(Nicht-)verarbeitung der Psychiatrieaufnahme

Austausch persönlicher Erfahrung mit der Depression/Psychose vor und nach der Geburt

Moderator: Moderatoren

Antworten
Sonnenschein84

(Nicht-)verarbeitung der Psychiatrieaufnahme

Beitrag von Sonnenschein84 »

Hallo zusammen,

ich hätte gerne einen Rat /Meinung von euch. Ich bin letztes Jahr 6 Wochen in der Psychatrie gewesen mit der Diagnose "psychotische Episode im Wochenbett". Seit Januar muss ich keine Medikamente mehr nehmen, seit Mai arbeite ich auch wieder halbtags, bin mit meiner kleinen Familie sehr glücklich und es geht mir gesundheitlich wieder so gut wie früher, wenn nicht sogar noch besser. :-) Das ist soweit wirklich alles ganz prima.
Ich grüble auch nicht ewig darüber, warum ich krank geworden bin. Aber trotzdem denke ich schon noch oft an die Zeit im Krankenhaus. Dabei ist die Erinnerung an das Krankenhaus, Pfleger, Ärzte, Therapeuten und andere Patienten auch nicht so schlimm. (Es gab natürlich schon auch heftige Situationen und Mitpatienten, aber das war hauptsächlich in der ersten Woche meines Aufenthalts und da ich da so voll mit Tavor war, habe ich daran keine Erinnerung mehr...)
Einige Therapeuten und Pfleger habe ich immer mal wieder in der Fußgängerzone im Ort gesehen, gegrüßt und auch ein paar Sätze gewechselt. Das war kein Problem. Ich war auch letzten Sommer auf einem Sommerfest vom Krankenhaus und habe da den Stationsarzt getroffen, der sich mit mir unterhalten hat und das war alles sehr positiv.
Jetzt kommt das ABER:
Ich denke immer mal wieder an die Aufnahme im Krankenhaus, die Untersuchung dort und die Fragen im Aufnahmegespräch, die der aufnehmende (Ober)arzt gestellt hat. Auch sein ganzes Verhalten mir gegenüber ist mir noch sehr präsent und ich empfinde es als unangemessen und bin auch ganz sicher, dass ich durch dieses Aufnahmegespräch stark verunsichert worden bin und noch viel größere Ängste entwickelt habe. Mein Freund war bis auf 5 Minuten bei dem Aufnahmegespräch dabei und fand es ebenfalls sehr unprofessionell. Als er nach 5 Minuten wieder zum Gespräch dazu kam (ich war in der Zeit mit dem Arzt alleine) meinte er, dass ich viel unruhiger, ängstlicher und verwirrter gewesen bin, als zuvor.
Der Arzt hatte gar nicht auf dem Schirm, dass mein "Zustand" was mit der Geburt, bzw. den Umständen danach, Hormonen, usw. zu tun haben könnte.

