ich im Gespräch mit ihr war, ging die Tür auf und ein Mann im Trenchcoat bekam die Papiere, in denen die Therapeutin meine Beschwerden aufschrieb. Ein Mann im Trenchcoat. Das war wie ein Alarmzeichen für mich. So zogen sich für gewöhnlich die Männer von der Staatssicherheit an.
Als ich an diesem Tag nach Hause ging, fühlte ich mich verfolgt. Mein Befinden verschlechterte sich weiter.
Kürzlich ist gerade diese Klinik wieder in die Schlagzeilen gerückt. Vor ein paar Wochen stand in der Zeitung, dass hier zu DDR - Zeiten die Staatssicherheit ein-und ausgegangen sein soll.
Ich arbeitete dann in der Kinderkrippe. Aber diese Tätigkeit konnte meine Arbeit als Kinderkrankenschwester nicht ersetzen.
Der Babyblues geht gewöhnlich vorüber. Doch nicht meiner. Zuhause musste ich trotz aller Freude, die mir mein Daniel brachte, ständig an meine ehemalige Tätigkeit, die Probleme, die es für mich gab, denken. Und das, obwohl ich schon mehr als ein Jahr als Krippenerzieherin arbeitete.
Daniel weinte viel, mehr als es für gewöhnlich Säuglinge tun. Besonders in der Nacht. Mein Mann und ich sind mehrmals nachts in die Kinderklinik gefahren. Aber die Ärzte konnten nichts feststellen. Einmal hat mein Mann den Kleinen ins Auto gelegt, ihn in der Nacht spazieren gefahren. Dabei ist das Kind eingeschlafen.
Dann konnte ich drei Tage und drei Nächte nicht schlafen. Ständig kreisten die Gedanken in meinem Kopf.
Und damit begann eine leidvolle Zeit für mich.
Mein Daniel war gerade drei Wochen. Ich stand an seinem Bett und plötzlich sprach eine Stimme zu mir.
Schau auf Daniel. Es ist nicht mehr dein Kind. Es wurde vertauscht, gestern, als du am Abend mit deinem Mann eine halbe Stunde ums Haus gelaufen bist. Es ist das Kind schlechter Eltern. Es wurde gezeugt, um die Welt zu vernichten. Wirf es aus dem Fenster. Du tust der Menschheit damit einen Gefallen.
Ich sah auf das Baby. Und in der Tat kam mir die Nase verändert vor. Der Kopf war anders. In meinen Armen zuckte es. Ich sah auf das Fenster, was gleich neben dem Bettchen begann. Meine Hände hielt ich ganz fest, krallte die Nägel in das Fleisch der Unterarme. Flüchtig erinnerte ich mich an meinen Beruf. Nie hatte ich gefragt, wer die Eltern, der mir anvertrauten Babys waren. Immer gab ich mein Wissen, meine Fürsorge jedem Neugeborenen unabhängig von seiner Herkunft.
Ich warf mein Kind nicht aus dem Fenster. Als ich mich dazu entschlossen hatte, verschwanden die Stimmen. Ich sah auf Daniel. Er schien zu lächeln.
Was war da gerade passiert? Erschrocken sah ich mich im Zimmer um. Woher kam die Stimme? Waren Mikrofone oder Lautsprecher irgendwo eingebaut?
Mit Hammer und Nagel klopfte ich kleine Löcher in die Schlafzimmerwand, konnte natürlich nichts finden.
Für eine Weile war die Stimme aus meinem Kopf. Dann ging ich auf die Toilette. Sie war ein halbe Etage unter meiner Wohnung. Und wieder redete eine Stimme. Ich schämte mich, weil ich gerade hier unbeobachtet sein wollte. Von nun an hörte ich Tag und Nacht Stimmen.
Es folgten schlimme, qualvolle Nächte.
Einmal nachts sah ich Schatten über meinen Kleiderschrank huschen. Die Stimmen sagten, es seien Wesen aus einer fremden Galaxie. Sie würden Leitungen durch das Haus ziehen. Dadurch wäre ich auf gedanklicher Ebene mit anderen Menschen verbunden. Ich brauche keine gesprochenen Worte mehr.
