Meine Schwangerschaft - krank, depressiv, ängstlich (lang)

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Jane

Meine Schwangerschaft - krank, depressiv, ängstlich (lang)

Beitrag von Jane »

Ich heiße Angelika, bin 33 Jahre alt und seit dem 1.Oktober 2007 mit dem tollsten Mann der Welt zusammen. Geheiratet haben wir am 5.12.2008, mitten in meiner Schwangerschaft, die mich in die bisher größte Krise meines Lebens gestürzt hat.

Ich weiß seit vielen, vielen Jahren, dass ich Kinder will. Und so trieb ich unsere Kinderplanung recht schnell voran, wusste ich doch, dass bei mir der Verdacht auf eine Hormonstörung namens PCOS besteht, die das Schwangerwerden erschweren kann. Und so dauerte es auch nicht lange, bis ich mit meinem –damals noch – Verlobten bei einem Spezialisten für diese Hormonstörung in einer Kinderwunschklinik saß. Sein Spermiogramm war gut, meine Hormonwerte mittelmäßig und meine intrauterine Situation mäßig – keine Eisprünge, keine Chance auf Schwangerschaft.
Durch Zufall landete ich bei einem „normalen“ Frauenarzt, der die Diagnose als Panikmache abtat und mich behandeln wollte. Da wir uns beide dort viel wohler fühlten als in der sterilen Kinderwunschklinik, ließen wir ihn behandeln. Nach 3 Zyklen mit einem eisprungauslösenden Medikament, einer Bauchspiegelung und viel Panik, dass es mir einfach nicht vergönnt sein würde, passierte es dann im 9. Zyklus nach Absetzen der Pille: Trotz typischer Menstruationsvorboten zeigte der Test „schwanger“ an. Wir freuten uns tierisch, guckten uns immer wieder ungläubig an. Mein Freund schwankte zwischen latenter Panik und unbändiger Freude, ich freute mich nur und hätte am liebsten schon einen ganzen Babyladen leergekauft.
Der erste Ultraschall in der 6. Woche war wundervoll – man konnte das kleine Herzchen schon schlagen sehen, wir hatten beide Tränen in den Augen.

Dann fing es mit "harmloser" Übelkeit zwischen der 6. und 7. Woche an.
Ab der 7. Woche musste ich es dann auf der Arbeit sagen - die Übelkeit, über die ich mich anfangs fast schon freute, machte mir das Arbeiten sehr schwer, ich würgte viel und aß wenig. Es kam mir vor, als hätte ich einen Klumpen im Magen, wie das Gefühl, wenn man nachts aufwacht, kurz bevor man sich übergeben muss. Zwischen jeglichen Lebensmitteln und meinem Mund war eine große Mauer. Ab und zu ging etwas rein, abends eher als den Rest des Tages. Es schmeckte nichts und auch das Trinken fiel mir schwer. Trotz der Übelkeit, die mir auf den Kreislauf schlug und Magenschmerzen verursachte, freute ich mich mit meinen Verwandten, als wir es „verkündeten“. Leider kamen auch noch Migräneanfälle dazu (mit Sehstörungen und Taubheitsgefühlen) und so wurde ich für zwei Wochen krankgeschrieben.

Akupunktur und Behandlungen bei einer Homöopathin über viele Wochen brachten nichts außer Stress und Angst. Von allen Seiten hörte ich, dass das in der 12. Woche alles aufhören sollte. Leider tat sich nichts, außer einer kurzzeitigen Besserung an einem Tag nahm ich weiter ab und vegitierte nur noch auf der Couch vor mich hin. Alle Tipps gegen Übelkeit halfen rein gar nichts.
Mein Frauenarzt verschrieb mir Vomex. Ich nahm es nicht, weil ich mich daran erinnerte, dass es mich total müde gemacht hatte, als ich es mal nahm, ewig her.
Die homöopathischen Mittelchen erbrach ich.
Ein Magen-Darm-Virus setzte mich völlig schachmatt, aus meinem ohnehin schon geschwächten Körper kam alles raus und ich war für drei Tage bei meinem Hausarzt ambulant um die Ecke am Tropf. Teilweise konnte ich nicht mehr als zwei Schritte laufen, ohne zusammenzuklappen. Ich nahm tröpfchenweise Suppe, Elektrolyte und Tee zu mir, mein Freund und meine Familie waren in höchster Sorge um mich. Als dann noch Fieber aufkam, nahm ich Paracetamol und gegen den Pilz, der sich über meine geschwächte Abwehr freute, Scheidenzäpfchen.
Ich erholte mich von dem Virus, kam aber nicht wieder auf die Beine.
Aus den zwei Wochen Krankschreibung wurden vier, wurden sechs, wurden acht, in denen ich auf der Couch saß oder lag und meinen Hunger und meine Lebensfreude vermisste und begann, mein "altes, normales" Leben erst zu vermissen, dann nach und nach zu vergessen.
Ging ich mal vor die Tür, kam mir die Welt zu schnell und zu facettenreich vor für meine Augen und meinen Geist - ich konnte das alles gar nicht auf einmal aufnehmen. Ich konnte mir nicht vorstellen, früher mal konzentriert gearbeitet zu haben, geschweige denn, das irgendwann wieder leisten zu können. Ich fühlte mich wie ein Statist zwischen Menschen, die anders waren als ich, ich definierte mich nicht mehr als "normal", fühlte mich dieser Menschheit nicht mehr zugehörig.
Ich vermute, dass ich da die erste depressive Episode hatte.

