so kenne ich mich nicht

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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sonnenschein

so kenne ich mich nicht

Beitrag von sonnenschein »

seit ich diese medikamente nehme, bin ich ein ganz anderer mensch. ok, ich war vorher schon eine zicke, aber nun werde ich zum zickenmonster (mein freund nennt mich neuerdings so). außerdem flippe ich bei jeder kleinigkeit aus und werde aggressiv.
ich hasse aggressivität wie die pest.
bestes beispiel:
neulich beim abendessen war der tee leer. ich habe meinen schatz gefragt, ob er vielleicht welchen machen würde. er antwortete damit, dass ich auch mal welchen machen könnte. ich springe auf wie von der tarantel gestochen, brülle ihn an, was ich noch alles machen soll und stampfe wütend in die küche. WEGEN TEE!!! :oops:

das kann doch nicht wahr sein. durch solche eskapaden habe ich meiner familie den vorletzten sonntag vermiest, weil es so ähnlich die ganze zeit ablief.

ich mache das nicht mit absicht, es passiert einfach so, ohne dass ich es will.

früher war ich ein lebenslustiger mensch, immer mit einem lächeln im gesicht. wenn ich sauer war, habe ich es runter geschluckt und abends heulend im bett gelegen, heute breche ich sofort in tränen aus, kann kaum lachen.

mein leben ist so leer geworden. ich kann froh sein, meinen sohn und meinen freund zu haben. ich sollte es jedenfalls. kann es aber irgendwie nicht.

das glas ist halb leer und am blauen himmel sehe ich nur die wolken, die aufziehen. ich kann nicht abschalten, nichts genießen.

ich funktioniere, weil ich es muss. es bleibt mir nichts anderes. aber nicht einmal mehr funktionieren kann ich. die wohnung sieht aus, als hätte eine granate eingeschlagen. hab seit 2 tagen nicht aufräumen können.
ich nehme mir sachen vor, kann sie aber nicht ausführen. es ist zum heulen.
und ständig diese angst im stich gelassen zu werden. ständig denke, ich nicht mehr geliebt zu werden. habe angst, er könnte mich verlassen. wir streiten oft in letzter zeit.
ich wollte mich oft von ihm trennen, schaffe es aber nicht. ich habe angst, solche angst, dass sie ihn mir wegnehmen, weil ich aus sicht anderer nicht in der lage bin, mich um meinen sohn zu kümmern.

ich kann es mir einfach nicht erklären. von allen seiten kriege ich zu hören, wie gut er sich macht. er ist ein fröhliches kind, meistens. jeder sagt mir, ich wäre eine gute mutter und doch habe ich das gefühl, jeder würde mich für eine schlechte halten und denken, ich wäre zu jung und unreif für ein kind.

jeder schüttelt mit dem kopf, wenn ich auf die frage, wie es mir geht mit "schlecht" antworte. sie verlangen, dass ich glücklich und zufrieden bin, weil ich ja mutter bin. ich kann aber nicht glücklich und zufrieden sein.

jeden monat am 5. kommen die erinnerung, manchmal auch jeden freitag. ich will diese erinnerungen nicht mehr ertragen müssen. wie mich der chefarzt zur sau gemacht hat, sie mir den kleinen weggenommen haben um ihn in das kinderkrankenhaus zu bringen. wie er da lag mit all den schläuchen. es tut so weh, so verdammt weh. ich will nicht mehr dran denken müssen.

abends wenn er in seinem bett liegt habe ich angst, ihm könnte was passieren. er liegt einfach da und schläft, er atmet ruhig. alle paar minuten gehe ich zu seinem zimmer und schaue, ob sich sein brustkorb noch hebt und senkt. wieder diese angst. ich werd bekloppt vor angst.

ich habe angst abends ins bett zu gehen. dort beginnt wieder die angst. diesmal davor schlecht zu träumen.
ich träume immer schlecht, erstrecht seit der einnahme der medikamente. ein alptraum jagt den nächsten. dort sterben menschen, die mir nahe stehen, sie haben unfälle, werden krank oder streiten sich. mit florian ist dann meistens etwas. ich träume oft, dass ich ihn irgendwo vergesse oder er mir weggenommen wird. jede nacht, immer das gleiche.
ich will nicht mehr, kann nicht mehr.

aber ich muss, für meinen sohn.
Melli79

Beitrag von Melli79 »

Hallo Du Arme!

Nun hast Du in Deinen Zeilen schon selber geschrieben was Dich am meisten umhaut: die ANGST! Alles was Du denkst,machst und fühlst besteht aus Angst.

