Was habt ihr die ersten Momente nach der Geburt erlebt?

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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herbstlicht

Was habt ihr die ersten Momente nach der Geburt erlebt?

Beitrag von herbstlicht »

Ich möchte so gerne aussprechen, mich erleichtern um das, was mir unmittelbar nach der Geburt durch den Kopf ging und was keine der anwesenden Hebammen, der Vater des Kindes, die im Enkelwahn völlig abgedrehten Erst-(schwieger-)Großeltern, diese Heile-Welt-Gesellschaft gerne um die Ohren geknallt bekommen hätte:

Mein Kind flutschte gerade aus mir raus und fing direkt und ohrenbetäubend an zu schreien, was über gefühlte 10-15 Minuten anhielt und er beruhigte sich auch längst nicht damit, als er mir gezwungenermaßen auf den Bauch gelegt wurde. Meine ersten Gedanken waren:
"Ach Gott, das wird ein Schreikind! War ja klar bei meinen Depressionen. Denn er merkt bestimmt, dass ich ihn nicht wirklich haben wollte. Verdammt, hoffentlich merkt das keiner der hier Anwesenden."
Und dann lag er auf meinem Bauch (ich musste ihn ja als Erste haben. Er wurde mir quasi aufgezwungen, denn ich bin ja DIE MUTTER!) und seine Haut roch so fremd und gummiartig. Das war kein angenehmer, kein vertrauter Geruch und das blieb auch die ersten Wochen so, dass er für mich vom Geruch her so wenig Menschliches und auch so wenig Eigenes an sich hatte. Bis heute (er ist fast ein halbes Jahr alt) hat er immer noch keinen eigenen Körpergeruch für mich, wenn ich von dem Milch-/Käsekotzgeruch mal absehe. Ich find das irgendwie komisch, denn ich erinnere mich sehr gut daran, dass meine kleinste Schwester, als sie geboren wurde, so einen warmen, angenehm süßlichen Eigengeruch hatte, den mein Bruder so sehr geliebt hat. Hängt es mit meiner Depression zusammen, dass ich ihn nicht wirklich riechen kann?

Was ich auch nicht gefühlt habe, war Freude im Augenblick nach der Geburt. Ich habe nur Fremdheit gespürt, als mein Sohn das erste Mal auf mir lag. Und er war so glitschig, unhandlich, wusste ihn kaum zu fassen. Die Hebammen mussten ihn zu zweit mit mir zum Bett tragen. Ich wirkte wohl so, als würde ich ihn jeden Augenblick fallen lassen.

Wie froh war ich dann, als er mir endlich abgenommen wurde, weil er abgenabelt und ich an den Genitalien inspiziert werden musste. Ich war so froh um jede Minute nach der Geburt, die ich ihn wieder los war. Ich war froh, dass ich ihn nicht anziehen musste, war froh, dass ich ihn nicht die Treppe runter tragen musste zum Auto (täuschte stattdessen wirkungsvoll Kreislaufschwäche vor). Ich wollte dieses Kind nicht sehen. Als ich ihn dann auf der Rückfahrt nach Hause ( 3 h nach der Geburt) neben mir im Autositz betrachtete, dachte ich nur: "Wenn du jetzt sterben würdest, ich würde dich nicht vermissen, ..denn ich kenne dich nicht. Du bist mir so fremd."
Als wir zuhause aus dem Auto stiegen, rannte ich zur Tür vor, ging ins Haus, ließ meinen Freund wurschteln...wollte/ konnte das alles noch nicht wahrhaben, dass wir jetzt einer mehr waren, ganz real einer mehr waren (der Kleine in meinem Bauch war für mich die ganze Schwangerschaft über etwas völlig Irreales, auch wenn er ein sehr aktives Baby schon damals war).

Ich bin so froh, dass ich das hier niederschreiben konnte. Niemandem habe ich je meine Gedanken um die ersten Minuten/ Stunden der Geburt anvertraut. Stattdessen habe ich allseits die glückliche, tapfere Mutter gemimt, wie alle das so erwarten. Dass ein Frischgeborenes nach der Geburt wie Gummi stinkt, passt ja nicht zum romantischen "Wunder der Geburt".

Was ich mich auch frage: Ist es unnormal, wenn man kurz nach der Geburt keine Freudentränen vergießt vor Überwältigung über das frischgeborene Glück? Ich und der Vater haben beide nicht weinen müssen. Ich habe auch nie zu fragen gewagt, was er gefühlt hat. Für mich sah er einfach nur geflasht aus und wirkte genauso hilflos und überfordert wie ich. Irgendwie hatten wir uns das beide anders ausgemalt. Zuvor hatten wir uns fast alles an Amateuraufnahmen zum Thema Geburt angesehen, was Youtube so hergibt und wir glaubten uns gut vorbereitet. In den Videos weinen die Mütter alle immer vor Glück, wenn das Kind auf der Welt ist. Der Vater freut sich.
Warum war das bei uns nicht so. Hatten wir beide schon eine PPD zu dem Zeitpunkt?

