Unbehandelte PPD - Auswirkungen? (Achtung lang!)

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

Moderator: Moderatoren

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Chrissy

Unbehandelte PPD - Auswirkungen? (Achtung lang!)

Beitrag von Chrissy »

Hallo Ihr Lieben,

ich habe vor 15 Jahren mein erstes Kind bekommen und hatte schon am 2. Tag nach der Entbindung, daß Problem mit dem Weinen. Ich wollte unbedingt nach Hause und dachte dann ginge es mir wieder besser. Aber weit gefehlt. Mein Kleiner mußte jeden Tag zum Kinderarzt, weil er nicht richtig trank und nicht zunahm. Als er 17 Tage alt war mußten wir ihn ins Krankenhaus einliefern. Es stellte sich heraus, daß er eine Blutvergiftung hatte, weil der Kinderarzt die Blasenentzündung nicht diagnostiziert hatte. Ich war mit dem Arzt, einer Schwester und dem Kleinen allein im Zimmer, als der Arzt mir sagte, daß sie nicht wüßten ob er überhaupt durchkommt. 1 Minute später riß die Krankenschwester ihn mir aus dem Arm und rannte mit ihm aus dem Zimmer. Der Arzt hinterher und ich stand vor meinem Mann und konnte ihm einfach nicht sagen was wirklich los ist und sagte dann nur:"Wird schon wieder werden." Ich habe keinem gesagt was wirklich los ist und der Arzt komischer Weise auch nicht. Ich blieb auch nicht im Krankenhaus, alle guten Worte waren vergebens. Wir steckten mitten im Umzug und ich hatte in 3 Monaten meine Abschlußprüfung (Ausbildung). Ich pendelte immer zwischen dem alten Haus, Krankenhaus und neuem Haus. Nach 1 Woche sagte mir der Arzt morgens, er sei über den Berg. Eigentlich hätte ich mich freuen müssen, aber ich konnte es nicht. Nach 6 Wochen kam er nach Hause und das Drama ging erst richtig los.

Ich war nicht in der Lage mich um ihn zu kümmern. Ich war völlig fertig und habe den ganzen Tag geheult. Nur wenn mein Mann nach Hause kam habe ich getan als ob alles in Ordnung ist. Ich schlief schlecht, hatte keine Lust aufzustehen und selbst wenn der Kleine im Bett am weinen war, viel es mir immer schwere aufzustehen und zu ihm zu gehen. Ich fing an alles darauf zu schieben, daß ich nicht mehr arbeiten ging und gab dem Kleinen dafür die Schuld. Eines Morgens war ich so aggressiv, daß ich meinem kleinen Baby eine auf den Hintern, weil er so zappelte beim Windeln. Ich war total geschockt über meine Reaktion und nahm ihn sofort auf den Arm und habe geheult wie ein Schloßhund. Von dem Tag an habe ich ihn teilweise erst mittags nach Stundenlangem geweine aus dem Bett geholt. Mein schlechtes Gewissen brachte mich fast um den Verstand. Ich lag den halben Tag auf dem Sofa, Fernseher an und dauernd am heulen. Ich kümmerte mich immer weniger um ihn. Sobald mein Mann zu Hause war überließ ich ihm den Kleinen. Ich zog mich immer mehr von ihm zurück. Bis Heute.

Wir haben mittlerweile einen 15 jährigen Alptraum hinter uns und keine Ende ist in Sicht.

In Kurzform: Schon als mein Sohn noch klein war, hatten wir Probleme. Er wollte abends nicht ins Bett (kein Wunder), er war extrem impulsiv (rannte plötzlich auf die Straße etc.), er nahm dauernd irgendwo Sachen mit (Brosche von der Mutter eines Freundes, aus Opas Keller, im Geschäft etc.), er flippte manchmal völlig aus wenn er irgendetwas nicht durfte, etc. In der Zwischenzeit bekamen wir ein 2. Kind und das war auch noch behindert und ich mußte mich viel darum kümmern. Wir zogen 2 Mal um. Er flog aus dem 1. Kindergarten, im 2. Kindergarten gab es dauernd Ärger (aggressiv den anderen Kindern gegenüber, nahm dauernd Sachen mit, respektierte die Kindergärtnerinnen nicht). Mit der Einschulung war die Katastrophe dann perfekt. Er weigerte sich die Hausaufgaben zu machen, widersetzte sich den Anweisungen der Lehrer, beklaute die Klassenkameraden und uns mittlerweile auch. 2 Monate vor seiner Einschulung bekam ich mein drittes Kind. Er zündelte mit Feuer und klaute immer mehr.