In der 13. Woche war ich nach 6 Kilo Gewichtsabnahme auf Anweisung meines Frauenarztes im Krankenhaus. Er hatte eine Infusionstherapie angeordnet, aber die Ärzte im Krankenhaus schoben die Übelkeit auf die Psyche und meinten, durch Abschotten würde alles besser - eine weitverbreitete Meinung bei Schwangerschaftsübelkeit. Ich bekam also keine Medikamente, keine Infusionen und keine Betreuung und sollte möglichst wenig Besuch bekommen.
Ich hatte ein Einzelzimmer mit Kühlschrank und großem Fernseher. Ich aß etwas mehr als zuhause, aber im Endeffekt war es genauso ein Dahinvegitieren wie zuhause auf der Couch. Nur einsamer…
Nach 4 Tagen, in denen ich mir einredete, dass es besser geworden war, konnte ich wieder nach Hause. Ich war nach wie vor sehr schwach und mir war zu schwindelig, ein Buch zu lesen.
In der 14. Woche konnte ich nicht mehr.
Ein Dienstag Abend, es war der Tag vor dem 1.10. gab ich nur noch solche Sätze von mir:
"Ich will nicht mehr schwanger sein"
"Ich habe keinen Lebensmut mehr"
"Ich habe Angst, dass ich nie wieder normal werde"
Auch mein Freund, der sich bisher tapfer geschlagen hatte und neben dem Beruf meine Pflege und den gesamten Haushalt übernommen hatte, verlor mittlerweile den Mut.

Am Tag danach schaffte ich es, ins Auto zu steigen und hatte mir vorgenommen, so lange von Arzt zu Arzt zu gehen, bis mir geholfen wurde, notfalls wieder ins Krankenhaus oder sogar in die Psychiatrie. Meine erste Anlaufstelle war mein Frauenarzt, der in Urlaub war, aber eine Vertretung in der Praxis hatte.
Ich setzte mich, mühsam die Tränen zurückhaltend, hin. Der Vertretungsarzt fragte freundlich: "Was kann ich für Sie tun, Frau K.?"
So geweint, nein geheult, geschluchzt habe ich selten, er war total erschrocken. Aber er nahm mich ernst und war wirklich einfach nur "lieb". Ich weinte vor Erleichterung, dass endlich mal was passierte.

Therapie: Vomex Zäpfchen, 2 am Tag. Dazu Nausan, 3x am Tag.

Ich weinte und weinte auf dem Nachhauseweg und kaufte mir zuhause erst mal einen Weckmann. Dann nahm ich das erste Zäpfchen. Ich telefonierte mit einer Freundin und während des Gesprächs - ich kann es kaum beschreiben - wurde die Welt heller. Energie floss durch meinen Körper, die Übelkeit war nur noch gedämpft da, ich fühlte mich, als hätte ich ein Antidepressivum genommen. Ich knabberte am Weckmann. Irgendwoher durchströmte mich Energie – ein vergessenes, unglaubliches Gefühl.
Ab da wurde es besser und in der nächsten Woche ging ich mehrere Tage arbeiten, aber nur stundenweise, schließlich hatte ich 5 Kilo verloren und kam mir vor wie nach einer langen Krankeit. Vomex reichte 1 morgens - die Übelkeit war stark gedämpft, Nebenwirkungen wie Müdigkeit oder Benommenheit hatte ich gar nicht. Wundersamerweise war es meinem Baby die ganze Zeit gutgegangen - das hat die Natur so eingerichtet.
Es blieb nur die Angst vor Migräne und das ständige Hoffen, dass das Schwächegefühl endlich wegging und ich mich wieder zu 100% dem Alltag gewachsen fühlte. Die Welt war immer noch "zu schnell" für mich und meine Augen.
Aber endlich wieder genussvoll essen zu können, war ein Zugewinn an Lebensqualität, der mich wieder optimistisch stimmte.