Das hielt ich zunächst für unmöglich. Als die Stimme dann erklärte, diese Technik hätte Manfred von Ardenne entwickelt und unter meinem rechten Rippenbogen eingebaut, überzeugte mich das. Ich hatte geträumt, ich wäre einmal nachts entführt und in eine Art Operationssaal verschleppt worden. Ich konnte mich genau an eine Treppe erinnern, in deren Schatten die OP stattgefunden hatte. Die grünen Kittel, die hin und her liefen, und Hände in Gummihandschuhen, die an mir herumhantierten, das grelle Lampenlicht, kamen wieder ins Gedächtnis. Nun glaubte ich, der Traum wäre Wahrheit.
Ein anderes Mal sprachen die Stimmen, meine Eltern wären nicht mehr meine Eltern. Man hätte sie zerstückelt. Ich würde jetzt nur noch ihre äußere Hülle sehen. Doch darin steckten ganz andere Menschen. Ich weinte und weinte in mein Kopfkissen. Am Tag war ich so schwach, dass ich nur mein Kind versorgen konnte. Habe es gebadet, ihm frische Kleidung angezogen und gestillt.
Meine Tochter war zu dieser Zeit in einem Ferienlager.
So kam es, dass ich viele Stunden am Tag im Bett lag. Mein Mann ging zur Arbeit. Ich lag im Bett. Er kam von der Arbeit. Ich lag im Bett.
An einem Vormittag als ich wieder einmal lag, schrie Daniel auf. Seine Schreie lösten einen heftigen, stechenden Schmerz in meinem Kopf aus. Er machte mich noch schwächer, als ich es bereits war. Und in der Nacht, beim Stillen, wunderte ich mich über den großen Kopf meines Kindes. Ich weckte meinen Mann und sagte ihm, unseren Kleinen hätten sie ausgetauscht. Das Kind, was an meiner Brust lag, wäre ein Kind mit einem Wasserkopf. Auf keinen Fall unseres. Mein Mann schüttelte nur den Kopf. Er bestellte für den nächsten Tag einen Arzt. Als er kam, lag ich im Zimmer meiner Tochter. Ich sagte ihm, mir ginge es gut. Ich brauche seine Hilfe nicht. Da ist er wieder gegangen.
Ein paar Tage später fuhr mich mein Mann mit dem Auto in die Psychiatrische Universitätsklinik. Für mich war es eine Geisterfahrt. Ich glaubte, irgendeine Zentrale lenke das Auto zum Ziel. Dabei passierten wir viele feindliche Autos. Ein psychologischer Krieg wäre ausgebrochen.
In der Klinik saßen wir in einem großen Raum. Dass es der Aufenthaltsraum der Patienten war, erkannte ich nicht. Vor uns an der Wand hing eine große Uhr. Ich hörte die Zeiger ticken. Plötzlich erzeugte das Vorrücken des großen Zeigers Impulse in meinem Kopf, die sich wie ein elektrischer Schlag anfühlten. Acht Mal spürte ich diesen Schmerz. Danach wurde ich sehr schwach. Mir war klar, hier stimmte etwas nicht. Die Klinik musste in den Krieg verwickelt sein. Ich nahm mir vor, kein Wort mit dem Arzt zu reden.
Und ich hielt meinen Mund geschlossen, als er mir Fragen stellte. Nur mein Mann antwortete. Ich weiß nicht, was sie geredet haben. Das habe ich völlig ausgeblendet und mich innerlich zurückgezogen. Dann beugte sich der Arzt zu mir und fragte mit sehr freundlicher, warmer Stimme, ob er mir helfen solle. Da sagte ich „ja“. Bei der Frage, ob ich mit meinem Mann nach Hause gehen wolle, nickte ich heftig.
Nun kam mein Mann zwischendurch von der Arbeit heim und gab mir die vom Arzt verordnete Medizin. Haloperidol.
Noch immer dachte ich, mein Kind würde ständig ausgetauscht.
Wenn jemand glaubt, eine Person wird durch einen Doppelgänger ersetzt, nennt man das Capgras Syndrom. Ein Franzose hat diesen Umstand das erste Mal beschrieben. Er ist nach ihm benannt worden. Aber das wusste ich damals nicht.
