Ich vermisse mich.

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Herbstkind83

Ich vermisse mich.

Beitrag von Herbstkind83 »

Hallo,

schon vor ein paar Wochen habe ich diese Seite im Internet gefunden. Seitdem habe ich viel gelesen. Ich weiß immer noch nicht, in welche Sparte ich meine Probleme einordne soll. Manchmal kommt es mir vor, als bräuchte ich einen Psychologen für jedes Problem. Meine Geschichte ist ziemlich ungehäuerlich. Ich schäme mich selber, sie hier zu erzählen, aber irgendwie muss ich es loswerden. Ich habe das Gefühl die letzten 3 Jahre viel zu viel erlebt zu haben, was meine Seele nicht mehr verkraften kann. Ich versuche mal von Anfang an zu erzählen. Ich glaube es wird lang, aber dann ist es wenigstens alles einmal von der Seele geschrieben. Es ist Stoff für einen Hollywoodstreifen, wie mir scheint...

Mit 18 habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt. Er war damals 30. Wir sind zusammengekommen und schon nach 3 Monaten war wieder Schluss. Seinerseits. Nach weiteren 3 Monaten waren wir wieder zusammen. Ich habe mein Abitur gemacht und habe noch am selben Tag mein Nest verlassen um zu ihm zu ziehen (700km von meinem Elternhaus entfernt) 2008 haben wir geheiratet. Ab Ende 2009 haben wir uns immer mehr auseinander gelebt. Anfang 2010 hat er mir eröffnet, dass er wieder in seine Heimatstadt zieht. Ohne zu überlegen, ob ich mitkomme oder nicht. Zu dem Zeitpunkt habe ich gerade begonnen Medizin zu studieren und hatte einen anderen Mann kennengelernt, den ich sehr gern hatte. Trotzdem habe ich zu dem Zeitpunkt den Absprung nicht geschafft, meinen Mann zu verlassen, obwohl es nur noch ein Schritt gewesen wäre. Es einfach auszusprechen. Stattdessen bin ich völlig herumgeeiert. Mit dem Mann, den ich kennengelernt hatte, hatte ich immer viel zu lachen, ich habe mich endlich wieder lebendig und beachtet gefühlt. Mein Mann hat sich nicht gemeldet. Trotzdem habe ich dem Mann, den ich dann kennengelernt habe gesagt, dass ich nicht mit ihm zusammen sein kann, denn ich wusste nicht, wie ich eine Trennung von einem Mann auf die Reihe bekomme, mit dem ich 9 Jahre so vertraut war. So hab ich mich weiter gequält, hatte dann doch wieder Kontakt zu dem Mann, den ich eigentlich liebe und hab auch noch meinen Mann gesehen. Wir haben wie Geschwister gelebt, wenn wir uns gesehen haben. Es war viel mehr eine Freundschaft, als alles andere. Mittlerweile war er von mir weggezogen. Er hat 300km weit weg gewohnt. Mein Freund hat ebenfalls nicht in der Stadt gewohnt, wo ich war. Wir haben immer wieder davon gesprochen, dass ich zu ihm ziehe. Ich habe deshalb mein Medizinstudium abgebrochen, weil er nicht bereit war zu mir zu ziehen. Mir lag nur so sehr im Magen, dass ich es einfach nicht geschafft habe, mich von meinem Mann zu trennen, zumindest nicht ausgesprochen.