Dann - leider, leider - hatte ich einfach nur Pech. Seit Beginn der Schwangerschaft zwickte ein Zahn, der auch mit neuer Füllung versehen worden war, aber anscheinend hatte sich der Nerv entzündet und so lange stillgehalten, bis ich die Zäpfchen- Therapie begonnen hatte. Also über 2 Monate.
Da in der Schwangerschaft Röntgen flach fällt, wurde mir nach zahlreichen Besuchen der Nerv auf Verdacht entfernt - war auch an der Zeit, die Nacht davor war extrem schmerzbelastet und ein Teil des Nervs war entzündet, ein anderer abgestorben, aber er konnte ohne große Schmerzen entfernt werden, mit Betäubung natürlich.
Tags darauf wachte ich traurig auf und fühlte mich an die Depression erinnert, die ich mal hatte, vor Jahren. Traurig, schwere Glieder, ich fühlte mich wie gelähmt und wusste nicht, wie ich den Tag überstehen soll. Mit Mühe und Not den Arbeitstag überstanden - Appetitlosigkeit, Schwäche, niedriger Blutdruck, Ratlosigkeit, Resignation.

Tags darauf – mein Freund hatte auch noch Geburtstag - meldete ich mich krank und schleppte mich morgens auf allen vieren mit angeschwollener Backe zum Zahnarzt. Als ich dort ankam, war ich kurz davor, einen Notarztwagen zu rufen. Stattdessen kroch ich weinend zu einer Arztpraxis zwei Häuser weiter und legte mich dort auf eine Liege, da die Zahnarztpraxis noch geschlossen war. Ein Aufbohren der Füllung, um Druck aus dem Zahn abzulassen brachte nichts. Meine Zahnärztin war gar nicht da, die Helferin machte das auf eigene Faust.
Ich schleppte mich wieder zu dem Allgemeinmediziner und wurde mit einer Infusion versorgt. Der Arzt wies mich auf die Dringlichkeit von regelmäßigen Infusionen und Einnahme eines Antibiotikums wegen dem Zahn hin.
Nach der Infusion hatte ich wieder 1% Energie in meinem Körper und fuhr zu einem anderen Zahnarzt. Dort wurden die Wurzelkanäle wieder gereinigt und ich bekam ein Antibiotikum und Paracetamol verschrieben. Der Zahnarzt machte mir Hoffnung, dass nach Medikamenteneinnahme und einem Schläfchen "alles gut" würde.

Ich wachte mittags auf und kann nicht beschreiben, wie "schwarz" die Welt war. Ich hatte Schmerzen wie wahnsinnig, meine Backe war dick und ich weinte nur noch. Zwischendurch fragte ich mich immer wieder selbst „Warum ich?“
Ich rief meine Eltern an, die mich abholten und mich zu einem Notdienst brachten. Dort wurde der Zahn wieder gereinigt.
Im Auto ließ die Betäubung nach, ich kann es nicht beschreiben, ich habe noch nie solche Schmerzen gehabt. Mein Vater war den Tränen nahe, wollte mich in einen Tiefschlaf versetzen, weil er solches Mitleid mit mir hatte.
Auch mein Freund und meine Mutter am Ende, hilf- und ratlos.
Am Samstag Morgen dann nur noch Tränen, Hoffnungslosigkeit. Es ging nicht mehr.
Ich hielt mich selbst für verrückt. Eine Freundin empfahl mir ein anderes Krankenhaus. Meine Selbstdiagnose: Schwangerschaftsdepression.

In der Klinik bekam ich endlich Infusionen und das Gefühl, ernst genommen zu werden. Dem Baby ging es gut. Jeden Tag musste ich 30 km zum Zahnarzt und zurückgefahren werden, manchmal sogar zweimal. Meine Familie und mein Freund waren großartig! Die Zahnärztin hatte das ganze Wochenende Notdienst. Die Nächte überstand ich mit Coolpacks und Paracetamol. Ich hatte wahnsinnige Schmerzen – ich fange nicht an, Worte dafür zu finden, es gibt sie nicht.
Am Sonntag nahm die Backe dann größere Dimensionen an, ich hatte nach wie vor wahnsinnige Schmerzen, Paracetamol wirkte kaum und mein Kreislauf ließ mich im Stich.