Ich war bei der Erziehungsberatung, 2 verschiedenen. Zum Jugendamt wollte ich auch, aber mein Mann weigerte sich und drohte mit Scheidung, wenn ich dahin gehen würde. Eines Tages lief das Faß über und ich ging zum Jugendamt. Die Folge war keine wirkliche Hilfe, sondern daß er dank mir im Heim untergebracht wurde. Seid 2 Jahren ist er wieder zu Hause. Anfangs lief es auch ganz gut, aber dann kamen die alten Schulprobleme und die Klauerei wieder und alles begann von Vorne. Vor 3 Wochen gab es dann den Punkt wo wir wieder gezwungen waren zu handeln, er drohte mit Selbstmord. Wir ließen ihn nächsten Tag vom Arzt in die Kinder- und Jugenpsychiatrie einweisen. Nach 2 Wochen Krisenintervention hatten wir Glück und er bekam einen Therapieplatz. Ich kann seit diesem Tag seine Gegenwart nicht ertragen. Beim Familiengespräch kam dann der Punkt wo man der Meinung war ich liebe meinen Sohn nicht, aber ich weiß das das nicht stimmt. Ich liebe ihn, aber ich habe keine Muttergefühle wie bei meinen beiden anderen Kindern. Ich soll eine Therapie machen wurde mir geraten. Die Therapieplatzsuche gestaltet sich sehr schwierig, da wir bis zu 6 Monaten Wartezeit haben (im Umkreis von 50 km). In meiner Verzweiflung habe ich dann im Internet nach einer Hilfe gesucht und bin durch Zufall auf Eure Seite gestoßen. Das erste Mal seid 15 Jahren las ich etwas über das, was ich damals empfunden habe und teilweise auch Heute noch empfinde.

Meine Frage: Hatte ich vielleicht damals eine PPD? Hat jemand eine ähnliche Erfahrung wie ich? Was könnte ich noch tun?

Ich hoffe, daß mir jemand von Euch weiterhelfen kann. Ich habe das Gefühl die ganzen Gefühle von damals kommen wieder zurück. Donnerstag wollte ich zu meinem Arzt, aber der hatte natürlich Urlaub und ich fuhr heulend wieder nach Hause. Dienstag gehe ich wieder hin und mein Mann wird mich diesmal begleiten. Der einzige zu dem ich Vertrauen habe.

Ich bin für jeden Rat dankbar.

Danke an Euch alle, Euer Forum hat mir die letzten Tage viel Kraft gegeben. :P

Liebe Grüße

Chrissy
Ava

Beitrag von Ava »