Ich würde so gerne wissen, ob es anderen hier ähnlich ergangen ist. Ob mein Erleben typisch ist für Frauen mit PPD/ depressiver Vorgeschichte.

Übrigens: Mein Kind ging auch nicht wie in den ganzen Videos schnell und zügig von allein an die Brust. nein, er musste erst mühsam dorthin gelenkt werden und brauchte ganz viel Unterstützung, dauerte bestimmt eine Stunde, bis er endlich mal einen Schluck trank und dann rutschte er immer noch wieder ab. - Ein weiter Vorgeschmack auf das, was mir danach, in den nächsten Wochen, blühte: Ich hatte ein extrem schwieriges Stillkind, was u.a. wohl mit meinem sehr verhaltenen Milchfluss zusammenhing (durch Depressionen? Schilddrüse? - Ich habe nach der Geburt ein ganz schlimmes Struma entwickelt.) Mein Kind wollte in den nächsten Wochen permanent an der Brust hängen und hat mich damit psychisch völlig mürbe gemacht. Nach 5 Wochen Qual sind wir aufs Zufüttern umgestiegen, was sich als wahrer Segen für uns beide erwiesen hat, nach gut drei Monaten war er dann ein voll mit der Flasche gefüttertes Kind, was sich für uns beide als die beste Lösung erwiesen hat (zum Glück war er ein völlig unkompliziertes Kind, was die Akzeptanz der Flasche anbetraf und er konnte auch während der Zwiemilchphase innerhalb weniger Züge sein Saugverhalten auf Flasche bzw. Brust umstellen).
Das noch am Rande.

Nun bin ich gespannt auf eure Berichte.
Stella

Re: Was habt ihr die ersten Momente nach der Geburt erlebt?

Beitrag von Stella »

Hallo ,

bei meiner 1. PPD ging es mir bei der Geburt Ähnlich.ich. Konnte bei der Geburt nix fühlen, ich dachte immer ich seine vor Glück wie all die anderen Frauen...nix ich war völlig k.o undated keine Kraft.
4 Monate dauerte die PPD , mit Medikamenten würde ich wieder gesund. die liebe zu meinem Sohn müsstest sich erst entwickeln, das hat noch recht Lange gedauert, bis ich es richtig gespürt habe.

Das wird bei dir auch noch kommen und dann willst du ihn nie wieder hergeben.

Jetzt seid April bin ich zum 2. mal Mama geworden,dieses Mal habe ich bei der Geburt Glück empfunden, bin aber leider wieder in die PPD abgerutscht.

Schreibe vom Pad, deshalb sind Fehler drin.

Lg Stella
herbstlicht

Re: Was habt ihr die ersten Momente nach der Geburt erlebt?

Beitrag von herbstlicht »

hallo stella!

ja, mutterliebe, das musste ich auch bitter feststellen, ist nichts angeborenes.. mein kleiner ist jetzt 5 monate alt, fühle immer noch nichts. nur ein sehr großes verantwortungsgefühl ihm gegenüber, das mich fast auffrisst. will sagen: meinem kleinen fehlt es an nichts. er wird versorgt (gewindelt, gefüttert und manchmal auch etwas halbherzig bespasst) und das auch nachts, obwohl ich vollzeit in ausbildung bin und dass auch noch im schichtdienst (bis der vater mal aufsteht, wenn der kleine schreit dauerts ewig, wenn überhaupt.. der faulpelz), aber ich fühle mich dabei nicht wirklich wie seine "mutter". dass ich ein kind geborenen habe, kommt mir immer noch völlig irreal vor. wenn andere mütter zufällig auf ihre kinder zu sprechen komme oder wenn ich gezwungen bin, es zu erwähnen, dass ich ein kleines kind habe, komme ich mir dabei immer ganz merkwürdig neben mir stehend vor..als würd der kleine gar nicht wirklich zu mir gehören..wie ein geliehenes auto, das zwar vor der tür steht, das man täglich fährt, aber halt nicht als seins betrachtet.
bin mal gespannt, ob sich da noch was ändern wird.
zwischendurch hatte ich so starke depressionen, dass ich mit dem gedanken gespielt habe, ihn in eine pflegefamilie zu geben. meine ausbildung ist mir im zweifelsfalle momentan wichtiger als der kleine bzw. denke ich, er wäre woanders besser aufgehoben.
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Marika
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Re: Was habt ihr die ersten Momente nach der Geburt erlebt?

