Wir versprachen uns beide Freiheit und Unabhängigkeit - und zogen nach 3 Monaten zusammen.

„Hahahaha!“ dachte sich die Natur und griff schnell ein, um mich in meinem Arbeitswahn zu stoppen. Ich bekam das unstillbare Erbrechen, konnte ab der 6. SSW nicht mehr arbeiten, lag 9 Monate zu Hause auf der Couch, übergab mich bis zu 30 Mal am Tag. 2 Mal Klinik, Infusionen, ich hatte Angst um mein Kind, meine Keton-Werte waren viel zu hoch! Ich nahm erst 9 Kilo ab, dann versuchte ich es nach den Brech-Anfällen mit viel Essen auszugleichen, und nahm insgesamt 30 Kilo (also dann 39) zu. Ich wurde immer fetter, immer depressiver, und hörte von Ärzten "Stellen Sie sich nicht so an - anderen ist auch schlecht. Warum arbeiten Sie eigentlich nicht?". Mit meinem Frauenarzt hab ich mich dann richtig angelegt, er wollte mich nicht ins Krankenhaus einweisen, ich bin dann von selbst gegangen, dort habe ich mich nach 3 Tagen selbst entlassen, weil es mir schon besser ging, und ich auch kein Verständnis sondern nur blöde Sprüche („Das ist aber normal so!“) bekam, und erntete daraufhin von ihm eine Ansage, die sich gewaschen hatte ("wir sind hier nicht beim Zirkus, das Leben ist kein Wunschkonzert!") und verließ so wutschnaubend, wie ich mit meiner Übelkeit und Bauchschmerzen konnte, die Praxis. Eine andere Ärztin machte gleich einen Ultraschall, begleitete das ganze mit den Worten „ da seh ich nichts!“ - meine Schwangerschaft war aber intakt! Sie hatte nur nicht richtig geguckt! Ich ging zum nächsten Arzt, der mir sagte, „Sie brechen so viel, weil sie das Kind nicht wollen!“ Als ich nach einem Mutterpass fragte, sagte er, das lohne sich vor der 12. Woche noch nicht. Er sah mich nicht an, sondern kritzelte etwas in seine Unterlagen und ich ging dann, er sagte auch nicht tschüß. Ich war fix und fertig, und mir war ja immer noch schlecht! Nach meinem 1. Krankenhausaufenthalt ging ich noch mal zurück zu meinem alten FA, und hatte dann den besagten Streit mit ihm.
Erst in der 16. SSW fand ich eine Ärztin, die neben der Schulmedizin auch mit Homöopathie und traditioneller chinesischer Medizin arbeitete und mir Postadoxin verschrieb, wovon die Übelkeit soweit unterdrückt wurde, dass ich "nur noch" -1 bis 2 mal am Tag spucken musste. Das ging allerdings bis ins letzte Schwangerschaftsdrittel, wo es wieder schlimmer wurde. (4 -5 Mal am Tag, und Kreislaufbeschwerden) Da lag ich also nun, sah den Blättern am Baum vor unserem Fenster dabei zu, wie sie erst grün waren, dann rot, dann braun wurden, und schließlich abfielen. Ich konnte nicht mehr einkaufen gehen, weil ich an der Kasse bei Plus ohnmächtig wurde, ich konnte nicht staubsaugen, weil mir davon schlecht wurde. Ich konnte mit niemandem telefonieren, weil alle die ich kannte, arbeiteten. Ich kannte niemanden, der schon ein Kind hatte! Men Körper machte, was er wollte, ich war komplett allein. Jeden Tag wartete ich nur, dass es 20 Uhr war, und mein Mann von der Arbeit kam. Er heiterte mich auf, brachte mir Obst, Schokolade und Zeitschriften mir. Ich hoffte die ganze Zeit darauf, dass es nach der Geburt alles besser werden sollte. Ständig sagten alle zu mir "na, reiß dich doch mal zusammen", aber es ging nicht! Besonders genervt haben mich dann Geschichten von Frauen, die irgendwer kannte, "die ja auch noch bis zum Schluß am Schreibtisch saß! Die ist direkt von der Arbeit zur Geburt gefahren!" Ich machte mir furchtbare Vorwürfe, dass ich nicht so stark war, wie "alle anderen". Weil ich auch noch unerträgliche Rückenschmerzen und eine Symphysenlockerung bekam und gleichzeitig wieder übelst mit der Übelkeit zu tun hatte, wurde meine Tochter 2 Wochen vor ihrem ET am 24.3.06 eingeleitet.