Mal empfand ich sehr viel Liebe für das Kind. Da glaubte ich, es sei mein eigenes. Ich herzte und küsste ihn besonders viel, sang Lieder. Ich wollte ja, dass mein Kleiner gesund bliebe. Also habe ich ihn wieder schlafen gelegt. Ein anderes mal war dieses Liebesgefühl nicht so stark. Das überzeugte mich, es sei nicht mein Daniel. Trotzdem fügte ich dem fremden Kind kein Leid zu. Ich hätte es ja zwicken oder ziepen können. Ich gebe zu, der Gedanke war schon da. Aber dann dachte ich, vielleicht kann ich mein Kind nicht von den fremden unterscheiden. So war ich zu allen Kindern liebevoll.
All die schizophrenen Gedanken waren für mich Wirklichkeit. Niemals hätte ich geglaubt, dass das, was sich in mir abspielte, zum Krankheitsbild einer Wochenbettpsychose gehöre. Und dabei habe ich bei der Ausbildung zur Kinderkrankenschwester das Fach Psychologie bei einem Oberarzt der Uni gehabt. Ich schloss sogar mit einer Eins ab.
Nach der Einnahme der Medikamente bemerkte ich, wie sich die Motorik von Daniel veränderte. Er zuckte mit Händen und Füßen. Mir war klar, das ist eine Nebenwirkung der Tabletten. Der Wirkstoff war auch in meiner Milch. Ich musste schnell abstillen. Es ging gut. Daniel bekam keine Ernährungsstörung.
Mein Mann und ich fuhren ein zweites Mal in die Klinik. Wieder saßen wir in dem Zimmer mit der Uhr.
Wir sahen, wie sich die Patienten in einer Ecke des Raumes versammelten, sangen und mit Orffchen Instrumenten musizierten. Danach verschwanden alle hinter verschiedenen Türen. Die Uhr tickte und wir warteten. Die Patienten kamen und deckten den Tisch, speisten zu Mittag. Der Tisch wurde abgeräumt und wieder klappten die Zimmertüren. Alle waren verschwunden. Nur die Uhr tickte in die Stille. Noch eine Stunde saßen wir auf den Stühlen. Zu Hause wartete meine Schwiegermutter mit meinem Daniel. Er musste versorgt werden. Wir verließen die Klinik, ohne mit dem Arzt zu sprechen.
Ich schluckte die Medizin, die noch vorhanden war. Die Stimmen verschwanden im Laufe eines Monats. Aber immer noch war eine Denkverzerrung in meinem Kopf.
Der Juli ging vorüber. Ich versorgte meine Kinder, meinen Haushalt, war meinem Mann Frau.
Im September begannen wieder Stimmen in mir zu sprechen. Nun hatte ich auch verstärkt Halluzinationen. Sah halbdurchsichtige Wesen in meiner Wohnung. Sah Lemminge über meine Beine laufen, glaubte, meine zubereiteten Speisen würden vertauscht. Mal waren die Schnitzel, die ich zubereitete kleiner, mal waren sie größer. Beim Putzen fielen mir Details an Gegenständen auf, die ich noch nie vorher bemerkt hatte. Da war ich mir sicher, auch die wurden ausgetauscht. Ich weinte viel, weil all die Gegenständen mit einer Erinnerung verbunden waren.
Ein Jahr blieb ich mit meinem Daniel zu Hause. Dann musste ich wieder in der Krippe arbeiten. Daniel brachte ich in eine andere Krippe, und meine Tochter ging zur Schule und danach in den Hort.
Zunächst bemerkte niemand auf meiner Arbeitsstelle, dass etwas nicht mit mir stimmte. Aber nach zwei Jahren. Ich würde komische Sachen reden, sagten die Kolleginnen. Da behauptete ich, ein ganz bestimmtes Kind wäre bei der Musikbeschäftigung, die ich mit den Kindern durchführte, nicht dabei gewesen. Eine Kollegin wusste aber genau, dass sie gerade das Kind in den Stuhlkreis gesetzt hatte. Es fand danach ein Gespräch mit mir, meinem Mann, der Krippenleitein und dem Krippenarzt statt.
