Schwangerschaftsdepressionen, atypische Depression

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Beatrice

Schwangerschaftsdepressionen, atypische Depression

Beitrag von Beatrice »

Hallo zusammen,

wollte mal eine Erfahrung loswerden:
Was mich WÄHREND der Schwangerschaft meiner Kleinen fertig gemacht hat, ist, dass man überall nur von der postpartalen Depression Infos findet. Es dreht sich dabei immer um die Zeit, wenn das Kind da ist und alles drum rum.
Ich konnte kaum was in Erfahrung bringen oder andere Betroffene finden (bzw. ehrlich gesagt KEINE), was Schwangerschafts-Depressionen betrifft.

Klar, angefangen hat wohl auch bei mir alles mit einer PPD nach der Geburt der Großen. Aber wiedergekommen ist es eben in der neuen Schwangerschaft. Bei der Großen habe ich mich nicht in Behandlung gegeben. Und während der Schsch mit der Kleinen bin ich fast verzweifelt, weil ich nichts darüber fand was ich habe. Dabei ist es anscheinend so, dass es sehr häufig vorkommt, dass Depressionen auch während der Schwangerschaft auftreten.

Es kamen da wohl einige Dinge zusammen in der 2. Schsch.
Eigene, noch nicht aufgearbeitete Probleme aus der Kindheit, Stress und Ärger in der Arbeit, eine nicht ganz einfache Schwangerschaft… Außerdem hatte ich dauernd Angst, es könne was schief gehen und ich mein Baby verlieren. Ich dachte oft „Jetzt, wo du so gerne ein Baby willst wirst du sicher bestraft für die Abtreibung damals…"
Schlimm war auch, dass ich die Schsch mit meinen beiden besten Freundinnen nicht teilen konnte. Die eine hat es nicht ertragen, mit mir engen Kontakt zu haben, geschweige denn über die Schsch zu sprechen, da sie selbst viele Jahre ungewollt kinderlos blieb. Die andere hatte innerhalb ihrer Familie einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften.
Insofern mach ich auch beiden keinen Vorwurf. Ich konnte sie ja verstehen. Trotzdem war es für mich schlimm, diese Zeit nicht mit den beiden teilen zu können.

Ein wichtiger Faktor ist natürlich, dass ich allgemein sehr stark auf Hormone reagiere. Ich nenne mich selbst Hormonpulverfass.
Da ich sowieso dazu neige, viel nachzudenken und auch dazu, immer sehr hohe Ansprüche an mich zu stellen führten die Hormone dazu, dies verstärkt zu tun. Mich in mein schwarzes Loch hinein zu denken…

Es hat mit Sicherheit auch eine rein biochemische Ursache. Mein Gehirnstoffwechsel war durch die Hormone noch mehr durcheinander gekommen.

So, auf jeden Fall war es für mich wirklich schwierig. Als in mir der Gedanke kam ich könnte eine Schsch Depression haben fand ich keine Infos, keine anderen Betroffenen, was alles noch schlimmer machte, weil ich eben keine Antworten fand, niemanden, der mich verstehen könnte oder Rat geben. Ich fühlte mich alleine, hilflos und "unnormal".

Dazu kam noch, dass ich auch die Symptome nicht „erfüllte“, die ich bei Definitionen von Depression fand.
Überall hieß es: Niedergeschlagenheit, man zieht sich in sich selbst zurück, redet kaum mehr, hat ne geknickte Körperhaltung, keinen Appetit mehr, redet leise oder gar nciht mehr etc.
Eben so, wie man sich einen sehr traurigen Menschen vorstellt.
Aber ich war anders: stets angespannt, reizbar, agressiv,bin explodiert, hab rumgeschrien… (klar, nach den Anfällen hatte ich wieder ein schlechtes Gewissen und habe viel geweint).
Ich hab mich aber auch nicht in der Wohnung verkrochen oder so. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil, ich hatte dauernd Gedanken „Das muss ich noch machen, und jenes….“. Dabei hab ich mich selbst überfordert.
Zu Ostern wollte ich für meine Eltern wieder einen Süßigkeiten-Teller machen (das ist so Tradition). Ich hab gar nicht mehr überblickt, was ich alles schon habe und bin mit meinem Einkaufswagen durch den Supermarkt geflitzt und hab letztendlich Zeugs für 100 Euro gekauft. :shock: Ich konnte mich einfach nicht mehr richtig konzentrieren denke ich vor lauter Aufgaben.

Was bei mir auch gar nicht zutraf ist Appetitlosigkeit. Im Gegenteil, ich war ständig am essen, bzw. fressen! Habe in der Schsch 30 Kilo zugelegt…

So kam ich lange nicht auf die Idee, dass es Depressionen sein könnten. Es machte mcih umso ratloser: Warum bin ich so? Warum bin ich so falsch und schlecht und tyrannisiere meine Familie?

Als ich dann in Behandlung war wurde mir klar, dass ich sehr wohl viele typische Symptome hatte: Schlaflosigkeit ab 3 Uhr morgens, ständige Kopfschmerzen, Überforderung etc.
Mein Psychiater erklärte mir dann auch, dass ich auf jeden Fall teilweise „atypisch“ bin… Er stellte auch fest, dass ich mich wohl nie „hängen lassen würde“ weil ich dafür zu verkrampft perfektionistisch bin. Erst müsste ich tot umfallen bevor ich es nach außen zeigen würde, dass ich überfordert bin.

Gerade aber das müsste mehr publik gemacht werden. Da bedarf es mehr Aufklärung. Eine Frau, die sich grad mitten in einer Episode befindet kann doch nicht so klar denken, selbst drauf zu kommen, dass man evtl „atypisch depressiv“ ist. Ich dachte immer „Nee, das und das hab ich nicht, also sind es keine Depressionen“. Ich hätte die Info finden müssen, dass Depressionen sich auch anders äußern können. Dann hätte ich mir die Krankheit eingestanden bevor es zum Zusammenbruch kam.

Und: meiner Meinung nach bedarf es unbedingt auch mehr Infos über Depressionen IN der Schsch. Durch die veränderte Hormonzusammensetzung kann es genauso auch schon vor der Niederkunft dazu kommen…

Entschuldigt, dass der Beitrag wieder so lang wurde. Es ist nur so, dass mir das ganze schon lange im Kopf umgeht. Ich würde so gerne Aufklärungsarbeit leisten. Aber weiß nicht wie und wo. Ich denke, es laufen da draußen nicht nur junge Mütter, sondern auch Schwangere rum, die krank sind und es nicht sehen können und keine Hilfe bekommen.
Wäre ich ein Promi, würde ich ein Buch schreiben. Aber von Lieschen Müller liest das ja keiner…


Liebe Grüße,
Beatrice
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