Das ist leider der Kern dieser blöden Krankheit um den sich alles dreht und glaube mir ich kenne das nur zu gut!

Du sagst Du hast schon überlegt Dich zu trennen, ist denn Eure Partnerschaft kaputt, oder denkst Du einfach nur das Du eine Last für Deine Familie bist?

Du hast geschrieben daß Du Dein Kind mit Schläuchen siehst, ist er denn schwer krank gewesen?(sorry, kann mir nicht immer all das was ich gelesen habe merken)

Das Du so schnell agressiv wirst würde ich mal bei Deinem Arzt ansprechen, der kann Dir da bestimmt was zu sagen.

Auf der anderen Seite kommt vielleicht jetzt das mal raus, was Du sonnst immer runtergeschluckt hast wie Du sagtest. Irgendwann ist das Ventil so voll das es mal geleert werden muß und dann äußert sich das in solchen Ausbrüchen.

Auf die andere Leute darfst Du nichts geben, aber vielleicht solltest Du bei manchen auf die wie geht es frage einfach nur mit sachen wie: so lala, oder man schlägt sich so durch antworten. Viele Leute haben mit ihrem eigenen Leben so viel zu tun, daß sie überfordert sind wenn andere mal nicht vor Fröhlichkeit strahlen, zumal sich sehr viele mit diesen psychischen Krankheiten sowoeso nicht auskennen!!

Ich habe oft mit mir geht es gut geantwortet weil ich genau wusste das der Eine oder Andere sowoeso nicht weiter zugehört oder nachgefragt hätte. Sogar in unserem Freundeskreis haben sich ein paar zurückgezogen, weil sich nicht wußten wie sie mit mir umgehen sollen!!
Schade, aber man weiß woran man ist! :wink:

Liebe Grüße

Melli
ubure

Beitrag von ubure »

Hallo sonnenschein,

Melli hat Dir eigentlich schon alles gesagt, was ich auch sagen wollte.

Das mit den Alpträumen ist einerseits normal unter den Medis, darüber musst Du Dir keinen Kopf machen (ich weiß, Du machst Dir eine Kopf, klar, aber das nur zur Beruhigung), zum anderen sind da vielleicht, wahrscheinlich wirklich Konflikte in Dir. Du scheinst ja schon einiges hinter Dir zu haben mit Deinem Kleinen, aber gut ist doch auch, dass Du ihn liebst, Dich sehr um ihn sorgst. Ich kann Deine Gedanken gut verstehen, mir ging's genauso. Dabei haben aber höchstwahrscheinlich nicht die Medis schuld an Deiner Aggressivität, sondern die PPD (die Du meiner unprofessionellen Meinung nach doch hast). Da Du sie ja erst seit Juni nimmst udn auch in einer niedrigen Dosis, würde ich Dich schon bitten, noch Geduld zu haben. Du hast heir sicher schon tausendmal gelesen, dass die Wirkung einfach eine Zeit auf sich warten lässt.

Bist Du auch in Therapie? Wäre vielleicht eine sehr gute Idee, einfach mal jemanden zu haben, dem man alles raufquatschen kann und der nicht direkt beteiligt ist (und seinen Job gut versteht :wink: ).

Für eine Partnerschaft ist es immens schwer, so eine Krankheit zu verkraften. Hab's ja schon oft erzählt: mein Mann sagt immer, er versteht erst seit gut 2 Jahren, was da bei mir abgeht (und ich bin seit 6 Jahren im Club). Viel Geduld, Liebe und noch mehr Geduld und dass er sieht, dass Du nicht aufgibst, was tust gegen den Mist, und Ihr schafft das zusammen, für Euren Sohn.

LG,
Inez
sonnenschein

Beitrag von sonnenschein »

wegen unserem sohn: er wurde am tag seiner geburt in die kinderklinik gebracht, weil sein blutzucker zu niedrig war. an sich nichts schlimmes. er sollte nur ein paar tage zur beobachtung bleiben. daraus wurden 13 tage.
als ich ihn das erste mal sah, war er voll mit schläuchen und einer infusionsnadel. sie sah so riesig aus, an seinem kleinen körper. er bekam insulin und irgenwelche anderen infusionen. er war am ekg bis kurz vor seiner entlassung.

wegen meinem freund: er hat viel mist gebaut in den ganzen 3 jahren, in denen wir zusammen sind. wir haben uns seit ein paar monaten nichts mehr zu sagen, leben aneinander vorbei. ich habe das gefühl, er nimmt mich und meine krankheit nicht ernst. er kümmert sich kaum um unseren sohn, weiß nichts mit ihm anzufangen. es ist zum heulen.