Hallo Chrissy,

ich glaube, ich kann Dir ein bißchen weiterhelfen, zumindest hoffe ich das! Was Du schreibst, klingt sehr nach verschleppter PPD. Ich hatte zwei mal PPD, und nach dem zweiten Kind ist es nie mehr richtig weggegangen. Also ich kämpfe auch seit Jahren damit und lebe damit. Was mir sehr sehr geholfen hat, ist eine Familienhilfe vom Jugendamt. Das ist eine Familienhelferin, die ein bis zwei Mal die Woche kommt und mit allen in der Familie spricht. Sie versucht die Situation zu erfassen, und dann macht ihr gemeinsam einen Plan, was Du ändern willst. Diese Familienhilfe ist freiwillig, Du kannst dadurch nicht Dein Kind weggenommen kriegen. Also ich kann das nur empfehlen. Das Jugenamt zahlt die Familienhilfe für eineinhalb Jahre maximal. Ich habe eine solche Familienhelferin seit einem halben Jahr und es bringt sehr sehr viel!!!
Wenn Du mit der ersten Familienhelferin, die Dir vermittelt wird, nicht kannst, kannst Du auch wechseln. Bei mir war es nicht nötig, aber ich hatte mich gleich danach erkundigt. Meine Familienhelferin ist total fit, blick schnell durch, was abläuft, und ist trotzdem nicht dogmatisch. Also ich habe noch genug Freiraum, um selbst Entscheidungen zu treffen. Das ist einfach wunderbar!
Da bei Euch schon ziemliche Härten abgelaufen sind, wie Du schreibst, ist es sicher wichtig, dass sich jemand mit Erfahrung das genau anschaut - auch Dein Verhältnis zu Deinem Kind. Ich möchte Dir Mut machen - DU KANNST AUCH JETZT NOCH VIEL ÄNDERN. ES IST NIE ZU SPÄT! Ich hatte auch lang zu meiner zweiten Tochter ein sehr schlechtes Verhältnis und jetzt geht es sehr gut!!! Das Tolle ist, dass diese Familienhelferinnen auf alle Beteiligten schauen, auf die Kinder und auf die Mutter.
Schreib´wieder, und gib´nicht auf, es gibt immer einen Weg, auch wenn durch die PPD schon viel Mist passiert ist!!!!

Liebe Grüße

Ava
valentina

Beitrag von valentina »

:-) Hallo Chrissy
Ich finde es sehr gut, dass du auf diese Seite gestossen bist, denn ich denke, wenn ich deine Geschichte lese, schon, dass du eine PPD gehabt hast nach der Geburt deines ersten Kindes. Da sie nicht behandelt worden ist, wurde es wahrscheinlich auch nie richtig gut. Was du alles durchgemacht hast ist ganz schön heftig. Ich rate dir auch, wie Ava es schon getan hat , dich an eine Stelle zu wenden, wo du fachliche Hilfe bekommst. Da hast auch jetzt noch die Möglichkeit, dass alles besser wird. Ich kann mir vorstellen, dass du das Vehältnis zu deinem Sohn nie richtig aufbauen konntest, weil du mit deiner unerkannten PPD gar keine Chance hattest. Du hättest damals Hilfe gebraucht. Vielleicht ist es für dich eine Erleichterung, dass du endlich weisst, was damals mit dir passiert ist. Und wenn man weiss womit man es zu tun hat, kann man sich auch darauf einstellen und die richtigen Massnahmen ergreifen. Hast du jetzt seit 15 Jahren Depressionen und ist nie etwas dagegen unternommen worden? :!: Ich hoffe sehr für dich, dass du dir richtige Hilfe findest! :!: Liebe Grüsse :!: Valentina
Christina

Beitrag von Christina »

boah, Chrissy, du arme,laß dich mal ganz feste drücken. Bild

Erstmal ganz herzliches Willkommen bei uns hier im Forum, es ist ganz toll das du den Mut gefunden hast dich uns anzuvertrauen. Das ist schon mal der erste Schritt in die richtige Richtung. Mensch das was du schreibst das tut mir richtig leid. Es hört sich sehr wahrscheinlich nach einer verschleppten PPD an. Bei mir sind es jetzt 6 Jahre her das ich erkrankt bin, nach dem ersten Kind. Ich ließ mich nicht behandeln und verschleppte es auch. Erst als mein zweites Kind kam nach etwas mehr als zwei Jahren war ich gezwungen was zu machen da ich noch weiter abrutschte. Heute bin ich, nach langen schmerzhaften Jahren voller Traurigkeit und Depression wieder völlig gesund. Ich kann dir daher Mut machen das du auch nach so langer Zeit wieder die Chance hast wieder gesund zu werden. Du hast es jetzt erkannt und bist bereit was zu tun. Die Therapie ist eine sehr gute Idee, das solltest du auf jeden Fall machen, du hast sehr viel aufzuarbeiten. Nimmst du Medikamente? Du kannst ja begleitend und unterstützend zur Therapie auch noch z.B. Johanniskraut oder Bachblüten nehmen. Ich bin fast ausschließlich durch eine naturheilkundliche Behandlung gesund geworden. Zusammen mit meiner Heilpraktikerin. Wir haben hier sehr viele gute Tips die dir helfen können wieder gesund zu werden.