Anstatt zu versuchen zu beruhiger, war er sehr hektisch und kurz angebunden und hatte sehr schnell gesagt, er hoffe sehr, dass ich nicht an Schizophrenie erkrankt sei. Da musste ich erst mal schlucken. Ich war ja ohnehin schon verwirrt, hatte Panik und dachte, dass ich jetzt verrückt sei, vielleicht nie wieder gesund würde und mein Kind weggenommen bekäme. Das was man sich vielleicht wirklich in seiner schlimmsten Vorstellung ausmalt, wenn man psychisch krank wird. Und dann kam er mit so einem Satz.
Wenn man mit Anfang 20 zum Arzt geht mit einem Knoten in der Brust, sagt der ja auch nicht als erstes "Oh, ich hoffe, dass das kein Brustkrebs ist, und wir die Brust entfernen müssen."
Gut, also wenn seine etwas vorschnelle und vielleicht schlimmstmögliche Prognose das einzig unglückliche an der Aufnahme gewesen wäre, dann könnte ich darüber vielleicht hinwegsehen.
Aber es gab eben wirklich viele Sachen. Auch bezüglich der Unterbringung auf den verschiedenen Stationen, und der Möglichkeiten und Grenzen, die das jeweils mit sich bringt.
Da kam wirklich einiges zusammen, was wirklich unglücklich gelaufen ist und die Situation für mich und auch für meine Familie schlimmer gemacht hat, als notwendig gewesen wäre.
Ich denke mir einerseits, dass es nicht so viel bringt, sich darüber jetzt zu ärgern, weil ich es nicht rückgängig machen kann. Es hat sich dann ja auch glücklicherweise alles zum Guten gewendet und niemand hat irgendwelche Spätschäden davongetragen.
Andererseits beschäftigt mich diese Aufnahme und das (Fehl)verhalten dieses einen Arztes doch noch ziemlich. Wenn ich ihn manchmal in der Fußgängerzone sehe, dann merke ich richtig, wie tief meine Abneigung gegen ihn ist und wie gerne ich ihm sagen würde, dass ich mich ungerecht und schlecht behandelt von ihm gefühlt habe.
Ok, ganz so deutlich würde ich ihm das wohl nicht sagen, aber irgend etwas in mir hat halt wirklich das Verlagen, mit ihm über diese Aufnahme zu sprechen. Mein Freund und eine gute Bekannte, die ich aus dem Krankenhaus kenne, meinten auch beide, dass mir das vielleicht helfen würde, damit abzuschließen oder zu verstehen, warum das damals so gelaufen ist, wie es war.
Es kann natürlich auch sein, dass er behauptet sich an das alles nicht mehr zu erinnern. Vielleicht erinnert er sich wirklich an vieles nicht mehr, aber andererseits war mein Fall ja auch nicht der "normale Klinikalltag" denke ich.

Hinzu kommt noch, dass ich auch an andere Frauen denke, die ja auch mal an diesen Arzt geraten könnten. Denen würde ich, wenn das geht, gern ein bisschen ersparen. Und wenn es nur das wäre, dass man den Arzt vielleicht ein bisschen dafür sensibilisieren kann, dass eine Mutter mit PPD, PPP auch eine besondere Situation darstellt, weil sie ja noch ein Baby hat und man das bei der Behandlung und Einschätzung der Situation berücksichtigen muss.

Vielleicht fragt ihr euch, warum ich das jetzt hier schreibe.
Vielleicht war es bei denjenigen, die stationär behandelt wurden ja auch eine schwere Aufnahme und ihr habt Tipps, wie ihr das im nachhinein verarbeiten konntet.
Außerdem würde ich gerne Meinungen dazu hören, ob ihr denkt, dass es etwas bringt, zu versuchen mit dem Arzt, der das Aufnahmegespräch geführt hat, zu sprechen.

Ich würde mich wirklich sehr über Antworten und Anregungen freuen.
Ganz liebe Grüße
Anna2010

Beitrag von Anna2010 »

Hallon erstmal,

oh je, das ist wirklich eine schlimme Situation.
Ich weiß von meiner Psychologin, dass Ärzte in Psychiatrien sehr gerne Diagnosen austeilen, und falls psychotische oder so genannte Symptome hinzukommen, wird natürlich gern das Schreckensgespenst der Schizophrenie herausgekramt...
Irgendwie ist das doch auch ein Zeichen der Macht: Jemand kann einem anderen mit dieser Diagnose sein Leben quasi ein Stück weit enteignen...
Man würde nie mehr gesund
Es sei unheilbar
Man müsse lebenslänglich schwere Medikamente brauchen

...
Nun ja:
ich hatte selber nach der Geburt psychotische Symptome, und das habe ich selber so "diagnostiziert!"
Ich bin mir sicher, wäre ich in eine Psychiatrie gekommen, hätte ich dieses Umhängeschild erhalten und wäre mit Neuroleptika vollgestopft worden.
Ich bin mir genauso sicher, dass keiner der Ärzte mich nach zufällig traumatischen Kindheitserlebnissen gefragt hätte und dass ich nur hätte lernen sollen, mit meiner "Vulnerabilität" zu leben.

Sicher, diese Hilfe ist besser als keine,
aber:Zusammen mit einer sehr guten Psychologin bin ich der Angst und dem Gedankenmüll auf den Grund gegangen, und weiß heute, dass all diese Erfahrungen in meiner Kindheit nur verdrängt waren und somit nur in "verschlüsselter Form" zu Tage traten....unverständlich und "verrückt", so empfand ich es ja selber.

