ich bin neu hier, bin mir nicht sicher, ob ich in Eure Runde passe, und möchte mich erst einmal vorstellen.
Ich habe keine Depression, was ach der Grund ist, warum ich möglicherweise nicht hier her passe.
Aber am besten erzähle ich, was passiert ist und nicht, was nicht passiert ist...

Vor einem Jahr habe ich eine Tochter bekommen.
De Schwangerschaft war alles andere als schön. Bis zum Ende des Monats war mir übel, ich habe mich ständig übergeben. Es ging mir so schlecht, dass ich tatsächlich (leise) Selbstmordgedanken hatte oder darüber nachgedacht habe, wie ich dieses Baby wieder loswerden kann.
Ich wollte ein Baby, aber es ging mir so schlecht, dass ich das Gefühl hatte, ich überlebe das nicht.
Im Nachhinein sagten die Ärzte, dass die Übelkeit eine Frühgestose war. Die unterscheidet sich nicht von einer extremen Schwangerschaftsübelkeit und ist nur im Nachhinein diagnostizierbar, wenn nämlich im späteren Schwangerschaftsverlauf eine Gestose auftritt.
Bevor es dazu kam, hatte ich zwei Speiseröhrenentzündungen, weil ich mich so oft übergeben hatte. Das Sodbrennen war schlimmer, als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Zu meinem Mann habe ich mal gesagt: Könnte man an Sodbrennen sterben, wäre ich schon tot.
Ab dem 7. Monat hatte ich extreme Symphysenschmerzen. Ich konnte kaum laufen, sitzen oder liegen.
In der 32. Woche bekam ich dann die Gestose. In der 36. Woche wurde ich nach langem hin und her stationär im Krankenhaus aufgenommen. Diagnose: Präeklampsie. (Das ist eine Form der Gestose.)
Ich bekam Blutdrucksenker. Sonst passierte nichts. Meine Frauenärztin und Beleghebamme hatten schon eine Woche vorher von einer Einleitung gesprochen. Die Ärzte im Krankenhaus hielten das nicht für nötig. Mir ging es Tag für Tag schlechter, aber sie haben es nicht wahrgenommen und wohl geglaubt, ich will mir nur die letzten Wochen der Schwangerschaft ersparen. Sie setzten mich unter Druck, sagten, ich würde mein Baby geföhrden, wenn ich nicht im Krankenhaus bliebe - und taten nichts.
Ich bin schier verzweifelt.
Ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte.
Nach einigen Tagen hatte ich die Ärzte davon überzeugt. Mein "Glück" war, dass ich (evtl. nur vor lauter Stress) starke Kopfschmerzen bekommen habe, die ein Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Eklampsie sein können. Da die lebensgefährlich ist, wurde beschlossen die Geburt dreieinhalb Wochen vor dem Termin einzuleiten.
Tatsächlich hatte ich in der Nacht nach einem Tag mit zwei Einleitungen und permanenten Wehen einen Blasensprung. Ich hatte mehrere Nächte vor Angst und Schmerzen nicht geschlafen und war durch die Gestose mehr als kraftlos.
Die Geburt war entsetzlich, ein einziger brutaler Gewaltakt.
Ich hatte mir eine Wassergeburt gewünscht. Stattdessen war ich nicht ansprechbar, habe nichts, was um mich herum vorging mitbekommen.
Gleichzeitig mit mir haben zwei andere Frauen entbunden. Die diensthabende Hebamme kümmerte sich um diese beiden, bei mir waren permanent meine Beleghebamme, deren Auszubildende und eine Auszubildende des Krankenhauses. Wären die aber alle weggegangen, hätte ich es auch nicht bemerkt. Ich war gefangen in einem Kokon aus Schmerzen. Wie in einer Zeitkapsel, denn ein Zeitgefühl hatte ich nicht mehr. Es war, als würde dieser Zustand ewig anhalten.
Nach stundenlanger Quälerei mit heftigsten Wehen durch Einleitung und Wehentropf bekam ich eine PDA. Sofort ging es mir besser, ich war auch wieder "da".
Nach etwa einer Stunde ließ die Wirkung nach. Das Nachspritzen funktionierte nicht mehr. Ich war schon wieder so im Delirium, dass ich das nicht verstanden habe. Mein Mann sagte zwar später, die Ärztin hätte mir erklärt, dass die Kanüle wohl verrutscht sei und die PDA nicht mehr wirken würde, aber ich weiß davon nichts.
Den Rest der Geburt habe ich ohne Schmerzmittel hinter mich gebracht, glaubte aber, eine PDA zu haben. Die Schmerzen waren unerträglich, ich war völlig überfordert. Da ich glaubte, eine PDA zu haben, habe ich mich gefühlt wie der letzte Versager auf dieser Erde: Andere rauen schaffen das ohne PDA, und ich kann es mit PDA nicht ertragen.
Ich hate keine Kraft zum Pressen. Eine Ärztin und meine Hebamme haben das Baby mit Gewalt aus mir herausgequetscht.
Ich mache ihnen dafür keine Vorwürfe, ich denke nicht, dass sie in der gegebenen Situation eine andere Wahl hatten. Ich hätte mein Baby nicht herausbekommen. Ich hätte es nicht geschafft. (Auch das löst natürlich das Gefühl aus, versagt zu haben.)
Ich war nicht in der Lage, zu kommunizieren. Ich kannte keine Worte mehr. Nur noch Schmerz.
