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Ich bin ein schlechter Mensch. Bin ich das?

Verfasst: 17:10:2009 16:49
von amélie
Hallo Ihr Lieben,

meine Kleine ist jetzt 15 Monate alt, und ich dachte eigentlich, ich sei über die schwierigen ersten Monate mit ihr längst hinweg.

Kürzlich ein Flashback durch das ach so perfekte Leben von Freunden mit einem Neugeborenen, aber dank Eurer Hilfe konnte ich den überwinden und mir selbst glaubhaft machen, dass auch andere nur mit Wasser kochen ... Konnte ihnen ihr Glück gönnen.

Aber jetzt wieder ein Rückfall. Oder so.

Ein Freund, selbst gerade Vater geworden, machte mir - für mich aus heiterem Himmel - übelste Vorwürfe. Ich sei egoistisch, würde mich nicht für sein Leben und seine Gedanken, Pläne, Sorgen, Ängste interessieren, und meine Erklärungen, wenn etwas nicht so super läuft in unserer Freundschaft, würden sich immer nur auf mich beziehen.

Ich fühle mich nun einerseits ungerecht behandelt und bin sauer, denn ich habe mich immer bemüht, viel von ihm zu erfahren, habe viel nachgefragt (es ist eine Distanzfreundschaft, er lebt in Norddeutschland, ich im Süden), habe mir alle Details gemerkt.

Andererseits befürchte ich, dass er zum Teil recht hat. Durch meine - ich sage mal Krankheit - in der Zeit nach der Geburt meiner Tochter bin ich wohl wirklich ein Stück weit egoistischer geworden. Habe mich sehr viel mit mir selbst beschäftigt. Und natürlich beziehen sich meine Erklärungen auf mich und meine Situation, worauf auch sonst?

Ich merke, dass ich einfach immer noch nicht die Kraft habe, mich zu intensiv mit anderen Menschen zu beschäftigen. Dafür müsste erstmal bei mir alles okay sein.

Versteht Ihr, was ich meine? Ja, ich denke seit der Geburt meiner Kleinen zu allererst an mich (und meine Tochter natürlich), aber nicht, weil mich die anderen nicht interessieren, sondern aus einer Art Selbsterhaltungstrieb. Ich merke, dass es mir schnell zu viel wird, wenn mir z.B. jemand anders Probleme erzählt. Ich kann schon zuhören und auch Ratschläge erteilen oder für jemanden da sein. Aber nicht so wie früher. Es geht einfach nicht.

Jetzt fühle ich mich seit zwei Wochen total down und denke nur noch über seine Worte nach. Fühle mich total wertlos und schlecht. Habe das Gefühl, eine schlechte Ehefrau zu sein, eine schlechte Freundin sowieso, eine schlechte Mutter: eh klar.

Da ist es wieder, das Gespenst von vor einem Jahr. Nichts macht mehr Freude, das Aufstehen klappt morgens nicht oder nur unter extremen Mühen, einfache Dinge wie einkaufen sind furchtbar anstrengend und am liebsten würde ich nur schlafen, kann aber nicht schlafen, außer auf dem Sofa, wenn ich beim Lesen einschlafe.

Meine Kleine lernt gerade laufen und alle finden das toll und freuen sich, aber ich mache nur Grinsegrimassen, innerlich empfinde ich nichts dabei.

So wertlos, so sinnlos, alles Positive nur Fassade, an die die meisten Leute fröhlich glauben, bis mal jemand kommt (wie der Freund von mir eben), der die Wahrheit sieht. Das bin ich.

LG
A.

Verfasst: 17:10:2009 18:34
von smaugerl
hallo amelie,

also erstmals solltest du dir den Schuh nicht anziehen,das du eine schlechte Mutter oder Ehefrau bist - du bist sicher wunderbar, wie wir alle, jeder auf seine Weise :-)

weiß dein Freund Bescheid über deine Krankheit? ich kann deine Gefühle gut nachvollziehen, man ist durch diese Krankheit sehr mit sich selber beschäftigt, da bleibt halt wenig Zeit für die Sorgen und Nöte anderer - aber eben so wie du auch schon geschrieben hast, nicht weil es uns nicht interessiert, sondern weil es einfach zu anstrengend ist...aber um das zu verstehen, muss man Bescheid wissen über die PPD oder Depression...