Und auch wenn ich keine Psychosediagnose erhalten hätte, wäre mir vermutlich die Chance geraubt worden, meine Kindheit zu verarbeiten...

Psychotherapeuten gehen da psycho-logisch ran, Ärzte eben biologisch.

LG
Sonnenschein84

Beitrag von Sonnenschein84 »

Ich habe gerade auch noch mal meinen Beitrag gelesen und vielleicht entstand ein etwas uneideutiges Bild. Ich versuch es noch einmal etwas richtig zu rücken.

Im Nachhinein denke ich über den Klinikaufenthalt, dass das schon so in Ordnung war, wie er gewesen ist. Es war zwar sehr schlimm von meinem Kleinen getrennt zu sein, aber das habe ich alles verarbeitet. Ich wurde auch jeden Tag mehrere Stunden von meinem Freund mit meinem Sohn besucht und konnte nach 2 Wochen auch am Wochenende nach Hause und auch später während der Woche einige Male zu Hause übernachten. Ich glaube, dass ich schon auch einige Sachen aus dem Aufenthalt gelernt habe und ich im Großen und Ganzen wirklich gute Ärzte, Therapeuten und auch Pfleger hatte.

Aber da ist halt dieser Gedanke an die Aufnahme und quasi den Rattenschwanz, der da mit dran hing.

Der Chefarzt musste wirklich Überzeugungsarbeit leisten, dass auszubügeln, was sein Kollege im Prinzip verzapft hat.
Er war sich sicher, dass ich keine Schizophrenie hätte und dass ich mit ganz großer Wahrscheinlichkeit wieder ganz gesünd würde und definitif nicht mein Leben lang Medikamente bräuchte.
Es war ja auch so, dass ich nach 7 Monaten keine Medikamente mehr brauchte und gesund und stabil bin. Die Prognose, die der Chefarzt mir gegeben hat war wirklich sehr gut und dabei war er immer sehr vorsichtig mit irgendwelchen vorschnellen "Heilungsversprechen".

Es ist eben wirklich der Arzt von der Aufnahme, dem ich gern sagen würde, wie ich das empfunden habe, bzw. von dem ich gern erfahren würde, warum er das so gemacht hat, wie er es gemacht hat.

Ich erhoffe mir davon, dass dann besser abschließen zu können und ihn eben etwas sensibler zu machen für andere Mütter in ähnlichen Situationen.

Liebe Grüße,
Sonnenschein
sol

Beitrag von sol »

HAllo!
Ich finde es gut, dass du mit dem Arzt noch mal reden willst- evtl hilft es dir auch zu schreiben.
Ich habe mal meinen Arztbericht aus der Klinik verändert haben wollen, da der Oberarzt einfach Quatsch geschrieben hatte.Interessanterweise hat die Klinik sich lange nicht gerührt- erst nach dem ich noch mals hinterhertelefoniert habe, bekam ich dann eine korrigierte Fassung.
Nicht immer läuft alles ok in den Psychiatrien- dabei ist es so wichtig, dass gerade auch Aufnahmegespräche gut ablaufen. Du kannst dich auch an die Beschwerdestelle im Krankenhaus wenden- An deiner Stelle würde ich versuchen noch mals mit dem Arzt zu reden, damit du damit abschließen kannst. Es kann aber sein, dass er keine Zeit hat mit dir darüber zu reden- Fehler möchten sich Ärzte ungern eingestehen. Wahrscheinlich ist im sein Verhalten gar nicht klar. Ein Versuch ist es aber alle mal wert.
Übrigens habe ich meinen Psychiatrieaufenthalt auch in einer Therapie bearbeiten müssen- da ist einiges passiert, was nicht in Ordnung war.
Wenn du die Kraft hast, dann versuche noch mal mit dem Aufnahmearzt zu reden. Vor allem da wie du schreibst, ihn auch manchmal in der Fußgängerzone triffst. Bitte sei aber nicht verwundert, wenn er abweisen reagiert.
LG
Sonnenschein84

Beitrag von Sonnenschein84 »

