Objektivität/Subjektivität.Was denke ich? Was davon bin ich?

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

Moderator: Moderatoren

Antworten
Lotte20

Objektivität/Subjektivität.Was denke ich? Was davon bin ich?

Beitrag von Lotte20 »

Kennt ihr das auch, dass ihr objektivität (soweit es die gibt) und subjektivität nicht differenzieren könnt?

also ich denke automatisch (ohne es zu wollen) ,,wie kommt das und das wohl nach außen hin rüber?"
ich reflektiere so gut wie jede handlung und verhalten mich so, dass ich denke, es sei "gesellschaftlich" okay.
wenn es nicht der fall ist, bekomme ich zumin. ein bisschen nen schlechtes gewissen.

das komische ist ja, dass man nie sagen kann : 90% finde DIESE handlung richtig.
klar gibt es dinge (nicht töten/klauen/lügen) die ganz klar nicht richtig sind..
aber bei kleinigkeiten (die jeder anders regelt) gibt es das nun mal nicht.


wenn ich zb rede, formuliere ich es meistens so, dass ich glaube : so hält mich keiner für dumm.
das heißt nicht, dass ich sätze künstlich klingen lasse aber ich achte meistens schon drauf, dass ich dinge nicht "platt" formuliere.
es könnte ja einer zuhören und mich beurteilen!!!! (nur wer??).


wenn ich mich mit meinem freund streite (was momentan oft der fall ist) kann ich seine argumente genauso wie meine verstehen... ich bin mittendrin, finde NICHTS wirklich richtig und nichts richtig falsch.

nur ich muss mich ja für eine option entscheiden, damit ich urteilen kann.. und nicht andauernd sage ,,ich verstehe alles, keine ahnung was meine meinung ist"

zb habe ich mir nach deer geburt unseres sohnes gesagt ,,niemals werde ich irgendein erziehungsratgeber oder so lesen"
und was habe ich getan? ... zumin. ein bisschen davon.
wenn ich mich mit meinem freund streite, fällt mir oft auf wie lächerlich das ist ... wenn ich zb merke, dass er wen hübscher finden könnte, finde ich das superschlimm und würde am liebsten fragen ,,findest du die hübscher?" :roll: bescheuert ich weiß.

hört sich vllt etwas melodramatisch an aber ich frage mich langsam ernsthast : wer/was bin ich bzw was ist meine meinung? was denke ich und bin überzeugt davon?
was finde ICH richtig?

nach außen hin komme ich meistens offen und lustig rüber... und ich bin auch gerne der seelentröster.. aaaaber ganz oft frage ich mich : denkst DU das jetzt wirklich so oder glaubst du, dass man es SO sehen/denken SOLLTE?

ich weiß es (meistens) nicht!!!!



liebe grüße :roll:
Ylaina

Beitrag von Ylaina »

Liebe Lotte,

ich kenne das auch, ganz klar. Deshalb erstmal meine Frage, sorry, wenn ich es nicht weiß grad: machst Du eine Therapie?
Weil meine Therapie mache ich unter anderem 'deshalb'. Es geht darum meinen Weg zu finden. Wie oft weiß ich auch nicht, was ich eigentlich will. Das kann ganz krank machen.
Ich bin auch eine Anpassungsmeisterin, darin macht mir so schnell keiner was vor. Und theoretisch kann ich meine Meinung schon vertreten, kann diskutieren, kann alle und jeden verstehen. Aber wenn es um meine bedürfnisse und Gefühle geht weiß ich auch oft nicht, wie ich sie deutlich machen soll. Weil, vielleicht hab ich kein Recht dazu, vielleicht muss ich es anders sehen. Ich versuche immer so vernünftig zu sein wie es geht. Das tut mir aber nicht immer gut, gar nicht.

Ich versuche es zur Zeit rauszufinden. Theoretisch weiß ich, es gibt gar keine objektive Wahrheit, aber ich suche trotzdem immer danach. Jetzt versuche ich mehr und mehr MEINE Wahrheit rauszufinden. Und das gerade auch in der Therapie. Dort ganz besonders, und habe das Gefühl es hilft mir auch sehr. Versuche mir Zeit zu geben, mich fühlen zu lassen. Ich glaube da liegt der Schlüssel drin zu wissen, was 'gut' ist, was wahr.

Könnte stundenlang, seitenlang zu dem Thema was sagen, bestimmt. Können uns gerne weiter drüber austauschen, sehr gerne.
Aber jetzt muss ich mich wieder dem Alltag widmen und bald arbeiten gehen.


Liebe Grüße
Verena

P.S.: Und ich kenne das auch aus Streits mit meinem Mann. Ich meine immer uns beide zu verstehen und ärgere mich krank, dass mein Mann es scheinbar nicht tut. Ganz so stimmt es aber nicht, stelle ich im Nachinein macnhmal fest. Erstens versteht er mich auch, zweitens verstehe ich ihn manchmal nicht, sondern interpretier auch ihn was rein. Aber auch das hab ich noch nicht ganz zu Ende 'analysiert', aber ich kenn das Gefühl und mag es gar nicht. :wink:
mici

Beitrag von mici »