Nutz die Chance, dich mit deinem Freund auszusprechen, weil er dich ja so wie du selber sagst, wirklich kennt und hinter deine "Fassade" schauen kann - ihr werdet sicher einen Weg zueinander finden.

ich wünsch dir noch ein schönes Wochenende

lg

Verfasst: 17:10:2009 20:17
von claudia
Liebe Amelie,

Deine Tochter ist ja erst 15 Monate alt.Da kann Deine Genesung nach der PPD ja noch nicht so lange her sein...?!Ich habe nach meinen beiden PPPs ein ganzes Jahr gebraucht,bis ich wieder das Gefühl hatte,dem Alltag gewachsen zu sein

Auch bei unserem dritten Sohn empfand ich das erste Lebensjahr von ihm als eindeutig das anstrengenste.Vergiß nicht das Du eine schwere und auch körperlich anstrengende Zeit hinter Dir hast:eine SS,Geburt und die Umstellung nach der Geburt,das ist schon eine Höchstleistung für unseren Körper.Wenn dann,wie bei uns PPD/PPP-Frauen noch psychische Probleme im Wochenbett oder danach hinzukommen dauert es doch um so länger bis alles wieder rund läuft...gesteh Dir das ruhig zu.Mein Schwiegervater hat mal zu mir gesagt:"Es dauert 2 Jahre nach einer Geburt,bis der Körper einer Frau nach SS und Geburt wieder auf "normal" gepolt ist."Das hat mir den Erfolgsdruck genommen,möglichst schnell wieder zu funktionieren.

Jetzt fängt ja auch wieder die dunkle Jahreszeit an-vielleicht hast Du auch deshalb weniger Antriebskraft morgens raus zu kommen?

Ich meine aus Deinen Zeilen aber auch Erschöpfung und Überlastung herauszuhören.Könnte ich damit recht haben?Kannst Du Dir für Deine Tochter vielleicht mal einen Babysitter besorgen oder hast Du jemanden,der sie Dir abnehmen kann?

Kinder sind in jedem Alter auf ihre eigene Art anstrengend,aber in der Pamperswerbung sagt einem das ja keiner!

Ich wünsche Dir,wenigstens für dieses Wochenende,das Du eine Kleinigkeit an Deiner Tochter genießen kannst und sie Dir Freude macht!
Schreib doch am Montag mal unter POSITIV...

Liebe Grüße,Claudia

Verfasst: 18:10:2009 16:48
von Astrid
Hallo Du,

ich verstehe Dich sehr gut. Auch ich bin nach meiner Erkrankung viel selbstbezogener geworden. Habe erst kürzlich so einen Beitrag hier reingestellt, da auch ich mir Vorwürfe gemacht habe. Ich glaube, ich habe ihn "weniger Mitleid" genannt. Du hast deine Situation so gut in deinem Beitrag geschildert, ich denke, wenn Du dies deinem Freund genauso erklären würdest, würde er seine Vorwürfe überdenken. Auch meine "besten" Freunde sind bei mir eine ganze Strecke entfernt, und wir kommunizieren nur noch über Telefon und Internet, am Anfang habe ich auch dort ähnliche Reaktionen bekommen. Aber mein Wesen hatte sich ja auch vollkommen verändert. Wie sollten sie begreifen, was mit mir los war? Ich wusste es ja selbst nicht. Jetzt hat sich das ganze entspannt, aber die innere Distanz ist größer geworden. Die Prioritäten haben sich wirklich verschoben, durch mein Kind und das Mutter sein. Das schlechte Gewissen holt mich auch ein, und ich stelle mich in Frage, aber du hast Recht. Es ist ein Selbstschutz!! Das Dich das ganze so runtergezogen hat, zeigt, dass Du diesen Schutz auch noch nötig hast. Es tut mir so leid. Die dunkle Jahreszeit kommt, und der Antrieb schwindet. Nutze jeden Fitzel Sonne, den Du noch bekommen kannst. Auch ich konnte mich bei den ersten Laufversuchen meines Sohnes noch nicht richtig freuen, die Maskentragerei kommt mir bekannt vor... . Aber es wird besser. wenn auch mit Minischritten, genau wie bei Deiner Tochter jetzt :wink: .

