Wie mit Schuldgefühlen umgehen?

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Sheeeee

Wie mit Schuldgefühlen umgehen?

Beitrag von Sheeeee »

Hallo,

bin vor einiger Zeit an aggressiven ZG bezogen auf mein Kind erkrankt. Habe mittlerweile eine Therapie angefangen und nehme auch ein AD. Habe auch viel darüber gelesen und auch von meiner Psychiaterin sowie Therapeut gehört und weiß, dass diese ZG nicht das bedeuten, was sie ausdrücken und auch dass ich deswegen keine schlechte Mutter bin...
Trotzdem habe ich massive Schuldgefühle meinem Kind gegenüber, weil mir anfangs, als ich noch nicht so genau darüber bescheid wusste, viele Zweifel kamen (die ich im Nachhinein eigentlich SOFORT absurd fand) ob ich mein Kind eigentlich liebe und ob das nicht mein Wille sein könnte ihm was anzutun...
Natürlich weiß ich, dass ich auf keinen Fall irgendwie was meinem Kind antun möchte und auch nichts antun könnte... Ich liebe ihn sehr!
Das Endergebnis sind massive Schuldgefühle ihm gegenüber! Ich weiß vom Kopf her, dass das NUR ZG sind aber ich kann sie mir nicht verzeihen! Ich fühle mich echt schäbig deswegen.
Was kann ich tun, um aus meinem schlechten-Gewissen-Wirrwarr rauszukommen? In mir drin steckt die Angst, dass ich doch vielleicht gefährlich bin und es viell. bloß keiner erkennt, dabei weiß ich vom Kopf her, dass ich eigentlich "normal" bin aber dann diese Zweifel und dann sind die Schuldgefühle gleich viel schlimmer... Wie komme ich da raus? Was bedeuten diese ZG eigentlich? Und was habt ihr getan oder was wurde euch von euren Therapeuten auf den Weg gegeben um diese Schuldgefühle zu überwinden?
Bin dankbar für jede Erfahrung.

LG
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Marika
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Beitrag von Marika »

Ein liebes Hallo!

Ich verstehe dich zu 100 % - genau das alles habe ich auch vor 6 Jahren "dank" der ZG durchmachen müssen. Man weiß vom Kopf her und dank der Therapie sowie Infos dass man die ZG nie ausführen würde, dass sie nicht das bedeuten was sie einem einreden usw... Und doch bleibt da die Angst "was ist, wenn sich alle irren" und natürlich die imensen Schuldgefühle!

Zuerst mal zu der Angst "Was ist wenn sich alle irren und ich doch gefährlich bin": Genau das denken ALLE die ZG haben, sie zweifenl und zweifeln an allem und jedem - auch an den Ärzten und allen Forschungsergebnissen. Eigentlich ist diese Angst nichts weiter als auch ein zwanghafter Zweifelgedanke, also ein eigenständiger ZG an sich. Am besten gehst du mit ihm genau so um wie mit den anderen ZG: Ihn erkennen bzw. klar als ZG entlarven, ihn nicht verdrängen, aber ihm auch versuchen keine BEWERTUNG bei kommen zu lassen. Du kannst auch schriftlich diesen ZG aufschreiben und daneben schreibst du, was wirklich ist - z.B. "Das ist nur ein ZG, mein Arzt irrt sich nicht, er hat die richtige Diagnose gestellt, ich bin nicht gefährlich, weil ZG NIE ausgeführt werden, dieses Zweifeln ist nur ein Symptom der Zwangserkrankung". Ich habe da mit allen meinem ZG gemacht und noch andere schriftliche Übungen aus der kognitiven Verhaltenstherapie. Diese bekam ich immer als Hausaufgabe nach jeder Therapiestunde und in der nächsten wurde dann alles angeschaut und besprochen. Durch diese Übungen habe ich nach und nach meinem Gehirn das zwanghafte Denken und Grübeln ABTRAINIERT! Bekommst du auch solche Übungen von deinem Therapeut?

