Welle der Traurigkeit

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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ticaju

Welle der Traurigkeit

Beitrag von ticaju »

Hallo (ich bin´s schon wieder),

ich habe die letzten Tage etwas Fortschritte in Bezug auf meine Zwangsgedanken gemacht. Ich habe verstanden, daß ich meinem Kind niemals was antuen werde. Der innere Druck hat nachgelassen, obwohl die Gedanken immer noch da sind.
Aber ich habe mich so leer gefühlt. Irgendwie halt eben ohne Gefühl. Ich habe natürlich ein schlechtes Gewissen bekommen, weil ich eben gedacht habe:" Macht es Dir jetzt etwa nichts mehr aus?" Es ist schon etwas sehr komisches, wenn man die Angst vor etwas verliert, bei dem sich bei jedem "Gesunden" die Haare sträuben. Sag mal zu einem "Gesunden:" Hab keine Angst davor, wenn Du Dir vorstellst Dein Kind zu verletzen oder zu töten. Ja, langweile dich irgendwann sogar dabei." Ich habe mich gefühlt wie ein Eisklotz.

Ja und heut mittag hat mich auf einmal eine Welle der Traurigkeit erfasst. Ich kann eigentlich garnicht sagen warum. Sie ist einfach gekommen. Ich könnte doch eigentlich froh und glücklich sein. Habe alles, was man sich nur wünschen kann. Einen Mann, der mich liebt, mit dem ich über alles reden kann. Eine süße, gesunde Tochter, die mich auch über alles liebt (und ich sie).
Das Gefühl war so stark (aber ich konnte wie immer nicht weinen). Warum bin ich traurig? Ich weiß es nicht. Bin ich etwa traurig darüber, daß die Angst weg ist. Das wollte ich doch immer. Eigentlich ist sie ja was ganz normales, was man hat. Sie ist doch ein Urinstinkt, der uns schützen soll. Und auf einmal soll man sie nicht mehr haben? Ich weiß irgendwie garnichts mehr.

Ich habe immer noch große Schuldgefühle.

Jetzt habe ich euch mal wieder voll getextet, aber ich mußte es rauslassen... Sorry. Danke fürs Lesen.

Liebe Grüße

Christina
snoopy

Beitrag von snoopy »

Hallo Christina,

bei mir war es ähnlich.

ich habe bzw. hatte, seit der Geburt meines ältesten Sohnes sehr starke Angst und Panikattacken . Dann kamen die ZG `s dazu.

Seit die PA weg und die Angst nur noch hin und wieder und der Zwang seinen größten schrecken verloren hat, ist die Depression so richtig zum Vorschein gekommen. Vorher war sie auch schon da, aber das andere hat sich so extrem in den Vordergrund gedrängt.Es war ein totales Chaos.

Es war ein Gefühl, wie nach einem sehr langen Kampf, der es ja eigentlich auch war. Der Kampf gegen die schlimmen Gedanken, die zermürbenden Attacken , jeden Tag das selbe.

Es hat mich auch verunsichert zuerst weil auf der einen Seite war ich in dem alten Muster noch so drin, wie in einer Mühle, aber auf der anderen Seite war auf einmal ein fast normales Leben, mit "normalen Gedanken",
ohne Attacken , einfach das Leben. Es war aufeinmal ruhiger, leichter.
Das war auch gewöhnungsbedürftig, denn ich hatte schon längst vergessen wie das war.
Es war ein Gefühl, als ob man eine sehr steilen Berg runterläuft, und die Beine werden immer schneller und schneller und schneller, und man ist eigentlich schon unten angekommen, aber man kann das laufen noch nicht aufhören, weil man so ein Tempo drauf hat.

Vom "Alten" noch nicht ganz draußen, und im "Neuen" noch nicht ganz drin.

Ich war nicht traurig daß die extreme Angst weg war, aber es war mein Lebensbestandteil. Diese Lücke mußte erst gefüllt werden. Und das fühlte sich komisch an. Man trennt sich eben nicht gerne von was.

Jetzt merkst du wahrscheinlich auch wieviel Kraft dich diese ganze Geschichte gekostest hat .

Du bist finde ich in einem ganz normalen "Gesundungsprozeß" drin, der bei dir wenn ich das mit mir vergleiche sehr ,sehr flott geht.

Du kannst wirklich sehr stolz auf dich sein.

Ich hoffe, daß ich dir etwas weiterhelfen konnte, denn es ist immer etwas schwierig Gefühle in Worte zu fassen, die man selber kaum versteht.

Ich drück dir fest die Daumen
Sabine
ticaju

Beitrag von ticaju »

Hallo, Sabine!

