"Leichen im Keller"

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

Moderator: Moderatoren

mici

"Leichen im Keller"

Beitrag von mici »

Hallo,

seit ein paar Tagen kursiert hier in einigen Threats der Ausdruck "Leichen im Keller". Da ich ihn in einem Beitrag an Leuchtkäfer verwendet habe, was dann zu einer großen Resonanz geführt hat, wollte ich anregen, sich darüber doch noch mal gezielt auszutauschen. Was genau versteht ihr eigentlich unter dem Begriff und warum ist es manchmal gut, die "Leichen" zu bergen und sie zu bestatten und warum ist es manchmal besser, sie zu lassen wo sie sind.
Unter diesen besagten "Leichen" verstehe ich bestimmte, meist vergangene Ereignisse, die beim Erinnern negative Gefühle, wie Angst, Wut oder Trauer hervorrufen.
Ich bin mit 16 (nach der 10. Klasse) für ein halbes Jahr nach GB gegangen und hatte vom ersten bis zum letzten Tag Heimweh!! (1. Leiche). Ich habe das nie aufgearbeitet. Ich denke immer noch, dass ich eine absolute Versagerin auf dem Gebiet bin. Andere sind zum selben Zeitpunkt nach Kanada oder in die USA gegangen und gleich ein ganzes Jahr geblieben, ich habe es nicht mal in GB ausgehalten, obwohl ich zwischendurch auch mal in HH zu Besuch war und auch selber von meiner Familie dort Besuch bekommen habe. Trotzdem hab ich mich nicht eingelebt, ich habe jeden Tag geheult und mich durch die gesamte Zeit gequält. Ich habe mich nicht getraut, den Aufenthalt abzubrechen, weil ich mich vor meiner Klasse so geschämt habe. Nach dem Abitur habe ich mich dann gezwungen noch mal ins Ausland zu gehen. Ich war dann für ein paar Wochen in Israel und habe wieder nur geheult! Ich hab es nicht eine Minute lang genossen, hab auch keine Leute kennengelernt, denen ich mich anvertrauen mochte. Mein Englisch war auch nicht gut genug etc. Es war ein einziger Albtraum. Und wieder hier habe ich allen erklären müssen, warum ich schon wieder zurück sei, obwohl ich doch ein halbes Jahr bleiben wollte. Gott, hab ich mich geschämt. Auch meinen Eltern gegenüber war mir diese Aktion total peinlich, weil sie mir den Aufenthalt schließlich finanzieren sollten (was sie auch getan haben). Es musste erfolgreich werden, nachdem GB schon so in die Hose gegangen war, aber ich habe wieder versagt. Ich kann da nicht gut drüber sprechen, weil ich immer noch ein Bild von mir im Kopf habe, das von Unabhängigkeit und Abenteuerlust geprägt ist. Dabei bin ich wahnsinnig häuslich, mein Leben spielt sich in geregelten Bahnen ab usw. Also nichts von dem, was ich und meine Eltern vielleicht mal für mich vorgesehen hatten.
Eine 2. Leiche liegt in der Sexualität. Ich habe meine Eltern früher oft beim Sex "erwischt". D.h. ich habe an der Tür gestanden und gelauscht, bzw. geluschert. Ich kriege die Bilder und Geräusche bis heute nicht aus dem Kopf. Mein Vater hat sich auch kaum Mühe gegeben, seine Sexualität vor mir zu verheimlichen. Deswegen habe ich ihn auch manchmal beim Onanieren zusehen können. Zwar nur durchs Schlüsselloch, aber bestimmte Geräusche haben mir verraten, dass es "mal wieder so weit war" und so bin ich im Schlafanzug zu seinem Zimmer und habe durchs Schlüsselloch alles beobachtet.
Ich habe seit ich Denken kann selbst ein total gestörtes Verhältnis zur Sexualität. Mir hat meine Nacktheit nie etwas bedeutet, ich hätte mich in einer bestimmten Phase meines Lebens auch für Geld ausgezogen. Ich denke, dass es nicht so weit gekommen ist, liegt nur daran, dass ich zum Glück einen relativ "vernünftigen" Freundeskreis hatte. Aber ich habe mich von meinen Ex-Freunden auch regelmäßig missbrauchen lassen, wenn man so will. Damit ich meine Ruhe hab. Die durften sich mit Alkoholfahne etc. an mir vergehen, es war der einfachere Weg, als lange zu Diskutieren, sich zu verweigern und einen Streit zu risikieren.
Einmal bin ich auf einer Jugendfreizeit von einem Einheimischen missbraucht worden. Ich weiß nicht, ob man überhaupt von Missbrauch sprechen kann, ich denke immer noch, dass ich seinen "Übergriff" provoziert habe, aber auch das ist eigentlich ganz typisch für jemanden, dem so etwas passiert ist. Vor lauter Scham redet man sich ein selber Schuld gewesen zu sein, es doch nicht anders gewollt zu haben. Ich weiß nicht, was stimmt. Ich weiß nur, dass dies zwei beispielhafte Leichen meines Lebens sind, die immer noch im Keller vor sich hingammeln und obwohl ich sie dort schon vor Jahren verscharrt habe, wirken sich ihre Schatten noch heute auf meine Leben aus, z.B. wenn mein Mann und ich zärtlich werden. Kann man sich ja auch leicht vorstellen, dass es so ist. In den ersten Jahren musste ich bei allen sexuellen Berührungen heulen. Und ichkonnte meinem Mann jahrelang nicht erzählen, warum.
Heutzutage lebe ich einigermaßen in Frieden mit den Ereignissen von damals, obwohl sich bestimmte Bilder einfach dermaßen in meinem Hirn eingebrannt haben, dass ich bestimmte Filme nicht sehen kann oder auch bei Büchern manche Seiten überschlagen muss.
Ich habe vier Jahre Therapie mit jeweils vier Sitzungen pro Woche hinter mir und es ist mir gelungen, um dieses heikle Thema drumrumzureden. Ich glaube es macht mich einfach heute noch anfälltig für Depressionen und ich will nicht ausschließen, dass mir die PPD vielleicht ganz erspart geblieben wäre, wenn ich auch mit diesen Leichen (und einigen weiteren) aufgeräumt hätte.

