hilfe! mir geht es gerade gar nicht gut -wer kennt sowas

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

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Abend-am-Meer

hilfe! mir geht es gerade gar nicht gut -wer kennt sowas

Beitrag von Abend-am-Meer »

hallo liebe Forum-Mitglieder!

mir geht es gerade überhaupt nicht gut. fühle mich total schlimm.
hatte den Abend ne schlimme Phase, konnte seit dem Nachmittag immer weniger tun, bekam immer mehr Schwindel, Kopfweh... wollte meinem Mann dennoch ermöglichen, dass er endlich mal mit seinem Freund weggeht, damit er was schönes für sich macht und es ihm dann auch langsam besser gehen kann. als er am gehen war fing es an, dass ich reglos wurde und mich nicht mehr bewegen konnte, abwesend war. mein Mann ging dann zum Glück trotzdem. doch ich musste meine Kleine noch ins Bett bringen und ich schaffte es einfach nicht mich aufzuraffen. fühle mich wie die schlimmste Versagerin. als ich mich heulend wenigstens zum Handy aufraffen konnte rief ich in meiner Verzweiflung meinen Mann an, konnte allerdings kaum was sagen, nur dass er nicht kommen sollte sondern zu seinem Abend gehen soll (war noch auf dem Weg). Hoffte auf irgendeine andere Lösung, war selber aber nicht mehr fähig zu denken. Er kam dann doch, das war schon ganz schlimm. Trotzdem ging es mir dann gut in seinem Arm zu liegen.

Dann allerdings kam das allerschlimmste für mich. Er hatte seinem Freund (als Paar auch unsere Freunde) gesagt, dass ich gerade total am heulen wäre, einen Nervenzusammenbruch hätte, ich hätte eine Wochenbettdepression. Mehr nicht. Und das wo wir uns am Vortag noch darüber unterhalten haben, dass andere Leute sich unter Depression oft ganz schlimme, komische Sachen vorstellen, oft ablehnend reagieren und man bei anderen das Wort Depression an sich am besten zunächst erst gar nicht in den Mund nimmt, schon gar nicht ohne zu erklären, was das bedeutet bzw. die Umstände beschreiben kann und dann vielleicht das unter den Begriff ordnet. Dazu war klar, dass wir niemanden was erzählen. Jetzt hat er es einfach unseren Freunden gesagt. Aber auch nur von mir, nichts von sich -wie es ihm geht- (hat schließlich auch eine, und die kam bei ihm schon während meiner Schwangerschaft als es mir psychisch noch gut ging, so dass ich ihn versuchte zu unterstützen), keine Beschreibung wie es mir geht; nur dieses Wort. Und das ohne Absprache. Ich will mich nie wieder irgendwo sehen lassen, bei unseren Freunden schon gar nicht. Fühle mich wie nackig ausgezogen und mit Füßen getreten. Fühle mich veraten von dem Menschen dem ich am meisten vertraut habe. Möchte mich ihm auch nicht mehr zeigen, möchte dass er nichts mehr von mir weiß. Es hätte doch auch gelangt zu sagen, dass es mir ganz arg schlecht geht. Wenn er mit seinem Freund reden will, dann gerne. Aber dann richtig in Ruhe, wie es ihm geht, wie es mir geht ist vielleicht zusätzlich wichtig, da es zu seiner Situation hinzu kommt. Aber doch nicht einfach nur dieses Wort.

Weiß nicht wie es weiter gehen soll. Fühle mich als wäre mein Herz zerbrochen oder eher gesprengt.

Weiß gar nicht ob ihr überhaupt noch durchblickt. Kennt jemand solch eine Sitation? Freue mich was von euch zu hören.

Sorry, das es so lange geworden ist.

Liebe Grüße,

Abend-am-Meer
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Marika
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Beitrag von Marika »

Hallo meine Lieben!

Ja, ich kann dich gut verstehen. Du hast das so treffend ausgedrückt: Du fühlst dich im Moment "wie nackig ausgezogen und mit Füßen getreten". Ich glaube, ich hätte mich damals, als ich noch total in der Depression steckte, genau gleich gefühlt wie du jetzt. Ich wollte am Anfang auch unter keinen Umständen, dass jemand was erfährt - schon gar nicht dieses Wort "Depression" sollte genannt werden.