Dann kam 2011. Mein Mann hat sich nach wie vor nicht für mich interessiert und ich war mittlerweile so durch, dass ich meinem Freund gesagt habe, dass ich eine Pause brauche. Das war im Mai 2011. Ich bin an einem Wochenende zu meinem Mann gefahren. Ich weiß nicht, was ich mir gedacht hab, aber irgendwie kam mir in den Kopf, dass ich einfach nur schwanger sein will, damit ich endlich eine Entscheidung treffen muss. Es war nur ein einziger Versuch und der hat sofort gesessen. Niemals hätte ich das gedacht, aber dann fing mein persönlicher Horror an. Ich habe diese Schwangerschaft geheim gehalten. Mein Mann hat mit mir Schluss gemacht, bis ich im gesagt hab, dass ich schwanger bin. Ab dem Zeitpunkt wussten nur meine Schwester, mein Bruder und meine Eltern von meiner Schwangerschaft. Und eben mein Mann. Der hat es seinen Eltern gesagt und irgendwie waren wir ab dem Zeitpunkt zusammen, die endlich ausgesprochene Trennung wurde zurückgezogen. Trotzdem hab ich aus der Schwangerschaft mein eigenes Ding gemacht. Zu Anfang wollte ich das Kind nicht mehr haben und war beim Beratungsgespräch. Im Sommer stand dann plötzlich mein Mann vor meiner Tür und hat mich ins Auto gesetzt und ist mit mir auf eine Insel gefahren. Ich habe diesen ganzen Urlaub nicht geredet, ich konnte einfach nicht. Ich war so ambivalent meinem Mann gegenüber und wollte nicht mit ihm zusammen sein. Ich habe meinen Freund so wahnsinnig vermisst, dass ich kaum atmen konnte. Als ich endlich zurück war, wollte ich diese Schwangerschaft abbrechen. Ich war da am letzten möglichen Zeitpunkt...und dann sah ich dieses kleine Wesen winken und konnte nicht. Ich habe mich also total zurückgezogen, hatte kaum Kontakt zu meinem Mann, dafür aber wieder zu meinem Freund. Ich hab diese Schwangerschaft vor ihm verheimlicht. Ich hab sie auch auf der Arbeit verheimlicht, keinem Menschen hab ich was gesagt. Meine Eltern haben mich ins Gebet genommen, dass ich endlich mein Leben in geordnete Bahnen lenke. Mein Freund hat nichts von dieser Schwangerschaft mitbekommen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich das hinbekommen habe. In der 33. Woche habe ich bei mir auf der Arbeit Bescheid gesagt. Es hat mich wahnsinnige Überwindung gekostet. Es war mir so sehr peinlich und so hat auch mein Freund von der Schwangerschaft erfahren. Das war Stress pur für mich. Und trotzdem hat er sich überwunden und gesagt: dann nehme ich dich einfach mit Kind. Ich war so unglaublich erleichtert. Ganze Felsbrocken sind mir vom Herzen gefallen und endlich war ich auch ein bisschen gesonnener dem Baby gegenüber. Ich hatte nicht mehr diese schlimmen Gedanken, dass ich das Baby nicht möchte, es immer verheimlicht habe, oder oder oder.