Es grüßt Euch,
MICI

PS.. Ich schick das jetzt ab, ohne noch mal zu gucken, ob es mir vielleicht später peinlich sein könnte. Aber hier kennt mich ja keiner Puh!
Gast

Beitrag von Gast »

Hallo mici,

als erstes möchte ich Dich beruhigen. Deine "Leichen" finde ich nicht im Geringsten peinlich.

Bei meinen dunklen Seiten im Leben habe ich oft festgestellt, dass ich eigentlich gar nicht so allein damit dastehe. Ich habe zum Beispiel ein sehr gespaltenes Verhältnis zu meiner Mutter, einerseits ist sie wirklich lieb und verständnisvoll, andererseits kann sie sehr gemein und kalt sein. Ok, ich habe gedacht, irgendwas stimmt mit mir nicht. Dann kam ich auf die Idee, irgendwas stimmt mit meiner Mutter nicht. Nunja, mittlerweile habe ich von so vielen Menschen gehört, wie sehr sie mit ihrer Mutter hadern, und mittlerweile empfinde ich das Verhhältnis mit meiner Mutter nicht mehr als Leiche im Keller, die ich verscharren muss. Mir ist klar geworden, wie sehr man seine Mutter mit allen möglichen Fehlverhalten im Leben in Verbindung bringt, und meiner Meinung nach ist das nicht richtig. Vieles habe ich heute selber in der Hand und muss nicht meiner Mutter die Schuld geben, weil sie mal nicht so reagiert hat, wie ich es mir vielleicht gewünscht hätte.