Hallo Sol,

vielen Dank für deine Antwort. Ja, die Aufnahme in der Psychiatrie war bei mir echt doof. Es kam halt einiges zusammen. Wir waren erst freitags da zu einem Gespräch mit einem Arzt, der sich viel Zeit genommen hat und dann zu dem Entschluss kam, das mein Freund und ich die Situation im Griff haben, es unserem Sohn gut geht und wir wieder nach Hause gehen könnten, wenn wir wollten. Er gab mir Diazepam mit, damit ich nachts schlafen kann. Bei Fragen oder Problemen sollten wir uns jederzeit wieder melden.
Der Arzt sonntags war wirklich das totale Gegenteil. Er schien gar nicht im Bilde gewesen zu sein über die Situation. Er hatte nicht den anderen Arzt kontaktiert und keinerlei Informationen aus dem Gespräch von dem Freitag übernommen. Tja, war halt auch ein Sonntag und da läuft in Krankenhäusern wohl eh nicht wirklich viel...

Du hast Recht, dass es natürlich sein kann, dass sich der Arzt nicht erinnern kann oder möchte und sicher keinen Fehler eingestehen wird. Aber es stimmt auch, dass ihm das vielleicht gar nicht bewusst ist, wie die Aufnahme auf mich gewirkt hat und was das ausgelöst hat.

Ich glaube die Kraft hab ich schon, mit dem Arzt zu reden bzw. ihm zu sagen, dass ich gern mit ihm sprechen würde. Dann sehe ich ja auch wie er reagiert. Kann schon sein, dass er abweisend reagiert. Aber dann kann ich ihm immer noch etwas schreiben.

Und ich muss auch ehrlich sagen, dass ich mir auch vorstellen kann, dem Chefarzt zu schreiben. Es würde mir dabei nicht darum gehen den Aufnahmearzt in die Pfanne zu hauen, sondern ich würde ihm gern einfach die Situation aus meiner Sicht schildern, vielleicht mit der Bitte verknüpft, einige Punkte bei anderen Patientinnen in ähnlichen Situationen zu berücksichtigen.
Juliane77

Beitrag von Juliane77 »

Hallo Sonnenschein,

wollte eigentlich schon länger auf Deinen Beitrag antworten.

Ja, das kann ich verstehen, dass Dich diese unglückliche Aufnahme in der Psychiatrie immer noch beschäftigt. Würde mir bestimmt auch so gehen.

Habe auch sehr schlechte Erfahrungen in einer Reha-Klinik gemacht und das immer noch nicht verarbeitet. Die Aufnahme war o.k., aber während meines Aufenthalts wurde ich teilweise von meiner dortigen Bezugstherapeutin, der Sozialarbeiterin und einem Therapeuten sehr schlecht behandelt.

Würde es auch noch mal versuchen, mit dem Arzt Kontakt aufzunehmen. Habe mir das selbst auch schon überlegt, dass ich der damaligen Therapeutin von mir noch mal einen Brief schreibe. Das hatte sie mich sowieso gefragt, ob ich das nach einem Jahr machen würde. Jetzt ist es schon fast zwei Jahre her. Aber ich sollte es machen, schon aus dem Grund, damit Leute in meiner Situation wie ich es damals war, nicht auch fehlbehandelt werden.

Fürchte aber auch, dass sich der Arzt kaum noch an Dich erinnern kann, wenn überhaupt.

Ich mache auch bei meinem Psychiater und meinem Therapeuten immer wieder die Erfahrung, dass sie Sachen, die ich ihnen erzähle, verwechseln oder vergessen, was mich ziemlich verletzt. Aber die sind halt auch alle überlastet, so wie ich das mitkriege. Vielleicht wird das bei dem Arzt, der Dich aufgenommen hat, auch der Fall gewesen sein. War ja auch am Wochenende, sonntags. Ich will sein Verhalten jetzt nicht entschuldigen oder in Schutz nehmen. Trotz aller Arbeitsüberlastung, sollten sich die Ärzte doch bemühen, gute Arbeit zu leisten, denke ich.

Hast Du inzwischen Kontakt mit ihm oder dem Oberarzt aufgenommen?
Das erfordert sicher auch viel Mut.

Liebe Grüße
Antworten