Ich wurde stationär in der Psychiatrischen Uniklinik aufgenommen, bekam Haloperidol. Viel Zwang wurde damals auf mich ausgeübt. Vor allem psychischer. Nach ca. vier Wochen Medikamenteneinnahme verschwand die Schizophrenie, ebenso die Stimmen aus meinem Kopf. Für eine Woche fühlte ich mich gut. So wie ich das aus dem Leben vor der Geburt meines Sohnes kannte. Nur diese eine Woche. Dann setzten die Nebenwirkungen der Medikamente ein. Ich fühlte mich matt, konnte mich nicht konzentrieren, war antriebslos. Jede kleine Tätigkeit strengte mich an. Vier Monate verbrachte ich auf dieser Station. Mein Mann hat mich jeden Tag besucht, ist mit mir spazieren gegangen. Doch das Leben war kein Vergnügen mehr. Die Nebenwirkungen der Medikamente vergällten mir jeden Tag. Zu jeder Tätigkeit gehörte Überwindung.
Nun nahm ich das Medikament Antalon. Aber an den Nebenwirkungen änderte sich nicht viel. Manche Ärzte sagen, Medikamente hätten keine Wirkung auf den Hormonhaushalt. Da muss ich widersprechen. Aus meiner Brust schoss die Milch, obwohl die Geburt meines Sohnes schon mehr als drei Jahre zurücklag.
Ich ging dann wieder in die Krippe arbeiten. Nur noch sechs Stunden täglich. Versorgte meine Kinder und meinen Haushalt, so gut es ging. Glücklich bin ich nicht dabei gewesen.
1984 kamen die Stimmen, die schizophrenen Gedanken zurück. Und das, obwohl ich noch immer Medikamente nahm. Ich ließ auf Anraten meiner inneren Stimme die Medikamente weg und bald danach fühlte ich mich gut. Aber ich hatte wieder eine Psychose, sah halbdurchsichtige Wesen, hörte Stimmen, hatte krankhafte Denkverzerrungen.
Diesmal bin ich auf einer Tagesstation behandelt worden. Das gefiel mir besser. Um 8.00 Uhr musste ich auf der Station sein, um 15.00 Uhr konnte ich nach Hause fahren. Dazwischen lagen Therapien, die mir helfen sollten. Kommunikationstherapie, Bewegungstherapie, Bibliotherapie, Ergotherapie, Musiktherapie. Auf der Tagesstation konnte ich mich mit anderen Patienten unterhalten. Das war gut.
Auch hier verschwanden alle meine Krankheitssymptome nach vier Wochen unter der Einnahme von Tropfen. Aber nach ca. 8 Wochen medikamentöser Behandlung verursachten sie eine schwere Depression bis hin zum Suizidversuch.
Danach nahm ich keine Psychopharmaka mehr ein. Ich bekam zwar ein Medikament verordnet, spuckte es aber in der Klinik aus dem Fenster.
Der Aufenthalt in der Klinik dauerte vier Monate. Danach wurde ich invalidisiert. Konnte aber noch im Lohndrittel, das waren damals täglich vier Stunden, arbeiten gehen.
Wir hatten inzwischen die Wohnung gewechselt und die neue Krippe, in der ich arbeitete, lag ganz in der Nähe .
Regelmäßig ging ich zum Psychiater, nahm aber keine Medikamente ein. Dann meinte der Arzt, er müsse mir nun doch Medizin verschreiben. Lehnte ich sie ab, dürfte ich nicht mehr arbeiten gehen. Das wollte ich nicht. Und dabei ging es mir richtig gut. Nach einigen Wochen setzten die Nebenwirkungen ein. Antriebslosigkeit, Mattheit, ungute Gefühle in meinem Inneren, Interesselosigkeit. Ich dachte, es wäre meine Krankheit.