Wegen der Sexualität, es ist wirklich merkwürdig. Natürlich müssen da Schranken sein, Kinder sollten meiner Meinung nach nicht damit konfrontiert werden, was die Eltern miteinander "treiben". Aber mir ist das auch passiert, ich habe auch mal gelauscht, und viele andere Kinder werden auch unfreiwillig mal was mitbekommen haben. Es ist aber schwierig, finde ich , wenn die Eltern sich nicht explizit dafür zurück ziehen und es ihnen egal ist, wenn die Kinder was hören. Da ist meiner Meinung nach schon eine Grenze überschritten. War das bei Dir so, mici? Aber natürlich trifft Dich dabei nicht die geringste Schuld. Und sicher hast Du auch keinen sexuellen Übergriff provoziert im späteren Leben. Verurteile Dich deswegen nicht.

LG
Angela
AmoebeMS

Beitrag von AmoebeMS »

Hallo zusammen,

Mici, ich hadere so einwenig mit meinen Worten, weil ich das Thema „Leichen im Keller“ vielleicht etwas anders für mich auslege. Hier ein Erklärungsversuch: ich denke, dass jeder mit sich selbst erst mal ins Gericht gehen muss, um festzustellen, was eine echte Leiche ist und was nicht. Zudem muss man dann wohl oder übel irgendwann mal beginnen, die echte Leiche aufzuarbeiten oder die unechte Leiche im Keller zu lassen und es als gegeben und passiert zu betrachten. Versteht man, was ich damit sagen will?

Damit meine ich eigentlich nur, dass zb du, Mici, wohl sehr geschickt und gekonnt diese beiden genannten Themen aus irgendwelchen Gründen nicht in die Therapie mit eingebracht hast. Warum eigentlich nicht? Ich will damit nicht sagen, dass dies eine unechte Leiche ist, sondern eine, die du für dich wohl erst mal als unecht und nicht bearbeitungswürdig ausgelegt hast. Sind sie denn aufzuarbeiten? Willst du das? Warum wolltest du es bisher nicht?

Ich persönlich empfinde deine jetzigen Gedankengänge als völlig richtig und normal. Da muss dir nun wirklich nichts peinlich sein. Ich finde es sogar hoch spannend, denn das Thema „der Sex der Eltern“ und „wie sehen es Kinderaugen“ ist sehr interessant. Ich habe da auch so meine Erfahrungen gemacht und mir wird immer noch ganz anders, wenn solche Bilder in meinen Erinnerungen auftauchen. Würg! Für mich persönlich trifft auf dieses Erlebte nicht zu, dass es sich um eine Leiche handelt, aber ich handhabe es bei meinen Kindern anders. Wenn ich hier und heute mit 33 immer noch so würgende Erinnerungen an „die nackten Körper meiner Eltern“ habe, dann mögen meine Kids bitte davor verschont bleiben. Nacktsein? Ja klar, damit habe ich nun wirklich kein Problem! Aber Sex vor Kinderaugen? Bitte nicht. Was da an einer Kinderseele hängen bleiben kann, mag ich gar nicht wissen.

Meine direkte Leiche im Keller ist wohl das Verhältnis zu meiner Mutter - meinem Inbegriff des Perfektionismus. Ich habe aus dem Teil der TP einiges darüber mitbekommen, aufgearbeitet und bemühe mich heute doch nicht ganz so wie sie werden zu wollen. Hihi. Ich bin eben ich und nicht sie. Aber an der Leiche musste ich arbeiten (bzw. wurde dazu genötigt).

LG AmoebeMS

Schönes Thema.
Deria

Beitrag von Deria »

Liebe mici,

den Begriff "Leichen im Keller" würde ich für das, was du erlebt hast, nicht verwenden.
Für mich ist dieser Begriff besetzt mit: ich habe etwas Böses getan.
Da ist ja jemand der jemand anderen ermordet hat und den im Keller verscharrt, etwas, das wir nicht gerne hochholen würden, weil wir Angst vor Repressalien haben.

Ich kenne die Thematik MB gut, am eigenen Leib erfahren und ich selber war lange auf der Schiene: ich bin schuldig.
Aus diesem Gefühl heraus konnte ich niemals Therapie machen oder das ansprechen. Denn es würde bedeuten: ich habe Schlimmes getan.
Nein, ich nicht - die anderen.

