1 Jahr später...

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bineblaschke

1 Jahr später...

Beitrag von bineblaschke »

Hallo an alle Frauen hier, denen es jetzt noch schlecht geht...

ich will auch mal ein Bisschen Mut machen, ich bin noch nicht am Ziel, aber ich arbeite weiter dran.

In der Schwangerschaft ging es mir schon nicht gut. Ich hatte 4 Jahre Kinderwunsch und dann endlich hat es ohne jegliche hormonelle Unterstützung geklappt. Doch dann kamen die Ängste. Die ersten 12 Wochen war die Angst, es könnte zu einem Abbruch kommen, dann hatte ich ständig Angst vor irgendwelchen Infektionen, wie Toxoplasmose oder Listeriose. Oft habe ich mich testen lassen.
Der Salat musste tausend Mal gewaschen werden, alles musste hygienisch perfekt sein. Außerhalb essen war nicht mehr möglich, selbst den Salat meiner Mutter rührte ich nicht an. Sollte das gegrillte Fleisch nicht super durch gewesen sein, hatte ich Panik, über mehrere Tage. Mein Mann musste das Fleisch bevor ich es essen konnte kontrollieren. Er war der Einzige, dem ich das Waschen von Salat noch anvertraut habe. Mein Katze musste für 1 Jahr zu meiner Mutter.
Ich habe sogar Panik bekommen, wenn ich irgendwo einen komischen Geruch aus der Natur wahrgenommen habe, vielleicht ne tote Maus??? Oh Gott, die könnte Listerien enthalten. An Bauernhöfen musste ich die Luft anhalten, weil ja irgendwelche Parasiten durch die Lüfte schwirren könnten...
Manchmal war ich dann am Rande der absoluten Verzweiflung und ich hätte am Liebsten die Geburt schon in der 35. Woche einleiten lassen wollen.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir ein Psychiologin gesucht, die mir aber auch nicht viel helfen konnte, da sie dann die restlichen 5 Wochen meiner Schwangerschaft in den Urlaub ging. Habe mir dann Gespräche bei Pro Familia erkauft, bei einer Hebamme. Sie hat mir gut geholfen, konnte dann mein Schwangerschaft bis zum Ende ertragen.
Das Schlimme in meiner Schwangerschaft war auch...ich hatte nichts....nichts was auf eine Schwangerschaft hätte hindeuten konnte. Kein Erbrechen, keine großartigen Heißhungerattacken...
doch eins wies auf eine Schwangerschaft hin, ich wurde immer runder und schwerer.
:lol:
Dann, am 30. August 08 ist unser kleiner Sohn geboren. Ein süsser gesunder Wonneproppen. Kerngesund.
Freuen, als alles geschafft war??? Fehlanzeige!!! Ich habe plötzlich tierische Angst empfunden. Angst vor der Verantwortung mit Kind. Angst alt zu werden. Angst, dass mein ganzes Leben vorbei ist. Wie ein Tornado kamen diese Gefühle auf mich zu, die eine Frau normalerweise am Anfang der Schwangerschaft empfindet. In der Phase, wo alle werdenen Mütter damit auseinandersetzen, ein Kind zu bekommen.
Diese Phase war bei mir nicht vorhanden, denn bei mir kreisten die Gedanken nur darum...hoffentlich lebt mein Kind noch. Mein Sohn hatte auch nicht wirklich das Bedürfnis mich zu treten. Ich hatte die Plazenta vorne, so kickte er fröhlich gegen ein Kissen und Mama konnte nicht viel merken. Gut das ich mir so ein Gerät zugelegt habe, wo man die Herztöne ermitteln konnte.