In dieser Zeit las ich das Buch Rückkehr ins Leben von Wilhelm und Elfriede Thom. Ich konnte nur langsam lesen. Ein Mann verunglückt mit dem Auto bei der Fahrt zur Arbeit. Er muss von da an ein Leben im Rollstuhl führen. Von der Schulter an ist er gelähmt. Mit viel Willenskraft lernt er die Schreibmaschine zu benutzen, schreibt über sein Leben im Rollstuhl. Damals dachte ich, wenn Du mit ihm tauschen könntest, du würdest es tun. Er schlüpft in dein Leben, du setzt dich in den Rollstuhl für ihn, führst sein Leben. Ich war mir sicher, er wäre gekommen und hätte gesagt, gib mir meinen Rollstuhl zurück. Dein Leben kann man nicht leben.
Ja, so habe ich mich unter den Nebenwirkungen von Frenolon gefühlt. Jeder Tag war ein Kampf. Fünfzehn Jahre lang war ich krank. Entweder ich hatte eine Psychose, oder ich litt unter den Nebenwirkungen der Medikation.
Sicher war ich für meine Anja nicht die Mutter, die sie sich gewünscht hätte. Meinen Daniel versorgte ich immer gut. Aber mit Anja schimpfte ich wahrscheinlich zu viel. Ich denke heute, dass ich ihre Bedürfnisse nicht immer erkannt hatte. Ich glaubte in der Psychose, auch sie würde ständig vertauscht. Erledigte sie eine Arbeit gut, war ich überzeugt, das ist meine Tochter. Dann liebte ich sie besonders. War das nicht so, schimpfte ich. Nie habe ich meine Kinder geschlagen oder sonst irgendwie misshandelt.
Mit Daniel habe ich viel gespielt. Habe mit ihm z.B. das Lied „der Schaffner hebt den Stab, da fährt der Zug gleich ab“ gesungen. Ich stellte mehrere Stühle hintereinander auf. Die sollten der Zug sein. Daniel hatte ich eine Pfeife, eine Kelle, und eine Mütze, wie man sie von einem Schaffner kennt, gekauft. Und dann spielten wir „Schaffner“. Das machte ich immer sehr vorbildlich, weil ich glaubte, in den Ecken stünden halbdurchsichtige Wesen, die von mir lernten. Ich wollte ihnen eine gute Lehrmeisterin sein.
Auch wenn ich gekocht habe, ging alles sehr hygienisch zu. Nie hätte ich einen Löffel, von dem ich kostete, wieder in die Suppe getaucht. Wegen der halbdurchsichtigen Wesen, denen ich das Kochen beibrachte.
Mein Mann war immer an meiner Seite. Er war kein Mediziner und wusste nicht, wie er mir helfen solle. Aber er war da. Das war gut für mich und meine Kinder. Dennoch standen wir einmal vor dem Scheidungsrichter. Mein Mann wollte, dass ich meine Verwirrung von einem Arzt behandeln lasse. Doch ich glaubte, ich sei nicht krank. Man denkt oft, ein Mensch mit einer Schizophrenie hätte keine Persönlichkeit. Auch da muss ich widersprechen. Ich bin immer für die Dinge eingetreten, an die ich glaubte. Dass die Psychose mich in eine Welt versetzt, die kein anderer nachvollziehen kann, war mir nicht bewusst.
Mein Mann ging damals zum Jugendamt, um Hilfe zu holen. Sie sagten ihm, er solle sich von mir scheiden lassen. Zu dieser Zeit gab es noch keine „Seelensteine“, eine ambulante Familienhilfe für Kinder mit psychisch kranken Eltern. Diese Einrichtung hätte meiner Familie gut getan.
Als wir vor dem Richter standen, dachte ich, der Mensch mir gegenüber wäre nicht mein Mann. Ausgetauscht, glaubte ich, gegen einen anderen. Nur die äußere Hülle sieht ihm ähnlich. Dem Richter sagte ich, ich wäre in Ordnung. Ich fragte ihn, ob er erkenne, dass ich krank sei. Er solle mir sagen, woran er das bemerke. Da haben sie die Sitzung gleich beendet und verließen den Raum.
Ich habe mich dann doch behandeln lassen. Das war die Zeit, wo ich die Tagesklinik besucht habe.
Zu einer Scheidung ist es nicht gekommen. Bis heute nicht.
1995 bekam ich ein anderes Medikament, Decentan. Vier Milligramm täglich. Damit wurde ich wieder Mensch.