Süße, ich weiß du siehst das im Moment als "Verrat" an, aber dennoch ist es keiner. Ich glaube, dass dein Mann so gehandelt hat, wie viele Männer: Das "Problem" klar beim Namen genannt, aus Hilflosigkeit, Angst usw. nur dass die Männer genau das nicht dazu sagen. Er wollte dich bestimmt nicht bloßstellen - und hat er auch nicht wirklich, in meinen Augen. Klar - ihr habt was anderes abgemacht, ich denke aber wirklich, er hat es einfach auch aus eigener Hilflosigkeit so krass jetzt rüber gebracht. Im übrigen bist du deswegen nicht bloßgestellt, denn NIEMAND der eine psych. Erkrankung hat, muss oder soll sich dafür schämen!!!! Ich weiß schon - leider läßt einen die Gesellschaft oft noch was anderes fühlen - trotzdem gibt es keinen Grund warum man diese Krankheit verheimlichen sollte. Natürlich verstehe ich komplett, warum du einfach (noch) nicht darüber reden wolltest, ich habe das ja am Anfang auch nicht gewollt und es wäre bestimmt anders und einfühlsamer gegangen - aber wie gesagt, dein Mann hat es sicher aus eigener Verzweiflung und Angst um dich getan.

Es ist nun raus - und ich finde das sogar gut - obwohl wie gesagt ich deine Gefühle und Enttäuschung total nach voll ziehen kann. Aber du hast nun dadurch auch weniger Druck - hast du schon mal daran gedacht? Du mußt niemandem mehr etwas "vorspielen" oder dich bemühen, "es" niemanden merken zu lassen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das offene Umgehen mit der Erkrankung mir sehr viel beim Heilungsprozess geholfen hat. Mit der Zeit habe ich gelernt, zu meiner Erkranung zu stehen - das hat mir ganz viel Anteilnahme bzw. ehrliches Interesse an dieser Erkrankung, aber auch Hilfsangebote und tolle Gespräche mit Menschen ermölicht, von denen ich es nie angenommen hätte. Du siehst - dieses "Outing" wie es bei dir jetzt (halt etwas radikal) statt gefunden hat, kann ganz viel positives mit sich bringen.

Bitte sprich mit deinem Mann, sag ihm ruhig, dass du ich verraten fühlst und frag nach, WARUM er eure Abmachung gebrochen hat. Versuch es in einem ruhigen Gespräch, damit er sich öffnet und seine Gründe nennen kann. Du schreibst, dass es ihm selber nicht gut geht/ging, das ist bestimmt auch noch ein Grund, warum er jetzt doch alles raus gelassen hat. Klar, wäre es mit einfühlsameren Worten gegangen, aber Männer sind oft so, dass sie die Dinge klar beim Namen nennen. Wende dich nicht ab von ihm, such das Gespräch und bedenke, dass sich dir jetzt - da alles raus ist - ganz neue Wege eröffnen können.

Ganz liebe Grüße von
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
mici

Beitrag von mici »