Guten Abend, Lotte,


ich kann Deine Schwierigkeiten in dieser Hinsicht sehr gut nachvollziehen.
Lass mich raten - ich habe jetzt Deine Vorstellung nicht gelesen und auch sonst Deine Beiträge gerade nicht parat (Verzeihung): Du bist Anfang 20?! Hast gerade eine Ausbildung angefangen oder abgeschlossen und stehst an einem Neubeginn? Du hast ein Kind bekommen, und fragst Dich permanent, ob Du alles richtig machst?
Ich kenne solche Phasen nur zu gut - ich habe quasi die ganzen 20er so verbracht, bis ich mich endlich nach langen Therapiejahren und so etwas wie "Selbstfindung" von diesem Zögern und Zaudern distanzieren konnte.
Du schreibst doch sehr viel Wahres: Es gibt keine objektiv richtige Wahrheit, eine, die für alle gilt. Die ethischen Maximen, die Du beispielhaft heranführst sind welche, auf die wir uns hier in der "westlichen" Welt geeinigt haben. Auch sie gelten nicht überall und immer. Insofern ist natürlich eine erste Orientierung bei der Frage, was richtig und was falsch ist, unser Kulturkreis, unsere Erziehung, unser Gewordensein. Es werden uns viele Werte vermittelt auf dem Weg zum Erwachsenwerden, dem einen mehr und dem anderen weniger, und sie können als Orientierungshilfe dienen, wenn sie fest genug in uns verankert sind. Das enthebt uns nicht der Pflicht, unsere Werte immer wieder neu auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Manche Werte schmeißen wir im Laufe der Zeit über Bord, andere nehmen wir in unseren Beurteilungs- und Handlungsspielraum neu hinzu, vielleicht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn wir durch bestimmte Erfahrungen mit neuen Grenzfällen der aktuellen Moralbegründungen konfrontiert werden.
Nicht lügen, z.B. ist so eine Sache. Wo ist da die Grenze? Gibt es auch Halbwahrheiten? Ist es das gleiche, nicht zu lügen oder nur nicht die ganze Wahrheit zu erzählen? Kann es eigentlich EINE Wahrheit geben, wenn jemand von sich spricht, oder ist es nur eine subjektive Wahrheit über einen individuell erlebten Sachverhalt? Jemand, der die gleiche Geschichte erlebt hat, würde sie vermutlich ganz anders erzählen; lügt er dann?
Lotte20 hat geschrieben: wenn ich mich mit meinem freund streite (was momentan oft der fall ist) kann ich seine argumente genauso wie meine verstehen... ich bin mittendrin, finde NICHTS wirklich richtig und nichts richtig falsch.

nur ich muss mich ja für eine option entscheiden, damit ich urteilen kann.. und nicht andauernd sage ,,ich verstehe alles, keine ahnung was meine meinung ist"
Warum kannst Du nicht annehme, dass es genauso ist, wie es Dir erscheint, nämlich dass sowohl die Argumente Deine Freundes, als auch Deine eigenen richtig sind. So was gibt es doch. Alles andere wäre Schwarz-Weiß-Denken und somit viel zu einfach. Doch ich kann Dein Bedürfnis verstehen, klarer sehen und fühlen zu wollen, was richtig ist. Dies kann keiner für Dich übernehmen. Gerade nachdenkliche Menschen haben oft das Problem, dass sie die scheinbar „einfachen“ Dinge nicht mehr „einfach“ beurteilen können. Anders strukturierte Menschen sind sich ihrer Sache dagegen immer sehr schnell sehr klar und kommen somit auch viel einfacher und bequemer durchs Leben. Jedenfalls in diesem Punkt.

Wenn Du der Prämisse zustimmst, dass es in fast keinem Sachzusammenhang eine einzige objektiv richtige Wahrheit gibt, dann gilt auch die Schlussfolgerung, dass Unentschiedenheit, Zögern, Zaudern und Abwägen obligatorisch zum Denken, Fühlen und Leben dazugehört.
Denn nichts von dem, was Dein Freund in einer Diskussion an Argumenten vorbringt ist ausschließlich richtig. Das gleiche gilt für Dich. Daraus kann doch nur eine Unentschiedenheit resultieren; die macht für mich übrigens auch deutlich, dass Du sehr empathisch bist.

Ich hoffe ich habe Dich jetzt nicht zu sehr verwirrt. Dein Thema hat mich jahrelang beschäftigt. Ich habe mich immer sehr danach gesehnt, einen eindeutigen Weg vorgezeichnet zu bekommen, der mir diktiert, was richtig und was falsch ist, der mir Antworten auf die Fragen gibt, was meine Zustimmung, was meine Ablehnung oder Enthaltung verdient etc. Doch diesen Weg gibt es nicht. Er entsteht mit der Zeit in einem selbst und ich lebe inzwischen ganz gut damit, dass ich auf die – ja, ich gestehe – allermeisten Ansichten nur mit Achselzucken reagieren kann, weil ich oft nicht weiß, welcher Position ich mich anschließen soll. Und inzwischen meine ich auch erkannt zu haben, dass eben in den meisten Fällen – gerade in Auseinandersetzungen mit anderen Menschen – alle Positionen mindestens ein bisschen richtig und ein bisschen falsch sein können. Es kommt dabei auch darauf an, wer mir was erzählt, in welcher Verfassung ich zuhöre und welches Verhältnis ich demjenigen gegenüber habe. Und das sind nun wirklich alles andere als objektive Kriterien zur Wahrheitsfindung!

Herzlichst, MICI
Antworten