Das Ende des Tunnels

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Lotesse

Das Ende des Tunnels

Beitrag von Lotesse »

Hallo zusammen,

schon seit längerem habe ich vor, mal wieder zu schreiben, wie es mir geht. Ab und an poste ich, wenn es mir nich so doll geht, aber im großen und ganzen ist ja alles wieder im Lot bei mir. Deshalb wollte ich meine Mut-mach-Geschichte hierhin stellen, denn der Weg aus dem Schatten ist zwar nicht einfach und dauert auch bei frühem Erkennen ziemlich lange, aber er ist da. Es gibt den Weg, man darf nur den Mut nicht verlieren, ihn auch zu gehen.

Meine kleine Süße ist jetzt knapp vier Monate alt. Sie entwickelt sich wunderbar, von "klein" kann auch keine Rede mehr sein, sie holt kräftig auf.

Mir geht es mittlerweile wieder gut. Keine Ängste mehr, keine Panik, keine grundlose Traurigkeit. Alles hat sich wieder "normalisiert", soweit das mit Kind eben möglich ist. Wir haben einen ganz normalen Alltag, mit Höhen und Tiefen, nichts aussergewöhnliches.

Wenn ich auf die letzten Monate zurückblicke, bin ich echt mit einem blauen Auge davongekommen. Ich durfte zwar ein paar nette Symptome der Depression kennenlernen, aber sie sind wieder gegangen. Und einige Dinge kann ich erst jetzt im Rückblick einordnen.

Es fing an mit Suizidgedanken im Krankenhaus. Keine schlimmen, aber sie waren da. Auch nicht "jetzt bring ich mich um" sondern eher "pass ich wohl durch das Fenster?".

Auf dem Heimweg vom Krankenhaus waren wir noch einkaufen, und ich hatte das Gefühl, total neben mir zu stehen, als ob jemand anderes da mit meinem Mann unterwegs ist, und ich sehe nur zu. Damals habe ich das auf die Erschöpfung geschoben, aber im Nachhinein hat sich dieser Zustand noch einige Wochen hingezogen. Einordnen würde ich das jetzt als Derealisation. Davon ist nichts übrig geblieben. Ich bin wieder voll da, und wenn ich mal wieder neben mir stehe, dann weiss ich, was ich die Nacht gemacht habe. ;-)

Dass ich Zwangsgedanken hatte, habe ich noch relativ früh rausgefunden. Die Angst um mein Kind war ins Unermessliche gewachsen und liess mich Horrorvisionen von meiner Süssen sehen, wie sie tot im Stubenwagen liegt, wie ich mein totes Kind im Kinderwagen schiebe oder im Tragetuch mit mir herumtrage, ohne zu merken, dass sie tot ist. Ich habe panisch alle paar Minuten nachgesehen, ob sie noch atmet. Alleine gelassen habe ich sie nur in der Wiege, die ans AngelCare angeschlossen ist. Als ich dann wusste, wie der Horror mit Namen hieß, und wie ich damit umgehen muss, ging es bald besser. Zwar habe ich immer noch Angst um mein Kind, aber im "normalen" Rahmen. Nachts schau ich ab und an immer noch nach, ob sie noch atmet (das AngelCare funktioniert bei Betten, die ans Ehebett gekoppelt sind, nicht), aber das ist völlig normal, wie mir meine Mutter und Freundinnen mit Kindern versichert haben.

Angst hatte ich auch vor ganz normalen Dingen: davor, dass die Kleine schreit, wenn Leute im Haus sind, vor Leuten im allgemeinen (ich habe mich versteckt, wenn Besuch kam), davor, dass mich alle für eine schlechte Mutter halten, vor dem Rausgehen, vor dem Einkaufen gehen, vorm Autofahren, ich habe mich einfach nur noch gefürchtet. Und ich habe mich gefragt, wie andere Mütter das machen, weil ich anfangs ja nicht wusste, dass ich auf dem Weg in eine Depression war. Aber auch diese Ängste habe ich besiegt, eine nach der anderen. Die letzte Angst noch vorletzte Woche besiegt, weil kein Weg daran vorbei ging, dass ich mit unserer Familienkutsche fahren musste, und zwar fast zwei Stunden pro Strecke. Sogar rückwärts eingeparkt hab ich, und abends war ich fünf Zentimeter gewachsen vor Stolz.

Neurosen und fast zwanghaftes Verhalten hatte ich auch entwickelt. Ich habe die Kleine alle drei Stunden gestillt. Und zwar auf die Minute genau. Wenn sie mal länger geschlafen hat, habe ich fast Schweissausbrüche bekommen vor lauter Stress, den ich mir dann gemacht habe. Auch wenn sie dann nicht lange genug getrunken hat, war ich wieder nervös. Dann habe ich mich gefragt, ob sie auch genug Milch bekommt, oder ob sie verhungert. Und ich habe versucht, sie abends so zu timen, dass sie nur einmal nachts wach wurde. Aber nichts hat funktioniert, alle Variablen haben immer variiert, nie hat sich eine Gesetzmäßigkeit ergeben. Da habe ich als Kontrollfreak viel drunter zu leiden gehabt. Mittlerweile habe ich akzeptiert, dass es halt ist, wie es ist. Sie wacht nachts einmal oder zweimal auf, je nachdem, wie sie drauf ist. Und nicht abhängig von irgendwelchen Faktoren, die von mir abhängig sind.