neuerdings kommen auch noch angst- und panikattacken dazu. ich kriege nen anfall, wenn ich weiß, dass ich allein bin.
gestern wollte er abends noch weg. ich habe das weinen angefangen, aus angst wieder angst zu haben. es klingt total bescheuert aber so war ist.
ich werd wahrscheinlich die ganze woche allein mit dem kleinen sein, weil er beruflich unterwegs ist. aber damit kann ich leben. er hat es mir früh genug gesagt, also konnte ich mich darauf vorbereiten.

ist alles super kompliziert...

was meine aggressionen angeht: ich habe es meinem arzt gesagt, aber er meinte nur irgendetwas vonwegen, da müsste ich jetzt durch, das geht vorbei. super. und wann ist irgendwann???
Marlen

Beitrag von Marlen »

Hallo Sonnenschein!
Als ich deine Zeilen gelesen habe, erinnerte ich mich sofort an die Geburt meines Sohnes. Auch er wurde an dem Tag seiner Geburt in die Kinderklinik, sogar auf die Neotatologie, gebracht. Mit einem Rollstuhl wurde ich abdens zu ihm gebracht. Er bekam Infusionen, eine Atmungshilfe und hatte eine Magensonde und tausende andere Kabel.
Er wurde mir (wenn auch nur kurz) weggenommen. Lange, lange Zeit sah ich die Infusionen, hatte Angst ihn wieder hergeben zu müssem. Ich lag stundenlang neben ihn und überwachte seine Atmung. Manchmal stupste ich ihn sogar an. Aus der Angst um seine Gesundheit wurde die Angst um sein Leben und somit auch um meines. Daraus wurde eine PPD. Ich konnte ihn nicht loslassen. Tagsüber hatte ich ihn im Tragetuch, nachts neben mir im Bett. Ich hatte nur Angst, manchmal so viel, dass ich die Liebe nicht mehr spüren konnte. Doch ich bekam schnell Hilfe.
Medikamente nahm ich, aber nur kurz. Ich machte eine Psychotherapie, in der ich die ganze Geburt aufarbeiten konnte und mich dem Bild von meinem Kind in der Klinik stellte. Ich weinte sehr viel. Alles kam wieder hoch, aber es tat gut.
Inzwischen ist er fast ein Jahr alt. Manche Tage sind schlechter und manche besser. Die meisten sind gut. Die Angst ist weniger geworden, fast vorbei. Wir freuen uns aneinander und miteinander und genießen das Leben.
Und mit "wir" meine ich machnmal auch nur meinen Sohn und mich. Denn mit meinem Mann habe ich auch Probleme. Er macht oft blöde Bemerkungen über meine Krankheit. Mit dem Kleinen ist er oft ungeduldig oder weiß nicht was anzufangen mit ihm. Manchmal blieb ich nur bei ihm, weil ich Angst hatte alleine zu sein. aber auch das wurde besser und inzwischen Glaube ich, dass unsere Probleme Teil meiner Krankheit waren oder sind. Ich bin froh ihn zu haben und, dass er mir auf seine Art beistand. Er war da, auch wenn er vieles nicht verstand oder wusste.
Im Zuge meiner Therapie schrieb ich die gesamte Geburt und die Zeit danach nieder. Das tat total gut. Ich schrieb es mir von der Seele und gab es ihm zu lesen. Und er meinte, er verstehe jetzt vieles mehr. Auch aus meiner Sicht. Ich nahm die gleiche Situation vollkommen anders wahr als er. Vielleicht wäre es auch eine Idee für euch.
Morgen haben wir unseren 2. Hochzeitstag und ich traue mich meinen Sohn bei meiner Schwester zu lassen und mit ihm Essen zu gehen. Es wird besser, such dir einfach Hilfe. je früher, umso besser.
Du siehst, wir haben einiges gemeinsam...
Alles Gute und Liebe
marlen
sonnenschein

Beitrag von sonnenschein »

der kleine hatte ebenfalls eine magensonde. was das niederschreiben betrifft: nun seit einer woche führe ich eine art "depressionstagebuch" ich werde es ihm geben, wenn ich soweit bin. bei mir ist es so, dass ich besser schreiben als reden kann.
er möchte immer wissen, was mich bedrückt. ich würde es ihm auch gern erzählen, aber ich kann nicht. ist alles etwas schwierig im moment.
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