Du bist ausgenutzt worden, vll auf der Suche nach Zuwendung, dazugehören wollen..du bist mb worden und da ist eine kleine Mici, die sich so schlecht damit fühlt.
Vielleicht gibt die Große ihr eine Chance davon berichten zu dürfen, in der Therapie, Gehör zu finden und gefühlt zu werden.
Da ist dieses verängstigte Menschenkind, das eben nicht mit einem Erwachsenen S*x haben möchte.
Ich konnte das auch viele Jahre lang nicht und schließlich haben wir darauf verzichtet.
Ging nicht anders, ich wollte mich nicht länger mißbrauchen und meinen Mann zum Täter machen - den ich gruselte mich nachher auch vor ihm!

Versuch vorsichtig und mit Bedacht doch deine Therapeutin/deinen Therapeuten davon zu berichten.
Das du spürst, du bist nicht schuldig und somit hast du keine Leiche im Keller- die Leichen haben die, die dir das angetan haben.

Ganz liebe Grüße
Deria
AmoebeMS

Beitrag von AmoebeMS »

Hallo zusammen,

ich muss noch mal antworten.

Deria hat „Leichen im Keller“ so interpretiert, dass man etwas Böses/Schlimmes getan hat. So habe ich das nie gesehen, wenn ich ehrlich bin. Die „Leiche im Keller“ sah ich immer als eine Sache an, die ich in meiner Therapie nie angesprochen habe, die aber Gott sei Dank ans Tageslicht kam.

Ich gebe dir, Deria, Recht, dass ich Micis eigene angesprochene Punkte auch nicht unbedingt als „Leiche im Keller“ betrachten würde, doch ich denke, dass sie das selbst entscheiden muss (vielleicht sogar bereits getan hat) und sie uns dadurch einen Denkanstoss geben wollte, unsere eigenen „Leichen im Keller“ aufzuarbeiten. Ich denke, die Wortwahl ist extrem, aber deutet auf eine unbearbeitete Sache in unserem Leben hin, die jeder für sich selbst angehen sollte, wenn er mag und wenn es jemanden bedrückt. Ist es nicht so? Ich denke, die Interpretation von „Leichen im Keller“, die hier gebraucht wurde, deutet auf eine unbearbeitete Sache im eigenen Leben hin und nicht darauf etwas Böses getan zu haben oder was andere einem zugefügt haben. Ich hoffe, ich verstehe es nicht falsch, aber als „Leiche im Keller“ interpretiere ich einfach etwas nicht verarbeitet zu haben, was immer es auch sein mag. Doch diese Leiche liegt mir einfach schwer im Magen. Schuld oder nicht-Schuld.

Kann mich jemand aufklären? Bestenfalls du, Mici, du hast es begonnen? Was meintest DU damit?

LG AmoebeMS
Zuletzt geändert von AmoebeMS am 14:09:2009 21:17, insgesamt 1-mal geändert.
Deria

Beitrag von Deria »

Liebe Amoebe,

natürlich kann eine "Leiche im Keller" liegen haben, auch bedeuten, etwas Unverarbeitetes, nicht Erzähltes.

Doch für mich, die das Thema MB auch kennt, hört sich das an, wie wenn Mici etwas falsch gemacht hätte.
Und das wollte ich ihr nehmen.
Ich habe das in meiner Therapie auch einmal gesagt, und meine Thera hat es mir dann auch so erklärt...das das eben auch bedeuten KÖNNTE, wir uns schlecht fühlen, weil da etwas auch langsam und leise vor sich hinstinkt.
Das wir das nicht zu und nehmen, uns damit nicht identifizieren.
Wir waren nämlich nicht schlecht....

Ich kenne den Ausdruck immer so, das er für mich sehr negativ besetzt ist, so als wenn ich zu etwas nicht in der Lage war.
Das meine ich alles nicht böse, wenn wir aber unter Depressionen leiden, uns das Leben schwerfällt ist es doch gut oder besser zu sagen, mir liegt noch etwas "schwer auf dem Magen"...