Die häusliche Welt, auf die ich mich in den letzten Jahren konzentriert hatte, wurde mir zu eng. Ich ging in die Schöpfkelle, eine Begegnungsstätte in meiner Stadt. Dort frischte ich mein Englisch auf, nahm an einem Enkaustikkurs teil. Und einen Schreibkreis gab es auch. Mein erstes Gedicht ist dort durchgefallen. Aber als ich von der Wochenbettpsychose erzählte, horchten alle auf. Nie zuvor hatte ich mit jemanden über meine Krankheit gesprochen. Ein Jahr lang habe ich mich dann mit der Krankheit auseinandergesetzt, alles aufgeschrieben. Von einer Schriftstellerin, die den Schreibkreis leitet und von den schreibenden Mitgliedern bekam ich viele gute Anregungen. Erhielt Hinweise zur Verbesserung meines Schreibstils. Die Geschichte wurde in einem Buch veröffentlicht.
Während dieser Zeit litt ich viel unter Schlafstörungen und musste mir von meinem Arzt Schlaftabletten verschreiben lassen. Aber je öfter ich mich mit der Krankheit auseinandersetzte, um so leichter fiel es mir, darüber zu sprechen, desto mehr Abstand bekam ich.
Später sprach ich sogar in verschiedenen Fernsehsendungen über die Erkrankung, einmal im Radio MDR. Auch um anderen Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, Mut zu machen. Ihnen zu sagen, man kann die Krankheit überwinden und zu einem glücklichen Leben finden.
Diese Aufnahmen machte ich gemeinsam mit dem Professor der Uniklinik hier in meiner Stadt und einmal mit meinem behandelnden Psychiater. Ich hatte sogar einen Auftritt in einer Talkshow mir Pfarrer Fliege. Da ist mein Sohn mit mir nach München ins Filmstudio gefahren. Es war eine Liveshow. Nichts hatte ich vorher mit Herrn Fliege besprochen. Ich wusste nicht, welche Fragen er mir stellen würde. Ich ging ins Studio, alle Lampen, alle Kameras waren auf mich gerichtet. In dem Moment verschwand das Lampenfieber. Ich glaube, ich habe das gut gemacht.
Als die Wechseljahre einsetzten, ging es mir noch einmal schlechter. Ich litt unter Schlafstörungen, war verstimmt. Doch auch diese Zeit liegt hinter mir.
In den Psychoseseminaren, die hier in meiner Stadt seit dem Jahr 2002 durchgeführt werden, setzte ich mich noch einmal aktiv mit der Krankheit auseinander. Psychose und Tätigsein, Psychose und Familie, Psychose und Kreativität gab es neben vielen anderen Themen. Die Seminare taten mir gut, weil ich dort auch Inputs gab und manches Seminar moderierte. Das hat meine Sprache gefördert, hat mich veranlasst, verschiedene Bücher zu lesen und mich mit Rhetorik zu beschäftigen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2014. Ich fühle mich gut, habe viele Hobbys. Ich male, fotografiere, schreibe noch immer. Viele Geschichten sind in Büchern veröffentlicht worden. Ich leite in meiner Stadt die Haikugruppe. Die japanische Dichtkunst fasziniert mich schon einige Jahre. Seit dem Jahr 2000 bin ich Mitglied der Deutschen Haikugesellschaft e.V.. Vier Jahre war ich sogar zweite Vorsitzende der Gesellschaft.
Jede Woche besuche ich die Volkshochschule und verbessere meine Englischkenntnisse. Ich habe viele Reisen unternommen innerhalb von Deutschland und ins Ausland. England, Zypern, Malta, Mallorca, Tunesien, Frankreich, Türkei und, und, und... wurden von mir bereist.
Außerdem setze ich mich auf verschiedene Weise für die Interessen psychisch kranker Menschen ein.
Zu meiner Familie, meinen Kindern und Enkelkindern habe ich gute Beziehungen. Die Familienfeste genieße ich. Einige schöne gemeinsame Reisen gehören zu meiner Erinnerung.
Ich backe und koche gern und fühle mich in einer sauberen, aufgeräumten Wohnung wohl.
Gleich nach der Wende kauften wir uns einen Garten. Den pflege und hege ich mit meinem Mann. Viele Partys fanden hier statt.