Am Ende des Jahres 2011 stand mein Mann wieder vor meiner Tür, weil er keine Arbeit mehr hatte und mit mir zusammen wohnen wollte. Und ich wollte gar nicht! Und ich hab es wieder einmal nicht geschafft zu sagen: Nein, ich möchte nicht. Also ist er wieder eingezogen und ich habe meinem Freund nicht getraut zu sagen, was Sache ist. Dann kam der Tag im Januar, der mein Leben verändern sollte. Ich war in der 37. Woche schwanger und dachte, es geht los. Bis dahin hab ich mich irgendwie in meiner Wohnung aufgehalten, weil ich liegen musste. Ich konnte nicht mehr zu meinem Freund fahren und die Entbindung stand kurz bevor. An dem einen Tag im Januar dachte ich, es geht los. Ich bin zu meiner Frauenärztin, diese konnte aber nur den Tod meiner Tochter feststellen. Für mich war klar, dass ich das Baby mit meinen Gedanken getötet habe. Ich war seltsam abgeklärt und wusste, was jetzt auf mich zukommt. Ich habe meinem Mann und meinem Freund Bescheid gesagt. Meiner Familie und einer Freundin. Es hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Mein Mann ist in die Praxis gekommen, wir sind ins Krankenhaus. Da kam auch meine Freundin. Und auch mein Freund. Ich musste irgendwie alles jonglieren, denn ich hatte ja eigentlich noch immer nicht für klare Verhältnisse gesorgt. Ich seh mich noch heute auf dem Flur stehen, mit diesem Bauch, 2 Männern und 2 Freundinnen. Meinen Freund hab ich nach Hause geschickt. ZU dem Zeitpunkt wusste ich nicht, wer gut für mich ist. Wir haben uns lange in den Arm genommen, er hat mir gut getan, trotzdem wollte ich die stille Geburt mit mir ausmachen. Am Morgen habe ich dann meine Tochter geboren. Ganz leise. Es konnte keine Ursache gefunden werden, was meine Gedanken noch bestärkte, dass ich sie mit meinen Gedanken getötet habe. Und dann ging die Trauerarbeit los. Ich bin in ein bodenloses Loch gefallen. Meinen Mann immer noch bei mir, mein Freund, der auf Weltreise gegangen ist und ich mittendrin. Ich war hin-und hergerissen zwischen der Trauerarbeit mit meinem Mann, der sich sehr traurig zeigte und meinem Freund, den ich sehr, sehr vermisst habe. Im April bin ich ihm kurzerhand hinterhergeflogen. Ich wollte bei ihm sein, meinen Mann in seiner Trauer aber auch nicht alleine lassen. Ich habe wieder begonnen zu arbeiten und war trotzdem nicht in der Lage am Leben teil zu nehmen. Zu gross war der Verlust und meine Schuldgefühle. Ich wollte sogar sofort wieder schwanger sein. Ich konnte nichts mit diesem leeren Bauch anfangen. Ich hatte eine sehr gute Psychologin, die mich toll betreut hat. 2012 hat sich dann irgendwie so gezogen. Ich hatte meinen Mann bei mir und wollte das nicht. Ich war weiter bei meinem Freund und habe versucht irgendwie wieder schwanger zu werden. Er wollte aber nicht und hat dementsprechend reagiert und ich wurde immer depressiver. Mein Mann hat davon nichts, wirklich gar nichts mitbekommen. Der hat neben mir her gelebt. Im Oktober 2012 habe ich meinen Job gekündigt und mich in einer sehr guten Psychosomatik angemeldet. Ich wollte endlich lernen diesen Schlussstrich zu ziehen. Gleichzeitig habe ich mich in der Stadt beworben, wo mein Freund wohnt um bei ihm zu sein. Im Dezember hatte ich endlich meinen Platz in der Klinik. Ich hab in dieser einen Woche im Dezember allerdings wieder etwas Folgenschweres getan. Ich wollte auf Teufel komm raus ein Baby und habe es einfach mit Beiden versucht. Als das passiert ist, dachte ich mir, was hab ich nur getan. Trotzdem war ich nicht in der Lage entsprechende Schritte einzuleiten, denn ich hatte ja schon ein Baby auf dem Gewissen. Also habe ich wirklich gebetet, dass nichts passiert ist. Ist es aber. Ich war wieder schwanger und wusste nicht von wem. Ich