Die Ärztin stand vor meinem Mund und sagte "Das KANN nicht sein! Ich bin der Meinung, dass ich meinen Job an dem Zahn gutgemacht habe, das KANN nicht mehr so wehtun!"
Ich wies darauf hin, dass ich ja immer unsicher war, ob es nicht (auch) der andere Zahn sei. Aber der Zahn war überkront und ich wusste nicht, ob er auch wurzelgefüllt war.
Schließlich bohrte sie diesen Zahn auf Verdacht auf und stellte fest, dass er nicht wurzelgefüllt war und wackelte. Im Laufe der nächsten Minuten hatte ich große Schmerzen, spürte aber auch große Erleichterung. Der Zahn war infiltriert, d.h. hoch akut entzündet, und war schon hochgekommen und wackelte, mein Körper wollte ihn abstoßen. Es war alles vereitert, die Entzündung bereits im Kieferknochen angekommen. Ich weinte vor Erleichterung. Sie nahm raus, was ging, aber wegen der Entzündung war eine Narkose gar nicht wirksam.
Auf dem Rückweg ins Krankenhaus merkte ich, dass der Schmerz nachließ und auch die Nacht verbrachte ich ausnahmsweise nicht auf dem Gang, sondern konnte ein paar Stunden schlafen.
Ich erlebte aber am nächsten Morgen etwas, das ich mit der Depression vergleiche - ich spürte im Körper ein kaltes, lähmendes Gefühl, das durch mich floss. Ich weinte ca. 6 Stunde ununterbrochen und hatte schreckliche Gedanken („Ich werde dieses Kind nie lieben“, „Warum musste ich schwanger werden?“, „Wenn das Kind anfängt, sich zu bewegen, wird es wie ein Fremdkörper für mich sein“, „Es ist zu spät, abzutreiben“).

Ich verzweifelte an diesen Gedanken und war wie wahnsinnig.
Es wurde sich rührend um mich gekümmert, Schwestern, Zimmernachbarn, Soziapädagogin, Freundin, es wurde dann mittags auch besser und abends schreib ich einen Brief an mich selber, in dem ich mich ermutigte, am nächsten Tag nicht zu verzweifeln. Der Tag verlief auch ohne eine schlimme Tiefphase, auch wenn es mir nicht besonders gut ging. Am Tag danach sollte in der Psychiatrie im benachbarten Krankenhaus abgeklärt werden, ob ich tatsächlich an einer Depression leide.
Die Psychologin war sehr nett und diagnostizierte eine totale „psychische Erschöpfung“. Wenn man etwas Belastendes geschafft hat und eigentlich wieder nach vorne schauen kann, kann es passieren, dass man das Gegenteil erlebt, weil durch die Belastung die Fähigkeit, sich zu freuen, eingeschränkt sein kann.
Die Psychologin beruhigte mich und riet mir, nicht direkt wieder bei einer Besserung arbeiten gehen zu wollen, sondern mir zuhause ein Programm zu verschaffen. Sie fand es gut, dass ich eine Therapie machen wollte.
Ein paar Tage später waren mein Freund und ich in einem großen Baby-Fachgeschäft, das hat mich noch mal runtergerissen, da ich merkte, dass ich mich nicht mehr so freuen konnte wie die anderen werdenden Mütter dort. Es überforderte mich, was wir alles kaufen und bedenken müssen und dass ich ja wieder zur Freude über die Schwangerschaft finden sollte. Ich weinte dann furchtbar und entschuldigte mich bei meinem Baby, dass es so was mitmachen musste.