Die Schuldgefühle hängen da mit drinnen. Diese werden umso geringer, je größer dein Selbstvertrauen wieder wird und dieses steigt, je konsequenter du an den ZG arbeitest. Den gerade ein geringes Vertrauen in sich selber ist ein Eckpfeiler für das Enstehen der ZG:

- Geringes Selbstvertrauen
- viel zu hohe und übersteigerte Moralvorstellungen besonders an sich selber
- Perfektionismuss
- Das Bedrüfniss immer alles unter Kontrolle zu haben

Diese 4 Eckpfeiler sind das gemeine Fundament, das unter weiteren ungünstigen Voraussetzungen zu einer Zwangserkrankung führen kann. Du siehst also auch, woran du arbeiten kannst, um die Zwänge wieder los zu werden. In meiner Therapie habe ich gelernt, mein Selbstvertrauen zu steigern, in dem ich aktiv Dinge getan habe, die ich mich vorher nie getraut hatte - z.B. allein mit Baby ins Einkaufszentrum zu gehen, über einen großen Platz voller Leute zu gehen, meine Sicht von gewissen Dingen klar zu sagen, alleine mit Kind ins Schwimmbad zu gehen usw. Das sind jetzt natürlich meine ganz eigenen "Baustellen" die ich damals hatte - es geht einfach daraum, Dinge zu tun von denen man denkt: Das kann ich nie - das pack ich nicht. Indem man es doch tut und es natürlich schafft tritt was ein???? Genau - das Gefühl - "ich schaff das" und damit steigt das Selbstvertrauen!!!! :idea: :idea: Und mit dem steigenden Selbstvertrauen kracht schon mal ein Eckpfeiler des unseligen Fundamentes "Zwang" ein!!!! :D

Das gleicht beim Kontrollieren: Aktiv NICHT mehr kontrollieren - ich z.B. habe nicht mehr die Türe 3 kontrolliert ob sie zu ist, nicht jede Minute kontrolliert ob der Kleine noch atmet usw.... Und wenn es nur am Anfang eine Minute ist, die man verstreichen läßt und halt dann doch kontrolliert ... das ist egal. Die Zeit steigert sich langsam bis man gar nicht mehr kontrolliert. Siehst du - 2. Eckpfeiler beginnt zu wackeln.

Dann noch der Perfektionismus und die zu hohen Moralvorstellungen: Hier gilt es ebenfalls genau mal das Gegenteil davon zu tun, was man sonst tut: räumt man ständig immer alles gleich auf oder muss alles immer perfekt sauber sein, muss man aktiv versuchen z.B. den Abwasch absichtlich mal stehen zu lassen, oder mal eben nicht gleich zu wischen und auch mal Unordnung zu akzeptieren. Ich wiederrum konnte sehr gut beim Bügeln lernen: Ich habe habe damals trainieren müssen, dass ich die Sachen meines Sohnes nicht millimeter genau bügeln und zusammen legen mußte, oder dass er auch mal etwas anhaben darf, dass vielleicht farblich nicht ganz perfekt war, oder dass er auch mal einen drecken Mund haben durfte ohne dass ich gleich mit Desinfektionstüchern ankam!Eckpfeiler Nr. 3 ist somit ebenfalls schon zum Einstürzen verdammt.

Die zu hohen Moralvorstellungen knackst du am besten, wenn du dir vor Augen hälst, dass du trotz Mama sein immer noch MENSCH geblieben bist - mit Schwächen, mit Bedürfnissen und berechtigten Wünschen!!! Du darfst genervt sein von deinem Kind, du darfst wütend sein, du darfst Zeit für dich beanspruchen, du brauchst nicht ständig dein Kind zu bespielen oder den Animateur zu spielen, du darfst auch mal einen Gammelnachmittag mit Fernsehen verbringen, du darfst dein Kind auch abgeben, damit DU DAS TUN KANNST, was DU MÖCHTEST!!! Stell das "ICH WILL" auch mal wieder vor das "mein Kind möchte und ich muss"!!! Nur weil man Mama ist, hört man nicht auf MENSCH ZU SEIN mit Wünschen und Bedürfnissen - stell das wieder mehr in den Vordergrund und lebe es auch!!! Und somit hätten wir alle 4 Eckpfeiler zum Wackeln und Einstürzen gebracht!!!

Natürlich braucht das alles Zeit und viele Übungen - von heute auf Morgen geht es nicht, aber wenn man konseqeunt dran bleibt, dann klappt das!!!!