war dann endlich in der Psychosomatik, Ich wollte alles aufarbeiten und mit einem Therapeuten überlegen, wie ich vorgehe. Allerdings hat mein Freund so dermaßen Druck gemacht, dass ich endlich zu ihm komme und ich habe den Aufenthalt vorzeitig abgebrochen. Meinem Mann hab ich das gar nicht gesagt. Ich habe es wieder nicht geschafft, zu sagen: wir sind kein Paar mehr. Ich bin also zu meinem Freund gezogen und mein Mann hat das gar nicht mitbekommen. Und wieder hab ich mich nicht getraut zu sagen, dass ich schwanger bin. Es war grauenvoll. Schon wieder die Gedanken, dass ich dieses Kind nicht will, aber irgendwie doch will, aber eben nicht so. Meinen Eltern habe ich gesagt, dass ich schwanger bin, nur eben nichts von meiner Misere. Ich habe wieder vor meinem Papa gestanden und geweint und gesagt, dass es besser wäre, wenn dieses Kind auch sterben würde, denn es ist alles so desolat. Mein Papa hat so geweint bei meinen Worten, noch immer saß der Verlust meiner 1. Tochter so tief. Ich habe weiter alles geheim gehalten. War bei meinem Freund, wir sind im April in den Urlaub, da war ich in der 16. Woche. Ich habe meinen Bauch eingezogen und er hat nichts gemerkt. Danach wurde ich von der neuen Arbeitsstelle gekündigt, das war noch während des Urlaubs, weil der Dienstplan kam, als ich schon im Flugzeug saß. Da war ein Dienst am Wochenende geplant, obwohl ich mir wegen dem Urlaub frei gewünscht habe. Das war der Auslöser. Mein Job war weg, aber weil ich schwanger war, konnte ich natürlich vom Gesetz Gebrauch machen. Kaum zurück habe ich mir ein totales Beschäftigungsverbot ausstellen lassen und die Kündigung musste zurückgezogen werden. So konnte ich die Schwangerschaft immer noch geheim halten. Danach haben sich die Ereignisse weiter überschlagen. Die Leitung meiner Arbeitsstelle hat meinem Freund gesagt, dass ich schwanger bin, obwohl ich ausdrücklich geschrieben habe, dass die Schwangerschaft vertraulich behandelt werden soll. Also hab ich ihm gesagt, dass ich schwanger bin. Die Reaktion war wie erwartet. Er ist ausgeflippt. Ich habe ihm aber nicht gesagt, dass es möglicherweise gar nicht von ihm ist. Nach einer Woche hat er sich gefangen. Ich war trotzdem nicht in der Lage eine Beziehung zu dem ungeborenen Kind aufzubauen. Ich hatte auch keinerlei Angst vor einem erneuten Fruchttod. Ich war gleichgültig. Taub. Teilnahmslos. Dann kam der nächste Schicksalsschlag und mein Papa ist plötzlich und unerwartet gestorben. Das hat meiner Familie erneut den Boden unter den Füßen weggezogen. Mir vermutlich auch, aber ich war so mit mir beschäftigt, da ist zwar ganz viel Trauer, aber sie kann nicht raus. Ich bin taub.
Mein Mann hat zwischenzeitlich meine Wohnung gekündigt und ist mit meinen Sachen in eine andere Wohnung gezogen. Er wusste von der Schwangerschaft, nur nicht, dass er ebenfalls nicht sicher der Papa ist. Ich wollte nach wie vor nicht bei ihm wohnen. Ich habe mich zerrissen zwischen 3 Städten. Ich war die meiste Zeit bei meinem Freund, dann immer mal für 2 Wochen bei meiner Mama und dann wenige Tage bei meinem Mann. Aber nirgends mit Heimatgefühl. Auch nicht bei meiner Mama. Und dann kam der schlimme Tag im Juni wo alles aufgeflogen ist. Wirklich alles. Ab dem Zeitpunkt war ich obdachlos. Ich bin stundenlang schwanger durch die Stadt gelaufen, habe lange am Fluss gesessen und in Pensionen übernachtet. Ich hatte immer meinen Rucksack dabei, aber kein richtiges ZUhause. Mein Freund hat mich rausgeschmissen, mein Mann ebenso. Zu meiner Mama wollte ich nicht. Am Liebsten wollte ich zu meinem Freund, der mich dann auch wieder aufgenommen hat. Weil ich eben doch ziemlich schwanger war und meine Familie nicht noch ein Schicksalsschlag