Zuhause ging es nach und nach besser, aber ich merkte bald, dass sowohl körperlich als auch psychisch nichts wie vor der Schwangerschaft war.
Ich hatte massive Ängste, noch mal Migräne zu bekommen, dabei erschienen mir die Sehstörungen am schlimmsten. Daher kam ich mit hellem Tageslicht und Sonnenschein nicht klar. Ich hatte ständig ein Flimmern vor den Augen, das sicher auch durch meinen niedrigen Blutdruck und die schwangerschaftstypische Aufweichung der Hornhaut zu erklären war. Es erinnerte mich an den Beginn der schrecklichen Sehstörungen und jagte mir Angst in Form von Schweißausbrüchen und Herzklopfen ein.
Meine Ängste gingen so weit, dass ich es mir nicht mehr vorstellen konnte, irgendwann wieder „normal“ zu werden bzw. es jemals gewesen zu sein. Ich fühlte mich überfordert damit, einen Brief zum Briefkasten zu bringen. Ich überlegte, um wie viel Uhr er geleert wird und verzweifelte daran, dass die Welt organisiert ist und ich diese Fähigkeit verloren hatte und mich somit in ihr nicht mehr zurechtfinden konnte. Mir war alles zuviel, ich wollte mir nur die Decke über den Kopf ziehen.
Die Therapie begann und ich hatte sofort ein gutes Gefühl. Die Therapeutin war sehr nett und ich konnte ihr alles erzählen. Wir arbeiteten an allem, was in den letzten Wochen passiert war und sprachen auch über meine Kindheit und Jugend.
Sie hätte mir gerne ein Antidepressivum verschrieben, aber in der Schwangerschaft ist man verständlicherweise sehr, sehr vorsichtig damit. Die Sitzungen halfen mir aber und ich kam aus dem schlimmsten Loch wieder raus.
Langsam begann ich, mich wieder zu bewegen, walking im Park regte meinen Blutdruck an, aber die Angst vor dem Alltag und der Helligkeit blieb und verursachte ein schreckliches, unangenehmes Gefühl. Ich fühlte mich nach wie vor nicht lebensfähig. Ich kam mir vor wie eine Hülle, um das Baby zu beherbergen, sonst nichts, kein eigener Charakter. Ich litt unter Nackenverspannungen, weil ich schlecht schlief und ab 4 Uhr morgens zu grübeln begann. Ich hatte Dauer-Kopfschmerzen und fror ständig.
Wir erfuhren, dass die Schwangerschaft aus Sicht des Kindes optimal verlief und dass es ein Mädchen wird. Ich freute mich für einen kurzen Moment.

In diese Zeit fiel unsere Hochzeit. Der schönste Tag meines Lebens machte mir wahnsinnige Angst. Hätte ich nachts geheiratet, wäre es mir besser gegangen, die Angst vor Tageslicht machte mich wahnsinnig.
Irgendwie organisierten wir alles und der Tag wurde wunderschön, auch wenn ich zwischendurch immer wieder einknickte. Ich war mittlerweile bei einem Ostheopathen/ Homöopathen in Behandlung, der mir sehr guttat und mir „Migräne- und „Notfall-Globulis“ gegeben hatte. Auch die Therapeutin hatte mich auf den Tag vorbereitet und wir hatten Strategien überlegt, um die Belastung gering zu halten.
Der Tag war wunderschön, rauschte aber stellenweise schnell an mir vorbei. Es ist schön, heute die Fotos zu sehen und sich zu erinnern.
Zwei Tage nach der Hochzeit waren die Kopfschmerzen wie weggeblasen.
Der Zahn hatte sich auch beruhigt, insgesamt kam ich auf 23 Termine bis zur Entbindung.

Es begann die Zeit der Erkältungen – zuerst bekam ich einen Virus ab und daher half kein Antibiotikum. Der Infekt zog mich total runter - Depressionsphasen und Ängste hatte ich ja nun schon und das wurde alles noch stärker. Ein paar Heultage, dann wurde es besser. Mein frisch angetrauter Mann hatte Urlaub und wir freuten uns darauf, aber leider bekam ich dann eine bakterielle Infektion - grippeartig mit Schüttelfrost und Fieber, und konnte wieder nichts essen. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt verschrieb mir ein Antibiotikum. Die Folge - tierische Übelkeit als Nebenwirkung, bei Vomex-Einnahme das Gefühl, unter Drogen zu stehen und zwar weniger Übelkeit, aber keinen Appetit.
Ich erlebte einen totalen Zusammenbruch, obwohl die Erkältung nach drei Tagen besser war. Das Antibiotikum musste ich acht Tage nehmen und durchlitt die Magenschmerzen und die Übelkeit. Nach dem Absetzen ging es mir besser, aber dann kam der totale Absturz. Es war die Weihnachtszeit und die Feiertage kamen.