Als mein Baby da war, war ich innerlich wie tot. Ich habe nichts gefühlt. Ich habe sie versorgt, aber nichts gefühlt. Es hat mehrere Tage gedauert, bis ich wieder "da" war.
Sobald ich alleine war, hatte ich "Flashbacks" von der Geburt. 50 Mal am Tag der selbe Horrorfilm vor meinem inneren Auge. Ich hatte Weinkrämpfe und konnte mich selbst nicht wiedererkennen.
Die Flashbacks habe ich jetzt, ein Jahr später, immer noch. Sie kommen nicht mehr so häufig und haben auf irgendeine nicht erklärbare Weise etwas an Horror verloren (obwohl sie inhaltlich gleich geblieben sind).
Ich trauere immer noch der Wassergeburt nach, die ich mir gewünscht hatte. Ich will diese Horrorgeburt nicht gehabt haben.
Die Beziehung zu meiner Tochter ist schön und innig. Glücklicherweise wird sie nicht mehr von dem Geburtserlebnis beeinflusst.
Ich habe mir vor kurzem eine Therapeutin gesucht, die auch Gynäkologin ist. Ihre Diagnose: Trauma nach dissoziativem Zustand. Ich kann nur sagen, da hat sie recht.
In den letzten Tagen wurden viele der "alten" Gefühle reaktiviert.
Letztes Wochenende hatte ich zum ersten Mal seit der Geburt wieder meine Menstruation. Ich hatte früher schon immer sehr schmerzhafte Regelblutungen durch eine Endometriose. Ich behaupte aber, so schmerzhaft wie dieses Mal war es noch nie. Auch wenn die Schmerzen natürlich nicht so schlimm waren wie während der Geburt, so waren sie doch dem Wehenschmerz sehr ähnlich. Mein Körpergedächtnis wurde dadurch unglaublich aktiviert. Ich hatte wieder viel mehr und intensivere Flashbacks.
Als wäre das noch nicht genug, ist jetzt noch etwas passiert, das mich mit meinen schlimmsten Ängsten konfrontiert: Eine Freundin von mir hatte am 10.11. Entbindungstermin. Vor ein paar Woche schrieb sie mir, dass sie sich auf dem Sofa langweile. Ich fragte zurück, ob sie liegen müsse oder einfach zu "unfit" sei, um etwas zu tun. Darauf bekam ich keine Antwort mehr. Das ist aber für diese Freundin nicht ungewöhnlich, deshalb habe ich mir keine Gedanken gemacht. Wir sind nicht eng befreundet, und es kommt schon mal vor, dass wir mehrere Wochen lang nichts von einander hören.
Durch einen gemeinsamen Bekannten habe ich vor zwei Tagen erfahren, dass das Baby seit zwei Wochen schon da ist, sie aber immer noch auf der Intensivstation liegt. Ihr Mann bittet darum, nicht anzurufen oder auf andere Art Kontakt aufzunehmen. Das kann ich gut verstehen, denn gerade jetzt werden reihenweise Freundinnen anrufen, um zu erfahren, ob das Baby denn schon da ist - und er muss dann jedes Mal erklären, was passiert ist. Leider habe ich keine Möglichkeit, genaueres herauszufinden. Ich weiß nicht, was passiert ist. Sie schwebt immer noch in Lebensgefahr, dem Baby geht es gut. Sonst weiß ich nichts.
Ich denke den ganzen Tag an sie und leide in einem Ausmass mit, das dem "Grad" der Freundschaft sicher nicht angemessen ist und sich nur durch meine eigenen Erlebnisse und die dadurch entstandenen Ängste erklären lässt. Ich kann mich nicht davon abgrenzen. Ich denke den ganzen Tag darüber nach, wie furchtbar es sein muss, wenn man die ersten Wochen nach der Geburt alleine ohne Mann und Kind auf der Intensivstation verbringen muss. Ob sie ihr Baby wenigstens ab und zu sehen darf? Und wie schrecklich auch für den Mann: Er muss das Baby alleine versorgen, während seine rau in Lebensgefahr schwebt.
Ich bin ein empathischer Mensch und weiß das. Normalerweise kann ich mich aber besser abgrenzen als in diesem Fall. Ich kann mich überhaupt nicht abgrenzen.
Durch diese beiden Ereignisse (Menstruation und Situation der Freundin) habe ich das Gefühl, wieder ganz zurückgeworfen zu sein in meinem Prozess der Verarbeitung. Es geht mir jetzt so schlecht wie einen Monat nach der Geburt.
Ich beneide alle Frauen, die eine schöne Schwangerschaft und eine einigermaßen akzeptable Geburt hatten! Ich hätte das auch so gerne gehabt.
Ich fühle mich beraubt, fühlte ich ausgeliefert, schäme mich und fühle mich als Versager.
Ein Teil von mir glaubt einfach nicht, dass die Geburt "besonders" schwer war. Dieser Teil von mir sagt: Du bist einfach nur die größte Heulsuse der Welt. Leider gibt es keine objektive Möglichkeit, diesem Teil von mir das Gegenteil zu beweisen. Ich glaube mir selbst nicht, dass ich nicht die größte Heulsuse der Welt bin.
Jetzt ist der Text ziemlich lang und sehr intim geworden.
Ich habe ein bisschen Angst davor, völlig fremden Menschen so viel von mir preiszugeben.
Bevor mich der Mut verlässt, schicke ich das jetzt ganz schnell ab und beruhige mich damit, dass ich die Seite nie wieder anschauen muss, falls blöde Antworten kommen (ohne das unterstellen zu wollen).