Wieder mal was auf der Seele

Austausch alltäglicher Sorgen oder Freuden

Moderator: Moderatoren

Antworten
Leuchtkäfer

Wieder mal was auf der Seele

Beitrag von Leuchtkäfer »

Hallo zusammen,

mir liegt wieder einmal etwas auf der Seele, was ich hier gerne loswerden würde.
Eine gute Freundin von mir liegt mit einem verkürzten Gebärmutterhals in der 30. SSW im Krankenhaus. Ich habe sie von ihrem Frauenarzt dorthin begleitet. Wir waren im Kreißsaal, wo ich vor gut einem Jahr auch war.
Mich hat das total umgehauen. Nachdem ich sie da abgegeben hatte, war ich zu Hause fix und fertig und habe laut geweint, wie schon lange nicht mehr.
Heute hatte ich dann die Kraft, darüber nachzudenken, was mich so fertig gemacht hat. Bei mir war in der Schwangerschaft körperlich soweit alles gut. Ich habe nur immer gedacht, ich darf meine (normalen?) Ängste, eine Schwangerschaft und das Kind betreffend nicht zugeben, weil ich dachte, wenn ich das einmal auspreche, gebe ich diesen Ängsten zu viel Raum und töte damit mein Kind im Bauch. Ich habe also immer gelächelt, habe alles als "ganz easy" dargestellt, trotz Kontraktionen bis zum Mutterschutz gearbeitet und nie irgendwelche Sorgen zugegeben. Dabei hat es mich innerlich förmlich zerissen, denn ich dachte jede Sekunde mit meinen Zweifeln und Sorgen schade ich meinem Kind und wäre selber Schuld, wenn etwas passiert. Bei jeder Untersuchung habe ich darauf gewartet, daß der Arzt sagt, "das und das ist nicht in Ordnung und das haben ja wohl Sie zu verschulden".
Das, was ich in dieser Zeit nie gesagt habe, bricht jetzt ab und zu aus mir heraus. Ich möchte noch im Nachhinein über diese ganzen Sorgen und Nöte reden. Ich möchte, daß sich jetzt jemand um diese schlimmen Gedanken kümmert und mich tröstet. Ich möchte mir jetzt die Beruhigungen holen, die ich mir damals nicht bekommen habe, weil ich ja nie was gesagt habe.

Ich sage das jetzt mal so hart. Ich fühle mich von meinen Gedanken und Gefühlen und Ängsten der damaligen Zeit und den ersten Monaten mit Kind traumatisiert. Das meine ich ernst. Jedesmal, wenn mich diese Gedanken und Gefühle wieder einholen, wie vor ein paar Tagen, dann werden die Reaktionen und die Trauer darüber immer heftiger, anstatt weniger mit der Zeit.
Ist das bei Euch auch so, was macht Ihr in solchen Momenten?

Ich habe aus diesen Erfahrungen immerhin gelernt, daß ich meine Ängste, Sorgen und ganz normalen Empfindungen mitteilen muß, damit sie mich nicht weiter verfolgen... Aber diese Erfahrungen und Ängste von vor einem Jahr hängen mir noch so nach...

Liebe Grüße von Leuchtkäfer
Ylaina

Beitrag von Ylaina »

Ich kenne das -zwar in anderen Zusammenhängen- alles nur zu gut.

Dass man etwas nicht sagen will, das einem belastet, weil man denkt damit mache man alles nur noch viel schlimmer.
Das ist furchtbar und quält sehr. Weil man es eben nicht loswird damit, sondern sich selbst gefangen hält. Gefangen in den schlechten Gefühlen, der Angst, dem Schmerz und gefangen noch dazu im Glauben man sei selbst schuld.
Man kommt dann in einen Zustand, der sich, wie ich finde, anfühlt, als würde man dauerhaft die Luft anhalten.

Das ist wirklich ein furchtbarer Zustand und ich möchte dem Leuchtkäfer von damals ganz unbedingt meinen Trost aussprechen und meine tiefste Überzeugung mitteilen, Du bist an überhaupt nichts schuld und den Schmerz und die Angst auszudrücken macht Deinem Kind nichts, ganz ganz sicher nicht.
Heutezutage in der Spassgesellschaft muss alles hochglanzpoliert sein. So wird meiner Meinung nach auch mit der Schwangerschaft verfahren, undd dass das eine enorme Belastung für den Körper ist und nicht alles immer glatt läuft wird gerne tabuisiert. Wir denken dann, wenn Beschwerden auftreten, etwas sei unnormal, wir seien die Einzigen und damit dann wahrscheinlich selber schuld.
Meine persönliche Erfahrung zeigt mir aber das Gegenteil: Komplikationen, Schmerzen, Unwohlsein sind die eine Seite der Medallie Schwangerschaft (genauso wie es die andere Seite gibt, klar) und ganz normal! Sie sind da, sie sind normal und sie gehören so sehr dazu, dass sie eine Schwangerschaft auch normalerweise nicht weiter gefährden.

