Sollte ich AD's nehmen?

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Nachtschatten

Sollte ich AD's nehmen?

Beitrag von Nachtschatten »

Hallo zusammen,

grad mal vorgestellt und schon die erste Frage :-)

Ich bin seit zwei Tagen am grübeln, ob ich mir AD's verschreiben lassen soll. Von Marika weiß ich bereits, an dieser Stelle ganz lieben Dank für die Info, dass AD's nicht abhängig machen. Das war irgendwie meine größte Sorge.

Aber was bewirken sie genau? Also ich habe einfach Angst, dass ich nicht mehr die sein werde die ich bin. Also naja, eigentlich will ich ja auch gar nicht die sein die ich gerade bin *wirrwarr*. Ach, wie soll das bloß erklären *grübel*. Also irgendwie mache ich mir Sorgen, dass die AD's Seiten in mir zum Vorschein bringen, die gar nicht meine eigenen sind, dass ich damit zu einem anderen Menschen werde der gar nicht wirklich ich ist. Oder werde ich damit etwas wieder wie früher, also vor der Geburt?

Hm, ich hoffe ihr könnt in etwa deuten was ich damit meine :roll:

Liebe Grüße,
Nachtschatten
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Marika
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Beitrag von Marika »

Hallo meine Liebe,

schön, dass du nun bei uns bist.

Ein AD reguliert deine Botenstoffe im Gehirn so wie sie bei einem gesunden Menschen sein sollten. Bei Depressionen und/oder Zwängen liegt meist ein Mangel an diesen vor - meist ist das Serotonin betroffen. Es ist in zu geringer Konzentration vorhanden und somit kommt es quasi zu "Fehlschaltungen" im Gehirn und Missempfindungen wie Ängsten, Panik und Zwängen usw. ohne ersichtlichen Grund.

Die Botenstoffe im Gehirn haben eine ganz wichtige und Entscheidende Aufgabe: Sie transportieren alles was du hörst, siehst, riechst, schmeckst, fühlst usw. von einer Gehirnzelle zur nächsten, damit die Infos schlussendlich im richtigen Gehirnareal ankommen. Die Botenstoffe befinden sich in den so genannten "Synapsen" - das sind die Schaltstellen zwischen den einzelnen Gehirnzellen.

Botenstoffe sind:
Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin usw....

Ist eines oder mehrer von einem Mangel betroffen kommte es zu psych. Beschwerden. Das kann z.B. durch den Hormonsturz nach der Geburt passieren, oder durch andere massive Lebensveränderungen. Da können plötzlich ein oder mehrer Botenstoffe zu schnell verstoffwechselt werden und schon entsteht ein Mangel und eine Depression. Das AD greift nun genau dort ein: Es verhindert, dass die vorhanden Botenstoffe zu schnell in den Blutkreislauf verschwinden und bewirkt somit, dass sie ihre Arbeit tun können. Sie verbleiben somit länger in den Synapsen. Und da der Körper ständig neue Botenstoffe produziert, steigt langsam auch die Zahl der Botenstoffe wieder und eine normale Verstoffwechselung kann beginnen! Somit wird durch die Gabe eines AD´s schlußendlich die Depression, Zwänge usw. langsam aber sicher behoben.

Du siehst dass da keine fremden Eigenschaften auftauchen können, oder? :wink: Es stellt einfach den normalen, gesunden Zustand der Gehirnchemie wieder her. Wichtig ist natürlich, dass du das richtige AD bekommst, das erkennt der Arzt an Hand deiner Symptome. Für jeden Botenstoff gibts ein anderes AD und jeder Botenstoffmangel macht andere Symptome. Bei Zwängen ist es zu 99 % das Serotonin, das vom Mangel betroffen ist, daher würdest du ein SSRI - sprich ein "Serotonin Wiederaufnahme hemmendes AD" brauchen. Diese AD´s bringen bei Zwängen nachweislich die beste Wirkung.

Sehr wirksam ist natürlich auch eine Therapie, aber das machst du ja bereits - sehr gut!!!!

Wenn du noch Fragen hast, dann nur zu!
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
heute völlig beschwerdefrei mit 10 mg Cipralex
Nachtschatten

Beitrag von Nachtschatten »

Oh, ganz ganz lieben Dank für deine ausführliche Antwort :D

Das werde ich auch gleich mal meinen Freund lesen lassen. Er steht der Sache ehr skeptisch gegenüber.

Wie lange muss man die denn nehmen und wann setzt eine Wirkung ein? Okay, ist wohl immer individuell zu sehen denke ich. Aber gibt es da vllt. ne Faustregel?
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Marika
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Beitrag von Marika »

Hallo,

mach ich gerne:

Die Wirkung setzt nach ca. 2-4 Wochen ein, solange braucht das AD bzw. die Botenstoffe um wieder in einigermassen guter Anzahl vorhanden zu sein. Danach sollte man schauen, eine STABILITÄT ZU ERREICHEN - die ist dann gegeben, wenn man keine Symptome und keine schlechte Phasen mehr hat. Das kann unterschiedlich lange dauern und ist abhänging von der Schwere der Erkrankung. Es wird also nicht so sein, dass nach ein paar Tagen alles gut ist, es wird in der ersten Zeit noch ein Auf und Ab sein, weil sich der Körper und natürlich die Gehirnchemie wieder neu sortieren müssen.