3 Tage Krankenhausaufenthalt vergingen, wir sind dann mit unserem kleinen Jungen nach Hause, welcher eigentlich nur schreien wollte. Dieses Schreien ging bei mir durch Mark und Bein und bestätigte mich in meiner Angst, daß mein Leben, meine Unabhängigkeit zu Ende ist. Ich bekam immer mehr Angst, machte mir immer mehr negative Gedanken...die Spirale zog sich Richtung Hölle. Angst und Depression gehörten nun zu meinem Alltag. Zu diesen sowieso schon schrecklichen Gefühlszuständen kamen Zwangsgedanken hinzu, die sich gewaschen haben.
Ich habe mich in Gedanken an meinen Sohn vergangen, dann plötzlich fand ich ihn hässlich oder meinen Mann fand ich hässlich....
Durch die Depression habe ich auch keine Gefühle der Liebe mehr empfunden.
Meine Hebamme teilte mir die Vermutung einer Wochenbettdepression mit und ich bin gleich zu meiner tollen Psychiologin hin und anschliessend zur Psychiaterin, welche mir AD verschrieb...Citalopram...nach paar Tagen musste ich sie schnell wieder absetzen. Noch nie hatte ich so viele Panikanfälle wie nach diesen Tabletten. Ich nahm dann Opipramol. Leider halfen die aber auch nicht und nach 5 Wochen nahm ich Sertralin und Seroquel.
Nach langem Hin und Her habe ich mich in eine Psychiatrie gemeinsam mit unserem Sohn einweisen lassen.
3 Wochen habe ich dort verbracht, nicht wirklich lange, aber sie sagten mir, ich müsse mich konfrontieren und zwar mit dem Leben und die sollten Recht behalten.
Denn in der Zeit vor der Klinik habe ich nichts mehr gemacht. Habe mich gehen lassen. Konnte mich nicht mehr um unseren Sohn kümmern. Mein Mann nahm unbezahlten Urlaub. Die Spirale zog sich immer weiter nach unten zu. Zum Glück war immer noch mein Verstand anwesend, der sagte mir...so kann es nicht weiter gehen...ich will das so nicht!!!

Nun ist 1 Jahr vergangen. Ich nehme noch immer Sertralin, aber nicht mehr Seroquel, was ich als Erfolg ansehe.
Mein Mann ist unter der Woche weg und ich bin auf mich allein gestellt. Ich habe wieder Interesse am Leben, ich freue mich wieder auf Dinge, wie den gemütlichen Herbst mit Kerzenlicht.
Ich verabrede mich, ich gehe 3 Mal die Woche zum Fitness ( mit Kinderbetreuung )!
Es geht aufwärts, aber auch manchmal wieder abwärts.
Meine Hauptsymptome sind innere Unruhe und Zwangsgedanken, die mich immer noch plagen. Ich will auf keinen Fall sagen, daß ich durch bin, aber ich will sagen man braucht viel Geduld.

Wichtig ist es seine Gedanken, die einen quälen zu Ende zu denken, nicht so zwischendurch, sondern man muss sich den Raum und Zeit suchen ( wenn das Kind schläft ) um sich zu konfrontieren. Konfrontation mit den Gedanken ist das allerwichtigste und beste was man dagegen tun kann. Man muss sogar seine Gedanken ausschmücken...am Besten auf ein Audioband aufnehmen und sich anhören.
Außderdem helfen die Bücher " Alles unter Kontrolle " und " der Kobold im Kopf " ( nochmals vielen Dank an Marika für diesen Tipp )
Was ich noch empfehlen kann ist, Achtsamkeit. Sein ganzes Tun beobachten, um mal aus der Gedankenspirale herauszukommen. Ausserdem ablenken, raus gehen...egal wie schlecht es einen geht....raus.

Damit ist man auf dem Weg aus diesem Alptraum. Der Weg ist steinig und hammerschwer, man muss sich regelrecht zwingen.
Doch alle können es schaffen!

Hoffentlich habe ich ein Bisschen Mut gemacht :D
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Marika
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Beitrag von Marika »

Liebe Sabine,

vielen Dank, dass du deine Geschichte hier reingestellt hast, ich denke viele können daraus viel Kraft und Mut tanken!!!!