Nach 36 Stunden Wehen, in denen mein Mann mir tapfer zur Seite stand und mir die Brechschale hielt, musste unsere Kleine am 26.3.06 per Notkaiserschnitt geholt werden. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, ich wollte doch gar keinen Kaiserschnitt! Mir war aber auch schon alles egal, ich dachte nur, dann holt sie endlich raus, damit das Drama hier ein Ende hat (die PDA wurde mir nicht nochmal nachgespritzt, ich habe mich noch mit der Anästhesistin gestritten, die der Meinung war, ich hätte keine Schmerzen). Als Emma-Lina endlich da war, weinte ich vor Glück, hörte ihren kleinen Schrei und war überglücklich, ihre Mama zu sein.
Dass sie dann erstmal meinem Mann in den Arm gelegt wurde, war für mich ok – ich wollte einfach nur noch meine Ruhe haben. Ich sah meine beiden Schätze und fühlte -gar nichts. Ich dachte nur: dann nimm du sie, ich kann das nicht. Als ich sie schließlich auf den Arm bekam und in unser Zimmer geschoben wurde, meckerte mich die Krankenschwester an: „Nicht so doll, sonst erstickt sie ja!“ Ich wollte Emma mit meiner Decke mit zudecken, damit sie es warm hat, wurde aber dafür total angemacht. Jetzt beim Schreiben erklärt sich mir auch, warum ich das ganze erste Lebensjahr panische Angst davor hatte, dass Emma ersticken könnte! Und damit begann der ganze Stress. Im Familienzimmer angekommen, richteten wir uns irgendwie ein, Andreas holte alle Sachen. Unser Zimmerfenster ging auf die Einkaufsmeile des Krankenhauses raus, es war immer grellhell (Neonröhren) und laut, Leute riefen, schoben Wagen, es wurde irgendwas mit Blech gehämmert und tagelang repariert. Und wenn es dann doch gerade mal 5 Minuten still war, kam immer mindestens eine Schwester rein, um mich anzumeckern. Es klappte nämlich bei mir nicht mit dem Stillen. Ich hatte von nichts eine Ahnung, wusste weder wo oben noch unten war, wollte nur schlafen, aber da war ja dieser kleine hungrige Mensch, der gefüttert werden wollte. Meine Brüste wollten aber nicht mitmachen. „Wo bleibt denn Ihre Milch? Sie sollten längst den Milcheinschuss haben!“ wurde ich angemault. Ich empfand diesen rüden Umgangston schon als belastend genug, aber wurde dann noch aufgefordert, alle 4 Stunden abpumpen zu gehen. Dass es bei Emma mit dem Stillen nicht klappte, lag nach Meinung der Schwestern natürlich daran, dass sie „unterentwickelt“ war, durch die Einleitung. „Klar, sie ist ja noch UNREIF!“ hieß es. Und die Spannung der unausgesprochenen Vorwürfe, weil ICH sie ja hatte einleiten lassen, war unerträglich. Ich musste also abpumpen –an sich kein Drama. Nur der Still-raum, wie es so schön hieß, war ein hell beleuchteter Krankenhausraum, mit einer riesigen Fensterscheibe, quasi einem Schau-Fenster ohne Vorhänge, vor das man sich barbusig und seiner Würde beraubt nun setzen und melken sollte. Nicht wenige Spaziergänger erfreuten sich im angrenzenden Park am Anblick der nicht-stillen-könnenden Müttermilchkühe. Ich schämte mich nur noch. Ich war fett, konnte nicht stillen und alles war zum Kotzen, an mir hingen zwei Saugnäpfe und zogen und zerrten an meinen nicht gerade sehr spendablen, dafür aber umso empfindlicheren Brüsten. Die Maschine raunte im Rhythmus, und ich summte mit „Ab-pumpen, mal versuchen, ab-pumpen, mal versuchen“, bis in meinem Kopf ein richtiges Lied erklang, eine Symphonie mit mehreren Stimmen. Ich dachte, die Pumpe spricht mit mir, und lachte darüber. Aber es war so ernst, ich fühlte mich so hilflos, und die Pumpe sang weiter „ Abpumpen, mal versuchen, abpumpen, mal versuchen“ bis ich irgendwann sogar hörte „Ab-pumpen, Apfelkuchen, Ab-pumpen, Apfelkuchen“. Ich dachte, jetzt fang ich an zu spinnen. Die Milchpumpe redet mit mir, und ich kann nicht stillen.