Ja, es ist schon ein komisches Gefühl die Angst zu verlieren. Ich habe auch die letzten sechs Jahre unter einer generalisierten Angsstörung und Panikattacken gelitten. Hinzu kamen jetzt noch die ZG.
Der Platz, den die Angst eingenommen hat, ist leer. Es fühlt sich komisch an. Ich war die letzten Jahre nur damit beschäftigt gegen meine Angst zu kämpfen und nach außten hin ein "normales" Leben zu führen.
Ich weiß garnicht mehr, wie es so ist ohne Angst. Ich muß es nochmal neu erlernen.
Was mir, wie gesagt, jetzt die meißten Probleme bereitet ist, daß ich von den ZG genervt bin. Wie kann ich von so etwas Schrecklichem genervt sein? Wenn ich mit meinem Mann darüber rede, zieht sich ihm der Magen zusammen. Und ich soll mich davon langweilen? Es ist schon etwas paradox.

Danke für Deine Antwort und den "Therapieersatz" :wink:

Liebe Grüße

Christina
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Marika
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Beitrag von Marika »

Hallo Christina!

Hier schreibt dir auch eine ZG erfahrene und lange geplagte Mama. :wink: Es war auch bei mir genau so wie bei dir und bei snoopy: Zurest hat die Angst nachgelassen und die ZG haben mich genervt. Und dann kamen auch diese Wellen von Traurigkeit.

Oft sah ich meinen Noah an wie er so glücklich und zufrieden spielte und mir liefen die Tränen übers Gesicht. Ich dachte mir dann immer: "Warum muss ich diese scheiss Gedanken haben und hatte imense Schuldgefüle meinem Schatz gegenüber. Diese Phase daurte schon eine Weile an, sie gehört aber sicher zum Genesungsprozess - so wie snoopy schon schreibt.

Ich habe dann mit der Zeit gelernt, diesen "leeren Platz", den die Angst und die ZG eingenommen hatten, neu zu nutzen. Ganz langsam kamen ganz normale Gefühle zurück - Glücksgefühle, Entspannung, aber auch mal Ärger oder Wut - ohne dass ich gleich in Angst oder Traurigkeit verfallen bin. Ich habe gelernt, wieder "ganz normal" zu leben. Aber mit dem Unterschied, dass ich gelassener und ein großes Stück glücklicher und bewußter lebe, als vor meiner PPD. Insofern kann ich meiner Krankheit wirklich etwas Gutes abgewinnen - sie war für mich DIE Chance, mich selber zu finden! :D

Liebe Christina, mit der Zeit werden die ZG immer weniger - darauf kannst du dich schon mal freuen. Es klingt wohl wirklich paradox - man soll die Angst verlieren vor den ZG, dann gehen sie weg. Ich hatte auch Bedenken, ob es denn "normal" ist, dass sie mich nicht mehr ängstigen, sondern nerven. Aber das ist nur eine Phase beim Gesund werden. Die ZG werden wirklich verschwinden. Dann gibts keine Angst mehr, keine Genervtheit mehr, keine Traurigkeit mehr... weil du keine ZG mehr hast. Es ist ein Kreislauf - ein "Rattenschwanz".

Und noch was: Du hast schon recht: Die NORMALE Angst gehört auf jeden Fall zu unserem Leben dazu - ohne sie zu leben wäre ja gefährlich. Sie warnt uns ja auch und ist daher sehr wichtig. Nur bei uns ist die Angst viel zu sehr ausgeprägt und tritt in normalen Alltagssituationen auf, in denen sie nicht angebracht ist. Sie ist soooo stark, dass ZG entstehen und darauf folgt wieder die Angst. Daher ist diese Angst alles andere als nötig bzw. hilfreich in unserem Leben und gehört wieder in die Bahnen zurück, wo sie hingehört: nämlich in Situationen, die wirklich gefährlich sind. Und das sind ZG nun wirklich nicht (auch wenn sie uns oft so erscheinen) - ZG sind nur Plagegeister, die man wieder zähmen kann!!! :wink: :wink: :wink:

Ganz liebe Grüße und immer weiter so - das machst du großartig!!!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
ticaju

Beitrag von ticaju »

Hallo, Marika und alle anderen!

Ja, es sind jeden Tag kleine Fortschritte, die man macht. Heute ist es zum Beispiel so, daß ich echt nur noch genervt bin davon. Die Traurigkeit ist weg. Ich denke dann:"Ja du schon wieder. War ja klar, daß Du jetzt wieder kommen mußt." Ich werde auch richtig kampfeslustig, so daß ich denke"Kommt nur ihr kleinen Biester. Ich werde euch schon zeigen, wer der Stärkere ist." Und ich habe heute erstmals das Gefühl, daß es wirklich nur Gedanken sind und nicht die Realität.

Es ist trotzdem sehr schade, wenn man grade in einem eigentlich schönen Moment mit dem Kind von so einem Biest gestört wird.
Ich hoffe, daß sich die Gefühle wie glücklich sein bald wieder einstellen.

Und daß es bei mir schnell geht?...Na, ja... Vielleicht? Aber wenn ich an die letzten sechs Jahre denke...Ich habe wohl in der Zeit schon einiges über mich gelernt, so daß ich vielleicht jetzt schneller da raus komme.

Aber jeder Tag, den man mit sowas verbringt, ist einer zuviel.

Liebe Grüße
Fühlt euch gedrückt :-)

Christina
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