Ich kenne Depressionen und steckte ja nun auch mittendrin, aber so verzweifelt war ich noch nie. Ich stellte mein ganzes Leben in Frage und verlor ALLE Hoffnung und Freude. Ich heulte nur noch verzweifelt und dachte, ich werde wahnsinnig. Wie viel kann ein Mensch überleben? Ständig brach ich in Tränen aus und konnte meine Gefühle kaum artikulieren. Ich fühlte mich schwach, weil die Kleine wuchs und ich wieder tagelang zu wenig gegessen hatte. Ich fühlte mich nicht als Mensch, weil ich mich von allen anderen Menschen unterschied.
Meine Hebamme hatte mir zu einem Antidepressivum geraten und mir einen Termin bei ihrem Vater, einem Neurologen gemacht. Das Gespräch half und ich bekam ein Rezept für ein „schwangerschaftsverträgliches“ Antidepressivum.
Ich bin sehr stolz darauf, dass es unberührt hier noch liegt, denn nach Gesprächen mit meiner Therapeutin und meinem Frauenarzt (die beide ihre Praxis über die Weihnachtszeit zwei Wochen geschlossen hatten) hatte ich zwei absolute Gegenstimmen. Gerade beim Thema „Antidepressivum“ muss sehr sorgfältig abgewogen werden, worin Kosten und Nutzen liegen.
Aber es ging mir nach wie vor sehr, sehr schlecht.
Mein Mann tat mir Leid und ich konnte ihm nichts abnehmen. Zwischendurch versuchte ich immer wieder, mich und ihn zu beruhigen und sagte, dass nach der Geburt alles besser würde, obwohl ich im nächsten Satz genau das in Frage stellte.

Schließlich wurde es so schlimm, dass ich nicht mehr konnte. Ich wurde ängstlich, sobald mein Mann in einem anderen Zimmer war. Ich konnte mir nicht vorstellen, nach seinem Urlaub wieder alleine in der Wohnung zu sein.
Ich wollte nicht mehr schwanger sein, ich wollte das Kind nicht. Ich dachte dran, wie sehr ich es mir immer gewünscht hatte und verzweifelte daran, dass das nun nicht mehr so war, weil ich es nicht verstand und es mir auch nicht erklären konnte. Ich fühlte mich gefangen in meiner eigenen Lebensplanung.
Ich hatte schreckliche Angst, meinen Mann durch einen Unfall oder eine Krankheit zu verlieren und hatte das Gefühl, niemand kann mir helfen, diese Gedanken „abzumildern“. In den schlimmsten Momenten dachte ich sogar, dass mein Zustand der einzig richtige ist, die Welt wahrzunehmen und dass ich in anderen Phasen die Welt einfach zu oberflächlich wahrgenommen hatte. Die Depression ließ mich nun merken, wie lebensunwert das Leben ist.

Sonntags brach ich beim Frühstück wieder mal heulend zusammen und wir fuhren spontan zu einer Tagesklinik um dort ein Gespräch zu bekommen. Die Psychologin war sofort für uns da und hörte uns zu. Ich bekam das Angebot, dort einen Tag zu verbringen. Antidepressiva waren im Gespräch, aber das wollte die Psychologin erst mit meinem Frauenarzt abklären. Wir beschlossen, dass wir das Angebot annehmen und machten den übernächsten Tag aus. Mein Mann war beruhigt, mich dort in guten Händen zu wissen, wenn er wieder arbeiten ging.
Am nächsten Tag begann seine letzte Urlaubswoche. Ich hatte einen Termin beim Ostheopathen/Homöopathen und auch er sprach sich gegen Antibiotika aus. Er gab mir ein Globuli gegen Depressionen in der Schwangerschaft und zwei weitere im Tütchen, die ich nehmen soll und deklarierte sie als „Wundermittel“.
Am nächsten Tag ließ ich mich dann in die Tagesklinik bringen. Auf dem Hinweg ging es mir schlechter denn je, ich hatte schlimmste Gedanken. Wir fuhren an einer potentiellen Arbeitsstelle vorbei (ich werde irgendwann meine Arbeitsstelle wechseln müssen) und ich dachte, dass ich das nie schaffen werde, diese Veränderung hinzunehmen und mich an einer neuen Arbeitsstelle wohlzufühlen. Dann dachte ich daran, wie sehr ich meinen Mann liebe und wie schnell das Glück vorbei sein kann – hatte ich doch die Woche davor von einem tödlichen Autounfall gelesen. Im Geiste sah ich meinen Mann verblutend in dem Unfallauto liegen. Ich fühlte mich wertlos und lebensunfähig.
In der Tagesklinik beruhigte ich mich wieder und hoffte, dass mir der Tag etwas bringen würde.
Aber: Es war kühl, streng, ungemütlich, ich kam mir vor wie eine Schülerin in einem Erziehungsheim. Die anderen, die da waren, hatten sehr, sehr individuelle Probleme und vor allem ganz andere als ich und der Gesprächskreis begann für mich mit Tränen, weil ich mich vorher schon unwohl gefühlt hatte. Ich musste meine Sachen einschließen und wurde eingewiesen wie im Gefängnis. Im Gesprächskreis durften dann Leute erzählen, ich sollte erst einen Tag später. Ich dachte, dass ich mich da in den anderen ein bisschen wiedererkenne, aber das war Gar nicht so.
Einige wurden nicht gerade mit Samthandschuhe angepackt, weil sie Ratschläge nicht beherzigt hatten oder einfach einen Tag nicht gekommen waren (das ist ja nur eine Tagesklinik, da kann man nicht gezwungen werden und für Termine kann man sich abmelden) oder es Missverständnisse mit dem Abmelden gab. Ich war schockiert über den Umgangston und fühlte mich einfach nur deplaziert. Der Perspektivwechsel fiel mir auch schwer – als Sozialpädagogin kannte ich solche Einrichtungen bisher nur aus der anderen Perspektive und kam damit nicht klar, dass ich nun Klient sein sollte.
Dann begann die Kunsttherapie - ich male sehr gerne und kann mich dabei auch öffnen, aber ich war blockiert, habe nur geweint und dachte "Ich will hier weg!" Ich erklärte das dann der Kunsttherapeutin, die mich direkt zur Leiterin der Tagesklinik schickte. Auf dem Weg dorthin rief ich meinen Mann an und bat ihn unter Tränen, mich abzuholen. Ich ging ihm entgegen und das tat mir gut. Als er um die Ecke bog, kam er mir vor wie mein Retter.
Die Psychologin war im abschließenden Gespräch mit uns entspannt und meinte, die Türen würden mir hier offen stehen.

