Freizeit Revue 08/05

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

Moderator: Moderatoren

Antworten
Steffy

Freizeit Revue 08/05

Beitrag von Steffy »

Leider hat es nicht funktioniert, dass ich den Bericht als anhang bei Email anhaengen konnte. Deshalb habe ich den Bericht jetzt mal fuer jeden der ihn lesen moechte abgeschrieben. Fuer Fehler entschuldige ich mich jetzt schon ansonsten stand der bericht so im Heft.
Lg

Stefanie


Nach der Geburt meines Babys begann ich, das Leben und mich zu hassen…
Wie konnte sie bloss zu einer “Rabenmutter” werden? Sehr oft stellt sich die junge Frau noch heute diese Frage. Die Antwort ist einfach, das weiss sie jetzt. Doch haette das Unglueck die Familie zerstoert…

Meine kleine Julia liegt auf einer Decke neben mir und lacht. Sie streckt ihre Haendchen nach einem Sonnenstrahl aus, als wolle sie ihn fangen. Ihr vierjaehriger Bruder Matthias beugt sich versuchte ueber sie. Ich kann mich nicht satt sehen an diesem Bild. Meine beiden Kinder sind das groesste Glueck meines Lebens. Und das soll mal anders gewesen sein?
Ja, es begann nach Julias Geburt vor neun Monaten - unmittelbar nach meiner Heimkehr mit dem Neugeborenen. Ich war nicht in der Lage, Kinder und Haus zu versiegte. Eine bleierne Muedigkeit laehmte mich. Ich fiel in eine tiefe Depression, hasste das Leben, hasste mich selbst fuer mien Versagen.
Mein Mann Frank war Besorgt. “Erhol dich erst mal”, sagte er und nahm Urlaub. Er versiegte die Kinder und ich overarch mich in meinem Bett. Den ganzen Tag lang.
Er nahm mir alle Pflichten ab. Aber ich stuerzte immer tiefer in diesen Tunnel, der Verzweiflung hiess. Mich intersperse nicht der Haushalt, nicht die Waesche, die Kinder nicht und alles, was damit zusammenhing. Ich vernachlaessigte auch mich selbst. Ungekaemmt, ungewaschen, ungepflegt lag ich entweder im verdunkelten Schlafzimmer oder schlich wie ein grauer Schatten durch Haus.
Als Franks Urlaub zu Ende ging, sagte er aufmunternd zu mir: “Du schaffst das schon!” Na klar, er wollte emir mut machen. “Du musst nur deinen Rhythmus finden. Komm lass dich nicht haengen.”
Ich versprach ihm, mich zusammenzunehmen. Doch ich hatte mich ueberschaetzt. Nichts lief, wie es sollte. Ich brachte nichts zustande. Der Wille war da, jedenfalls zeitweise , doch er reichte einfach nicht aus.
Ich fing vieles an, brachte aber nichts zu Ende. Selbst das hungrig screened Baby riss mich nicht aus meiner Lethargie, und wenn Matthias etwas essen wollte, hatte ich nicht die Kraft, dem voellig verstoerten Jungen eine kleine Mahlzeit zuzubereiten.
Frank sah erst zu, dann verlor er immer oefter die Geduld. “Nimm dich endlich zusammen”, schrie er mich eines Tages entnervt an, als ich Julia stundenlang in schmutzigen Windeln hatte liegen lassen. Sie war wund bis auf die blutige haut und hatte sich heiser geschrien. “Was ist mit dir los? Warum benimmst du nicht wie eine normale Frau? Kuemmere dich um deine Kinder. Sie brauchen dich.”
“Ja” , sagte ich, “ja, ich kuemmere mich um sie. Ich will ja. Aber es ist so schwer. AB morgen wird alles Besser. Ich schwoere es. Ich werde es schaffen.”
Es war ein leeres Versprechen, eines das ich in meinem damaligen Zustand gar nicht halten konnte. Doch das beg riff ich erst spaeter, Jede Forderung verstaerkte meine Angst vor dem erneuten Versagen, und diese Angst verschlimmerte meinen Zustand.
Als Frank am Tag nach hause kam, um nach mir zu sehen, lag ich im Bett und hatte die Welt ausgeblendet. Draussen weinten und schrien beide Kinder, weil sie alleine waren und schrecklichen Hunger hatten. Matthias stuerzte sich in die Arme seines Vaters und schluchzte: “Papa, ich habe Angst!’
Frank beg riff endgueltig, dass er mich nicht mehr mit Julia und Matthias allein lassen konnte. Bisher hatte er mit keinem Menschen ueber meinen Zustand gesprochen. Wahrscheinlich schaemte er sich und wollte deshalb keine fremde Hilfe in Anspruch nehmen. Jetzt rief er meine Mutter an.
Sie kam sofort, war ausser sich vor Sorge um mich und die vernachlaessigten Kinder. Und sie machte Frank sogar noch Vorwuerfe, weil er sich nicht fuehrer gemaelde hatte.
Mutter versuchte lieb zu mir zu sein und Verstaendnis aufzubringen. Doch ich sah den Vorwurf in ihren Augen, als sie das Ausmass meines Versagens klar machte. “Du brauchst Hilfe”, sagte sie resolute. “Du bist krank.” Ich wollte ihr weismachen, dass ich von allein wieder auf die Beine kaeme. Doch sie liess sich nicht taeuschen. Und so stand eines Morgens mein Frauenarzt an meinem Bett.
Mutter hatte ihn gerufen und darauf bystander, dass er zu mir kam. Sie wollte dass er mich in meinem ganzen Elend erlebte. Mein Mann und Mama erzaehlten ihm alles , was seit Julias Geburt passiert war.
Der Doktor war nicht besonders Ueberrascht. Er Beruhige zuerst einmal meinen Mann, der mit Mutter schon darueber gesprochen hatte, dass man mich womoeglich in eine psychiatrische Klinik bringen muesse.
“Das ist sich nicht noetig.” , meinte mein Arzt, “aber ihre Frau leidet mit grosser Wahrscheinlichkeit an einer nachgeburtlichen Depression. Haeufig vergeht dieser Zustand von alleine wieder.”
Bei mir scheine er sich jedoch verfestigt zu haben, klaerte mein Gynaekologe meine verwirrten Angehoerigen auf. “Dieses biochemische Chaos im Kopf kann man aber mit Medikamenten heilen.”
Ich verstand nur ein wort: Psychopharmaka. “Die will ich nicht”. sagte ich. “ich habe schreckliche Dinge darueber gehoert. Sie sind unkalkulierbar!”
“Sei vernuenftig, Liebes”, beschworen mich mein Mann und meine Mutter. “Du willst doch wieder Freude am Leben haben und alleine fuer deine Familie sorgen koennnen.” Und der Arzt ergaenzte: “Bei rich tiger Dosierung gibt es keine Nebenwirkungen. Ich verspreche es ihnen.” Ich willigte ein.
Was dann geschah, ist fuer mich ein kleines Wunder: sobald ich die Medikamente nahm, besserte sich mein Zustand. Von Tag zu Tag fuehlten ich mich leichter , gewann meine alte Kraft zurueck und nahm wieder ma Leben teil.
Nach sechs Wochen war der spuk vorbei. Ich uebernahm den haushalt und die Kinder, Mutter reiste ab.
Heute geht es mir glaenzend. Ich lach mit meinen Kindern. Wir spielen zusammen und haben viel spass. Die beiden danken es mir mit Liebe und Froehlichkeit. Selbst Matthias, der am meisten gelitten hat, ist wieder ein guter Junge.
Mein Mann ist fuersorglich und sagt noch manchmal: “Mein armes Maedchen, es muss ja furchtbar fuer dich gewesen sein.”
Das war es wirklich. Manchmal denke ich an das tiefe, Schwarz Loch, in dem ich mantling sass. Aber es ist vorbei. Ich will nur noch eins: das Leben geniessen. Und meiner familie die Liebe und Geduld zurueckgeben, die sie fuer mich aufgebracht hat. Frank und die Kinder haben es verdient.
Benutzeravatar
Marika
power user
Beiträge: 10615
Registriert: 04:06:2005 16:05