verkraften konnten. Wenn ich nicht schwanger gewesen wäre, hätte ich mir gewünscht tot zu sein. So habe ich da die letzten Wochen dieser Schwangerschaft verbracht und war emotionslos dem Baby gegenüber. Jeder Arzt wollte die Geburt vorzeitig einleiten. Die CTGS waren schlecht und es war mir egal. Ich habe mich 3 Mal wieder selbst aus dem Krankenhaus entlassen, weil ich schlicht und einfach nicht entbinden wollte. Ich habe überlegt, das Baby in eine Babyklappe zu legen, aber dann wäre meine Familie bodenlos gefallen. Ich wollte immer meinen Freund bei der Geburt dabei haben. Ich war mit ihm viel mehr verbunden, als zu meinem Mann, der sich nicht einmal mehr bei mir gemeldet hat. Und dann kam doch der Tag, an dem plötzlich meine Fruchtblase geplatzt ist. Ich habe meinen Freund angerufen und Bescheid gesagt. Bin ins Krankenhaus und dann kam mein Baby doch viel zu schnell. Mein Freund hat es nicht geschafft, denn nach nur einer Stunde war meine 2. Tochter da. Lebend. Ich dachte, zu dem Zeitpunkt muss mich eine Glückswelle überschwemmen, irgendwie hatte ich darauf gehofft. Aber sie blieb einfach aus. Ich lag da mit dem Baby auf meinem Bauch und konnte gar nichts empfinden. Selbst mein Freund, der ja nicht mal wusste, ob er der Vater ist, hat sich liebevoller um sie gekümmert als ich. Ich hab zwar alles gemacht, was man im Kreißsaal macht, aber ich dachte immer: wo bleibt denn diese Welle??? In der 1. Nach hat die Kleine es geschafft, mir die Brustwarzen blutig zu saugen. Aber ich war so besessen vom Stillen, weil ich dachte, so bekommt meine Tochter wenigstens ein bisschen was Gutes und ich bin vielleicht enger mit ihr verbunden. Ich hab viel geheult, die Heultage, wusste aber da schon, dass das mehr ist. Nach 3 Tagen wurde ich entlassen. Wir waren "Zuhause". Mit dem Baby. Wir haben uns irgendwie zusammengerauft. Mein Freund musste arbeiten und ich habe irgendwie versucht Mutter zu sein. Es fühlte sich nur nicht so an. Meine Brustwarzen konnte man links und rechts aufklappen, alles hat geblutet. Ich habe geweint vor Schmerz und hab mir nur gewünscht, dass mein Baby nicht wach wird und Hunger hat. Ich war nur draussen unterwegs, weil ich in der Wohnung meinen Gedanken überlassen war. Nach außen habe ich die glückliche Mama gemimt, innen war alles zerrissen. Sie hätte irgendein Kind sein können, nur nicht meins. Ich hatte keine Hebamme und irgendwann bin ich wieder in die Klinik. Weil ich mit diesen desolaten Brustwarzen nicht mehr stillen konnte. Da hat sich endlich jemand um mich gekümmert und sich Zeit genommen, zumindest für meine körperlichen Ausfallerscheinungen. Ich wurde gelasert und ganz langsam ging es zumindest da wieder aufwärts. Und meine Tochter...die lag einfach da und ich hatte Angst zu schlafen, weil ich es furchtbar finde aufzuwachen und zu wissen, dass ich mich nun um sie kümmern muss und panische Angst vor dem Stillen hatte, aber weiter Stillen wollte, weil es gut für die Bindung ist. So gingen über 2 Wochen vorbei und dann kam der Vaterschaftstest zurück. Es war so wie es nicht sein sollte. Mein Mann ist der biologische Vater. Mein Freund ist ausgeflippt. Wir haben Beide so geweint, trotzdem hat er mich und das Baby ins Auto gesetzt am Abend (wir haben den Brief am Abend aufgemacht) und hat mich vor der Tür meines Mannes abgesetzt. Da stand ich dann. Alleine vor einer Tür in die ich nicht wollte, mit einem Baby, was nicht so richtig zu mir gehört und noch körperlich völlig am Ende. Da saß ich alleine, mein Mann nur unterwegs und ich hatte keine Möglichkeit einzukaufen, oder Leute zu treffen. (Die Wohnung ist ausserhalb ohne Supermarkt) Ich wollte auch gar nicht. Ich hab mich nur von Toast ernährt und war sozial so