Beitrag von Marika »

Hallo ihr Lieben,

als mein Sohn (per KS) das erste Mal vor mein Gesicht gehalten wurde, dachte ich: Oh Gott, wo sind seine Haare??? Das ist doch nicht mein Kind!

Ja, das habe ich gedacht. Ganz ehrlich. Er kam mir so fremd vor, ganz einfach nicht mein Kind. Ich hatte ihn mir so anders vorgestellt.

Erst viel, viel später habe ich diese Gedanken auch in Gesprächen und Diskussionen mit anderen aus zu sprechen gewagt und konnte feststellen, dass es ganz vielen anderen Frauen auch so ging. Und das es oft gar nichts mit einer Depression usw. zu tun hat. SS und Geburt sind absolute Ausnahme Situationen, die neben Schönem auch ganz viel Verstörendes, Angstmachendes und Schmerzvolles beinhalten. Da ist es doch eigentlich völlig normal, dass nicht bei jeder Frau die Mutterliebe per Knopfdruck sofort mit dem Baby auf dem Bauch da ist. Wir sind MENSCHEN und haben ein Recht auf all diese Gefühle und Gedanken ... weil sie NORMAL sind.

Diese Mutterliebe kam bei mir so richtig dann erst 4 Monate nach der Geburt - da dann aber so massiv, dass ich diesen ersten Moment nie, nie, nie vergessen werde. Es war das Schönste, was ich je erlebt habe ... und es ist bis heute nicht nur geblieben, sondern wurde immer stärker. :D
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
herbstlicht

Re: Was habt ihr die ersten Momente nach der Geburt erlebt?

Beitrag von herbstlicht »

Oh, diesen Gedanken hatte ich auch:
"Das ist doch nicht mein Kind!"
:shock:
ich hatte ihn mir auch ganz anders vorgestellt. Auch interessanterweise wie du mit Haaren auf dem Kopf. Vielleicht weil ich dachte, dass er mir direkt ähnlich sieht. Ich hatte als Neugeborenes schon viel Haar, meine Geschwister auch alle.

:| :?:


Aber ehrlich
:wink:
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Marika
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Re: Was habt ihr die ersten Momente nach der Geburt erlebt?

Beitrag von Marika »

Ja ganz genau, ich dachte auch er "muss" doch mir ähnlich sehen. Ich hatte auch schon als Baby viele schwarze Haare und so hatte ich mir meinen Sohn auch vorgestellt.... :wink: Aber nix da: Er war hell, mit blauen Augen und ist es heute noch: blond mit blauen Augen - das absolute Gegenteil von mir, da ich dunkelhaarig mit braunen Augen bin. Aber sonst sieht man doch eine Ähnlichkeit.... :wink: ... mein kleiner blonder Engel mit seinen wunderschönen blauen Sternenaugen.... *schmelz* 8)
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Rinchen

Re: Was habt ihr die ersten Momente nach der Geburt erlebt?

Beitrag von Rinchen »

Mir ging es auch ähnlich wie dir.
Ich hab zwar kurz nach dem KS noch vor Freude geweint, weil er gesund war (er kam 4 Wochen zu früh und war unterversorgt), das Tief kam aber ziemlich bald. Ich wollte ihn am Liebsten auch nicht umziehen und Windeln wechseln und mir wäre es am Liebsten gewesen wenn ihn garniemand gesehen hätte, er war so klein mit seinen 2200 Gramm und jeder sagte auch immer "oh was ist der klein" - ich konnte das irgendwann nicht mehr hören.
Ich habe es auch nicht so empfunden wie wenn mein Sohn zu mir gehören würde und hätte mich am Liebsten nur daheim mit ihm verkrochen, damit ihn keiner sieht. Oft habe ich mich auch gefragt was ich mir damit angetan habe und ich mir mein altes Leben zurück wünsche. Richtige Mutterliebe habe ich die ersten 2,3 Monate auch nicht empfunden, ich habe ihn halt versorgt und mit ihm gekuschelt, aber ohne Gefühl.
Die Muttergefühle kamen aber zum Glück doch noch, die haben sich mit der Zeit entwickelt und inzwischen würde ich meinen Kleinen nicht mehr hergeben.
Wobei es immer noch Momente gibt, wo ich es garnicht glauben kann, dass er jetzt wirklich zu uns gehört und mein Sohn ist. Aber so geht's vielleicht vielen Müttern :-)
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