Hoffe, es wird ein wenig verständlicher...

Lg
Deria
AmoebeMS

Beitrag von AmoebeMS »

Hallo Deria,

natürlich habe ich dich verstanden! Keine Frage.

Bis auf eines: würdest du mir bitte erklären was MB bedeutet???????

Ich stehe auf dem Schlauch. Danke.

Anna
mici

Beitrag von mici »

Missbrauch
AmoebeMS

Beitrag von AmoebeMS »

Das hat mich jetzt gerade erschreckt! Wusste ich einfach nicht. Sorry.

Entschuldigt. Solch ein Thema geht mir an die Substanz; ist gleich ob ich Euch kenne oder nicht. Damit kann ich nicht gut umgehen. Bitte verzeiht!!!! Doch ... mir fehlen etwas die Worte... schluck. Das treibt mir eher Tränen in die Augen.
mici

Beitrag von mici »

Hallo Ihr Lieben,

es ist doch sehr interessant zu lesen, wie unterschiedlich der Ausdruck verstanden wird.
Ich persönlich verwende ihn für die beiden Beispiele, weil das jeweils unaufgearbeitete Ereignisse in meinem Leben sind, an die ich mich nicht zurück erinnern will, die sich aber nicht wegleugnen lassen, sondern die ihren Geruch durch die Kellerdecke verströmen und sich unaufgefordert und unkontrolliert bis in mein heutiges Leben hineindrängen. Ich habe die Gefühle, die mit den jeweiligen Ereignissen verbunden sind, nicht unter Kontrolle, ich bemühe mich immer darum, möglichst keine Gefühle hochkommen zu lassen, doch das gelingt mir nicht durchweg. Oft erfasst mich dann Angst, Panik und Ekel und ich kippe noch etwas Sand auf die Gräber, damit bloß nicht noch mehr Altlasten zu mir hoch drängen.
Was noch für "echte" Leichen spricht ist, dass ich nach außen hin die Leichen leugnen und vertuschen will. "Dumdidum...." schlendere ich durchs Leben und keiner sieht oder merkt mir an, dass da noch was im Keller schlummert. Dass mir die beiden Ereignisse schwer auf dem Magen liegen kann ich nicht sagen, weil es gar nicht so weit kommt, dass ich das in mir nachspüren kann. Ich weiß gar nicht genau, wie sich die Ereignisse anfühlen würden, wenn ich sie in einer Therapie besprechen würde. Soweit habe ich es halt noch nie kommen lassen. Ich weiß nur: da ist noch was, was eigentlich Beachtung verdient hätte, aber ich traue mich nicht, mich diesen Leichen zu widmen und sie auszupacken. In der Therapie hätte ich das damals gerne getan. Ich habe dem Analytiker damals zu Beginn einer Sitzung angekündigt, dass ich ihm was zu sagen hätte, ich aber im Anschluss daran gehen würde, weil ich es nicht aushalten würde, darüber ins Gespräch zu kommen. Und so war es dann auch. Ich hab mich auf die Couch gepackt, hab herausgewürgt, was war, bin aufgestanden und gegangen. Am nächsten Tag, also in der nächsten Sitzung hab ich kein Wort mehr davon gesprochen. Und er ist auch nie wieder darauf zurückgekommen. Das hätte ich vielleicht gebraucht, dass er mir Fragen stellt oder so. Aber so funktioniert Psychoanalyse leider nicht. Momentan ist es für mich so, dass ich wohl weiß, dass es diese beiden Leichen gibt (und noch einige mehr - das Verhältnis zu meiner Mutter z.B. ... immer gerne als Leiche genommen... ) und ich zu gegebenem Zeitpunkt darauf zurückkommen sollte / könnte. Doch ich schiebe diesen Zeitpunkt immer weiter auf, weil ich mich vor der Auseinandersetzung mit diesen für mich schwierigen Punkten fürchte.