Beitrag von Marika »

Liebe Stefanie,

vielen lieben Dank, für diesen Beitrag und die Mühe, ihn hier rein zu stellen!

Ich glaube, die meisten, erkennen in sich in dieser Geschichte zum größten Teil wieder. Mir ist es fast genau so ergangen.

Liebe Grüße
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Benutzeravatar
Uli W.
power user
Beiträge: 347
Registriert: 16:03:2005 9:34
Wohnort: Bayern (Fürstenfeldbruck)

PPD und Öffentlichkeit

Beitrag von Uli W. »

Liebe Stefanie,
ich möchte dir auch ganz herzlich danken, dass du uns den ganzen Bericht hier abgeschrieben hast.
Vielen von uns ging es so wie dieser Frau: Scham, Rückzug, Probleme mit dem Ehemann, manchmal kamen da auch noch eine inkompetente Hebamme dazu oder ein Gynäkologe/Hausarzt, der das Problem verharmloste (" das ist normal, das wird schon wieder").
"Schatten & Licht" versucht aus genau diesen Gründen, immer wieder an die Öffentlichkeit zu gehen, aufzuklären, zu informieren. Wie gut wäre es, wenn hierzulande ( wie in England) eine Nachsorge betrieben würde, die sich auch intensiv mit dem psychischen Zustand der Mütter befasst, wenn jeder Ehemann, jede Mutter oder Freundin Bescheid wüsste, dass es PPD gibt, wie sie sich äußert und dass sie heilbar ist.
Dazu wäre es auch nötig, dass Berichte wie dieser, die ein Einzelschicksal aufgreifen und jeden Leser betroffen machen, mit Hintergrundinformation "unterfüttert" werden: Mit Zahlen ( 50.000 - 70.000 Mütter leiden pro Jahr in Deutschland an PPD), mit Information zu Therapiemöglichkeiten ( die Tabletteneinnahme ist ja nur ein erster Schritt), mit Tipps für Angehörige ( damit Sätze wie "Reiß dich zusammen" endlich von niemandem mehr ausgesprochen werden) und mit der Adresse von "Schatten & LIcht".
Wenn wir alle ganz fest daran arbeiten und die Hoffnung nicht aufgeben sind wir hier in Deutschland vielleicht auch irgendwann soweit, dass keine Frau mehr die Hölle PPD allein und hilflos durchmachen muß, sondern sofort gute und liebevolle Hilfe bekommt und auch ohne Scheu mit jedem über ihren Zustand reden kann.
Mit diesem Ausblick auf einen Idealzustand schicke ich allen hier im Forum ganz liebe Grüße
Eure Uli
Steffy

Beitrag von Steffy »

Hallo zusammen!

War doch kein Problem. Habe ich gerne gemacht.

lg

Stefanie
Antworten