Ich wurde oft gefragt, was für mich das Schlimmste war. Übelkeit, Schwäche, Schmerzen und Migräne waren schlimm, aber was mich am meisten belastet hat, war, dass ich mich selbst nicht wiedererkannte und mir und meiner Vorstellung vom Leben der Boden unter den Füßen weggezogen war.
Seit ich 14 bin, freue ich mich darauf, schwanger zu sein. Ich habe es immer als Ehre empfunden, als Frau auf die Welt gekommen zu sein um das Wunder der Schwangerschaft und Geburt im/am eigenen Körper erleben zu dürfen.
Unser Kind war mehr als ein Wunschkind; ich habe die Zeit des „Übens“ zwar als aufregend, aber irgendwann auch als sehr belastend empfunden, weil ich ständig die Befürchtung hatte, nicht schwanger werden zu können. Das hätte das Ende meines Traums bedeutet. Als der Test dann positiv war, war ich so glücklich wie nie zuvor.
Dass es mir dann körperlich so mies ging, hat mich zunächst nicht gestört, ich wusste ja, wofür ich es ertrage. Aber wenn immer wieder ein Rückschlag kommt und man sich gar nicht richtig erholen und am Alltagsleben teilnehmen kann, belastet das irgendwann sehr.
Für mich war die schlimmste Erfahrung, dass ich mich nicht mehr über meine Schwangerschaft freute und irgendwann sogar das Kind ablehnte.
Auch die Angst, mit allem überfordert zu sein und Angst vor dem Alltag unter Tageslicht oder Sonnenschein zu haben, hat mich sehr belastet. Ich fühlte mich lebensunfähig.
Ich machte mir selbst große Vorwürfe, dass ich mich nicht angemessen freuen konnte und hatte Schuldgefühle – gleichzeitig konnte ich mein negatives Denken nicht nachvollziehen. Ich dachte irgendwann, dass mein Kinderwunsch nur das Hinterherrennen einer gesellschaftlichen Norm war und mir nun in der Schwangerschaft klar wurde, was ich wirklich will: Kein Kind. Gleichzeitig fühlte ich mich in meiner Lebensplanung gefangen, denn vor der Schwangerschaft war ich ja auch nicht glücklich, wenn der Test mal wieder negativ war. Wenn ich ungewollt schwanger geworden wäre, hätte ich mir ja erklären können, warum es mir so schlecht geht, aber so hing ich völlig in der Luft.

Heute geht es mir einigermaßen gut, die Ängste und negativen Gedanken halten sich in Grenzen und ich kann auch wieder alleine zuhause sein. Ich kann das alles besser auf mich zukommen lassen und denke manchmal, dass ich mich auf meine Tochter freue und viel Spaß mit ihr haben werde. Dann denke ich auch darüber nach, irgendwann ein zweites Kind zu bekommen. Aber davor hätte ich Angst ….
Dobby

Beitrag von Dobby »

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Zuletzt geändert von Dobby am 03:05:2010 21:59, insgesamt 1-mal geändert.
Joulins

Beitrag von Joulins »

Sehr, sehr ergreifend.