@ Angel: Ja, meine Eltern haben sich keine große Mühe gegeben, zu verbergen, was sie treiben. Ich hätte mir da in jedem Fall mehr Diskretion gewünscht. Mein Vater war einfach auch sehr naiv, der hat geglaubt, wir Kinder würden schon nichts merken. Aber dann die Kondome im Bad, die Gleitcremes auf dem Nachtschrank….. Das Verhältnis zu meiner Mutter ist lange Zeit meine größte Leiche gewesen, bis eben andere Leichen hinzukamen. Da konnte ich mir plötzlich nicht mehr leisten, auch noch auf meine Mutter wütend zu sein und habe nach einiger Zeit beschlossen, Frieden einkehren zu lassen und - genau wie Du – nicht mehr sie für alle Missstände in meinem Leben verantwortlich zu machen. Das hat aber auch dazu geführt, dass ich sie heutzutage nicht mehr richtig ernst nehmen kann in vielen Belangen und mich oft nicht auf „Augenhöhe“ mit ihr austausche.

@ Deria: Ich habe Deine Verwendung des Begriffes verstanden, aber ich finde nicht, dass er besetzt ist mit der Konnotation etwas Böses getan zu haben. So habe ich den Ausdruck „Leichen im Keller“ noch nie verstanden. Man hätte aber nach meinem ersten Beitrag gut davon ausgehen können, dass ich ihn so verstehe, eben weil ich mir durchaus eine gewisse Mitschuld an den MB-Geschehnissen zuschreibe. Ich hoffe, dass ich irgendwann in der Lage sein werde, mit einem Therapeuten diese Dinge aufzuarbeiten, weil insb. durch diese MB-Erfahrungen mein Leben heute beeinträchtigt ist. Es wirkt sich komplett auf die sexuelle Beziehung zu meinem Mann aus, was auch für ihn und für unsere Partnerschaft eine große Belastung ist.

@Amoebe: Deine Unterscheidung zwischen echter und unechter Leiche habe ich nicht ganz verstanden. Man muss doch unter Umständen auch die Dinge aufarbeiten, die einem widerfahren sind. Kannst Du das noch etwas ergänzen?

So, damit schließe ich vorerst –

Herzlichst, Eure MICI
Deria

Beitrag von Deria »

Liebe Mici,

Wort"spiele" hin oder her...es tut mir leid, das du eben keinen hast, wo du das lassen und vor allem aufarbeiten kannst.
Es ist ganz wichtig, das du einen guten und sicheren Platz findest, indem du mit diesen Dingen sein kannst, ohne Scham und Schuldgefühle.
Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen, das ich gottseidank an eine tolle, fürsorgliche Therapeutin geraten bin, die mit mir da "durch ist".
Mich bestärkt, mich unterstützt.
Auf jeden Fall möchte ich dir sagen: dich trifft keine Schuld.

Wirklich nicht.

Ganz liebe Grüße und ich mag dir mal meine Hand reichen
Deria
AmoebeMS

Beitrag von AmoebeMS »

Hallo zusammen,

ich musste das Thema erst einmal etwas sacken lassen. Verzeiht.

Ich wusste wirklich nicht was MB bedeutet und ich habe auch nicht aufmerksam gelesen. Dafür entschuldige ich mich heute noch mal. Und wieder kann ich Deria nur zustimmen, nämlich in a.) lassen wir die Wortspiele einfach mal weg und in b.) du hast keine Schuld, Mici.

Ich revidiere meine Meinung auch heute. Komplett. 360 Grad Wende im Minimum. Das wären (für mich) echte Leichen. Und ich stimme auch dir zu, Mici, dass man selbstverständlich alles aufarbeiten sollte, was einem widerfahren ist. Erst recht nachdem du schriebst, dass es sich auf das Körperliche zwischen deinen Mann und dir auswirkt. Ist das nicht extrem wichtig?