Vor sieben Jahren hatte ich noch einmal eine Psychose. Mit Begleitung meines Arztes ließ ich das Psychopharmakum weg. Und das ist schief gegangen. Alle Symptome waren wieder da. Stimmen hören, Halluzinationen, krankhafte Denkverzerrungen. Aber ich bin wieder auf die Beine gekommen. Mit nur vier Milligramm Decentan täglich. Und ich verbrachte diese Zeit zu Hause in meinen vier Wänden. In der Klinik hätten sie mir erst mal eine hohe Dosis Psychopharmaka verabreicht. Und wer weiß, welche Nebenwirkungen dann aufgetreten wären.
Aus mir ist ein zufriedener Mensch geworden. Und manchmal bin ich sehr glücklich.
Re: Wochenbettpsychose, ein langer Leidensweg mit Happyend
Wow, ich bin sprachlos. Ich ziehe den Hut vor dir. Danke, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast.
LG, Sanna
LG, Sanna
schwere PPD 2012, heute komplett symptomfrei
Re: Wochenbettpsychose, ein langer Leidensweg mit Happyend
Liebe Sonja
deine Geschichte hat mich wirklich sehr bewegt und ich staune immer wieder, wenn ich solche Dinge lese, wieviel ein Mensch ertragen kann ohne aufzugeben. Ich möchte dir danken, dass du uns hier deinen langen und harten Leidensweg niedergeschrieben hast. Das du deine Seele geöffnet hast, um uns hier und den vielen anderen Menschen auf der Welt, die diese Krankheit haben, Mut zu machen und zu zeigen, dass es sich zu kämpfen lohnt.
Auch ich stecke momentan wieder in einer tiefen Krise und denke so oft, dass ich es nicht schaffen werde dieses Mal. Die Hoffnung auf ein Happyend.....puh.....ja, das wünsche ich mir und allen anderen hier und sonstwo, die verzweifelt sind und gepeinigt von dieser elenden Krankheit.
Ich wünsche dir nur das Beste.
Grüsse,
scaramouch
deine Geschichte hat mich wirklich sehr bewegt und ich staune immer wieder, wenn ich solche Dinge lese, wieviel ein Mensch ertragen kann ohne aufzugeben. Ich möchte dir danken, dass du uns hier deinen langen und harten Leidensweg niedergeschrieben hast. Das du deine Seele geöffnet hast, um uns hier und den vielen anderen Menschen auf der Welt, die diese Krankheit haben, Mut zu machen und zu zeigen, dass es sich zu kämpfen lohnt.
Auch ich stecke momentan wieder in einer tiefen Krise und denke so oft, dass ich es nicht schaffen werde dieses Mal. Die Hoffnung auf ein Happyend.....puh.....ja, das wünsche ich mir und allen anderen hier und sonstwo, die verzweifelt sind und gepeinigt von dieser elenden Krankheit.
Ich wünsche dir nur das Beste.
Grüsse,
scaramouch
Re: Wochenbettpsychose, ein langer Leidensweg mit Happyend
Liebe Sonja,
auch mich hat deine Geschichte sehr bewegt. Es ist immer wieder für mich ein Trigger, wenn ich solche Erlebnisse lese, denn während meiner Krise hatte und habe ich teilweise immernoch grosse Angst psychotisch zu werden. Aber ich sage mir- Konfrontation ist eine gute Therapie. Ich bin nicht psychotisch geworden und aber zu sehen, dass Menschen wie du auch mit Psychose es lernen können damit umzugehen und wieder ein gutes Leben zu führen-das gibt Kraft. Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Und ich glaube, durch diesen Leidensweg bist du innerlich ein sehr starker Mensch geworden. Und das gibt Mut.
Viele Grüße,
framboise
auch mich hat deine Geschichte sehr bewegt. Es ist immer wieder für mich ein Trigger, wenn ich solche Erlebnisse lese, denn während meiner Krise hatte und habe ich teilweise immernoch grosse Angst psychotisch zu werden. Aber ich sage mir- Konfrontation ist eine gute Therapie. Ich bin nicht psychotisch geworden und aber zu sehen, dass Menschen wie du auch mit Psychose es lernen können damit umzugehen und wieder ein gutes Leben zu führen-das gibt Kraft. Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Und ich glaube, durch diesen Leidensweg bist du innerlich ein sehr starker Mensch geworden. Und das gibt Mut.