Offensichtlich bist du ja noch mitten in der Schwangerschaft - eine Zeit, in der sich die meisten noch vorbehaltlos freuen, bis auf einmal das Baby da ist und allesalles anders ist.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß es dir nach der Geburt spontan besser geht - weil sich die hormonelle Situation ändert, deine Anspannung, das Kind optimal ausbrüten zu wollen, gewichen ist ... oder einfach, weil durch die Anwesenheit des Kindes das Tatsachen geschaffen sind.

Aber du bist sehr kopflastig. Und vermutlich wird die Zeit nach der Geburt nicht leicht sein für dich.

Ich habe überhaupt erst gegen Ende der Schwangerschaft so richtig geschnallt, daß da zum Schluß ein echtes Baby rauskommt. Und als es da war, hat der Gedanke, daß es nun IMMER da sein würde, und nie wieder weggehen würde, und daß ich immerimmer für Glück und Wohlergehen dieses Kindes verantwortlich sein würde, mich in echte Panik versetzt.

Das ist nun 6 Jahre her. Die Zeit hat es gerichtet.

Eines Tages wirst du auch darauf zusehen können - und doch froh sein, daß alles so war, wie es gewesen ist. Weil es dich an den Punkt gebracht hat, an dem du dann sein wirst.

Bis dahin - und bei allem, was dir bis dahin widerfährt: dieses Forum ist dafür da, daß du dich aussprechen und Rat und Trost holen kannst. Niemand wird hier komisch finden, was du denkst oder schreibst.

Ich wünsche dir für den Rest der Schwangerschaft alles Gute, und eine schöne und schnelle Geburt, und vor allem ein gesundes, vielschlafendes und entspanntes Baby!

Alles Gute!
Joulins
Jane

Beitrag von Jane »

Hallo ihr beiden,

ja, ich bin in der 28. Woche.
Ich soll mich nun noch zusätzlich schonen, weil mein Muttermund etwas weich ist - also kein Jogging mehr:-(

Ich hoffe sehr, dass es mir nach der Geburt besser geht und ich weiß, dass ich da eine niedrigere Hemmschwelle haben werde, ein Antidepressivum zu nehmen.
Im Vergleich zum Dezember geht es mir um einiges besser, aber gut geht es mir noch lange nicht und ich weiß, die Krankheit wohnt in mir.
Es ist wohl eine Form der Angst - "Angst und depressive Störung gemischt" nennt man das wohl.
Es ist so doof, dass es mir manchmal zwar gut geht, aber ich immer wieder daran erinnert werde, diese Krankheit zu haben - irgendwas zieht mich immer runter. Heute ist es das gute Wetter. Zudem fühle ich mich kraft- und energielos, das hängt wohl mit der Schwangerschaft zusammen.
Nachdem es mir gestern wieder nicht so gut ging und ich nach einer schlechten nacht morgens Herzklopfen hatte, habe ich meinen Homöopathen kontaktiert und Globulis namens Sepia bekommen - der Tag war im Großen und Ganzen ok, und der heutige Morgen wesntlich besser als der gestrige. Ich bin nicht ganz so emotionslos und versuche mich zu freuen, auch wenns schwer ist und Freude so wie früher für mich nicht empfindbar ist.
Tamara

Beitrag von Tamara »

Hallo Jane,
nachdem wie das alles bei dir gelaufen ist, ist es ja kein Wunder das du die Schwangerschaft nicht genießen kannst.
Bei mir hat das alles auch in der SS angefangen. Da ich starke ZG`s hatte bekam ich ab der 18 Woche Doxepin, wechselte aber dann den Arzt und stellte in der 30 SSW auf Citalopram um. Ich habe die Dosis auf 60 mg erhöhen müssen damit es mir gut ging. Ich bin eine Woche vor der Geburt auf 40mg runter musste dann allerdings nach zwei Wochen wieder auf 60mg. Meinem Sohn geht es gut er ist absolut gesund und ich stille ihn immer noch voll. Wichtig ist das du deine Netze für nach der Geburt gespannt hast ( Hebamme,Psychiater,Psychologin,Familie) das du weist an wenn du dich wenden kannst und wer dich unterstützen kann.Das hat mir geholfen nach der Geburt nicht wieder ganz nach unten abzustürzen. Ich wünsche dir alles gute, lass dich nicht unterkriegen.
Liebe Grüße Tamara
Jane

Beitrag von Jane »

danke für euren antworten ... bin in der psychiatrie gelandet und bekomme tavor (nur für ein paar tage) und zoloft. gestern erste tabeltte, aber heute morgen war ich wieder soooo mies drauf .... kennt sich jemand mit dem medikament aus? Wie schnell wirkt es und kann es so wirken, dass ich wieder die alte werde?
Dobby

Beitrag von Dobby »

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