Auf deine Frage geantwortet: für mich ist eine „unechte“ Leiche etwas, was ich wegstecken kann, weil ich nicht mehr daran zu „knabbern“ habe, während ich bei einer „echten“ Leiche immer und immer wieder daran denke und es mein Leben beeinträchtigt. So interpretiere ich das.

Mici, du hast eine Therapie gemacht, gell? Ich habe dein Eingangsposting nicht mehr in Erinnerung, was ich gleich nachholen werde. Wurdest du auf PPD behandelt und hast in deiner Therapie wirklich nie etwas von diesen Dingen erwähnt? Hängen nicht sogar beide „Leichen“ eng zusammen? Magst du mehr darüber schreiben?


LG Anna
Deria

Beitrag von Deria »

Liebe Anna,

ich klinke mich nochmal ein und möchte auch dir, Mici, etwas
hierlassen.
Ja, körperlich Nähe und Sex sind in einer Beziehung wichtig,
aber oftmals sehr überbewertet.
Ich war in den schlimmsten Phasen meiner Aufarbeitung nicht in der Lage mit meinem Mann zu schlafen. Es ging nicht - und wenn dann nur, wenn ich ordentlich was getrunken hatte. Meistens endete auch das wieder mit Tränen.
Ich war dann in einer Klinik, gab das Trinken auf und arbeitete an der Beziehung zu meinem Mann.
Zu dem Ergebnis, das wir, so lange ich so unter den Erinnerungen leide, keinen Sex leben.
Das ging über drei Jahre.
Mein Mann unterschrieb diesen "imaginären" Vertrag und lebte ihn mit mir. Für ihn war klar: seine Liebe ist so groß, das er verzichten kann.
Das macht nicht jeder Mann!
Langsam, ganz langsam näherten wir uns wieder an - ich war dann sehr vorsichtig und es ging auch nicht immer gut.
Dann ließen wir es, auch mitten "im Gefecht" meinte ich "Nein" und es war dann auch ein Nein.

Wenn in einer Therapie der MB Thema werden kann, werden Gefühle frei, die so enorm sind, das man meint, man kann's kaum aushalten.
Irgendwann lernst du dieses Menschenkind kennen, das so böse Erfahrungen machte und es gehört dazu, gut darauf zu achten und keine Dinge zu tun, die sich ungut anfühlen, die Stress machen oder eben auch Flashbacks.

Heute ist es andersherum. Mein Mann ist 62 und hat nach einer schweren Herz-OP Probleme. Ja, deswegen werde ich ihn doch nicht verlassen, oder? Ich meine, wenn es mir so wichtig wäre?
Ich kann "ohne" leben, für mich sind andere Dinge viel, viel wichtiger geworden. Sonst wären wir auch nicht schon 23 Jahre verheiratet.
Er ist mein bester Freund, den ich von Herzen liebe und der mich zum Lachen bringt, der mich umarmt, mich zärtlich küßt und eben so liebt wie ich bin.
Unsere Ehe ist wie ein toller Erdbeer-Kuchen, es fehlt halt nur das Topping....

Lg
Deria
nikky77

Beitrag von nikky77 »

Hallo,

diese Leichen kenne ich ich , auch wenn ich sie als geschlossene Schubladen mit verderblichen Inhalt seh,,,,der irgendwann herausquillt wenn man sie nicht entleert.
Ich war schon Depressiv und hab jetzt auch die PPD erwischt :-(.
Aber was mich erschrickt dass immer wieder Sachen hoch kommen, wo ich dachte ich hab das verarbeitet.
Bin momentan auch wieder auf der Tour dass ich mir an allen selbst schuld gebe.....an alles was schief lief und läuft....aber glaub ist ein grosses Anzeichen der Depression.
Ich für mich hab mir jetzt vorgenommen,,,,ich will jetzt meine Schubladen nach und nach leere,,,sonst häng ich vielleicht in einen oder zwei,,,,Jahren wieder so tief drin...denn statt nur eine neue zu leeren,,,kommen die ganzen alten wieder mit hoch.
Jetzt bin ich daheim und mir gehts sowieso sehr schlecht,,wenn ich wieder arbeite kann ich es mir leider nicht mehr leisten,,dauernd krank zu sein, weil ich immer sachen runterschluck und dann körperlich auswirke.