Dem Leuchtkäfer von heute will ich sagen, dass Du genau das richtige machst gegen ein Trauma.
Du sprichst darüber. Etwas verdrängtes, etwas belastendes und so lange unausgesprochen kann traumatisch sein, ja. Evtl. war es das schon währenddessen, evtl. hat es sich erst in einer inneren Eigendynamik dazu entwickelt, weiß nicht.
Ich habe ja auch jahrelang mit einem Trauma gelebt. Gedanken und Gefühle, die einem in allen möglichen und unmöglichen Situationen einfach nicht loslassen, auftauchen wann und wo sie wollen und einem total den Stecker ziehen und scheinbar niemals weniger werden.
Ich habe 20(!!) Jahre lang in jeder möglichen Art von Therapie und Beziehung mich mitgeteilt. Und muss für mich persönlich sagen wirklich besser wurde es erst, als mir meine Depression diagnostiziert wurde und ich in die Klinik gegangen bin.
Ich bin damals auch dorthin und habe gesagt: 'Also, meine Depression kommt von erstens, zweitens und drittens mein Trauma, ich will, dass das hier bearbeitet wird.' Passiert ist aber etwas ganz anderes!
Ich bin dort 'abgeholt' und ernst genommen worden, wo ich mich tagtäglich befand.
Nicht im Trauma vor 20 Jahren, sondern hier und heute.
Erst fand ich das komisch und habe mich geärgert, dass ich mein Trauma dann wohl wieder nicht loswerde. Heute fühle ich davon so befreit wie nie zuvor in meinem Leben.
Ich weiß nicht, ob es eine 'Bedienungsanleitung zum Umgang mit Traumata' gibt. Jedenfalls kennen tue ich sie nicht, aber ich wollte Dir meine Erfahrung schildern im Erleben eines Traumas und im Loswerden.

Und nochwas am Rande zum Thema: nach der Geburt sagte ich zu meinem Mann und meiner besten Freundin, dass das das heftigste war, was ich je erlebt habt. Und beide wußten genau, dass ich damit meinte ich fand es heftiger als das Trauma. (Ich meine damit nicht, dass die Geburt dermaßen traumatisch war, aber ich meine dermaßen intensiv. Sag nochmal einer, Schwangerschaft und Geburt seien etwas für ein 'Heidi-Klumm-Hochglanz-Titelbild'....)

Es wird Dir auch noch nachängen, aber sicher keine 20 Jahre(!!), aber es wird auch vorbeigehen. Und das, was Du daraus gelernt hast ist das, was Dir helfen wird beim Verarbeiten. Das ist wahrscheinlich genau das, was das Trauma letztlich doch heilen wird, auch wenn es Deine Geduld auf eine Probe stellen wird.
Es wird Dich loslassen. Mache weiter wie bisher und ich wünsche Dir Menschen, die Dich in der Vergangenheit und Gegenwart ernst nehmen, Dich annehmen, Dich begleiten und stützen. Denn die sind -glaube ich- der andere Part der Heilung.

Herzlichste Grüße von mir.
Verena
Leuchtkäfer

Beitrag von Leuchtkäfer »

Ach Verena,

was für eine schöne, mutmachende Antwort. Vielen Dank, damit gehe ich jetzt schlafen.

Grüße von Leuchtkäfer
Ylaina

Beitrag von Ylaina »

Gerne meine Liebe. Und ich mach das jetzt auch - in's Bett gehen. :wink:
Elisabeth11

Beitrag von Elisabeth11 »

Hallo!

Dazu will ich unbedingt was sagen:

Ich weiß ganz genau, dass die Zeit, die ich in der SS wegen Kontraktionen liegen musste, mir psychisch das Genick gebrochen hat, das war der Anfang allen Übel. Ich hatte damals immer das Gefühl, ich muss so positiv sein und eben sagen, alles wird gut und so, weil ich dachte, wenn ich nicht mehr dran glaub, wer tuts dann noch?
Und mir hängt das auch sehr nach. Das erste halbe Jahr Therapie war fast nur mit dieser Zeit ausgefüllt und trotzdem sind mir Gedanken daran noch nicht gleichgültig.

Man ist als Schwangere in einer derart verantwortungsvollen Position und dabei ganz allein - das tut schrecklich weh, find ich.

Und ich merke dann immer, wie schwer es mir fällt, mir selbst Schwäche zuzugestehen. Könnte das bei dir auch der Fall sein?

Ein andermal mehr, muss die Große baden gehen :-)

LgE
Leuchtkäfer

Beitrag von Leuchtkäfer »

Hallo Elisabeth,

das mit Schwäche eingestehen können ist sicher ein ganz großes Thema bei mir. Das war es aber eben nicht in der Schwangerschaft, denn da darf man ja bedürftig sein und jemand kümmert sich, ohne daß man sich schwach dabei fühlen muß und wenn, dann ist das für alle o.k.
Ich hatte wirklich größte Angst, ich bringe mit meinen Zweifeln mein Kind um, dabei hätte ich Trost und Zuspruch so nötig gehabt. Das habe ich auch damals schon gespürt, habe aber eben nichts gesagt, weil ich dann so eine innere Abmachung mit mir gebrochen hätte. Die lautete so in etwa: Wenn Du alles gut erträgst und Dich auch wirklich auf Dein Kind freust, wird es überleben, wenn Du Selbstzweifel zeigst oder gar aussprichst, dann nicht. Woher diese Gedanken kamen, kann ich nicht sagen, nur, daß sie schrecklich weh getan haben.
Ich weiß und wußte auch schon damals, daß die Gedanken irrational waren, aber überall haben alle immer gesagt, ach ja, man freut sich ja so auf ein Kind, das spürt es dann ja auch schon im Bauch. Im Umkehrschluß konnte ich also mit Angst, Sorgen und Zweifeln Schlimmes anrichten...

Das ist wohl wirklich was für die Therapie...
Heute habe ich trotzdem die Freundin im KKH besucht, man es hat mir bei jedem Wort die Kehle zugeschnürt, alles kam wieder hoch.

Liebe Grüße von Leuchtkäfer
Antworten