isoliert, wie noch nie. Ich hatte nur mein Baby und immer noch Angst vor dem Stillen. Manchmal habe ich tagelang kein Wort gesagt, wenn nicht meine Mama angerufen hat. Ich weiß auch nicht, wie ich mit meinem Baby reden soll. Ich mache alles, was nötig ist, aber reden kann ich nicht. Dabei denke ich die ganze Zeit an dieses Experiment, wo mit den Säuglingen nicht geredet wird und sie am Ende so krank werden, weil die soziale Bindung fehlt. Nach 8 Tagen bin ich dann richtig krank geworden. Mit über 40 Fieber hab ich mich dann ins Krankenhaus geschleppt, mit Bus und Bahn. Mastitis. Dort aufgenommen ging es mir ein klitzekleines bisschen besser. Ich hatte jemanden, der mit mir redet und mir zeigt, wie das mit dem Stillen geht. Ich war traurig, als ich entlassen wurde. Danach bin ich zum 1. Mal aktiv geworden und habe mir einen Flug zu meiner Mama gebucht. Da bin ich angekommen und es war jemand da, der sich richtig um meine Tochter gekümmert hat. Meine Mama, meine Schwester und mein Bruder haben das gemacht, was ich tun sollte. Sie haben mit ihr gesprochen, sind spazieren gegangen und haben sie durch das Haus geschuckelt. Ich war einfach nur erschöpft und wollte sie nicht brüllen hören. Nach einer Woche bin ich dann zu meiner Schwester weiter gefahren. Nach 2 Tagen ging es wieder los. Meine 2. Mastitis. Wieder über 40 Fieber und ich saß schon wieder allein im Krankenhaus, weil meine Schwester selber einen kleinen Sohn hat, um den sie sich am Abend kümmern musste. Die Schwestern und die Ärzte waren total lieb, aber total am Limit und ich bin mit Wahnsinnsschmerzen, Fieber und dem brüllenden Baby über den Flur gelaufen. Aber sie hat sich nicht beruhigen lassen. Dort haben glaub ich das erste Mal eine Ärztin Verdacht geschöpft, dass etwas nicht stimmt mit mir. Weil ich einfach nur dumpf war. Trotzdem hab ich mich nicht getraut zu sagen, dass es sich komisch anfühlt mit meinem Baby. Das da irgendwas fehlt. Ich versorge sie, aber ohne diese Welle, auf die ich jetzt schon 9 Wochen warte. Ich wünsche mir mein altes Leben zurück, aber nur bis dahin, wo ich die Weichen falsch gestellt habe, um sie nochmal neu zu stellen, diesmal richtig. Aber das würde auch bedeuten, dass ich meine 1. Tochter niemals geboren hätte, auch wenn sie tot war und der Gedanke tut auch weh. Es ist wie verleugnen. Aber verleugnet habe ich sie schon lange genug. 33 Wochen lang.
Momentan finde ich mein Leben eintönig und langweilig. Ich sitze manchmal den ganzen Tag auf dem selben Platz und gucke in den Computer. Wenn meine Tochter weint, dann trage ich sie ein bisschen rum oder eben meine Mama. Heute hat Mama zu mir gesagt: Guck, deine Tochter ist auch schon ganz stumm.
Dabei bin ich eigentlich perfektionistisch veranlagt und will alles 100%ig machen. Sie soll ein glückliches Kind mit allem Drum und Dran werden. Aber wir haben nicht mal ein richtiges Zuhause. Wir leben noch immer aus dem Rucksack. Es fühlt sich furchtbar an, aber ich schaffe es nicht, daran was zu ändern. Ich bin müde und vermisse mich selbst. Die Zeit, wo ich noch richtig gelacht habe und ein glückliche junge Frau war. Ich habe mit Sicherheit depressive Phasen, ich weiß nur nicht, wie die Baustellen alle ordne. Ohne ein Glücksgefühl kann ich es auch nicht anpacken.
So, dass ist nun episch geworden. So lang. Es hat gut getan, dass alles mal aufzuschreiben. Letztens hat mir meine Mama ein Buch in die Hand gedrückt: Eine Handvoll Worte. So kommt mir mein Leben vor. Ich hatte alles und hab nun nichts. Ich hab nicht mal die Gabe mein Kind so zu lieben, wie es es verdient hätte. Ich dachte immer, nach einer Todgeburt ist ein lebendes Kind das Glück auf Erden. Aber die Welle fehlt.
Liebe Grüße, Herbstkind
Andrea