Viele Grüße,
framboise
Re: Wochenbettpsychose, ein langer Leidensweg mit Happyend
Hallo Sonja..
Ganz meine Meinung,und schließe mich framboise an.
Alles Gute weiterhin und viele Grüße
Martina
Ganz meine Meinung,und schließe mich framboise an.
Alles Gute weiterhin und viele Grüße
Martina
Re: Wochenbettpsychose, ein langer Leidensweg mit Happyend
Liebe Sanna, scaramouch, frambiose, kleiner Prinz,
danke für Eure Wortmeldung.
Möget Ihr Strategien finden, die Euch helfen mit kritischen Situationen fertig zu werden. Möget Ihr Menschen an Eurer Seite haben, die Euch stärken, helfen oder Euch einfach nur zuhören. Findet sie für Euch und Eure Kinder.
Es gibt ein Gedicht von Hermann Hesse. Es ist, als hätte er es für mich geschrieben. Ich füge es mal hier mit ein.
Gestutzte Eiche
Wie haben sie dich, Baum, verschnitten,
wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast du hundertmal gelitten,
bis nichts in dir als Trotz und Wille war!
Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
gequälten Leben brach ich nicht
und tauche täglich aus durchlittnen
Roheiten neu die Stirn ins Licht.
Was in mir weich und zart gewesen,
hat mir die Welt zu Tod gehöhnt.
Doch unzerstörbar ist mein Wesen,
ich bin zufrieden, bin versöhnt.
Geduldig neue Blätter treib ich
aus Ästen hundertmal zerspellt,
und allem Weh zum Trotze bleib ich
verliebt in die verrückte Welt.
Hermann Hesse
Seid herzlich gegrüßt,
Sonja
danke für Eure Wortmeldung.
Möget Ihr Strategien finden, die Euch helfen mit kritischen Situationen fertig zu werden. Möget Ihr Menschen an Eurer Seite haben, die Euch stärken, helfen oder Euch einfach nur zuhören. Findet sie für Euch und Eure Kinder.
Es gibt ein Gedicht von Hermann Hesse. Es ist, als hätte er es für mich geschrieben. Ich füge es mal hier mit ein.
Gestutzte Eiche
Wie haben sie dich, Baum, verschnitten,
wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast du hundertmal gelitten,
bis nichts in dir als Trotz und Wille war!
Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
gequälten Leben brach ich nicht
und tauche täglich aus durchlittnen
Roheiten neu die Stirn ins Licht.
Was in mir weich und zart gewesen,
hat mir die Welt zu Tod gehöhnt.
Doch unzerstörbar ist mein Wesen,
ich bin zufrieden, bin versöhnt.
Geduldig neue Blätter treib ich
aus Ästen hundertmal zerspellt,
und allem Weh zum Trotze bleib ich
verliebt in die verrückte Welt.
Hermann Hesse
Seid herzlich gegrüßt,
Sonja
Re: Wochenbettpsychose, ein langer Leidensweg mit Happyend
Liebe Sonja,
vielen Dank für dieses Gedicht. Das bin ICH! Selten habe ichetwas gelesen. dass so genau meinen Zustand getroffen hat. Vielen, vielen Dank.
LG, Sanna
vielen Dank für dieses Gedicht. Das bin ICH! Selten habe ichetwas gelesen. dass so genau meinen Zustand getroffen hat. Vielen, vielen Dank.
LG, Sanna
schwere PPD 2012, heute komplett symptomfrei
Re: Wochenbettpsychose, ein langer Leidensweg mit Happyend
Liebe Sonja,
deine Geschichte hat mein Herz ganz tief berührt.
Ganz wundervoll hast Du deinen Leidensweg gemeistert.
Fühle dich umarmt ...
deine Geschichte hat mein Herz ganz tief berührt.
Ganz wundervoll hast Du deinen Leidensweg gemeistert.
Fühle dich umarmt ...