Wenn man dann mit der richtigen Dosis 6 Monate lange stabil war - besser noch 1 ganzes Jahr - ist frühestens an ein Reduzieren bzw. LANGSAMES Absetzen des Medikamentes zu denken. Das deshalb, um einen Rückfall so gering wie möglich zu halten. Diese Daten sind Empfehlungen der WHO und geht aus Studien hervor.

Weiter ist gut zu wissen, dass am Anfang oft Nebenwirkungen vor kommen können: Übelkeit, mehr Ängste, mehr Unruhe oder mehr ZG. DAS IST ABER VÖLLIG NORMAL und legt sich nach ca. 2-4 Wochen wieder. Danach kann das AD seine positive richtige Wirkung entfalten.

Der Grund, warum viele immer noch denken, AD´s machen abhänging ist der, weil es viele Menschen gibt, die ohne AD nicht leben können. Ich gehöre dazu. Meine Depressin ist chronisch geworden, bedeutet - sie kommt ohne Unterstützung des AD´s immer wieder. Mein Serotonin kann sich seit der Geburt nicht mehr selber regulieren und saust ohne AD immer wieder in den Keller - Ergebniss: Depression. Daher bin ich mein ganzes Leben lang auf dieses Medikament angewiesen, um ganz normal und gesund leben zu können. Ähnlich wie wenn jemand Blutdrucktabletten braucht, oder Diabetiker, deren Körper kein Inuslin produziert - die müssen sich ihr Insulin ein Leben lang zuführen. Mein Körper produziert zu wenig Serotonin (eine Laune der Natur... :wink: ) und daher muss ich von außen den Stoff zuführen, der berwirkt, dass ich genügend davon habe. Leider gibts noch nix, wo die reinen Botenstoffe drinnen sind.... :wink: aber vielleicht in 100 Jahren - wer weiß, was die Forschung noch alles raus findet!!!

Rede ruhig auch mit deinem behandelnden Arzt darüber, am besten mit deinem Freund, damit er seine Bedenken abbauen kann. Ich hatte früher genau die selben Vorurteile - bis ich selber erkrankt bin, da MUSSTE ich mich informieren und habe gemerkt, dass ein AD ein absoluter Segen ist - ich kann damit gesund und glücklich leben!!!! :D
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
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Nachtschatten

Beitrag von Nachtschatten »

Ich werde das auf jeden Fall nächste Woche mit meiner Therapeutin besprechen. :-)

Hm, kann eine Geburt die Serotonin bildenen Organe denn so "schocken", dass dann für den Rest des Lebens damit Schluß ist?! :shock:
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Marika
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Beitrag von Marika »

Hallo,

der mit der Geburt verbundene HORMONSTURZ kann tatsächlich eine Art "irreparablen Schaden" in der Botenstoffentwicklung bewirken. Aber das heißt jetzt überhaupt nicht, dass das bei dir so ist. Es gibt genug Frauen hier, die eine Weile ein AD genommen haben und Therapie gemacht haben und heute wieder ohne AD gesund sind. Ich hab halt leider Pech gehabt... :roll:

Das Wechselspiel von allen Hormonen und Botenstoffen im Körper ist ein sehr kompliziertes und ausgeklügeltes System, dass sich gegenseitig positiv, wie auch negativ beeinflussen kann. Um nach einer PPD wieder gesund zu werden, ist es das UM und AUF, STABIL zu werden - viele brauchen dazu ein AD. Daher auch mein Rat, das ganze mal mit Arzt und auch Partner durch zu denken.

AD´s sind keine süchtig machenden, Persönlichkeitsverändernden teuflische Tabletten.... :lol: , gäbe es sie nicht, wäre ich schwer krank mit null Lebensqualität. Daher bin ich unendlich dankbar, dass der Mensch Forschergeist besitzt und diese Medikamente entwickeln konnte. :idea:
Liebe Grüße von
Marika

Diagnose:
schwere PPD 2005
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Nachtschatten

Beitrag von Nachtschatten »

Hallo Marika,

das tut mir so leid, dass du jetzt dein ganzes Leben an den AD's "hängst". Aber Hautpsache ist ja, dass das Mittel der Wahl gefunden wurde und es dir gut geht! :D

Ja, der Körper ist schon echt ne komplexe Sache. Vor zehn Jahren hatte ich nen Bandscheibenvorfall. Aber nicht, weil ich was gehoben hatte oder so. Nein, aus psychischen Gründen (mobbing durch Chef und extreme Arbeitszeiten über Monate). Immer, wenn es mir besonders schlecht geht, dann merke ich auch wieder diese fiesen Schmerzen.

Heute Morgen um vier hatte ich (mal wieder) einen leichten Anflug von Migräneschmerzen. Da ich aber davon wach wurde konnte ich schnell ne Tablette nehmen. Ich finde eh, dass mein Schmerzempfinden nach der Geburt echt heftig geworden ist. Bei jedem Pieks fange ich an zu quiken. Mir tut wirklich die geringst Kleinigkeit weh. Hängt das evt. auch mit dem Serotonin zusammen?

Liebe Grüße,
Nachtschatten
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