Hallo Abend-am-Meer,

ich muss Marika recht geben: Das Outing hat bei mir auch maßgeblich zum Heilungsprozess beigetragen und eine weiter Erfahrung, die ich in diesem Zusammenhang gemacht habe ist, dass ganz viele Menschen schon mit Depressionen zu tun hatten, auch solche, von denen man dies nie erwartet hätte! Wer sagt Dir, dass die Freunde, denen gegenüber sich Dein Mann so geäußert hat, nicht selber schon mal in der Krise gesteckt haben und jetzt vielleicht ganz froh sind, auch diese ernsthafte Seite an Euch / Eurer Beziehung kennenzulernen?!
Ich bin mir auf jeden Fall ganz sicher, nach allem, was ich hier schon von Euch gelesen habe, dass Dein Mann Dich auf keinen Fall bloßstellen WOLLTE! Ich bin sicher, dass er in der akuten Situation, als Du am Telefon warst, einfach in Erklärungsnot war und nicht wusste, wie er Euren Freunden so plötzlich klarmachen konnte, dass er unbedingt wieder nach Hause zu Dir muss. Vielleicht hat er den Begriff "Wochenbettdepression" auch bewusst gewählt, um keinen Zweifel zu lassen, dass er zu Dir zurück muss. Das ist ja auch irgendwie verständlich, denn Euren Freunden gegenüber wäre es doch sehr komisch vorgekommen, wenn er einfach nur gesagt hätte, dass es Dir gerade nicht so gut geht. Außerdem kann ich mir sehr gut vorstellen, dass ihm der Begriff einfach ´rausgerutscht ist in einem kurzen Moment der Überforderung. Schließlich schreibst Du, dass es ihm bereits seit Deiner SS schlecht geht, vielleicht schwinden gerade auch ein bisschen seine Durchhaltungskräfte. Insbesondere dieses Geheimhalten einer PPD kostet ja auch wahnsinnig Anstrengungen, ich fände es eigentlich ganz legitim, wenn es ihn in einem Moment der Schwäche überkommen hat und er einfach mal "ausgeplaudert" hat, was bei Euch los ist.

Sprecht miteinander, ich bin ganz sicher, dass er Dich nicht mit Füßen treten wollte!!

Herzlichst,

MICI
Abend-am-Meer

Beitrag von Abend-am-Meer »

Hallo ihr Lieben!

ganz herzlichen Dank für eure lieben, anteilnehmenden, klaren und auch hilfreichen Worte. Habe mit meinem Mann geredet, zumindest immer soviel wie es meine jetzt natürlich hammerstarke Migräne zulässt und ich mich konzentrieren kann.

Es tut natürlich immer noch sehr stark weh und ich weiß noch nicht so recht wie es weitergeht. Aber lass jetzt mal langsam alles auf mich zukommen, allerdings mit größtem Respekt und teilweise auch auf Grund dessen, dass mir zu was anderem die Energie fehlt.

Meinem Mann habe ich vorgelesen, was ihr geschrieben habt. In Tränen aufgelöst meinte er, das sei genau der Punkt. Vielen Dank euch!

Er hat inzwischen nochmal seinen Freund angerufen und grob erzählt wie es mir so geht und auch wie es ihm geht. Der Freund hat vollstes Verständnis und bewundert seine Stärke, wie er das alles noch so schafft. Auch seine Frau (unsere Freundin) hatte wohl immer wieder depressive Phasen in denen es wohl ähnlich wenn nicht noch schlimmer zugegangen sein musste. Ganz wichtig war für mich, dass unsere Freunde es für sich behalten. Sonst würde ich mich nie im Leben auf die kirchliche Hochzeit von ihnen Anfang August trauen.

Ob ich jetzt mich freier fühlen kann, bin ich noch nicht so sicher. Denke im Moment, dass ich mich erst recht anstrengen muss zu zeigen, dass ich wegen meiner Situation jetzt nicht ganz verrückt bin, sondern auch ganz normal sein kann. Für mich war es erst mal schon sehr viel mich bei der Babyambulanz, dem Hilfsprojekt, meiner Hebamme, einer weiteren Vermittlerin und meiner Ärztin zu outen. Dazu habe ich meiner Mutter und meinen Schwiegereltern in groben Zügen was erzählt und ich traue mich auch, wenn jemand fragt wie es geht, zu sagen, dass es mir nicht gut geht. Das ist erst mal schon viel für mich, war eigentlich noch überhaupt nicht so weit.

Nu ja, jetzt abwarten was kommt.

Liebe Grüße,

Abend-am-Meer
mici

Beitrag von mici »

Hallo Abend-am-Meer,

es freut mich ganz doll zu hören, dass sich Deine Probleme von heute Nacht um 4 :o schon wieder ein Stück beruhigt haben. Das offene Gespräch mit dem Partner bringt doch in der Regel Klarheit, wie schön!