Unsicher war ich bei vielen Dingen. Ich habe mich viel zu sehr von Ratgebern und gut gemeinten Ratschlägen beeinflussen lassen. Ein bisschen ist das heute leider immer noch so. Eine Bekannte meinte letztens, weil sie mitbekam, dass ich die Kleine einfach schreien liess, als mein Mann sich um diese kümmerte, ob ich meiner Tochter nicht die Brust zum Einschlafen geben wolle. Das hab ich noch nie gemacht, die Kleine hat von Anfang an die Brust nur für's Essen bekommen, sonst nicht. Aber diese Äusserung hat mich so verunsichert, dass ich es tatsächlich ausprobiert habe und meiner Kleinen, als sie mal wieder vor Müdigkeit untröstlich war, versucht habe, die Brust zu geben. Sie hat sich weggedreht, und damit hat sich das Thema für mich erledigt. Auch steht im Büchern, dass man das Kind zehn bis fünfzehn Minuten trinken lassen soll. Wir sind nach meist sieben Minuten mit dem ersten Durchgang fertig. Dann dreht sie sich weg, oder sie schiebt mich weg. Das hat mich auch erst verunsichert, aber weil sie immer die Windel voll hat und ausserdem wächst, was das Zeug hält, kann es ja nicht zu wenig sein. Also habe ich alle Bücher in die Tonne gekloppt, zeige guten Ratschlägen innerlich den Vogel und mache das, was ich für richtig halte. Ach, ein Buch habe ich behalten: "Oje, ich wachse", denn das scheint meine Kleine auch gelesen zu haben (es ist mal wieder Gewitterwolken-Zeit...).

In den letzten Monaten habe ich viel gelernt. Im Umgang mit meiner Süssen bin ich mittlerweile so locker und weitgehend stressfrei, wie ich mir das immer vorgenommen hatte. Natürlich sind, vor allem bei Schüben, Tage dabei, an denen ich verzweifelt, genervt oder völlig fertig bin. Dann nutze ich den Vorteil, den ich durch meinen zu Hause arbeitenden Mann habe, gebe mein Kind ab und lasse meinen Frust irgendwo anders aus. Ich nehme ein Bad, oder ich heule eine Runde im Schlafzimmer. Je nachdem, wonach mir gerade ist. Solche Gefühle sind nämlich auch normal und müssen rausgelassen werden, sonst werden sie immer größer und ersticken mich später.

Wie gesagt, wir haben einen Alltag gefunden, und ich nehme mir auch das Recht heraus, Zeit alleine zu verbringen. Dreimal in der Woche mache ich Sport, jeweils etwas über eine Stunde. Ich nehme kein Handy mit, die Kleine ist bei meinem Mann, und ich kann mich einfach abreagieren, bin unerreichbar und endlich nochmal alleine (mit Hund). Das tut mir unendlich gut. Ich habe auch wieder Energie, kann Sachen anpacken und dämmere nicht mehr den ganzen Tag mehr oder weniger vor mich hin.

Was mich allerdings echt ärgert, ist, dass aus dem Krankenhaus auf eine Beschwerde meinerseits keine Reaktion kam (ist jetzt einen Monat her). Meine Mütterberaterin sagte, dass es sogar noch drei (!) andere Frauen gibt, die mit Depressionen aus dem Krankenhaus entlassen wurden. Das gibt's doch echt nicht! Und dann werben die mit "Entbinden in Wohlfühlatmosphäre". Eine bodenlose Frechheit.

Beim nächsten Kind (oh ja, ich will noch eines!) werde ich vieles anders machen. Ich werde mir schon vorher eine Beleghebamme besorgen, die sich in der Schwangerschaft schon um mich kümmert und das Wachstum meines Kindes überwacht. Und für die Geburt ist die dann ja auch da. Und danach sowieso. So ein Theater wie beim ersten Mal wird es nicht wieder geben. Zu Hause muss sich dann ja auch jemand um die dann Große kümmern, da ist dann auch Rückhalt, falls es mir nicht gut gehen sollte. Und dann hoffe ich, dass die Anzeichen gar nicht erst wiederkommen, oder wieder früh genug erkannt werden.

Vielleicht kann ich sogar anderen Frauen Mut machen, dass es wieder besser wird, dass es einen Weg aus dem Tal gibt. Ich bin wieder halbwegs im Licht und lasse mir die Sonne auf den Pelz scheinen. Es gibt einen Weg aus Zwängen, Ängsten und schlimmen Gedanken. Er ist lang, selbst bei frühem Erkennen hat er bei mir fast vier Monate gedauert, aber es lohnt sich. Es gibt Licht am Ende des Tunnels, und es ist NICHT der Zug!!!!
Leuchtkäfer

Beitrag von Leuchtkäfer »

Das hast Du schön geschrieben, Lotesse.

Prima, daß es Dir so gut geht und Du anscheinend so mit Deiner Situation im Reinen bist.

Ich freue mich sehr für DIch, habe ja von Anfang an sehr mitgefühlt bei Dir.

Grüße von Leuchtkäfer
scaramouch

Beitrag von scaramouch »

Hallo du

:cry: Das hast du wirklich schön geschrieben, da kullern mir grad ein paar Tränchen runter.

Ich freue mich für dich das es dir wieder so gut geht und bin stolz auf dich. Gerade auch wegen der Sache mit dem langen Fahrtweg und dem rückwärts einparken :wink: (was du im übrigen wirklich richtig toll gemacht hast)!!!

Ich fürchte, ich werde noch eine Weile brauchen, noch eine Weile kämpfen müssen, bis ich so weit bin wie du.

Ich ziehe meinen Hut vor dir.

scaramouch
Birdee

Beitrag von Birdee »

:P :P :P



Birdee :P
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