Du hast wirklich total viel geschafft und arbeitest mit einer Energie und Konsequenz an den ZG, wo ich nur den Hut ziehen kann - du weißt ja, dass ich da nicht so konsequent am Anfang war! :wink:

Ich werde dir morgen (bin grad auf dem Sprung) dann auch noch auf deine PN antworten, besonders was deine Therapieübungen angeht, dass interessiert mich total.

Du kannst total stolz auf dich sein!

Viele liebe Grüße schickt dir
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
bineblaschke

Beitrag von bineblaschke »

Liebe Marika,

danke Dir. :D ..ich freu mich schon auf Deine Antwort. Mir ist gerade aufgefallen, ich war natürlich nicht nur 3 Tage in der Klinik, sondern 3 Wochen :?
bineblaschke

Beitrag von bineblaschke »

Hallo Nina,

schön dass Du geantwortet hast :D
Ich habe mir dank Marika ( ich muss sie immer wieder erwähnen ) die Bücher " Kobold im Kopf " und vor Kurzem " Alles unter Kontrolle " gekauft.
Ich habe sie mir durch gelesen, aber auch u. a. " Ängste verstehen und überwinden " von Doris Wolf. Zwangsgedanken, sind in Prinzip ja Angstgedanken. Man hat Angst. Angst vor diesen widerlichen Gedanken. Anfangs habe ich mir gedacht, es wären wirklich meine Gedanken. Ich habe wirklich geglaubt, pädophil zu sein, konnte mir keinen kleinen Kinder mehr angucken, habe sofort Angst bekommen.
Ich habe mir über Zwänge.de den richtigen Thera geholt. Ich hatte Glück, dass er " nur " 50 km weit weg wohnt. Wichtig ist ein Thera, der weiß, dass Konfrontation das Wichtigste ist, um die ZG zu überwinden. Ausserdem hat er mir eine Lern - CD mitgegeben, mit der sog. 4 - Schritte - Methode. Da lernt man alles was man über ZG wissen muss und das man die ZG ignorieren soll. Schon erkennnen.
Also, wenn ein ZG kommt, dann soll man ihn erkennen und sagen: Das bin nicht ich, sondern meine Zwangsstörung.
Man muss sich unbedingt klar machen, dass es sich um eine Krankheit handelt, dass die ZG, ein Symptom sind. Wenn Du eine Erkältung hast, ist das Symptom der Schnupfen. Bei uns Zwangskranken ist das ein Symptom! Das muss man sich dringend klar machen.

Also, wenn es irgendwie geht, schreib deine Gedanken auf und lese sie Dir immer wieder durch. Was auch noch gut geht ist, sie dir auf ein Tonband aufzusprechen. Da kann ich dir die Gedankenmühle empfehlen, von Dr. Wölk. Gibts bei Amazon für 40 €! Das ist eine CD, wo Du Deine Gedanken aufsprechen kannst und sie gleichzeitig in Schrift durchlesen kannst. Kann nur nochmal sagen, Konfrontation, insgesamt 20 Stunden, ist das Beste was man gegen diese biochemische Störung im Gehirn machen kann.
Der nächste Schritt und besser der Schritt den man in den restlichen Stunden des Alltags durchführen kann ist die Achtsamkeit. Richte Deine Aufmerksamkeit auf das, was Du tust. Wenn Du z.B. abwäschst, gehe in Gedanken genau durch, was Du gerade tust. Da kann ich Dir z.B. die Achtsamkeits - Meditation von Jack Kornfield empfehlen...gibts auch bei Amazon.

Wenn Du noch Fragen hast oder Interesse an der 4 - Schritte - Methode, dann sag nochmal Bescheid. Mir hat es schon sehr viel geholfen. Ich bin noch nicht am Ziel, aber mir geht es schon viel besser.

Bis dahin wünsch ich Dir alles Gute,

Liebe Grüsse,
Sabine
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