Mein Kind schlief zum Glück die meiste Zeit, und war auch mit Fläschchennahrung glücklich. Ich dachte nur, ich schaff das alles nicht. Wie soll ich das schaffen? Ich kann doch nichts. Nicht mal Milch konnte ich produzieren! Das einfachste von der Welt! Es war alles ein Elend, ich wollte nur noch nach Hause. Um es endlich zu schaffen, dass Emma an der Brust trank, wurde ich auch grob von Schwestern „ausgestrichen“. Das ging so: ich schlief, bis zwei Schwestern ins Zimmer polterten und befahlen: „Hinsetzen, Nachthemd aus!“ Gesagt, getan. (So stelle ich mir ein Gefängnis vor.) Beide fingen nun an, an meinen Brüsten zu ziehen und zu zerren und murmelten sich etwas zu. „Na, das wird nichts. Das geht nicht“. Und zogen doller. Ich war in meinem Leben noch nie so schmerzhaft so gedemütigt worden. Emma wurde an meine Brust gedrückt, meine Brustwarze in ihren Mund gestopft. „Nun TRINK endlich!“ SCHRIE die eine Schwester Emma an. Emma-Lina war anderthalb Tage auf der Welt und wurde so behandelt! Und ich konnte nichts tun, weil ich Schiss hatte und feige war, und diesen Menschen ausgeliefert. Mit einem genervten „Hoah“ wandte sich die Schwester endlich ab. Ich heulte, mein Kind heulte. Andreas war nicht dabei, weil er kurz zur Arbeit musste.
Nach 4 Tagen und etlichen Horror-Abpumpversuchen hatte ich noch ein Gespräch mit der Oberschwester, die sich schließlich BEI MIR ausheulte, dass sie ja alle unter wahnsinnigem Druck stünden, und Ärger von den Kinderärzten kriegten, wenn die Mamis ohne zu stillen das Krankenhaus verließen. Das AK Barmbek ist nämlich weithin bekannt als „stillfreundliches Krankenhaus“! Juhu!
Zu Hause parkte ich die mitgebrachte Pumpe im Staub unter unserem Bett, Andreas kaufte HA1-Milchnahrung und Fläschchen, und ich hatte meinen Milcheinschuss. Da ich Emma nicht noch mal anlegte (worüber ich heute soo traurig bin), und auch nicht pumpte, bekam ich eine Brustentzündung. Ich legte mir nasse Waschlappen auf die schmerzenden Brüste und erzählte Andreas nichts. Ich hatte Fieber, und meine übernatürlich großen „Dinger“, die auch noch ausliefen, fand ich nur noch eklig. Nach einigen Tagen hatte sich alles an meinem Körper auf „nicht-stillen“ reguliert, ich rauchte wieder und trank Kaffee, und versuchte nun eine brave und tüchtige Fläschchen-Mami zu werden. Zum Glück schlief Emma den halben Tag und die ganze Nacht, aber zur Ruhe kam ich trotzdem nicht. Ständig machte ich mir Sorgen, sie könne aufhören zu atmen, und rief oft den Notarzt an, heulte bei der Zentrale ins Telefon, „Mein Kind stirbt! Sie atmet nicht! Schicken Sie jemanden!“ Es war dann ja immer nichts, und ich wurde vom Arzt komisch angeguckt. Ich hatte solche Angst, dass Emma an plötzlichem Kindstod stirbt, dass ich sie nicht „verdient“ habe, weil ich mich nicht so darüber freuen konnte, dass sie endlich da war.
Ich wurde launisch, hatte heftige Stimmungsschwankungen. An Depressionen dachte ich gar nicht, sagte mir selber immer „wieso, es läuft doch alles, du könntest ruhig ein bisschen dankbarer sein“. Dann fing ich nach 3 Monaten wieder an zu arbeiten, fett und aufgequollen wie ich war, völlig müde, kaputt von der Geburt, ich hatte ja immer noch Schmerzen (Rücken und Becken), und war noch überhaupt nicht soweit. Ich denke, DAS war meine Ausgangsposition. Deshalb verzeiht mir, dass ich so ausführlich geworden bin.
Als Emma 7 Monate alt war, bekam ich ein Angebot von einem größeren Sender –und nahm natürlich an. Ich wollte ja IMMER NOCH als Radiofrau Karriere machen, merkte ja überhaupt nicht, was für ein Quatsch das war. Ich machte also ein Praktikum beim NDR, heulte dort jeden Tag , weil ich mein Kind gar nicht alleine lassen wollte, dachte nur, alle halten mich für bescheuert, wenn ich diese Chance nicht nutze. Alle? Ja! Alle Kollegen! Keiner hatte Verständnis, wenn ich sagte: „oh ich bin so müde – Emma kriegt ihre Backenzähne!“ Dann wurde gelacht, und einer sagte: „Dann trink noch nen Kaffe!“ Aber diese Müdigkeit ging nicht weg. Ich trank Kaffee und Cola light ohne Ende (immer noch!), und wurde doch gar nicht wach.
Im November 06 trennten sich meine Eltern, mein niemals heiles, aber doch mein Elternhaus zerbrach, meine Mutter zog aus, setzte ein Zeichen ihrer Unabhängigkeit, und ließ sich trotzdem weiter auf meinen Vater ein, ich musste auch noch ihre Seelentrösterin spielen, wie schon mein Leben lang. Gleichzeitig absolvierte ich also schluchzend mein Praktikum, während mein Mann und ich ebenfalls im November unser Traumhaus, einen sanierungsbedürftigen Altbau kauften.