Ach ja - was bedeuten ZG: Sie sind nichts anderes, als der Ausdruck der eigenen Angst, etwas falsch zu machen, nicht gut genug zu sein oder letztlich gar abartig wie andere Menschen zu sein. So entsteht vermehrt dieser "Gedankenmüll" den übrigens alle Menschen haben, nur wir bemerken diese Gedanken verstärkt (dank unsere zu hohen moralischen Vorstellungen!!! :idea: ) und erschrecken davor. Unser Perfektionismus will diese Gedanken dann nicht haben und versucht zu unterdrücken - geht aber nicht, weil unser zu geringes Selbstvertrauen nun so verunsichert ist, dass die Gedanken immer wieder kommen und so entsteht dieser blöde Kreislauf!!! Hinter den ZG steckt also nichts anderes, als die Angst nicht genügend gut zu sein!!! :idea:

Das war jetzt sehr viel, ich hoffe, du kannst das alles verdauen evlt. auch ein bissl damit arbeiten! Auch ja: Ich habe heute dank AD und Therapie KEINE ZG mehr!!!! :D
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Sheeeee

Beitrag von Sheeeee »

Liebe Marika,

auf jeden Fall kann ich mit dieser Antwort was anfangen! Du bist eine sehr große Hilfe, ich glaube für jede Frau hier.
Habe in letzter Zeit viel Gelegenheit gehabt über mich und meine Krankheit nachzudenken und bin zu der Überzeugung gekommen, dass ich gar kein Monster sein könnte! Egal, wie sehr es mir der Zwang einzureden versucht... Ich persönlich kenne mich am besten und muss es demzufolge am besten wissen. Mein ganzes Leben war ich schon fast zu sensibel mit alles und jedem und das Resultat: ZG, für die ich nichts kann, die mir Angst machen, mir mein Selbstvertrauen rauben wollen und für die ich noch schlussendlich ein schlechtes Gewissen habe! Aber ich werd nicht zulassen, dass ich oder mein Kind darunter leidet, das hab ich mir fest vorgenommen... Hatte letztens wieder so einen fiesen ZG (Buggy auf die Straße schubsen) mit echt krassem Impuls und allem drum und dran und dachte echt, ich mach es gleich. Stattdessen kamen alle heile zu hause an - NICHTS HABE ICH GEMACHT - stattdessen hatte ich dann eine Panikattacke. Und so hätte garantiert keine Psychopathin reagiert, wenn sie tatsächlich vor hätte, ihrem Kind was anzutun!!! Wenn ich mír das vor Augen halte gehts mir gleich besser. Auch viele Eigenschaften, die du oben aufgezählt hast, treffen mehr oder weniger auf mich zu... Daran muss ich arbeiten!
Obwohl ich eigentlich aus einem med. Beruf komme, habe ich jetzt (besser zu spät als nie) bemerkt, dass ich schwierigkeiten hatte, psych. Erkrankungen zu verstehen, weil sie ja von außen schwer nachzuvollziehen sind. Ich verstand es nicht und verurteilte es teilweise sogar. Nun schäme ich mich dafür! Es sagt nämlich echt überhaupt nichts über den Menschen aus! Und leider kann es echt jeden erwischen.

LG
M.
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Marika
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Beitrag von Marika »

Hallöchen,

na siehst du - du hast schon sehr gut begriffen, wie man mit ZG umgeht. Zwar hat dich danach noch eine Panikattack ereilt, aber genau dieser Mechanismus wird mit der Zeit verschwinden - dein Gehirn lernt mit jeder überstanden ZG-Situation, das NICHTS PASSIERT und es nicht nötig ist mit Angst und Panik zu reagieren!!! SEHR GUT GEMACHT!!!

Ich war übrigens auch eine, die früher dachte: Depressionen? Reißt euch doch einfach mal zusammen. Und heulen nach der Geburt? Die Weiber sollen sich mal nicht so anstellen.... Das Schicksal hat mich auf brutalste Weise eines besseren belehrt und diese Lektion habe ich de-und reuemütig angenommen. Die PPD hat mich gezwungen viele Dinge zu überdenken, zu lernen, zu wachsen. Deswegen hat sich für mich einen Sinn gehabt, so abartig das auch vielleicht für manche klingen mag.

Ich glaube auch, dass die Heilung umso eher gelingt, eh besser man die PPD annehmen kann.
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
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