Ich hab das irgendwie geahnt, dass Eure Freunde sich jetzt ihrerseits "outen" und von einer Krise zu berichten wissen. Irgendwie ist es doch schon ein bisschen so, dass man sich Freunde sucht, die nicht völlig vom anderen Stern sind und die nur "just for fun" leben und dementsprechend oberflächlich sind. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich eigentlich darauf verlassen kann, dass diejenigen, die man für seine Freunde hält, selber auch schon durch Krisen gegangen sind, sonst wär man wahrscheinlich nicht mehr befreundet.

Auch, wenn Du es vielleicht noch nicht spürst, am Ende dieser Krise wirst Du wieder ein Stück gereift sein, Du wirst neue Möglichkeiten in Dir spüren, den Problemen Deines Alltags weniger Gewicht zu verleihen, Du wirst manche Dinge neu beleuchten können und ihnen einen anderen Stellenwert beimessen und dies alles wird letztlich dazu beitragen, dass Du das Leben authentischer und intensiver genießen kannst. Und dies wiederum wird sich auch auf Deine Mitmenschen auswirken, die diese doch sehr positive Veränderung an Dir schätzen werden, so wie Du auch ähnliche Aspekte bei Deinen Freunden zu schätzen weißt. Dessen bin ich mir ganz sicher!

Einen geruhsamen Sonntag wünscht,

MICI
Dobby

Beitrag von Dobby »

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Zuletzt geändert von Dobby am 04:05:2010 0:14, insgesamt 1-mal geändert.
AmoebeMS

Beitrag von AmoebeMS »

Hallo Abend-am-Meer,

also ich muss zugeben, dass ich deinen Mann klasse finde!!! Er ist auch nur ein Mensch mit Gefühlen und hat vielleicht in der einen Situation nicht ganz richtig gehandelt, wie du es dir vielleicht gewünscht hättest, aber letztendlich kam dabei auch etwas Gutes heraus, oder? Deine Freunde wissen bescheid und… was noch viel wichtiger ist,… sie sind weiter Eure Freunde und können ES sogar nachvollziehen und mitreden! Mici hat meine Meinung darüber schon sehr gut ausgedrückt. Hast du ihm wirklich die Antworten vorgelesen und er weinte?! Mensch ist mir dein Ehemann sympathisch. Halte den ja ganz fest.

Ich möchte weniger auf die PPD eingehen und ihre Symptome und die echt sauschwere Zeit, die man als Betroffene durchmachen muss. Das ist mir alles ganz bewusst. Ganz wichtig finde ich in dieser Zeit aber trotzdem auch, dass man NIE vergessen sollte, was auch die Partner durchmachen (manche mehr, manche weniger (leider)). Wie manche auch selbstlos zurückstecken und uns unterstützen. Abend-am-Meer, du hast keinen Grund dich für irgendetwas zu schämen. Wirklich nicht!!! Sage dir das immer wieder. Du kannst wirklich weiterhin erhobenen Hauptes durch die Welt gehen. Du hast ein tolles Kind, du hast einen tollen Mann, du besorgst dir jetzt schön die HH, die dich zudem für einige Zeit unterstützen kann und dir den Rücken etwas freihält, damit du dich weiter stärken kannst und dich auch mal um dich selbst kümmerst, was ich SEHR wichtig finde.

Letztens habe ich mir erlaubt ein nicht so nettes Gespräch mit einem Bekannten so zu beenden: ich fragte ihn, ob er zwei Kleinkinder hätte? Ich fragte ihn, ob er Angst- und Panikattacken kennt? Ich fragte ihn, ob er sich schon mal im Bad eingeschlossen hätte? Notfallambulanz wegen Atemnot? Therapie und Medikamente? Und so weiter. Seine Augen wurden größer und größer und er wurde still und stiller und dieses jämmerliche Klagen und diese Arroganz über Stunden seinerseits verschwand plötzlich, das Gespräch war endlich (!) beendet. Du glaubst gar nicht, wie groß ich mich plötzlich fühlte mit meinen 1,64 m. Mein Mann lachte sich den Abend über halb tot. Wie gesagt: keine Scham und keine falsche Scheu. Mit solchen Erfahrungen wachsen wir nämlich. Glaube es mir.

LG AmoebeMS
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