Ab Januar 07 arbeitete ich 3 Mal die Woche in Kiel, im März zogen wir um, ich organisierte mit meiner knatschigen Einjährigen den Umzug von HH nach Schleswig-Holstein fast alleine, packte 40 Kisten, organisierte den Sperrmüll, den Makler und die Nachmieter, während mein Mann mit Kollegen in 3 (!) Wochen das komplette Haus sanierte. Im Sommer wollte ich, statt Urlaub zu machen, allen beweisen, wie taff ich doch bin, und 3 Wochen durcharbeiten, um auch mal richtig „Kohle zu verdienen“, während mein Mann seinen Urlaub als Babysitter verbringen sollte.
Hölle. Das war’s dann. Habe einige Fehler im Umgang mit meiner Chefin gemacht, jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit geweint oder einen harten Klumpen im Magen gehabt, keine Sonne mehr gesehen, alles war grau, ich konnte nicht mehr lachen, und wollte wenigstens gegen einen Baum fahren, um im Krankenhaus meine Ruhe zu haben – und wenn ich dabei draufgehen sollte, wär es auch nicht schade drum. Ich kam morgens kaum hoch, MUSSTE aber ja zur Arbeit, weil ich es Andreas versprochen hatte. Schließlich flog ich hochkant raus, und kümmerte mich gar nicht mehr darum. Gleichzeitig dachte ich an dem Tag, dass ich schwanger wäre! Ein Fiasko! (war ich dann zum Glück nicht). Bin dann nach Hause und hab vor Erleichterung nur noch geheult, habe zu Andreas gesagt, ich arbeite nicht mehr.
Dann stürzte ich in eine richtige, mittlere bis schwere Depression, weil ich ihr endlich den Raum zugestand, den sie schon so lange einnahm. Ich konnte mich nicht mehr um Emma kümmern,(brachte sie fast jeden Tag zur Tagesmutter), konnte nicht einkaufen gehen, nicht duschen, nicht aufstehen. Ich war wie tot. Mit meiner letzten mir verbliebenen Willenskraft telefonierte ich einige Psychotherapeuten durch, und bekam bei einer ganz tollen durch „Zufall“ gleich einen Therapieplatz. Sogar noch in Hamburg-Winterhude, meiner ehemaligen geliebten Heimat.
Erst jetzt im Sommer fiel mir auf, was ich alles vermisse: mein altes Leben, meine Freunde, meine Freiheit, mein Hamburg, meine Arbeit, auch meine Heimatstadt Hannover. Was ich dafür im Tausch bekommen habe, ist meine Tochter. Manchmal hasse ich sie dafür und dann hasse ich mich, weil ich das denke, und so egoistisch bin. Ich tue ihr nie etwas, bin immer wahnsinnig lieb mit ihr, fast schon unnatürlich – aber ich schlage meinen Mann, beleidige ihn aufs gröbste, bin schon mit einem Teppichmesser auf ihn losgegangen, wecke ihn nachts und schreie ihn an („Ich hasse dich, ich hasse mein Leben, das hier bin ich nicht, du hast mein Leben zerstört!“). Ich bin echt kaputt.
Es tut mir gut, hier zu lesen, dass es anderen auch so geht, und so makaber es ist, ich bin dankbar dafür, dass ich nicht mehr alleine bin. Leider habe ich das „Schatten und Licht-Forum“ erst sehr spät gefunden (nämlich jetzt) und mich sonst die letzten 2, 5 Jahre an den Supermuttis von Seiten wie „schwanger-online“ und „Erziehung-online“ orientiert, die nie meckern oder maulen, sondern alles heroisch ertragen – denn, "hey – so ist das Leben – du bist eine Frau, also gewöhn dich daran, und ja, in meinem Kopf ist noch 1950!" Aber ich gewöhne mich nicht daran, denn ich bin ICH, ich bin kein Heimchen am Herd, und ich werde um MICH kämpfen! (das hätte ich schon viel früher tun sollen).
Ich hatte inzwischen 8 Probesitzungen bei meiner tollen Therapeutin, und wir haben jetzt eine Therapie beantragt, die hoffentlich bald losgeht. Ansonsten lehne ich ADs noch ab, und nehme Johanniskraut hochdosiert. Habe mit Mirtazapin ganz schlechte Erfahrungen gemacht, und nur eine genommen und nie wieder. Das war eher das „Hammer–auf-den-Kopf-und-Aus!“ Gefühl, und das geht nicht, wenn ich mit meiner Kleinen hier alleine bin.
Es tut mir leid, dass das hier ein endloser Roman geworden ist –aber so bin ich.