Liebe Grüsse

Nicki
mici

Beitrag von mici »

Hallo Deria,

ich finde es völlig richtig, was Du über die Sexualität in einer Partnerschaft geschrieben hast, nämlich dass sie oftmals völlig überbewertet wird. Mein Mann sieht das zum Glück auch so, was ich vorher nie erwartet hätte, dass auch Männer bei dem Thema sehr gelassen sein können, aber die Partner vorher haben aus dieser Sache immer eine große Kiste und richtige Beziehungsprobleme gemacht. Ich bin froh, dass ich heutzutage in keiner Weise unter Druck stehe, aber anders ginge es für mich auch nicht und ich denke, das weiß mein Mann auch. Letztendlich stellt das Thema „Sex“ für uns heute kein Problem dar und dennoch wird es beeinflusst von meinen früheren negativen Erfahrungen.

Und auch Nikki wollte ich gerne zustimmen – genauso verstehe ich Leichen im Keller auch, nämlich als geschlossene Schubladen, aus denen irgendwann der verderbliche Inhalt quillt, wenn man sie nicht leert. Denn das Problem ist ja auch, dass es permanent neue Dinge in solchen Kellerschubladen zu verstauen gibt. Vielleicht in bestimmten Lebensphasen weniger, aber doch stetig kommt etwas hinzu, wofür man nicht sofort die Zeit und die Kapazitäten hat, es zu verarbeiten. Und irgendwann modern dann Altlasten von ganz früher und jede Menge neue Problemzonen in diesen Schubladen und plötzlich erwischt einen eine PPD und man weiß gar nicht, was eigentlich genau das Problem ist. Aus allen Einzelproblemen hat sich ein riesiger, stinkender Klumpen gebildet, der sich im Zustande einer PPD nur schwerlichst entwirren lässt und dadurch Angst, Wut, Trauer, Hilflosigkeit etc. hervorruft.

Viele von den Frauen hier im Forum fragen sich: Warum ich? Aber ich denke es gibt mindestens genauso viele, die sich das nicht fragen, sondern die es durchaus plausibel und für ihr jeweiliges Leben als stringent erachten, an einer PPD erkrankt zu sein, weil sie dafür gewissermaßen prädestiniert sind. Ich z.B. hatte auch immer schon mit Depressionen, Angststörungen etc. zu tun, ich habe Leichen im Keller und– ja, was soll ich sagen – ich habe nicht gerade darauf gewartet, dass die Symptome einer PPD auftauchen, aber ich war darauf gefasst.
Mich würde mal interessieren, wem es ähnlich ging wie mir bzw. wen die PPD so völlig überraschend erwischt hat.
Vielleicht hat ja die eine oder andere Lust, darauf mal zu antworten. Meine nächste Frage wäre nämlich dann, ob es einen Zusammenhang zu den besagten Leichen im Keller und einer PPD gibt.

Also folgendermaßen:

a) Wer hat Leichen im Keller und ist nicht überrascht darüber, an einer PPD erkrankt zu sein?
b) Wer hat Leichen im Keller und ist überrascht darüber, an einer PPD erkrankt zu sein?
c) Wer ist überrascht darüber, an einer PPD erkrankt zu sein und stellt jetzt bei näherer Betrachtung fest, dass er wohl doch Leichen im Keller hat?
d) Wer ist überrascht darüber, an einer PPD erkrankt zu sein und stellt auch bei näherer Betrachtung fest, keine Leichen im Keller zu haben?


1. These: Frauen mit Leichen im Keller erkranken eher an einer PPD und sind darüber selten überrascht.
2. These: Die meisten an PPD erkrankten Frauen haben Leichen im Keller.

Ok. Ich hoffe, mein Thread nervt Euch nicht


Eure MICI

:?
Zuletzt geändert von mici am 17:09:2009 11:40, insgesamt 1-mal geändert.
Antworten