Liebe Grüße und sei gedrückt

Astrid

Verfasst: 18:10:2009 20:01
von Deria
Liebe Amelie,

zu einer Freundschaft gehören immer zwei und immer mal wieder eine/r der/die den Part übernimmt.
Erwartet hätte ich von dem "Freund" das er dich unterstützt, dich fragt, was du brauchst, wie er helfen könnte und nicht dich mit Vorwürfen überschütten, das du dich nicht kümmerst.
Gesunder Egoismus, ja, für dich und dein Kind und dann kommt lange mal gar niemand.
Schon gar nicht so einer.
Ohhhaaa, sauer werd' ich.
Geht gar nicht; wenn du es ihm sagen könntest, wie sehr er dich verletzt und dann einen Link schicken damit er sich im Internet mal mit Depressionen beschäftigt.
Ansonsten ziehe dich zurück.
Ich kenne das von mir, kommt einer und sagt was und ich denke ALLES ist schlecht an mir.
Ne, gar nicht.

Ich schicke dir ein Kraftpaket. Du bist okay, so wie du bist.
Nicht wir müssen uns immer ändern, andere können sich auch mal drehen!

Lg
Deria

Verfasst: 19:10:2009 10:05
von amélie
Hallo Ihr Lieben,

vielen Dank für Eure Antworten.

Ich weiß, dass ich viel zu viel von mir verlange. Ich habe, als meine Kleine 8 Monate alt war, wieder zu arbeiten angefangen, dann aber gekündigt (kündigen müssen in Elternzeit wegen "Mobbing", mein AG wollte mich Vollzeit oder gar nicht) und mache mich gerade selbständig. Also so richtig, mit (kleiner) Unternehmensgründung, Zuschussbeantragung, Businessplan, Büroanmietung und pipapo.

Parallel zu meinen ersten Jobaufträgen habe ich Vollzeit meine Kleine und arbeite abends/nachts/am Wochenende, erst ab Mitte November gibt es einen Krippenplatz für 5-6 Stunden täglich, gegen Weihnachten wird die Eingewöhnung wohl "durch" sein.

Natürlich bin ich sehr perfektionistisch. War ich schon immer.

Aber letzte Nacht lag ich bis vier Uhr früh wach und mir fiel auf, dass ich in der letzten Zeit einige Freundschaften verloren habe. Nicht nur diese letzte. Das gibt mir schon zu denken. Und wenn ich was von der PPD sage, weiß ich, dass die anderen das nur als Ausrede sehen. Nach außen hin kriege ich ja alles immer so toll hin und bin eine so tolle, starke, kreative Frau. Haha.

Mir glaubt keiner!

Gut, ich war nicht bei der Therapie und habe auch nie AD genommen, und vermutlich war/bin ich ein leichter Fall mit meinen depressiven Verstimmungen. Gottseidank. Trotzdem begleiten sie mich seit vielen Jahren und ich habe immer wieder Suizidgedanken (die mich in erster Linie trösten, wenn ich nicht weiter weiß). Es ist also auch nicht "gar nichts".

Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Leute in meinem Umfeld nicht WOLLEN, dass ich depressive Phasen und Züge habe. Kennt Ihr das? Ich habe sogar schon gehört "Du bist nicht depressiv, denn wenn du es wärst, würdest du es nicht zugeben". Hallo?!?

Was habt Ihr in solchen Fällen gemacht?

Danke und GLG
A.