Re: Ich vermisse mich.

Beitrag von Andrea »

Hallo Herbstkind83,

ich bin ehrlich gesagt sprachlos von deiner Geschichte. Du hast wirklich sehr viel durchgemacht - oder bist besser gesagt mittendrin.
Es liest sich für mich so, als wenn dein Körper dir ganz klar seine Grenzen zeigt. Du musst deine ganzen letzten Jahre erst mal verarbeiten und dein Leben in richtige Bahnen lenken. Momentan hat dein Körper wohl leider keinen Platz für dein Kind.
Du hast sehr wohl die Gabe, dein Kind zu lieben - und du wirst es können - momentan sind diese Gefühle nur ganz tief verschüttet.

So wie du deine Situation schilderst, ist es Wohl das Beste, direkt in eine Klinik zu gehen. Dort hast du ein festes Umfeld, ein "Zuhause" auf Zeit. Du brauchst Stabilität um an dir arbeiten zu können. Die Geschichte mit deinem Mann/Freund ist eine Sache, aber für die Verarbeitung der stillen Geburt deiner 1. Tochter solltest du dir auf jeden Fall professionelle Hilfe suchen.

Ich weiß, es wird dich viel Überwindung kosten, aber geh den ersten Schritt und hol dir ganz schnell Hilfe.

Viele Grüße
Andrea
Kleineschwarze

Re: Ich vermisse mich.

Beitrag von Kleineschwarze »

Hallo Herbstkind,

ich kann Andrea nur zustimmen. Schau auf der Seite von Schatten und Licht nach einer Klinik mit Mutter-Kind-Einheit in deiner Nähe und nimm Kontakt auf.
Dort wirst du stabilisiert, du bekommst Therapien und Unterstützung, hast eine feste Struktur, ein Zuhause, und dir wird auch geholfen eine Beziehung zu deinem Kind aufzubauen.
Ich wünsche dir viel Glück dabei... geh es an und lass dir helfen. Es lohnt sich!
engelchen2012

Re: Ich vermisse mich.

Beitrag von engelchen2012 »

hallo herbstkind!

du hast die letzten jahre ganz schön was mitgemacht - das geht an niemandem spurlos vorbei. umso wichtiger ist es jetzt, dich zuerst auf dich und deine tochter zu konzentrieren. ich kann mich den beiden anderen nur anschließen, du brauchst umgehend hilfe. auf der seite von schatten und licht findest du viele kliniken und ansprechpartner. nimm die sache in die hand! wichtig ist, dass zuerst dein jetziger gesundheitszustand wieder stabil wird, danach kannst und musst du dich um deine vergangenheit und vorallem um die Verarbeitung der stillen Geburt deiner 1. Tochter kümmern.

es ist auch gar nicht wichtig, welche art von krise du durchlebst, das musst nicht du einordnen können. dafür gibt es fachpersonal, begib dich in professionelle hilfe, damit du wieder licht am ende des tunnels siehst! und sei ganz sicher, es kommt die zeit, da wirst du deine kleine lieben und nie mehr hergeben wollen. ob mit mann oder freund oder alleine, das spielt erst mal keine rolle!

ich drück dich mal ganz fest!!
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