Wir sind immer da für dich mit Rat und Hilfe wenn du Antworten braucht. Komme immer her wenn du magst. Wir sind inzwischen wie eine virtuelle Familie geworden.

Alles Gute
bis bald
LG
Chris
Jenny

Beitrag von Jenny »

Ich denke schon, dass du damals eine PPD hattest. Diese Krankheit kam damals im Wortschatz der meisten Ärzte nicht vor, also wundere dich net, dass man dir damals net geholfen hat, ich kenne das...
Du hast viel Schweres durchgemacht und es ist gut, dass du dir jetzt Hilfe suchst. Wie meine Vorrednerinnen sagen: Dir kann auch nach so langer Zeit noch geholfen werden!!!
Was deinen Ältesten angeht: Vielleicht ist es dir eine Hilfe, Folgendes zu erfahren:
Was dein Ältester da treibt, nennt man "Auftragserfüllung" und ist eine typische Verhaltensweise von Kindern, deren Eltern ein massives Problem haben. Er tut das, was du hättest schon lange tun sollen, aber nicht tun konntest, weil keiner auf die Idee gekommen ist, dass du depressiv sein könntest: Er schreit gellend um Hilfe. Denn nichts anderes als Hilferufe sind all seine Aktionen.
Du schreibst nicht, dass deine anderen Kinder ebenfalls verhaltensgestört sind. Wahrscheinlich sind sie es auch nicht; das eine, da es behindert ist und dir nicht helfen kann, das andere, weil ja bereits der große Bruder die Suche nach Hilfe übernommen hat.
Was ihr braucht, ist Folgendes: 1. Eine genaue Diagnose dessen, was mit dir los ist und entsprechende, ruhig auch medikamentöse, Behandlung bei einem Psychiater und Psychotherapeuten und 2. eine Familientherapie. Denn euer ganzes Familiengefüge ist durcheinander geraten. Deshalb muss da jeder der Familie mitmachen, u.U. auch dein behindertes Kind (falls es dazu in der Lage ist) und wahrscheinlich wird sich auch der Umgang mit den Kindern und der Umgang zwischen euch Eltern ändern (müssen). Du schreibst, dass du zu deinem Mann vollstes Vertrauen hast. Das ist eine super wichtige Voraussetzung, um eure Familie zu heilen, dich gesund zu machen und deinem Ältesten die Last zu nehmen, für dich Hilfe einzufordern.
Du schaffst das ganz bestimmt!!!
Viel Glück und viel Kraft wünsch ich dir.
Chrissy

Beitrag von Chrissy »

Hallo Ihr Lieben,

ich danke Euch ganz herzlich. Zum ersten Mal nach 15 langen Jahren habe ich ein wenig Hoffnung, daß doch noch etwas besser werden kann. Und das verdanke ich Euch.

Mein Sohn ist (nur) gehbehindert, der kleinste übrigens auch. Geistig sind beide in Ordnung.

Nachdem der Älteste im Heim war hatten wir 1 Jahr lang einen Familienhelfer. In der Zeit lief es noch recht gut. Aber seitdem das Jugendamt ihn abgezogen hat, ging es steil bergab. Wir haben gerade einen neuen Antrag laufen. Der gute Mann hat sich nur leider noch nicht gemeldet (Ostern?!).

Ich werde Morgen auf jeden Fall zum Arzt gehen. Da er sehr aufgeschlossen ist, habe ich Hoffnung, daß er auch in diesem Fall weiterhelfen kann. Medikamente nehme ich keine. Aber ich werde Morgen in der Apotheke nach Johanniskraut fragen. Je eher, desto besser.

Ich melde mich bestimmt wieder und danke Euch nochmal von ganzem Herzen.

Liebe Grüße

Chrissy
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